Gesundheit ist Menschenrecht

Seit Montag berät die Bund-Länder-Kommission erneut über Reformen der Pflegeversicherung – vorgeblich mit dem Ziel, die soziale Pflegeversicherung finanziell zu stabilisieren und angesichts steigender Pflegefallzahlen durch den demografischen Wandel zukunftsfest aufzustellen. Vor allem sollen also Finanzlöcher gestopft werden, und das auf Kosten der Pflegebedürftigen.
Laut einem Bericht des Bundesrechnungshofs droht den Pflegekassen bis 2029 eine Finanzlücke von 12,3 Milliarden Euro. Bereits bis 2026 ist mit einem Defizit von 3,5 Milliarden Euro zu rechnen. Daher berät die Bund-Länder-Kommission über Kürzungen im Pflegebereich und will unter anderem sogenannte Nachhaltigkeitsfaktoren wie die Einführung einer „Karenzzeit“ prüfen. Im Versicherungswesen bezeichnet man damit den Zeitraum zwischen Eintritt des Schadenfalls und dem Anspruch auf eine Leistung. Bei einer Umsetzung dieser Idee könnten Menschen mit einem Pflegegrad von eins bis fünf nicht mehr ab Tag eins ihrer Pflegebedürftigkeit Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen. Die Pflegekasse, die ohnehin nur einen Teil der Kosten übernimmt, würde dann erst ab einer gewissen Frist zahlen. Bis dahin müssten Pflegebedürftige ihre Pflege komplett selbst finanzieren.
„Dass Pflegebedürftige von ihren Angehörigen abhängig sind, um eine vorgeschlagene ‚Karenzzeit‘ von einem Jahr zu überbrücken, ist skandalös“, kritisiert Dagmar Paternoga von der bundesweiten Attac-AG Soziale Sicherungssysteme. „Wichtig wäre, eine Pflegereform so ausreichend auszustatten, dass eine gute und menschenwürdige Pflege möglich wird, die nicht auf Kosten der Angehörigen finanziert wird. Es kann nicht sein, dass alte Menschen am Ende ihres Lebens oder Schwersterkrankte mit hohem Pflegebedarf ihrem Schicksal überlassen werden, wenn ihre Familie die Kosten und den Aufwand der Pflege nicht aufbringen kann oder will. Und sollen sich die Eltern eines krebskranken Kindes etwa wirklich auch noch Sorgen um die Finanzierung der Pflege machen müssen?“
„Der Ansatz der Kommission, die Beitragszahlenden nicht mit weiteren Beitragserhöhungen zu belasten, ist grundsätzlich richtig. Nur die angestrebte Lösung ist völlig falsch. Es darf nicht darum gehen, Leistungen einzuschränken oder Kosten zu verschieben“, sagt Alfred Eibl, Finanzexperte bei Attac. „Es ist erforderlich, dass diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe auch von allen finanziert wird. Dafür ist die Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung für die Sozialversicherungen und somit auch für die Pflegeversicherung nötig, in deren Rahmen sich alle an der gemeinsamen Finanzierung beteiligen.“
Attac fordert eine Reform der Sozialversicherungen, zu denen auch die Pflegeversicherung gehört. Der Sozialstaat darf nicht zu Lasten der Menschen weiter abgebaut werden. Für die Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung müssen alle Einkommen herangezogen werden – nicht nur Einkommen aus der Arbeit, sondern auch Einkommen aus Vermögensbesitz, wie es in einigen anderen europäischen Ländern bereits umgesetzt ist.