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Auszug aus dem Protokoll der Ratsklausur vom 28. bis 30.11. 2008

 

(zusammengestellt von Marlene Werfl)

 

 

A. Umgang mit der Krise der attac-Spektren/Bündnispartner

 

1. Beitrag von Horst Schmitthenner, IG Metall  

2. Beitrag von Christoph Kleine, Interventionistische Linke,

 

B. Zum attac-Umgang m. Krise für Referenten u. workshop-Phase: Antworten von Thomas Seibert, medico international

 

C. Thesenpapier „Attac und die Finanzkrise", Stephan Schilling, Beschreibung aktuelle Lage, S. 8-10

 

 

Horst Schmitthenner*: Anmerkungen zu den Leitfragen für die Attac-Ratsklausur 2008 am 28./29. November

 

* Horst Schmitthenner ist Leiter des IG Metall-Verbindungsbüros Soziale Bewegungen. Den dargelegten Positionen liegen intensive Verständigungs-Diskussionen zwischen ver­schiedenen Verbänden, Initiativen und Gruppierungen zivilgesellschaftlicher Bewegungen zugrunde.

 

1) Wie wird die aktuelle Krise in eurem jeweiligen Kontext analysiert und bewertet? Wie schätzt Ihr ihren Einfluss auf die Realwirtschaft ein?

 

Es ist mehr als eine Finanzmarktkrise, es ist eine Weltwirtschaftskrise, in der riesige Ver­mögen vernichtet werden und Massenarbeitslosigkeit grassiert. Und es ist eine Krise des neoliberalen Akkumulationsmodells.

 

Die Krise der internationalen Finanzmärkte hat gezeigt, dass eine extrem ungleiche Ver­teilung des Reichtums die Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens unter­gräbt und so wie die Gesellschaft im Innern auch die Welt in wenige reiche Länder und die Habenichtse an deren Peripherie spaltet. Die Akkumulation riesiger Vermögen in Pri­vatbesitz ist kein Ausweis von wirtschaftlicher Tüchtigkeit und Effizienz; der Finanzmarkt­kapitalismus zersetzt vielmehr die realwirtschaftlichen Reproduktionsverhältnisse. Die ökonomische Entwicklung bedarf gesellschaftlicher Steuerung. Eine solidarische Gesell­schaft braucht eine solidarische Verteilung des Reichtums. Nur so kann sichergestellt werden, dass hinreichend Mittel für die öffentliche Lösung der gesellschaftlichen Entwick­lungsaufgaben zur Verfügung stehen.

 

2) Welche Möglichkeiten seht Ihr innerhalb der Krisendiskussion, das Paradigma des neoliberalen Kapitalismus weiter zu delegitimieren, oder hat sich dieses Akkumulati­onsmodell nun endgültig verabschiedet?

 

Deregulierung ist keine Botschaft mehr in einer Zeit, in der der Zusammenbruch der inter­nationalen Finanzmärkte nur durch massive staatliche Interventionen und neue Formen der Regulierung verhindert werden kann. Aber machen wir uns nichts vor: Das Ende die­ser ein Vierteljahrhundert äußerst mächtigen Ideologie kehrt nicht einfach die ökonomi­schen und gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse um und öffnet nicht von alleine eine Tür in Richtung sozialen, ökologischen und friedensstiftenden Fortschritts.

 

Das Ergreifen der Chancen für eine bessere Welt beginnt mit Aufklärung. Beispielsweise über die ökonomisch und politisch herrschenden Klassen, die bis heute die Mittel für die Beseitigung von Kinderarmut verweigern, während binnen Stunden das Zehnfache für die Rettung einzelner Banken mobilisiert wird. Über jene Kräfte, die zu verantworten haben, dass Gewinn- und Vermögenseinkommen immer weniger zur Finanzierung des Gemein­wesens herangezogen werden, während immer dringlichere öffentliche Zukunftsinvestitio­nen selbst in Zeiten wieder steigender Massenarbeitslosigkeit unterbleiben. Über eine Welt, in der die reichen Regionen sich abschotten gegen die infolge von Ressourcen­transfer und der globalen Energie-, Nahrungsmittel- und Finanzmarktkrise gleich mehr­fach ausgebeuteten Länder des Südens, die schließlich auch noch als erste die Folgen des Klimawandels zu tragen haben. Nicht zuletzt über eine Welt, in der Rüstungsproduktion und Rüstungsexporte neue Höchststände erreicht haben.

 

3) Mit welchen Neukonfigurationen innerhalb der Finanzmärkte rechnet Ihr auf nationaler und globaler Ebene? Mit welchen Veränderungen des Kräfteverhältnisses rechnet Ihr gesamtgesellschaftlich bezogen auf die herrschende Klasse?

 

Die politische Verarbeitung der Krise verbleibt nach wie vor in der Logik des finanzmarkt-kapitalistischen Regimes. Das lässt sich daran ablesen, dass - nachdem man das Sys­tem mit Liquidität und Garantieversprechen versorgt hat - die politischen Maßnahmen sich weitgehend auf neue Formen des Risiko-Managements konzentrieren (Transparenz, Bilanzlegung, Rating Agenturen, Regulierungsvorschriften für Hedge Fonds, Einschrän­kung von Steueroasen usw.) und daran, dass versucht wird, eine Aufwertung und Erwei­terung der Weltwirtschaftsinstitutionen (IWF, Weltbank usw.) zustande zu bringen, ohne diese Institutionen selbst grundlegend im Sinne einer Neuregulierung des internationalen Kapitalverkehrs sowie der Devisenmärkte zu reformieren. Ich gehe davon aus, dass die­ser Ansatz völlig unzureichend ist, die tiefe Krise selbst und ihre Folgen in den Griff zu bekommen. Die Krise des Dollar-Wall Street-Regimes wird sich auch nicht einfach da­durch verflüchtigen, dass sich die Gewichte im System des globalen Kapitalismus stärker in Richtung Asien (China, Indien) verschieben. Es bedarf eines umfassenden Regulie­rungsansatzes, der in Bezug auf das Weltwährungssystems - Stichwort Bretton Woods II - an die alte Konzeption von Keynes in den Verhandlungen von Bretton Woods I hinsicht­lich der Schaffung einer internationalen Zentralbank und Reservewährung (den „Bancor") anknüpfen könnte. Damit wäre die hegemoniale Rolle des Dollar in Frage gestellt, sodass man sich die tiefen Veränderungen der globalen Machtverhältnisse vorstellen kann.

 

Auf ideoloigischer Ebene findet eine Auseinandersetzung in der herrschenden Klasse über das Scheitern oder veränderte Fortbestehen des neoliberalen Modells statt. Dabei warnen auch Teile des bürgerlichen Lagers davor, dass eine Fortsetzung neoliberaler Politik den herrschenden Machtblock weiter zersetzen würde. Diese Linienauseinander­setzungen sind aufschlussreich und sollten nicht ignoriert werden. Entscheidend ist je­doch, welchen Druck die sozial fortschrittlichen und emanzipatorischen Kräfte in den je­weiligen Ländern und Regionen ausüben können, um Strukturreformen durchzusetzen, die die bestehenden Machtverhältnisse verändern.

 

4) Welche Rolle wird die Krise bzw. deren Regulationsversuche im kommenden Jahr bei den EU-, Landtags- und Bundestagswahlen spielen?

