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Was bisher geschah

Seit 2000 engagiert sich Attac Deutschland gegen die negativen Folgen der Globalisierung und für eine bessere Welt. Das zuständige Finanzamt bestätigte dem Trägerverein von Attac von Beginn an regelmäßig dessen Gemeinnützigkeit. 
 

Aberkennungsbescheides des Frankfurter Finanzamts 2014

Doch im April 2014 entzog das Frankfurter Finanzamt Attac rückwirkend ab dem Jahr 2010 die Gemeinnützigkeit. In den Aberkennungsbescheiden für die Geschäftsjahre 2010 bis 2012 schrieb das Finanzamt im Mai 2014: "Die tatsächliche Geschäftsführung des Vereins war nicht auf die ausschließliche Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke gerichtet. Der Verein verfolgte entgegen § 56 AO auch allgemeinpolitische Ziele. Nach § 52 Nr. 15 AEAO zählen politische Zwecke (Beeinflussung der politischen Meinungsbildung) grundsätzlich nicht zu den gemeinnützigen Zwecken i.S.d. § 52 AO. Insbesondere mit der Verfolgung steuer-, wirtschafts- und sozialpolitischer Ziele wie der Regulierung der Finanzmärkte, der Einführung einer Finanztransaktionssteuer oder der Einführung einer Vermögensabgabe und eines Grundeinkommens werden keine gemeinnützigen Zwecke i.S.d. § 52 AO verwirklicht."

Mit anderen Worten: Das Finanzamt behauptete, Attac verfolge nicht ausschließlich seine gemeinnützigen Satzungszwecke, sondern agiere zu politisch. Politische Forderungen zu erheben, sei gemeinnützigkeitsschädlich. Die globalisierungskritische Arbeit für eine Regulierung der internationalen Finanzmärkte, gegen die Folgen von Freihandel, für eine gerechte Verteilung von Reichtum oder zu vielen anderen Themen, die von Tausenden ehrenamtlichen Attac-Aktiven überall in Deutschland geleistet wird, sei nicht gemeinnützig. 

Klage gegen die Aberkennungsbescheide

Attac klagte und legte in seiner Klagebegründung dar, dass sich jede seiner Aktivitäten den in der Satzung aufgeführten Satzungszwecken eindeutig zuordnen lässt. Politische Forderungen zu formulieren und tagespolitische Fragen aufzugreifen, sei mit dem Gemeinnützigkeitsrecht, also der Abgabenordnung (AO), durchaus vereinbar. "Die Förderung gemeinnütziger Zwecke im Sinne [...] der Abgabenordnung ist, wie auch ein Blick auf andere unzweifelhaft gemeinnützige Organisationen zeigt, ohne politische Aktionen, ohne Einflussnahme auf die politische Willensbildung überhaupt nicht denkbar", hieß es dazu in der Klagebegründung. Die Abgabenordnung verbietet gemeinnützigen Organisationen lediglich Tätigkeiten, die "unmittelbar oder mittelbar einer Unterstützung oder Förderung politischer Parteien" dienen –  was auf das Engagement von Attac nicht zutrifft.

Erstes Urteil des Hessischen Finanzgerichts 2016

Das Hessische Finanzgericht gab mit seinem Urteil vom 10. November 2016 der Klage von Attac statt und erkannte Attac die Gemeinnützigkeit zu. Alle Vorwürfe des Finanzamts, Attac habe mit den kritisierten Aktivitäten keine gemeinnützigen Satzungszwecke verfolgt, wiesen die Richter*innen klar zurück. In seinem Urteil definierte das Finanzgericht die Vereinszwecke „Bildung“ und „Demokratisches Staatswesen“ (nach AO § 52) so, dass sie einer modernen demokratischen Bürger*innengesellschaft entsprechen. 

Nichtzulassungsbeschwerde und erstes Urteil des Bundesfinanzhofs 2019

Das Hessische Finanzgericht ließ in seinem Urteilsspruch 2016 keine Revision zu. Da schaltete sich das Bundesfinanzministerium in Berlin ein und wies das Frankfurter Finanzamt an, beim Bundesfinanzhof (BFH) Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen. Der BFH ließ die Beschwerde zu, das Revisionsverfahren begann. Im Januar 2018 trat das Bundesfinanzministerium dem Verfahren bei.  

Am 26.2.2019 veröffentlichte der fünfte Senat des BFH sein Urteil. In seiner Entscheidung hob er das Urteil der ersten Instanz auf und verwies das Verfahren zurück zur erneuten Verhandlung an das Hessische Finanzgericht. In seinem viel kritisierten Urteil steckte der BFH den Rahmen für politisches Engagement von gemeinnützigen Organisationen sehr viel enger als die Rechtsprechung zuvor und legte insbesondere den gemeinnützigen Zweck „Förderung der Bildung“ deutlich restriktiver aus. Den gemeinnützigen Zweck „Förderung des demokratischen Staatswesens“ ignorierten die Richter*innen am BFH weitgehend. 

Der BFH hat den Rahmen für politisches Engagement von gemeinnützigen Organisationen erheblich eingeschränkt – mit verheerenden Auswirkungen auf  die gesamte kritische Zivilgesellschaft. Das Urteil ist ein Angriff auf alle gemeinnützigen Vereine, die die Lobbymacht von Konzernen anprangern, sich für globale Gerechtigkeit stark machen, gegen Rechtspopulismus und Rassismus mobilisieren oder Steuergerechtigkeit einfordern. 

