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SOS Europa - Vereinen statt spalten!

Entwurf eines Kampagnenkonzepts zur weiteren Debatte in den Attac Gremien:

SOS Europa

Vereinen statt spalten

Von Stephan Lindner, Mitglied im Koordinierungskreis von Attac Deutschland

(Kommentare und Kritik erbeten an stlindner@ipn.de)

Vorbemerkung

Divide et impera! (Teile und herrsche!), das war schon das Motto, das Macciavelli im frühkapitalistischen Florenz der Bankiersfamilie der Medici empfahl, um an der Macht zu bleiben. Divide et impera!, das ist auch heute noch das Motto, mit dem es einigen wenigen gelingt, in der EU unermessliche  Reichtümer anzuhäufen und trotz aller Widerstände die Macht fest in der Hand zu halten. Seit Jahrzehnten wird in der EU systematisch Lohn-, Steuer- und Sozialdumping organisiert. Die deutschen Bundesregierungen stehen dabei stets mit in der ersten Reihe. Nachdem eine deutsche Bundesregierung wesentlich mit zu verantworten hatte, dass der Euro mit all seinen Konstruktionsfehlern eingeführt wurde, die jetzt die Krise verschärfen, setzte die nachfolgende Bundesregierung ganz neue Maßstäbe beim Steuer- und Sozialabbau. Jetzt sollen diese neuen Maßstäbe, abermals vor allem auf Druck einer weiteren deutschen Bundesregierung, EU-weit durchgesetzt werden. Kommt es zu Widerstand, wird dem deutschen Michel erklärt, da wolle es sich jemand auf seine Kosten gutgehen lassen. Ob Hartz IV Empfänger in Deutschland oder streikende Arbeiter in Griechenland, immer wird suggeriert, hier wolle sich jemand auf Kosten des deutschen Michel ein schönes Leben machen.

Tatsächlich machen sich dieses schöne Leben auf unsere Kosten längst ganz andere, nämlich all diejenigen, zu dessen Gunsten in den letzten Jahrzehnten systematisch Steuern und Abgaben gesenkt und damit Einkommen und Vermögen umverteilt wurden. Während in ganz Europa immer breitere Bevölkerungsschichten verarmen, begünstigt diese Politik immer mehr eine kleine Schicht von Superreichen, deren Vermögen in den globalen Finanzmärkten für immer neue Blasen verantwortlich sind. Gleichzeitig herrscht Ebbe in den öffentlichen Kassen und es ist immer weniger Geld für die öffentlichen Aufgaben da. Die Infrastruktur verkommt, viele dringend notwendige Zukunftsinvestitionen wie die für Bildung unterbleiben und die Staatsverschuldung wächst.

Dass ist auch der Grund, warum diese Politik auf Dauer nicht gut gehen kann. Wird diese Politik trotzdem weiterhin fortgesetzt, fährt der Karren, wahrscheinlich mittlerweile eher früher als später,  unvermeidlich gegen die Wand. Die Vergangenheit, aber auch der Anstieg von Rassismus und Rechtspopulismus in der Gegenwart zeigt, was uns dann noch alles bevorstehen kann. Auch viele, die sich vielleicht im Moment eher als die vermeintlichen Gewinner bestimmter Entwicklungen sehen, werden dann zu den Verlierern gehören.

Wenn wir den Bruch mit dieser Politik organisieren wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass das dahinter stehende Herrschaftskonzept nicht mehr länger aufgeht, dass immer weniger Menschen auf das immer wieder praktizierte divide et impera hereinfallen. Statt dessen müssen wir wieder deutlicher die Botschaft artikulieren, dass die Grenze eben nicht zwischen den Völkern und auch nicht zwischen den schon und den gerade noch nicht Ausgegrenzten verläuft, sondern zwischen oben und unten. Das folgende Konzept soll dazu einige Ideen liefern.

Allgemeine Rahmenbedingungen

Oberstes Ziel muss sein, der Politik der Spaltung und Ausgrenzung den Boden zu entziehen. Bezogen auf den herrschenden Diskurs in der Euro-Krise bedeutet das, dem häufig rassistischen und nationalistischen Diskurs der faulen Südeuropäer und Hartz IV-Empfänger (Sarrazin), die auf Kosten der arbeitenden Nordeuropäer leben, die Erzählung der zu Gunsten der Reichen geplünderten öffentlichen Kassen und umverteilten Vermögen und Einkommen entgegenzusetzen. Attac ist für eine derartige Kampagne besonders gut prädestiniert, weil diese zentrale Aussage quasi ohnehin unser Markenkern ist.