 

In dieser Zeit einer tiefen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise, die Erinnerun­gen an die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahren weckt, kommt den fortschrittlichen Kräften der Zivilgesellschaft große politische Bedeutung zu.

 

Die Akteure der Zivilgesellschaft stecken zwar selbst in der Defensive: indem die Res­sourcenausstattung für Verbände, Initiativen, Bewegungen, Selbsthilfeeinrichtungen usw. prekärer wird, soziale Fragmentierung neue Bündnisstrukturen untergräbt, Kommunikati­on und Verständigung dem Primat einer hoch konzentrierten Medienwirtschaft unterwor­fen sind und die tradierten Bildungsinstitutionen soziale Auslese und Spaltung reproduzie­ren.

 

Das Ende der Hegemonie des Neoliberalismus bietet jedoch neue Chancen. Die Zivilge­sellschaft ist der zentrale Ort, in dem die Kämpfe um eine neue Hegemonie ausgetragen werden. Wichtig ist daher ein Verständigungsprozess unter den zivilgesellschaftlichen Akteuren über Grundlinien sozial emanzipatorischer, ökologisch nachhaltiger und global friedensstiftender Entwicklungsperspektiven. Dabei gehen wir erstens davon aus, dass die Erneuerung der Gesellschaft kein rein marktgesteuerter Prozess sein kann - Fort­schritt hat vielmehr marktbegrenzenden Charakter. Wir sind zweitens der Auffassung, dass wir nicht mehr in einer Gesellschaft des Mangels, sondern des materiellen, sozialen und kulturellen Reichtums leben, in der Armut und soziale Ausgrenzung keine Zukunft mehr haben dürfen. Wir sehen drittens, dass Arbeit für Alle und soziale Gerechtigkeit nur im Rahmen eines nachhaltigen ökologischen Umbaus der Wirtschaft zu erreichen sind. Abkehr von rein quantitativen Wachstumsprozessen, Umverteilung im europäischen und globalen Rahmen und eigenständige Sicherheiten für den Zugang zu einem guten Leben für alle müssen Elemente eines solchen Prozesses sein.

 

5) Mit welcher Haushaltspolitik auf Bundes- und Landesebene rechnet Ihr aktuell und zukünftig?

 

Steinbrück hat für die Regierung bereits erklärt, dass die Politik der Haushaltskonsolidie­rung fortgesetzt wird. Ein wirkliches Konjunkturstützungsprogramm wird es nicht geben -es sei denn wir können es erstreiten. Die jetzt vorgesehenen 1 mal 4 und einmal 7 Mrd. sind völlig unzureichend. Damit werden zudem kaum öffentliche Investitionen finanziert. Vielmehr geht es um Anreize für Verbraucher, wie etwa die zeitweise Aussetzung der KFZ-Steuer und die erhöhte steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen, 10 Euro mehr Kindergeld und ähnliches. Diese Maßnahmen werden verpuffen, weil sie viel zu gering bemessen sind. Hinzu kommt, dass sie ökologisch und gesellschaftspolitisch un­akzeptabel sind, weil sie weder zu mehr sozialer Gerechtigkeit noch zum Abbau von Ar­mut und auch nicht zu mehr Beteiligungsgerechtigkeit führen. Ein wirksames Konjunktur­stützungsprogramm würde aus umfangreichen öffentlichen Investitionen bestehen, die die soziale Infrastruktur verbessern z.B. durch mehr Lehrkräfte, mehr Beschäftigte in Kran­kenhäusern, den Ausbau von Kindertagesstätten, die Reparatur von Straßen und der Ka­nalisation, für Verbesserung der Infrastruktur, die Verbesserung der Umwelt usw.

 

6) Wie schätzt ihr die politische Dynamik der nächsten Monate ein? Werden die sozialen Konflikte und Kämpfe zunehmen? Steig die Erwartung in der Bevölkerung für weitgehende Veränderungen? Gibt es Möglichkeiten für Massenmobilisierungen?

 

Auf diese Leitfrage ist eine Antwort besonders schwer zu fassen. Sicherlich wird die Er­wartung nach weitreichenden Veränderungen in der Bevölkerung zunehmen. Ob dies einhergeht mit zunehmenden Kämpfen für deren Realisierung, hoffe ich und dafür müs­sen wir kämpfen.

 

Gegenwärtig sieht es nicht so rosig aus.

 

Es ist nicht spürbar, dass in der Bevölkerung Aufbruchstimmung herrscht. Im Gegenteil: Angesichts der Krise, ihren Wirkungen, dem unzureichenden, teilweise dilettantischen Handeln der politischen Elite, ist die Stimmung doch eher verhalten und zurückhaltend. So zeigt z.B. die Metall-Tarifrunde schmerzhaft, wie innerhalb von wenigen Wochen die Kampfbereitschaft, die sehr hoch eingeschätzt worden war und bei den Warnstreiks auch deutlich sichtbar wurde, wegen der Krisenerscheinungen und der zunehmenden Angst vor erneut steigender Massenarbeitslosigkeit in kurzer Zeit nahezu kollabierte. Die jetzt fol­genden betrieblichen Auseinandersetzungen werden zeigen, ob das Ruder herumgeris­sen werden kann.

 

Entscheidend ist gesellschaftliche Aufklärung. Diese beginnt damit, schonungslos Bilanz zu ziehen. Nur so können Fehler künftig vermieden werden. Unsere Bilanz lautet: Die in Deutschland im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts betriebene Politik ist desaströs. Es war diese Politik, die die Gesellschaft in eine tiefe Krise hineinmanövriert hat - und dies nicht nur in ökonomischer Hinsicht.

 

Die soziale Krise besteht darin, dass Armut in einem der reichsten Länder der Welt wach­sende Teile der Bevölkerung erfasst hat. Armut, die Entwicklungschancen, Lebensper­spektiven und einen umweltgerechten Lebensstil gar nicht erst entstehen lässt. Armut, die Erwartungen eines gesicherten Lebens im Alter zerstört. Armut, die auch für eine wach­sende Zahl Arbeitsloser, Ein-Euro- und Mini-Jobber, Leiharbeiter und Beschäftigte in den wachsenden Niedriglohnsektoren zur Erfahrung macht, was für einen Großteil der Frauen immer schon bittere Realität war: Erwerbsarbeit sichert keinen eigenständigen Anspruch auf ein auskömmliches Leben mehr.

 

Die gesellschaftliche Krise manifestiert sich in dem fortschreitenden Verfall der sozial­kulturellen Infrastruktur der Republik - von Schulen über nichtkommerzielle Freizeitstätten bis zu Pflegeeinrichtungen. Die Streichung öffentlicher Investitionen und die Vermarkt-Laichung aller Lebensbereiche verhindert eine vorausschauende öffentliche Daseinsvor­sorge ebenso wie eine nachhaltige, ressourcenschonende Umweltpolitik. Der Wider­spruch ist mit Händen zu greifen: Während der Sozialstaat kleingerechnet wird, verab­schiedet sich die so genannte Elite von der Aufgabe der Finanzierung des Gemeinwe­sens, das nun auch noch genötigt ist, die Spekulationsgeschäfte der Banken mit Milliar­denkrediten abzusichern.

