Durchwinken der Dienstleistungsrichtlinie fördert Europa-Verdrossenheit
Mit scharfer Kritik hat das globalisierungskritische Netzwerk Attac auf die Verabschiedung der EU-Dienstleistungsrichtlinie am Mittwoch im Europäischen Parlament reagiert. "Wer derart ignorant gegen die Interessen der Mehrheit Politik macht, braucht sich über wachsende Europa- und Politik-Verdrossenheit nicht zu wundern", kommentierte Stephan Lindner, EU-Experte bei Attac, das Abstimmungsergebnis. Obwohl die EU-Kommission und der Rat viele Änderungen wieder gestrichen haben, die das Parlament nach den Massenprotesten im Februar dieses Jahres in den ursprünglichen Entwurf geschrieben hatte, stimmte das Europäische Parlament der Dienstleistungsrichtlinie heute mit großer Mehrheit zu.
Wegen des großen Wohlstandsgefälles in der Europäischen Union wird es Attac zufolge zu verstärktem Lohndumping kommen. Noch mehr Menschen müssten so Beschäftigungsverhältnisse eingehen, mit denen sie ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten können. "Die wachsende soziale Spaltung und die Debatten zu Unterschicht und abgehängtem Prekariat scheinen zu den meisten Abgeordneten in Brüssel noch nicht durchgedrungen zu sein", kritisierte Lindner. Da auch weite Bereiche der allgemeinen Daseinsvorsorge zum Anwendungsbereich der Richtlinie gehören, befürchtet Attac auch hier Verschlechterungen. "Nachdem vor einigen Jahren bereits der Strommarkt ähnlichen Regelungen unterworfen wurde, stiegen dort nicht nur die Preise, sondern verschlechterte sich auch die Versorgungssicherheit. Einige Millionen Haushalte mussten das erst kürzlich in Westeuropa erfahren, als bei ihnen stundenlang der Strom ausfiel. Dass diese gescheiterte Politik jetzt trotzdem auf fast alle anderen Branchen ausgedehnt wird, ist ein Skandal", so Lindner weiter.
Um zu retten, was zu retten ist, fordert Attac von der Bundesregierung die unverzügliche Einführung eines generellen Mindestlohns. Zudem müssen nach Ansicht der Globalisierungskritiker branchenbezogene Tarifverträge grundsätzlich für allgemeinverbindlich erklärt werden, wie dies bereits heute für die Baubranche und das Gebäudereinigergewerbe gilt. Auf europäischer Ebene gelte es, die Daseinsvorsorge besser zu schützen und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten bei der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität zu verbessern. Erste Schritte könnten eine Rahmenrichtlinie zum Schutz der allgemeinen Daseinsvorsorge, zentrale europäische Unternehmens- und Sozialversicherungsregister und Verbesserungen beim grenzüberschreitenden Eintreiben von Bußgeldern sein. Vom heutigen Mittwoch an haben die Mitgliedsstaaten drei Jahre Zeit, die Richtlinie umzusetzen.
Attac hat eine ausführliche Stellungnahme zur EU-Dienstleistungsrichtlinie verfasst, die Sie unter folgender Adresse im Internet finden: http://www.attac.de/aktuell/neuigkeiten/bolkestein1.php
Für Rückfragen:
- Stephan Linder, Tel. 0176-24 34 27 89