Ein wesentlicher Teil in der Kommunikation der Kampagne muss die klare Botschaft sein, dass die Haupt-Ursache der aktuellen Probleme in der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen arm und reich liegt. Politische Strukturen und Entscheidungen müssen deshalb systematisch vor dem Hintergrund bewertet werden, ob sie dazu beitragen, diese Schere weiter zu öffnen oder wieder zu schließen. Auch die Bankenkrise muss vor diesem Hintergrund analysiert werden.

Bezogen auf die Euro-Krise bedeutet das, den in den Strukturen der EU angelegten Wettlauf um immer niedrigere Steuern, Abgaben und Regulierungsstandards zu kritisieren und sich statt dessen für solidarische Strukturen stark zu machen.

Dabei zeigt sich in der Krise, dass sich die Wirklichkeit immer wieder an den ideologischen Vorgaben in den neoliberalen EU-Verträgen bricht. Mit anderen Worten: Es kommt immer wieder zu Situationen, in denen ein Festhalten an den Bestimmungen der EU-Verträge mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Scheitern des gesamten EU-Projekts zur Folge hätte. Diese Momente, die meist plötzlich auftauchen und nur einen relativ kurzen Handlungszeitraum eröffnen, sind ein Window of Opportunity (Möglichkeitsfenster) für emanzipatorische Politik, weil in diesen Situationen der Bruch mit Strukturen möglich ist, die bisher solidarische Politik behindern oder gar unmöglich machen. Das geschieht aber leider nicht von selbst, sondern nur als Folge von politischen Auseinandersetzungen. Wie der bisherige Umgang mit der Euro-Krise in der EU gezeigt hat, sind diejenigen, die in solchen Momenten in der EU das Heft des Handelns in der Hand halten, vor allem die nationalen Regierungen, vor allem die der großen und wirtschaftlich potenten Mitgliedsstaaten. Die deutsche Bundesregierung spielt dabei eine leider nicht nur besonders prominente, sondern auch negative Rolle.

Hauptstoßrichtung der Kampagne muss daher sein, die Europapolitik der eigenen Regierung kritisch zu begleiten und unter Druck zu setzen. Dabei gilt es vor allem, Strukturen zu entwickeln, die uns bei einem plötzlich auftauchenden Window of opportunity, z.B. wenn über Nacht mal wieder über einen größeren Rettungsschirm verhandelt wird oder massive Proteste in einem EU-Land zu einer politischen Krise in der ganzen EU führen,binnen kürzester Zeit handlungsfähig machen. Solche Situationen müssen durch eine kurzfristige Mobilisierung für uns nutzbar werden, um die Deutungshoheit über die verhandelten Probleme, ihre Ursachen und mögliche Lösungen zu erlangen.

Dabei sollte nicht davon ausgegangen werden, dass dieses Ziel in einer relativ kurzen Zeitspanne zu erreichen ist. Realistisch ist eher, dass dies eine Auseinandersetzung ist, die uns die nächsten Jahre begleiten wird. Darauf sollten wir uns auch in unserer Planung einstellen.

Wichtig ist auch, dass uns bewußt sein muss, dass wir diese Kampagne im Kontext einer spezifischen deutschen Öffentlichkeit zu führen haben. Bezogen auf die Zielgruppe, die wir erreichen müssen, haben wir einen nationalen Fokus. Das bedeutet, dass für alle Schritte, die wir im Rahmen unserer Kampagne unternehmen, es besonders darauf ankommt, wie sie die deutsche Öffentlichkeit erreichen und dort wahrgenommen werden. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir nicht auch auf europäischer Ebene mit unseren Partnern weiter zusammenarbeiten sollen. Bei knappen Ressourcen kann es unter Umständen aber auch einmal sinnvoller sein, diese lieber darin zu stecken, wirkungsvoll in die spezifische deutsche Debatte zu intervenieren als irgendein weiteres europäisches Papier zu produzieren.

Hoffnungsvoll sollte es uns stimmen, dass es sicher in der Bevölkerung einen großen Teil von Menschen gibt, für die die Europäische Einigung nach wie vor ein positiv besetztes Projekt ist. Bei unserer Kampagne gegen die EU-Verfassung und den Vertrag von Lissabon wirkte das eher gegen uns. Jetzt könnte genau darin für uns eine große Chance liegen. Bisher gibt es keinen glaubwürdigen Akteur, der diesen Menschen eine vernehmbare Stimme verleiht.

