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Gemeinnützigkeit: Finanzministerium muss Attac Akteneinsicht gewähren

Bundesverwaltungsgericht weist Revision zurück / Ministerium muss weitere Dokumente herausgeben

Mehr als zehn Jahre nach der Aberkennung seiner Gemeinnützigkeit hat Attac den Rechtsstreit um Transparenz in dem Verfahren in letzter Instanz weitestgehend gewonnen: Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision gegen das für Attac günstige Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom April 2024 zurückgewiesen. Damit steht endgültig fest: Das Bundesfinanzministerium (BFM) muss dem Netzwerk für globale Gerechtigkeit weitere Dokumente übergeben, in denen es um den „Fall Attac“ geht.

Besonders interessant unter den Dokumenten, in die das Bundesfinanzministerium Attac nun Einblick gewähren muss, sind sogenannte Sprechzettel, die darüber Aufschluss geben, wie Vertreter*innen des Ministeriums die Bundestagsabgeordneten etwa im Haushaltsausschuss über den Fall Attac informierten. Auch den Protokollentwurf einer Sitzung des Bundestags-Haushaltsausschusses, in der der „Fall Attac“ besprochen wurde, muss es herausgeben. Das BMF hielt diese bisher mit Verweis auf die Geschäftsordnung des Bundestages zurück. Für die Richter*innen aller Instanzen hingegen ist klar, dass das Recht auf Informationsfreiheit höher wiegt als eine Geschäftsordnung.

Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs 2019, in dem dieser Attac die Gemeinnützigkeit absprach, hatte das Netzwerk Akteneinsicht beantragt. Attac wollte unter anderem Aufschluss über die Kommunikation zwischen dem für den „Fall Attac“ zuständigen Mitarbeiter im Bundesfinanzministerium und dem damaligen Präsidenten des Bundesfinanzhofs erhalten. Beide Männer sitzen gemeinsam im Vorstand des wirtschaftsnahen Lobbyvereins „Institut für Steuern und Finanzen“.

Doch das Bundesfinanzministerium verweigerte die Herausgabe der Akten. Erst als Attac klagte, gab das BMF 2021 einige Schriftstücke heraus. Zentrale Dokumente blieben jedoch unkenntlich gemacht. Der Rechtsstreit zog sich vier Jahre lang durch alle Instanzen. Mit der nun getroffenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, eine Revision nicht zuzulassen, hat Attac die Auseinandersetzung endgültig gewonnen.

„All die Jahre lang hat das BMF versucht, seinen Einfluss auf den ‚Fall Attac‘ und dessen verheerende Konsequenzen für die gesamte Zivilgesellschaft herunterzuspielen. Heute ist klar erkennbar: Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Attac war der Grundstein, auf dem die aktuelle, extrem rechte Hetzkampagne gegen NGOs aufbaut“, sagt Frauke Distelrath, Geschäftsführerin von Attac. „Wir werden die Dokumente, sobald wir sie haben, in Ruhe auswerten und uns selbst ein Bild davon machen, welche Rolle das Finanzministerium beim Entzug unserer Gemeinnützigkeit spielte – wissend, dass es damit einen Präzedenzfall schafft, der die gesamte demokratische Zivilgesellschaft gefährdet.“


Der „Fall Attac“ – Hintergrund:

Mit seinem Bescheid vom 14. April 2014 aberkannte das Finanzamt Frankfurt Attac die Gemeinnützigkeit mit der Begründung, das Netzwerk agiere zu politisch. Insbesondere der Einsatz für eine Regulierung der Finanzmärkte, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer oder einer Vermögensabgabe sei nicht gemeinnützig, hieß es in dem Schreiben.

Eine erste Klage von Attac vor dem Finanzgericht Kassel im Jahr 2016 war erfolgreich. Als das Finanzamt die Sache daraufhin auf sich beruhen lassen wollte, schaltete sich das damals von Wolfgang Schäuble geführte Bundesfinanzministerium wies das Frankfurter Finanzamt an, Revision vor dem Bundesfinanzhof (BFH) beantragen. Dieser hob in seinem viel kritisierten „Attac-Urteil“ vom Februar 2019 das Urteil der ersten Instanz auf. Dabei steckte der BFH den Rahmen für politisches Engagement von gemeinnützigen Organisationen äußerst eng. Diesem Urteil des BFH folgend mussten die Richter*innen der ersten Instanz die Klage von Attac erneut verhandeln und gegen ihre eigene Überzeugung ablehnen. So kritisierte der Vorsitzende Richter in Kassel, das Urteil des Bundesfinanzhofs sei „mit heißer Nadel gestrickt“.

Die Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit von Attac hat Bedeutung für die gesamte Zivilgesellschaft. Bereits wenige Wochen nach dem BFH-Urteil im Februar 2019 entzogen Finanzämter weiteren Organisationen die Gemeinnützigkeit. Und auch Vereine, die es nicht getroffen hat, wagen seither weniger, sich politisch einzumischen. Das Urteil des BFH hat das Thema Gemeinnützigkeit auch auf die Agenda der politischen Parteien gesetzt. So hatte die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, das Gemeinnützigkeitsrecht zu reformieren, um Rechtssicherheit zu schaffen. Dieses Versprechen hat sie jedoch nicht erfüllt. Von der schwarz-roten Koalition ist eine Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts ebenfalls kaum zu erwarten.

Attac hat im März 2021 Verfassungsbeschwerde gegen die Aberkennung seiner Gemeinnützigkeit eingelegt. Die Verhandlung darüber steht noch aus.

Als Teil der von Attac mitgegründeten Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ setzt sich das Netzwerk zudem für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht ein, das demokratisches zivilgesellschaftliches Engagement fördert, statt es zu behindern.