 

Die politische Krise findet ihren Ausdruck in einer sowohl wettbewerbsorientierten wie nach innen autoritären und nach außen militaristischen Ausrichtung des Staates. Und sie artikuliert sich in zunehmender Wahlenthaltung. Die Verselbständigung der politischen Klasse - und nicht in erster Linie eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten der National­staaten im Prozess der Globalisierung - ist der Grund für die offenkundige Krise der poli­tischen Repräsentation und der parteipolitischen Umgruppierungen im politischen System.

 

7) Was sind eure zentralen Forderungen, eure Antworten auf die Krise?Welche Interventionsmöglichkeiten seht Ihr für Euren Zusammenhang und für uns gemeinsam?

 

Unseres Erachtens sollte auf einer Agenda der zivilgesellschaftlichen Bewegungen ste­hen:

 

·         Gute Arbeit: ein politisches Projekt, das einen Bogen schlägt von der Bekämpfung prekärer Arbeit in wachsenden Niedriglohnsektoren bis zu den immer öfter frustrierten Bedürfnissen Höherqualifizierter nach professioneller Entfaltung, und dabei nicht nur die Erwerbsarbeitsperspektive sondern ebenso die Sektoren der Erwerbslosen (Hartz IV u.a.) im Focus hat. Gute Arbeit ist ein Gegenprojekt zum Programm „Hauptsache Arbeit", mit dem arbeitsmarktpolitische Repression, Prekarisierung und Lohnsenkun­gen legitimiert werden. Gute Arbeit ist ein Projekt, das gegen Wettbewerbs- und standortpolitische Vereinnahmungsversuche profiliert werden kann und die Perspektive eines Umbaus der Wirtschaft entlang ökologischer Erfordernisse und gesellschaftli­cher Bedürfnisse stark macht. Gute Arbeit ist ein bereits profiliertes Querschnittspro­jekt, das unterschiedliche zivilgesellschaftliche Akteure - von der Gewerkschaftsbe­wegung über Sozialverbände bis zur Umweltbewegung - zusammenbringt. Ein auf Kli­maschutz und nachhaltigen Ressourceneinsatz gerichtetes ökologisches Umbaupro­gramm könnte eine seiner weiteren Konkretisierungen sein. Dabei wäre auch eine Auseinandersetzung mit der Frage notwendig, was produziert werden soll und wie wir das gesellschaftlich organisieren wollen.

 

·         Soziale Gerechtigkeit: Hierunter fallen politische Projekte, die vom gesetzlichen Min­destlohn über die Abschaffung von Hartz IV bis zu lebensstandardsichernden Renten reichen. Soziale Gerechtigkeit steht für den Zugang zu qualitativ hochwertigen medizi­nischen Leistungen nicht nur bei uns, sondern für alle Menschen. Soziale Gerechtig­keit steht für eine soziale Grundsicherung, die auch die vielen Erscheinungsformen verdeckter Armut, Ausgrenzung und Spaltung bekämpft. Soziale Gerechtigkeit steht für einen leistungsfähigen Sozialstaat, der als Bürgerversicherung individuelle Entfal­tungsmöglichkeiten und Teilhabe für Alle ermöglicht. Daseinvorsorge ist eine öffentli­che Aufgabe, in der private Gewinninteressen nichts verloren haben. Soziale Gerech­tigkeit erfordert Verteilungsgerechtigkeit zwischen Lohn-, Gewinn- und Vermögensein­kommen; ein Steuersystem, das von Oben nach Unten umverteilt, Schlupflöcher stopft und die Privilegierung von Vermögen beendet, überkommene Strukturen diskriminie­render geschlechtlicher Arbeitsteilung (z.B. durch das Ehegattensplitting) beseitigt und hinreichend Ressourcen zur Finanzierung wachsender öffentlicher Aufgaben er­schließt. Mit Konzepten wie der solidarischen Einfachsteuer liegen Alternativen vor und sind Bündnisperspektiven geknüpft.

 

·         Bildung für Alle: Projekte mit einer Vielzahl von Einzelthemen und -initiativen, die kommunikativ vernetzt werden könnten: PISA, ein antiquiertes Schulsystem, fehlende öffentliche Investitionen, G8, Studiengebühren usw. Gerade das deutsche Bildungs­und Ausbildungssystem ist dadurch charakterisiert, dass soziale Disparitäten nicht ab­gebaut, sondern noch verstärkt werden. Dieses System ist meilenweit von einem An­spruch auf Chancengerechtigkeit entfernt, wie Vergleiche insbesondere mit einem in­tegrierten Bildungssystem in den skandinavischen Ländern zeigen. In diesen Verglei­chen wird auch deutlich, welchen Anteil lebensbegleitende Weiterbildung an individu­ellem und gesellschaftlichem Fortschritt hat. Auch das herkömmliche System der dua-len Berufsausbildung wird den Anforderungen einer zunehmend wissensbasierten Gesellschaft seit langem nicht mehr gerecht. Deshalb ist Bildung für Alle zu einem verschiedene Bevölkerungsklassen übergreifenden Zukunftsthema (auch in Wahl­kämpfen) geworden.

 

·         Globale soziale und ökologische Rechte: Projekte, in denen die globalen Wider­spruchsdimensionen aufgegriffen werden: Hunger und Verelendung, die Krisen- und Ausbeutungsprozesse hochspekulativer internationaler Finanzmärkte, die globale Kli­maveränderung, die mit Hochrüstung einhergehenden weltweiten Geschäfte der Rüs­tungsindustrie und zunehmenden Militärinterventionen. Forderungen nach Re­Regulierung der Finanzmärkte, Schuldenstreichung für Länder des Südens, global wirksamen Maßnahmen gegen die Umweltzerstörung und die entschiedene Verteidi­gung der Menschenrechte können hierzulande mit der „Verantwortung" eines erneuer­ten Europas verknüpft werden - ein Europa, das als neoliberale Deregulierungsge­meinschaft in eine politische Legitimationskrise bugsiert worden ist. Die Alternativen neues Europäisches Sozialmodell, Friedensmacht Europa und Trendsetter im Klima­schutz durch transnationale Projekte eines nachhaltigen, ressourcenschonenden Umbaus der Wirtschaft drücken noch mehr Hoffnungen als Realitäten aus. Vor allem die Perspektive auf eine demokratische selbstbestimmte Europäische Union hat durch das Festhalten am autoritären Projekt der Verfassung ebenso Schaden erlitten wie durch die rasante Militarisierung von Außenpolitik und Außengrenzen. Die Europa­wahlen 2009 böten einen Rahmen, zivilgesellschaftliche Initiativen jenseits der Gren­zen der Nationalstaaten zu erkunden, abzusprechen und zu starten.

 

 

 

 

Christoph Kleine, Interventionistische Linke: Thesen zu den Leitfragen für den attac-Rat, 28.11.2008

 

1.] Wie wird die aktuelle Krise in eurem jeweiligen Kontext analysiert und bewertet? Wie schätzt Ihr ihren Einfluss auf die Realwirtschaft ein?