Konkrete Ausgestaltung der Kampagne

Wir stehen bei der Kampage vor allem vor zwei Herausforderungen:

-        Wir bewegen uns in einem politischen Umfeld, bei dem wir nicht genau vorhersehen können, wie es sich entwickelt und wann es zu weiteren krisenhaften Zuspitzungen kommt und

-        Wir brachen einen langen Atem.

Deshalb sollte die Kampagne so konstruiert sein, dass wir Strukturen aufbauen, um dann, wenn sich ein Window of opportunity auftut, handlungsfähig zu sein. Ich  nenne den Tag, an dem sich ein solches Fenster öffnet, Tag X. Es ist auch gut möglich, dass es mehrere solcher Tage geben wird.

Der Tag X sollte eine zentrale Rolle in der Kampagne spielen, ähnlich wie das der Tag X für die Castor-Transporte tut. Es sollte ein Konzept dafür existieren, wie es uns am Tag X gelingt, unsere Sicht auf die Krisenursachen und Lösungsmöglichkeiten massiv in die Öffentlichkeit zu tragen. Eine Möglichkeit könnte sein, Menschen für eine Selbstverpflichtung zu gewinnen, sich am Tag X an Aktionen zu beteiligen, z.B. mit Töpfen und Kochlöffeln auf die Marktplätze zu gehen oder vor die Büros der Bundestags- und Europaabgeordneten und ordentlich Krach zu schlagen verbunden mit der Forderung, sofort eine Sondersitzung des Bundestags einzuberufen, auf der entsprechende Steuererhöhungen beschlossen werden, die dafür sorgen, dass die Krisenlasten von den Richtigen getragen werden. Oder die Verabschiedung eines Europapolitischen Sofortprogramms, dass die Bundesregierung auf eine Kehrtwende in ihrer Europapolitik festlegt. Damit das ganze am Tag X dann auch klappt, sollten entsprechende Kommunikationswege aufgebaut werden. Zum einen muss man natürlich die Menschen regelmäßig über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden halten. Zum anderen braucht man aber auch Mobilisieurngswege, die schnell funktionieren, z.B. Telefonketten. Hier gibt es ja sicher bereits umfangreiche Erfahrungen aus anderen Kampagnen, an die angeknüpft werden kann.

Neben einer sehr konkreten Vorstellung dessen, was am Tag X passieren soll, sollte die Kampagne im Vorfeld eine Aufklärungsoffensive starten. Dazu würden die klassischen Kampagnenelemente gehören, wie sie auch in vielen anderen Kampagnen zum Einsatz kommen. Dazu zählen Mustervorträge, einen ReferentInnenpool, Speakers-Touren, Flyer, Hintergrundartikel etc.

Bei all dem böte sich auch eine prima Gelegenheit, auf unsere Mitgliedsorganisationen und weitere befreundete Organisationen zuzugehen. Diese könnten sich an allen Aktivitäten beteiligen, ebenfalls in ihren Strukturen AktivistInnen für den Tag X werben, selbst Hintergrundmaterial erstellen und zur Verfügung stellen bzw. unseres über Ihre Strukturen weiterverbreiten.

Diese Art der Aufklärungskampagne sollte auch stark als Querschnittskampagne angelegt sein. Neben eigenständigen Aktionen und Materialien eignet sich das Thema auch hervorragend im Rahmen einer unserer vielen anderen Kampagnen z.B. zu Banken, zur FTT, zu Rohstoffen oder zur Privatisierung thematisiert zu werden. Diese Anknüpfungspunkte sollten intensiv gesucht und genutzt werden

Neben diesen Elementen einer klassischen Aufklärungskampagne kann es auch bereits im Vorfeld des Tag X gewisse Höhepunkte geben. Beispielsweise könnten wichtige, im Voraus bekannte  Europapolitische Termine wie z.B. Sitzungen im Bundestag mit wichtigen europapolitischen Bezügen oder bestimmte Ereignisse auf EU-Ebene wie EU-Gipfel oder ECOFIN dazu verwendet werden, schon mal all das zu üben, was an einem Tag X ohne große Vorlaufzeit stattfinden soll.