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"Entschuldung ist eine Frage des politischen Willens der Gläubiger"

50. Jahrestag des Londoner Schuldenabkommens

Am 27. Februar jährt sich zum 50. Mal die Unterzeichnung des Londoner Schuldenabkommens, das die damals junge Bundesrepublik Deutschland von der drückenden Last der Vor- und Nachkriegsschulden befreite. Aus diesem Anlass fordert Attac eine Lösung für die Schuldenkrise der Länder des Südens. "Die Diktatur der Gläubiger muss ein Ende haben", sagte Philipp Hersel, Verschuldungsexperte von BLUE 21 und Mitglied des bundesweiten Koordinierungskreises von Attac.

1953 gewährten die Gläubiger der Bundesrepublik einen Schuldenerlass von rund 30 Milliarden Mark - mehr als der Hälfte der Gesamtschulden. Ein zentrales Ziel des Abkommens war, als Gesamtregelung die unterschiedlichen Verpflichtungen gegenüber allen Gläubigerstaaten zu berücksichtigen. "Das Londoner Schuldenabkommen lehrt uns mindestens zwei Dinge", erklärt Philipp Hersel. "Ohne Schuldenerlass keine Entwicklung: Die Entschuldung Westdeutschlands war eine wichtige Grundlage des deutschen 'Wirtschaftswunders'. Zweitens gilt: Entschuldung ist eine Frage des politischen Willens der Gläubiger." Angesichts des kalten Krieges wollten die westlichen Gläubiger die Entwicklung der Bundesrepublik zu einem prosperierenden und stabilen Frontstaat unterstützen.

Das Londoner Schuldenabkommen bietet interessante Anknüpfungspunkte zur heutigen Diskussion über Insolvenzverfahren für Staaten und über den Zusammenhang von Schulden und Handelspolitik. In jüngerer Zeit hat der IWF einen Vorschlag für ein "Sovereign Debt Restructuring Mechanism" (SDRM) vorgelegt. Leider stehen dabei, anders als im Fall des Londoner Schuldenabkommen, nicht die Bedürfnisse des Schuldnerlandes nach Entschuldung im Vordergrund, sondern die Interessen der Gläubiger. Als Alternative können "Faire und transparente Schiedsverfahren" (Fair and Transparent Arbitration Processes – FTAPs) dienen. Statt gläubigerdominierte Clubs (v.a. Pariser Club, Londoner Club, IWF) soll jeweils ein neutrales, öffentlich tagendes Schiedsgericht über den notwendigen Umfang von Entschuldung entscheiden. Illegitime Schulden müssen gestrichen und Veruntreuung und Korruption verfolgt werden, um Gläubiger und Schuldner zu einer verbesserten Praxis von Kreditvergabe und - aufnahme zu zwingen.

"Die Gläubiger - öffentliche ebenso wie private - sollten endlich erkennen, dass Schuldenkrisen mit den zyklischen Krisen der kapitalistischen Weltwirtschaft einhergehen", sagte Dr. Pedro Morazan vom Attac-Koordinierungskreis. Die heutige Krise gehe unter anderem auf den Zusammenbruch der Rohstoffpreise zurück. Den Zusammenhang von Verschuldung und Handelspolitik hat das Londoner Schuldenabkommen in einer seitdem nie wieder erreichten Qualität berücksichtigt. Logischerweise kann ein Schuldnerland nur dann geordnet aus einer Verschuldungssituation herauskommen, wenn es einen Handelsüberschuss erwirtschaftet, um mit den Devisen die Auslandsschulden zu bedienen. Das internationale Handelsregime der radikalen Öffnung der Gütermärkte im Süden bei weiterhin starkem Protektionismus des Nordens vor allem im Agrar- und Textilbereich untergräbt aber regelmäßig die Chancen der Schuldner, die Schulden aus einem Handelsüberschuss zu tilgen. Im Londoner Schuldenabkommen wurde explizit festgelegt, dass die Gläubiger der Bundesrepublik die Möglichkeit einräumen mussten, ihnen gegenüber einen Handelsbilanzüberschuss zu erwirtschaften, damit die verbleibenden Schulden nach dem Abkommen überhaupt bedient werden könnten. "Von solchen gleichermaßen weitsichtigen wie volkswirtschaftlich banalen Einsichten ist das heutige Schuldenmanagement weit entfernt", resümiert Philipp Hersel.