 

Die gegenwärtige Krise ist in ihrem Kern keine reine Finanzmarktkrise, sondern eine Krise des Kapitalismus überhaupt. Insofern sehen wir in den deregulierten Finanzmärkten und den Spekulationsblasen, die auf ihnen entstehen weniger die Ursache des Problems, sondern betrachten diese bereits als Folge einer viel grundsätzlicheren Krise, die direkt mit der sogenannten „Realwirtschaft" zu tun hat.(Überhaupt stehen wir der begrifflichen Trennung zwischen Finanz- und Realwirtschaft sehr kritisch gegenüber, weil dahinter oft verschwindet, dass der Kapitalismus auch in seiner Elementarform G-W-G' bereits eine spekulative Veranstaltung ist, dass kapitalistische Akkumulation stets auf Kredit und Spekulation angewiesen ist und dass schließlich ein großer Teil der Ausbeutung und Verelendung der Welt ganz realwirtschaftlich organisiert wird.)Die Ursprünge der gegenwärtigen Krise sehen wir in den 1970ern, in der Krise des auf industrieller Massenproduktion und relativ hoher Massenkaufkraft beruhenden Fordismus. In wachsendem Umfang konnten die erzielten Profite damals nicht mehr gewinnbringend im industriellen Sektor reinvestiert werden. Dies war auch ein Ergebnis der Kämpfe, die damals weltweit geführt wurden: Kämpfe gegen den Kolonialismus, Befreiungskämpfe in den Ländern des Südens, verschärfte Klassenkämpfe auch im industriellen Norden und der Aufbruch der sozialen Bewegungen, der heute unter „68" subsummiert werden.Seitdem existiert ein ständig wachsender Kapitalüberschuss, für den verzweifelt Anlagemöglichkeiten gesucht und geschaffen werden: Durch den Ausbau der Staatsverschuldung (nicht nur in den kapitalistischen Zentren, sondern auch in den Ländern des Südens), in den Finanzmärkten, die zu diesem Zweck fortwährend und bewusst dereguliert worden sind und durch fortwährende Privatisierung vormals staatlicher/gesellschaftlicher Aufgaben wie Wasser- und Energieversorgung, Transport, soziale Sicherungssysteme.Dieses Spiel kann nicht auf Dauer funktionieren, es muss notwendig „Blasen" produzieren, die in immer schnellerer Folge platzen.Die gegenwärtigen „Rettungspakete", die weltweit aufgelegt worden sind, laufen vor allem auf eines hinaus: Das Spiel am Laufen zu halten und die Kosten dafür einmal mehr den Armen und Besitzlosen aufzulasten.

 

2.] Welche Möglichkeiten seht Ihr innerhalb der Krisendiskussion

 

das Paradigma des neoliberalen Kapitalismus weiter zu delegetimieren oder hat sich dieses Akkumulationsmodell nun endgültig verabschiedet. Die Geschwindigkeit, in der die politischen und wirtschaftlichen Eliten ihre neoliberalen Glaubenssätze über Bord geworfen haben, ist schon erstaunlich. Massive Staatseingriffe, Konjunkturprogramme, Abkehr vom Dogma der ausgeglichenen Haushalte: noch vor wenigen Monaten Teufelszeug, jetzt schon Regierangsprogramm in vielen Ländern.Der Neoliberalismus ist damit (zumindest vordergründig) weitgehend delegitimiert.In Wirklichkeit ist die Wende jedoch weniger scharf als sie erscheint. Auch im Neoliberalismus war der Staat ja nicht abwesend - im Gegenteil: Die aufgeblähten globalen Finanzmärkte oder die massiven Privatisierungen sind allesamt durch politische Entscheidungen bewusst geschaffen worden. Und das staatliche Eingreifen heute mag den neoliberalen Lehrsätzen widersprechen, aber es dient dem gleichen Zweck: die profitable Verwertungsmöglichkeit für Kapital sicherzustellen, die privaten Vermögen und Gewinne zu garantieren und die Verluste zu sozialisieren.Was die Legitimation des Kapitalismus insgesamt angeht, so hat auch diese im Verlauf der Krise erfreulichen Schaden genommen. Die Erkenntnis, dass dieses Modell des Wirtschaftens keine Zukunft hat, hat sich verbreitert. Insofern ergeben sich große Möglichkeiten für eine antikapitalistische Linke - allerdings müsste sie beginnen, die (spätestens seit dem Zusammenbruch des Real Existierenden Sozialismus vorhandene) Leerstelle einer plausiblen und durchsetzungsfähigen Alternative zum Kapitalismus zu füllen.Die gegenwärtige Krise eröffnet aber nicht nur Möglichkeiten von links - sie öffnet ebenso die Tür für nationalistische, rassistische und autoritäre Erklärungen und „Lösungen". Insofern gilt es, den Widerstand gegen den globalen Kriegszustand ebenso zu verstärken wie gegen die Militarisierung der Innenpolitik und den Ausbau des Überwachungsstaates. Das schließt auch die Wachsamkeit gegenüber faschistischen und extrem rechten Gruppierungen ein, die die Krise auf ihre Weise nutzen wollen.

 

3.] Mit welchen Neukonfigurationen innerhalb der Finanzmärkte rechnet Ihr auf nationaler und globaler Ebene? Mit welchen Veränderungen des Kräfteverhältnisses rechnet Ihr gesamtgesellschaftlich bezogen auf die herrschende Klasse?

 

Wie oben bereits ausgeführt, glauben wir nicht, dass die herrschende Politik gegenwärtig auf wirklich substanzielle Änderungen im Bereich der Finanzmärkte gerichtet ist. Das schließt einzelne Regulierungs- und Kontrollmaßnahmen überhaupt nicht aus, auch diese werden aber an der grundsätzlichen Lage nichts ändern: Dass nach einer Phase der Kapitalvernichtung an den Börsen und Märkten das Spiel wieder von vorn beginnen wird.Was das gesellschaftliche Kräfteverhältnis angeht, so verschiebt die Krise das zunächst zugunsten der herrschenden Klasse, einfach weil die Erpressbarkeit der Lohnabhängigen und Erwerbslosen noch einmal zunimmt. Das kann (und wird hoffentlich) durch eher subjektive Faktoren wie wachsende Empörung, sich verschärfende Kämpfe und offener zu Tage tretende Widersprüche innerhalb der Herrschenden wieder zu unseren Gunsten verschoben werden. Aber das ist vor allem davon abhängig, wie wir ihre Krise zu unserer Chance machen können - und darüber hinaus viel Spekulation ...

 

4.] Welche Rolle wird die Krise bzw. deren Regulationsversuche im kommenden Jahr bei den EU-, Landtags- und Bundestagswahlen spielen?

 

Auf der Erscheinungsebene werden Krise und Krisenreaktion eine sehr große Rolle spielen. Es wird Steuersenkung gegen Haushaltskonsolidierung diskutiert werden. Es wird unterschiedliche Modelle der Stützung tatsächlich oder angeblich angeschlagener Branchen und Unternehmen geben. Echte Alternativen aber werden kaum zur Wahl stehen bzw. keine Regierungsoptionen sein.Entscheidend wird aber sein, wie klar tatsächliche Alternativen in diesen Wahlkämpfen thematisiert werden:Also Forderungen, dass die Profiteure die Krise bezahlen müssen, dass die soziale Sicherung unmittelbar aus dem gesellschaftlichen Reichtum zu bestreiten ist (durch Bürgerinnenversicherung und bedingungsloses Grundeinkommen), dass Mindestlohn und Arbeitszeitverkürzung auf die Agenda gehören usw. Dies wird vor allem ein Projekt außerparlamentarischer Bewegungen und Akteure sein müssen Die Wahlkämpfe können dabei einen Teil der Bühne stellen - mehr nicht.

 

5.] Mit welcher Haushaltspolitik auf Bundes- u. Landesebene rechnet Ihr aktuell und zukünftig?