Zweites Urteil des Hessischen Finanzgerichts 2020

Das Hessische Finanzgericht urteilte am 26.2.2020 erneut und wies die Klage von Attac zurück. "Leider", so die Richter*innen, bliebe ihnen für eine andere Entscheidung aufgrund der Vorgaben des offenbar "mit heißer Nadel gestrickten" BFH-Urteils vom Februar 2019 kein Spielraum. Attac beantragte Revision. 

Zweites Urteils des Bundesfinanzhofs 2021 

Am 27.1.2021 veröffentlichte der BFH sein zweites Urteil, in dem er – wenig überraschend – die Revision von Attac zurückwies. Damit versäumten die Richter*innen am BFH die Gelegenheit, ihr Urteil vom Februar 2019 einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Damit ist der Rechtsweg ausgeschöpft.

Verfassungsbeschwerde von Attac 2021 

Attac hat am 26.2.2021 Verfassungsbeschwerde gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit eingereicht. Das globalisierungskritische Netzwerk sieht sich in seinen Grundrechten verletzt, insbesondere in der Vereinigungsfreiheit (Artikel 9 des Grundgesetzes) in Verbindung mit der Meinungsfreiheit (Artikel 5) sowie dem Gleichheitssatz (Artikel 3) und dem Demokratieprinzip (Artikel 20). Nach Ansicht von Attac haben das Finanzamt sowir der Bundesfinanzhof (BFH) in seinen beiden Urteilen die Abgabenordnung verfassungswidrig ausgelegt. "Der Bundesfinanzhof verkennt die Bedeutung der Vereinigungsfreiheit in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Demokratieprinzip für den demokratischen Prozess. Dies führt zu einer nicht mehr verfassungskonformen Auslegung der Abgabenordnung, die mit einer Ungleichbehandlung des Klägers verbunden ist", heißt es in der Klagebegründung. Mit der Verfassungsbeschwerde ist die juristische Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit von Attac nach fast sieben Jahren in die letzte Runde gegangen.

Bedeutung für die Zivilgesellschaft

Die Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit von Attac hat Bedeutung für die gesamte Zivilgesellschaft. Entsprechend erregt sie immer wieder bundesweit Aufsehen. Vor allem das Urteil des Bundesfinanzhofs von 2019 hat viele Befürchtungen bei gemeinnützigen Organisationen und Trägern hervorgerufen – zu Recht. Bereits wenige Wochen nach dem Urteil entzogen Finanzämter weiteren Organisationen die Gemeinnützigkeit.

Zwar bestimmte das Bundesfinanzministerium daraufhin, dass bis Ende 2021 keinem weiteren Verein die Gemeinnützigkeit auf Grundlage des BFH-Urteils entzogen werden soll. Die Politik steht aber dennoch unter Druck, das Gemeinnützigkeitsrecht zu verbessern.

Verbesserung der gesetzlichen Grundlage

Der Fall Attac zeigt: Die Interpretationsspielräume der Finanzämter sind groß und können zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen führen, je nach Finanzamt und politischer Lage. Gemeinnütziges Engagement, das eine soziale und aufgeklärte Gesellschaft stützt, wird so massiv behindert.
Die Gesetzesgrundlage für Gemeinnützigkeit im Steuerrecht, die Abgabenordnung, ist ein inkonsistentes, historisch gewachsenes Sammelsurium. Um den Anforderungen einer lebendigen Demokratie zu entsprechen, bedarf sie dringend einer grundlegenden Überarbeitung und Aktualisierung: Zivilgesellschaftliches Engagement muss mehr Rechtssicherheit bekommen.

Gemeinsam mit anderen Organisationen hat Attac im Jahr 2015 deshalb die Allianz "Rechtssicherheit für politische Willensbildung" gegründet, die sich für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht und eine Änderung der Abgabenordnung einsetzt. Mehr als 180 Vereine und Stiftungen haben sich der Allianz mittlerweile angeschlossen.


Abgabenordnung (AO) = Das elementare Gesetz des deutschen Steuerrechts und damit auch Gesetzesgrundlage zu Fragen des Gemeinnützigkeitsrechts.

Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) =  Eine behördeninterne Anweisung des Finanzministeriums zur Rechtsauslegung der Abgabenordnung. In der Praxis der Finanzämter zieht sie nahezu gleich mit der eigentlichen Gesetzesgrundlage (Abgabenordnung).

Gemeinnützigkeit – was ist das?

Mit der Bestätigung der Gemeinnützigkeit einer Körperschaft (Verein, Stiftung, gGmbh) durch das jeweils zuständige Finanzamt werden Steuererleichterungen in bestimmten Bereichen zuerkannt. Auch Mitglieder und Spender*innen können dann ihren Beitrag oder ihre Spende bei ihrer Steuererklärung steuermindernd anrechnen. mehr...

Gemeinnützigkeit – Wie ist sie gesetzlich geregelt?

Der Staat verzichtet in den Fällen gemeinnütziger Körperschaften auf Einnahmen. Daher muss er der Gemeinnützigkeit klare und enge Regeln geben. Diese Regeln sind per Gesetz in der sog. Abgabenordnung (AO) festgelegt (dritter Abschnitt ab Paragraph § 51). mehr...

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Welche Vereinszwecke verfolgt Attac?

Die satzungsgemäßen Vereinszwecke im Sinne des § 52 AO lauten (Zitat Satzung):
(1) Zweck des Vereins ist in Trägerschaft des Netzwerkes Attac Deutschland (im Weiteren "Attac" genannt)

  • die Förderung der Bildung;
  • die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens im Geltungsbereich dieses Gesetzes; hierzu gehören nicht Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen oder die auf den kommunalpolitischen Bereich beschränkt sind;
  • die Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungs-gedankens;
  • die Förderung von Wissenschaft und Forschung;
  • die Förderung des Umweltschutzes.