 

Dafür sind wir nun wirklich keine Expertinnen: Sicher scheint zu sein, dass die Haushaltskonsolidierung zunächst nicht mehr die oberste Priorität ist, dass stattdessen (in welchem Umfang ist noch offen) über deficit spending eine Stützung der Konjunktur versucht werden wird - und dass alle diese Maßnahmen mit der Logik der Umverteilung von unten nach oben nicht brechen werden.

 

6.] Wie schätzt ihr die politische Dynamik der nächsten Monate ein? Werden die sozialen Konflikte und Kämpfe zunehmen? Steigt die Erwartung in der Bevölkerung für weitgehende Veränderungen? Gibt es Möglichkeiten für Massenmobilisierungen?

 

Bei aller Vorsicht: Ja, wir rechnen und hoffen auf ein Anwachsen der sozialen Kämpfe. Aber dies ist nur eine allgemeine Prognose, ohne genaue Vorstellung davon, wo genau die Konflikte denn ausbrechen werden. Zurzeit haben wir ja noch eine Krise im Wartestand: Alle wissen, dass sie kommen wird, die Kanzlerin bereitet die Bevölkerung schon auf ein bitteres 2009 vor - aber die konkreten Krisenfolgen sind bei den meisten Menschen noch gar nicht angekommen. Auch die Rechnung für die 500 Mrd.-Bankenrettung ist noch nicht präsentiert. Eine erste Chance, die Krise offensiv zu wenden und zu nutzen, ist durch den wirklich armseligen Metallabschluss verspielt worden. Wir haben in dem Festhalten an der 8%-Forderung einen richtigen Schritt in die Richtung gesehen, den Bedürfnissen des Kapitals eigensinnig die eigenen Bedürfnisse und Forderungen entgegenzuhalten. Nach unserer Beobachtung gab es dafür unter den Metall-Kolleginnen auch viel Zustimmung und Kampfbereitschaft, die aber ein weiteres Mal nicht zur Entfaltung gekommen ist, weil die IG-Metall-Führung einen (mühsam durch zahlreiche Rechenkunststückchen verschleierten) Rückzug eingeleitet hat. Wie oben schon ausgeführt: Die Legitimation des Kapitalismus hat weitere Risse bekommen, insofern gibt es einen guten Boden auch für Massenmobilisierungen. Aber an welchen Punkten genau sich diese werden entzünden lassen (oder ob sie eben doch ausbleiben), können wir jetzt noch nicht sagen. (Auch die Dynamik der Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV kam ja in ihrem konkreten Verlauf ziemlich überraschend und war nicht auf Bewegungskonferenzen vorher geplant worden.)

 

7.] Was sind eure zentralen Forderungen, eure Antworten auf die Krise? Welche Interventionsmöglichkeiten seht Ihr für Euren Zusammenhang und für uns gemeinsam?

 

Wir sehen erstens eine Aufgabe der inhaltlichen und strategischen Diskussion in der Linken über das, was wir die „K-Frage" genannt haben. Da heißt für uns, den gesamten Komplex Krise, Krieg, Klima, Kapitalismus und kommunistisches Danach neu zu bestimmen und zu öffnen. Es geht darum, radikale Alternativen und Optionen der Überwindung konkret zu machen, die Krise als Weckruf zu verstehen, um solche Alternativen und Optionen aus nebelhaften Fernen zurückzuholen, sie wieder als mittelfristige Perspektiven denkbar zu machen. Hierzu laden wir „die Linke von Heiligendamm", also auch Euch, für den 25. Januar zu einem antikapitalistischen Ratschlag nach Frankfurt ein. (Ausführliche Einladung folgt.)Einen konkret ausformulierten Forderungskatalog haben wir (noch) nicht. Klar ist für uns, dass die von der kapitalistischen Sachzwanglogik gesetzten Grenzen überschritten werden müssen und dass die Klammer für die verschiedenen Forderungen die umfassende Sicherung des Sozialen durch die Vergesellschaftung des Reichtums ist, also: kostenlosen Zugang aller zu sozialer Infrastruktur, zu Nahrung, Wohnung, Gesundheit, Energie, Mobilität, Bildung und Wissen. Das schließt das Recht auf globale Bewegungsfreiheit und die Überwindung aller Grenzen ein.Bedeutsam ist auch die Verknüpfung der kapitalistischen Krise mit der ökologischen Krise und dem Klimawandel: Eine klassisch-kapitalistische Krisenlösung durch mehr Wachstum und mehr Ressourcenverbrauch ist doch gar nicht mehr wünschbar - schon gar nicht in einer Perspektive globaler, sozialer Gerechtigkeit. Auch hierin scheint die Notwendigkeit einer Überwindung des Kapitalismus und seiner gnadenlosen Wachstumslogik auf. Aus der Klimabewegung kommt auch die Forderung nach der Vergesellschaftung der Energiekonzerne, dies ist selbstverständlich auf die Banken und die gesamte Finanzwirtschaft auszudehnen.Gesellschaftliche Veränderungen und Verschiebungen des Kräfteverhältnisses können nicht von einer Strömung oder einem Akteur allein erreicht werden. Insofern sind Interventionsmöglichkeiten immer gemeinsame. Eine Vereinheitlichung auf eine Strategie und einen Forderungskatalog ist dafür weder erforderlich noch überhaupt hilfreich. Notwendig ist allerdings die gemeinsame Debatte, in der wir gern unsere - radikalen - Akzente setzen wollen.

 

 

Leitfragen (Samstag, 29.11.2008)zum attac-Umgang m. Krisefür Referenten u. workshop-Phase

Antworten von Thomas Seibert, medico international

 

1.] Was ist der Attac-spezifische Auftrag in Reaktion auf die Krise?

 

Die attac-spezifische Antwort auf die Krise definiert sich zunächst aus dem Mandat von attac, eine zwar globalisierungs- und kapitalismuskritische, darin aber ideologisch offene, deshalb auch nicht definitiv „antikapitalistische“, ja nicht einmal zwingend „linke“ Bildungsbewegung in aktivistischer Tendenz zu sein.

 

Darin liegt: attac kommt im Gesamt der globalisierungs- und kapitalismuskritischen Zivilgesellschaft bzw. Öffentlichkeit und der sie tragenden sozialen Bewegungen die Rolle eines offenen Forums des Austauschs und der Debatte zu. Diese Rolle erfüllt attac, in dem es selbst ein zentraler Ort dieses Austauschs und dieser Debatte ist, in dem es dieser Debatte weitere Orte und also – im weiten Sinn des Worts - Medien schafft und in dem es, hier wirkt die aktivistische Tendenz, dazu auch Gelegenheiten schafft (Aktionen, Kampagnen etc.).

 

Die prinzipielle ideologische Offenheit hatte ihre nähere Bestimmung bisher darin, Globalisierungs- und Kapitalismuskritik auf einen gemeinsamen, grundsätzlichen und emanzipatorisch ausgerichteten Antineoliberalismus zu gründen. Sofern dieser Antineoliberalismus natürlich selbst eine ideologische Position darstellt, markiert er die Grenze der prinzipiellen ideologischen Offenheit von attac – genauer besehen: ihre innere Abgeschlossenheit nach rechts, sofern es zwar einen rechten Antineoliberalismus gibt, dieser aber unbestritten nicht emanzipatorisch ausgerichtet sein kann.

 

Führt die gegenwärtige Krise zum endgültigen Einsturz des Neoliberalismus, seiner ideologischen Hegemonie und schließlich zum Ende überhaupt neoliberaler Politik, tangiert sie den antineoliberalen Konsens von attac: Ist der Neoliberalismus perdu, gilt dies auch für den Antineoliberalismus.

 

Positiv gewendet: Wächst sich die Krise zur finalen Krise des Neoliberalismus aus, steht attac vor der Aufgabe, den eigenen Konsens und zuletzt das eigene Mandat neu bestimmen, neu erfinden zu müssen.

 

2.] Muss Attac im Angesicht der (verbalradikalen, wie auch tatsächlichen) Verschiebungen im öffentlichen Diskurs um die Regulationsmöglichkeiten der Krise nun ‚weiter nach links’ rücken? Müssen wir jetzt grundsätzlichere Alternativen thematisieren, gar die K-Frage stellen? Oder stellen wir uns damit ins Abseits und versäumen die historische Chance, einige unserer Forderungen real durchzusetzen?

 

Diese Frage ist die nähere Bestimmung der vorangehenden Frage. Ist der Neoliberalismus selbst für die bisher neoliberal ausgerichteten Eliten und die von ihnen dominierte Öffentlichkeit perdu, werden die Eliten und der öffentliche Diskurs selbst antineoliberal oder zumindest postneoliberal (egal, ob bloß symbolisch oder auch materiell), dann steht auch das Verhältnis von attac zu diesen Eliten bzw. zu dieser Öffentlichkeit zur Disposition. Prinzipiell – wie in der Frage suggeriert – in doppelter Hinsicht:

 

a.) nunmehr postneoliberale Eliten und Öffentlichkeiten könnten jetzt Ansprech-, gar Bündnispartner zur Durchsetzung bestimmter antineoliberaler attac-Forderungen sein - Paradebeispiel: Tobinsteuer, Steueroasen-Schließung.

 

b.) will attac die Opposition zu diesen Eliten und Öffentlichkeiten aufrecht erhalten, muss attac – daran führt kein Weg vorbei – nach „links“ rücken.

 

Abstrakt muss auf keine dieser beiden Optionen verzichtet werden, wäre auch eine Position möglich, die beides verbindet. attac würde dann auf seine Weise die „K-Frage“ stellen und zugleich mit postneoliberalen Öffentlichkeiten kommunizieren wollen, wenn diese antineoliberale Dinge tun.

 

3.] Welche Milieus muss Attac jetzt für einen grundsätzlichen Politikwechsel gewinnen/mobilisieren (Bündnispolitik)?

 

Gegenfrage: will attac überhaupt einen „grundsätzlichen Politikwechsel“, muss es den wollen?

 

Will attac mit postneoliberalen Öffentlichkeiten kommunizieren, um mit ihnen / bei ihnen spezifisch antineoliberale Forderungen zu propagieren oder gar durchzusetzen, wird attac dies tun müssen. Das schließt einen „grundsätzlichen Politikwechsel“ aber nicht notwendig ein, mehr noch: der Verzicht auf einen solchen könnte der Preis sein, den postneoliberale Eliten und Öffentlichkeiten einfordern, wenn sie attac mit an Bord nehmen.

 

Umgekehrt: Will attac einen „grundsätzlichen Politikwechsel“, schränkt dies die Kommunikationsfähigkeit zu bloß postneoliberalen Eliten und Öffentlichkeiten massiv ein: die werden ja nur deshalb so, weil das Festhalten am Neoliberalismus die Gefahr eines „grundsätzlichen Politikwechsels“ heraufbeschwört.

 

Das schließt immer noch nicht aus, beides zu versuchen.

 

Nur wird ein solches Lavieren erfahrungsgemäß deutlich schwieriger werden. Schon deshalb, weil das nicht nur an attac hängt, sondern auch an den postneoliberalen Kräften rechts von attac - und an den linken Kräften links von attac.

 

Wie verhält sich attac nun, wenn postneoliberale Eliten und Öffentlichkeiten ihre mögliche Akzeptanz von attac-„Politikberatungs“-Angeboten an eine Distanzierung von weiter links stehenden Kräften binden?

 

Und umgekehrt: Wie verhält sich attac, wenn es zu einer – von heute aus gesehen – prinzipiell weiter links zu verortenden Konfrontation zwischen einem sich neu formierendem Postneoliberalismus und einer entsprechenden Linken kommt?

 

Wie gesagt: Die Geschichte von attac schließt nicht aus, beides versuchen zu wollen. Nur...

 

Um die Frage selbst aber so zu beantworten, wie sie gestellt ist: Unter den gegebenen Bedingungen, d.h. angesichts der Formierung eines postneoliberalen, zugleich aber definitiv auf „Rettung“ und Stabilisierung kapitalistischer Herrschaft und Ausbeutung ausgerichteten Blocks, wird attac einen „grundsätzlichen Politikwechsel“ nur dann zum Hauptanliegen machen können, wenn es weiter nach links rückt und sich dort auch seine Bündnispartner/innen sucht.

 

4.] Wie sollte also das Verhältnis von konkreten Forderungen und einer allgemeineren Diskursintervention aussehen?

 

Da muss nichts prinzipiell anders werden, dieses Verhältnis bestimmt sich als solches aus dem Mandat und Projekt einer globalisierungs- und kapitalismuskritischen Bildungsbewegung mit aktivistischer Tendenz.

 

5.] Was sollte im Fokus unserer Aktivitäten stehen:

 

eine neue Finanzmarktarchitektur, oder Eingriffe in den ökonomischen Ablauf mit antisystemischen Charakter, um den Kapitalismus langfristig zu überwinden? Und/oder die Garantie des Sozialen, und eine Umkehr der Privatisierungspolitik – damit Forderungen sozialer Infrastruktur und öffentlicher Daseinsvorsorge, um zu verhindern, dass die Krise auf Kosten der Gesellschaft (u.a. Haushaltspolitik!) bewältigt wird?

 

Jetzt sind wir am eigentlich interessanten Punkt.

 

Gesetzt selbst, attac würde nach wie vor beides wollen – seine im Ansatz bloß antineoliberalen Ursprungsforderungen weiterverfolgen und zugleich, unter den Bedingungen einer sich herausbildenden postneoliberalen Kapitalismusformation, für einen „grundsätzlichen Politikwechsel“ offen bleiben, wird dies nicht gehen, wenn die antineoliberalen Forderungen („neue Finanzarchitektur“) nach wie vor den leitenden Maßstab abgeben. Denn diese standen zwar in Opposition zum Neoliberalismus, können einem Postneoliberalismus aber so weit konform gehen, dass sogar ein „Seitenwechsel“ pragmatisch „angesagt“ wäre: zumindest aber ein Verzicht auf einen „grundsätzlichen Politikwechsel“.

 

Folglich muss der leitende Maßstab so bestimmt werden, dass er die Option auf einen „grundsätzlichen Politikwechsel“ offen hält - trotz und auch wegen der Option, mit postneoliberalen Eliten über die Akzeptanz antineoliberaler Forderungen ins Gespräch zu kommen.

 

Dies aber geht nur dann, wenn attac primär – ich übernehme einfach die Formulierungen der Frage – auf eine „Garantie des Sozialen“ orientiert, folglich auf „eine Umkehr der Privatisierungspolitik“ und damit auf „Forderungen sozialer Infrastruktur und öffentlicher Daseinsvorsorge, um zu verhindern, dass die Krise auf Kosten der Gesellschaft (u.a. Haushaltspolitik!) bewältigt wird.“

 

Da gibt’s einfach nix zu rütteln, sorry.

 

Entscheidet sich attac dazu, schließt das nicht aus, auch in Zusammenarbeit mit postneoliberalen Eliten die Tobinsteuer einzuführen und Steueroasen zu schließen. Die müssten dann allerdings hinnehmen, dass attac gleichzeitig auf den „grundsätzlichen Politikwechsel“ hinarbeitet, der letztlich – so blöd sind die nicht - deren Sturz einschließt. Das werden sie erfahrungsgemäß nicht tun: besonders dann nicht, wenn soziale Kämpfe aufbrechen, die nicht mehr nur antineoliberal, sondern auch antipostneoliberal sein werden. Darauf aber würde ich wetten....

 

6.] Welche Einzelforderungen könnten stellvertretend für unsere Gesamtforderungen stehen?

 

Da gibt’s zwei Dinge.

 

Erstens – im Prinzip wie bisher - ein kompromissloser und nicht zu korrumpierender Bezug aufs Nord-Süd-Verhältnis und folglich die Grundforderung nach einer Umkehr der Ressourcenströme (statt wie bisher vom Süden in den Norden künftig vom Norden in den Süden). Von medico aus gesehen z.B.: eine ernsthafte Zustimmung attacs zu dem globalen sozialen und/oder Menschenrecht aller auf gleichen Zugang zu Gesundheit - und der Wille, daraus alle Konsequenzen zu ziehen.

 

Andere konkrete Zugänge bieten, Beispiele nur, die Frage der Ernährungssicherheit, oder die ökologische Frage...Ich verweise auf die Debatten im Umfeld der „Initiative für Globale Soziale Rechte“.

 

Zweitens: sich der Krise und den „von oben“ verfolgten postneoliberalen Krisenlösungsstrategien so zu stellen, dass primär am „Dreier-Pack“ Grundeinkommen-Arbeitszeitverkürzung-Mindesteinkommen Maß genommen wird, d.h. an qualitativ sozialen Forderungen. Wenn die Schließung der Steueroasen und die Einführung der Tobin-Steuer, mithin eine „neue Finanzarchitektur“, diesen beiden Grundforderungen dienlich sind: Why not? Andersherum wird das, unter postneoliberalen Bedingungen, nicht gehen: das wäre naiv oder unernst, wenn nicht gar: unehrlich.

 

7.] Was sollten die zentralen Aktivitäten sein?

 

attac nahm im Gesamt der globalisierungs- und kapitalismuskritischen, weil antineoliberalen Kräfte eine vermittelnde Rolle ein: gesamtbewegungsorientierte Bildungsbewegung in aktivistischer Tendenz.

 

Ich sehe darin weiterhin den Existenzgrund attacs.

 

Allerdings wird sich aller Voraussicht nach die Konstellation, in der attac seine vermittelnde Rolle einnimmt, verschieben. Es wird eine Drift zum Bündnis mit postneoliberalen Krisenlösungsstrategien und den sie verfolgenden Kräften geben. Es wird auch und gerade unter postneoliberalen Bedingungen eine Drift auf einen „grundsätzlichen Politikwechsel“ geben. Kann zwischen beiden „Driften“ vermittelt werden? Sollte attac das versuchen? Wenn ja: wie soll das möglich sein?

 

Nochmal: Bisher gings „nur“ gegen den Neoliberalismus. Da war Vermittlung z.B. zwischen wertkonservativen oder altsozialdemokratischen, in jedem Fall aber antineoliberalen Kräften und linken oder linksradikalen, als solchen aber eben auch antineoliberalen Kräften nachweislich möglich: das war die historische Stärke von attac. Morgen geht’s aller Voraussicht nach um was anderes.

 

 

 

Thesenpapier „Attac und die Finanzkrise", Stephan Schilling

 

 

Beschreibung aktuelle Lage

 

1. Die Finanzkrise hat sich in den letzten Wochen mehr und mehr zu einer Wirtschafts- und Industriekrise entwickelt - wie von kritischen Ökonomen und vielen NGOs vorhergesagt. Dabei ist der Talboden keineswegs erreicht, ja wahrscheinlich noch nicht einmal in Sicht. Im nächsten Jahr wird die Weltwirtschaft noch tiefer in die Rezession schlittern, hier in Deutschland werden nach dem Automobilsektor weitere Branchen in große Schwierigkeiten geraten. Mittlerweile beschäftigt die Öffentlichkeit der drohende Zusammenbruch der Automobilindustrie mehr als der etwaige Zusammenbruch weiterer Banken. Die soziale Dimension dieser Entwicklung - die sich jetzt mit den Kündigungswellen bei den Leiharbeitern andeutet - wird wahrscheinlich erst spät im nächsten Jahr, teilweise sogar erst 2010 in ihrem ganzen Ausmaß zu Tage treten.

 

2. Die Reaktion der politischen Eliten / Regierungen sind uneinheitlich. In weiten Teilen gilt bisher, dass sich trotz des Verbalradikalismus der letzten Wochen in den Taten keine substantielle Veränderungsbereitschaft wiederspiegelt. Son kann man die Ergebnisse des ersten Weltfinanzgipfels nur als enttäuschend bezeichnen. In Deutschland tritt die Diskrepanz zwischen Reden und Handeln besonders deutlich hervor. Das deutsche Konjunkturprogramm (man traut sich ja nicht einmal, das Wort in den Mund zu nehmen) ist völlig unzureichend, die Ausarbeitung zukünftiger Reformen wird in die Hände bekennender Monetaristen und Neoliberaler gelegt.

 

3. Gleichzeitig ist es nach wie vor offen, ob nicht ein Teil der globalen Eliten von diesem Kurs rein kosmetischer Korrekturen Abstand nehmen wird. Dies deutet sich zumindest in der Orientierung auf einen Green New Deal an, wie ihn z.B. Teile des Obama-Lagers oder UN-Generalsektretär Ban Ki Moon vorschlagen. Welcher Teil der Eliten sich durchsetzen wird, kann man derzeit nicht vorhersagen - man sollte jedoch nicht vergessen, dass die Neukonfiguration der globalen Kräfteverhältnisse und starke ökonomische Zwänge einem einfachen „Weiter so" deutlich im Wege stehen.

 

Analyse der Krise

4. Die aktuelle Krise hat ihren Ursprung in der Deregulierung der Finanzmärkte, der Verteilungspolitik der letzten 2 Jahrzehnte und in dem (Welt-)Wirtschaftsmodell, das sich nach dem Platzen der Dot.Com-Blase entwickelt hat und in dem die USA durch eine stetige Verschuldung den globalen Wachstumsmotor am Laufen hielten. Es ist völlig klar, dass die Ursachen nicht im Fehlverhalten oder der Gier von Einzelpersonen oder Berufsgruppen zu suchen sind, sondern in den politischen Entscheidungen der letzten 25 Jahre. Gleichzeitig verdeutlicht diese Analyse jedoch auch, dass es sich zwar um eine systemische Krise des Finanzmarktkapitalismus, nicht jedoch des Kapitalismus im Allgemeinen handelt. Weiterhin teile ich nicht die Auffassung vom "überschüssigen Kapital". Das gibt es nicht. Nach wie vor suchen viele Investorinnen Kapital und finden keins. Deshalb ist auch der Realzins am langen

 

Ende positiv. Kern des Problems ist vielmehr der Renditewahn der Kapitalbesitzer(lnnen). Sie sind mit den niedrigen Renditen im reifen Kapitalismus nicht zufrieden. Um diese zu erhöhen, dafür setzen sie ihre neoliberalen Regierungen in den Marsch. Zwangsläufig ist das auch nicht. Der Kapitalismus wird diese Krise überleben, wie er schon so zahlreiche Krisen überstanden hat - durch Wandlung und Anpassung. Wie diese Veränderungen aussehen, ist dabei von erheblicher Bedeutung. Kapitalismus ist nicht gleich Kapitalismus. Politische Rahmensetzung, z.B. unterschiedliche Antworten auf die Verteilungsfrage etc. machen einen großen Unterschied aus. Für die Lebensrealität der Menschen ist es ein himmelweiter Unterschied, ob sie im Finanzmarktkapitalismus der letzten 2 Jahrzehnte leben oder in einem Kapitalismus mit erneuerter sozialer und ökologischer Regulierung.

 

Konsequenzen für Attac

 

5. Attac war in der Vergangenheit nie geschlossen anti-kapitalistisch, sondern immer ein Projekt des Anti-Neoliberalismus, in dem sich anti-kapitalistische und reformistische Strömungen / Gruppen versammelt haben. Damit stand Attac, zumindest in Deutschland, in einem grundsätzlichen Antagonismus zur herrschenden Klasse, die geschlossen das neoliberale Projekt vorangetrieben hat, und Attac kam damit (auch vor dem Hintergrund lavierender Gewerkschaften) eine im politischen Raum einzigartige Rolle zu. Diese historische Konfiguration befindet sich in der Auflösung und dieser Trend wird sich fortsetzen. Wie in [2] bereits beschrieben, orientiert sich zumindest ein (kleiner) Teil der politischen Eliten um auf einen neo-keynesianische Green New Deal.

 

6. Ich hielte es jedoch für einen großen Fehler, wenn Attac versuchen würde, sich durch einen klaren Anti-Kapitalismus in einen ähnlichen Antagonismus zu diesem Green New Deal zu bringen wie zuvor zum neoliberalen Projekt. Forderungen, die dem real existierenden Kapitalismus solche soziale und ökologische Regeln aufzwingen sind und bleiben wichtig. Dafür möchte ich vier Argumente anführen. Erstens bleibt es dabei, dass niemand einen konsistenten Gegenentwurf zu einer kapitalistischen Mischökonomie vorlegen kann, niemand weiß wie ein Kommunismus in einer pluralen, offenen Gesellschaft funktionieren soll. Leider. Solange niemand darauf Antworten einfallen, müssen wir uns mit gemischten Systemen abfinden. Den solidarischen Sektor gilt es zu stärken, gemeinsam. Zweitens ist es keineswegs ausgemacht, dass sich eine progressive Antwort auf die Krise a la Green New Deal durchsetzt. Bedenkt man welche anderen Optionen im Raum stehen - Buisness as usual oder eine autoritäre, nationalstaatliche, „staatsmonopolistische" Variante des Kapitalismus - dann ist dies der entscheidende politische Kampf im Hier und Jetzt. Drittens würde eine Verschiebung zu einem klaren Anti-Kapitalismus. den Charakter Attacs als breites spektrenübergreifendes Netzwerk grundsätzlich in Frage stellen. Und viertens sehe ich den gesellschaftlichen Nährboden für eine offensiv anti-kapitalistische Position nach wie vor nicht.

 

7. Aus meiner Sicht ist die historische Aufgabe von Attac in der jetzigen Situation, für eine multipolare, emanzpatorische, ökologische Lösung der Krisen zu streiten. Durch den voranschreitenden Klimawandel ist das Zeitfenster dafür erschreckend klein, die aktuelle Chance durch den Zusammenbruch des Neoliberalismus zu vertun, wäre ein dramatisches Versäumnis. Das heißt keineswegs im Windschatten von Obama & Co. segeln. Unsere Aufgabe ist es klarzumachen, dass eine Lösung der Krisen nur funktioniert, wenn vier Dinge

 

zusammenkommen: eine Neuordnung der Finanzmärkte, eine Neuregelung der Nord-Süd-Beziehung (also eine Umkehr des Ressourcentransfers), ein ernstgemeinter Umbau / Konversion unseres Wirtschaftsystems zusammen mit einer demokratischen Kontrolle der Wirtschaft und ein neuer sozialer Ausgleich. Dieses systematische Zusammendenken der Krisen findet im politischen Raum bisher kaum statt und es ist ehrlich betrachtet auch bei Attac bisher unterbelichtet.

 

8. Was heißt das konkret für die nächsten Monate und Jahre. Ich sehe drei wichtige Aufgaben:

 

a. Ökonomische Alphabetisierung - der Klassiker, bisher aber unzureichend bearbeitet.

 

b. Politischen Druck organisieren für eine gemeinsame Lösung der verschiedenen Krisen.

 

In die Auseinandersetzung, wie die Staatengemeinschaft auf die Krisen reagiert, müssen wir konkret intervenieren. Das meint natürlich viel mehr als die Regulierung der Finanzmärkte (auch wenn diese wichtig bleibt). Sondern eben auch die Verteilungs- und die soziale Frage zu thematisieren, die Neuregelung der Weltwirtschaftsordnung einzufordern und auf einen ökologischen Umbau zu drängen. Der konkrete Ansatzpunkt dafür sind die Weltfinanzgipfel, die im nächsten Jahr stattfinden werden und die die wichtigsten Interventionspunkte sein werden.

 

Hier werden wir in der konkreten Kampagnenarbeit auch mal zuspitzen und Einzelforderung nach vorne stellen müssen. Bei den Weltfinanzgipfeln könnten das aus meiner Sicht die Nord-Süd-Beziehungen und die Frage nach einer Schrumpfung der Finanzmärkte sein, bei der Bundestagwahl z.B. die Forderung nach einer Abschaffung der Riester-Rente und der Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung.

 

c. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, brauchen wir inhaltliche Klärungsprozesse. Bisher können wir z.B. kaum beschreiben, was wir eigentlich mit ökologischem Umbau meinen. Hier lauern natürlich einige Fangstricke wie z.B. die Wachstumsfrage. Ich hielte es für falsch, nähme Attac eine Haltung ein, die Wachstum grundsätzlich ablehnen würde. Natürlich ist klar, dass quantitatives Wachstum keinen Ausweg aus irgendeiner Krise bietet, aber ob nicht qualitatives Wachstum, Klimaschutz und mehr soziale Sicherheit gut zusammengehen halte ich für eine zumindest offene Frage. Auch bei der demokratischen Kontrolle stehen Klärungsprozesse an. Die Vergesellschaftung von allem und jedem zu fordern halte ich für den falschen Weg. Demokratische Kontrolle kann auch eine erneuerte Mitbestimmung und eine wirksame Regelsetzung für Märkte bedeuten.

 

Wenn wir jedoch diese Klärungsprozesse vorantreiben, hat Attac die Chance, der einzigartige Raum zu bleiben, in dem spektrenübergreifende Diskussions- und Klärungsprozesse stattfinden.