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Demokratie & Demokratieabbau in EUropa

Eine Analyse von Andreas Fisahn

„Hegel bemerkt irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere mal als Farce.“[1] Die Herrschaft Deutschland über Europa wurde als Tragödie 1939-45 aufgeführt, nun scheint sie sich als Farce zu wiederholen. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die gegenwärtige, autoritäre Wendung hat nichts zu tun mit der Monströsität der Naziverbrechen, die in ihrer Singularität exzeptionell sind. Aber es ist ein weit verbreiteter Irrtum zu glauben, die Gefahren für Demokratie und Rechtsstaat müssen die Form barbarischer Schlächter in Uniform annehmen – insofern wiederholt sich die Geschichte eben nicht. Gefahren für die Demokratie kommen nun im Gewand der „gemeinsamen Lösung“ daher, die das Anders-Denken ausschließt, die die Gleichschaltung in den Köpfen vollzieht. Merkel diktiert zusammen mit der Europäischen Zentralbank (EZB) den Völkern Europas nicht nur neoliberale Sparprogramme, sondern auch, welche Regierungen abzulösen und wie die nationalen Verfassungen zu ändern sind. Eine Farce ist das deshalb, weil die scheinbar starke Frau Europas selbst eine Getriebene ist, die meint den Imperativen der zum Subjekt gewordenen Märkte zu folgen, deren Regeln sie aber im Zweifel nicht verstanden hat. Am Ende werden die Reste demokratischer Prozesse in der EU zur Kenntlichkeit entstellt sein.

Mit der Finanzkrise 2008 erhöhte sich die Staatsverschuldung in ganz Euroland dramatisch. Alle Länder, einschließlich der BRD, haben die Grenze der Gesamtverschuldung von 60 % des BIP deutlich überschritten. Euroland liegt zusammen bei ca. 85 %. Einige Staaten traf es besonders hart, nämlich Griechenland, Portugal und Irland sowie Spanien und Italien. Die Gesamtverschuldung von Griechenland und Italien liegt heute deutlich über 100 % des BIP. Das führt dazu, dass die genannten Länder bei der Umschuldung auslaufender Kredite Schwierigkeiten bekamen, neue Staatsanleihen zu verkaufen; d.h. sie müssen extrem hohe Zinsen bieten. Weil es absehbar war, dass Griechenland, Portugal und Irland ihre Staatsanleihen nicht mehr loswerden können, wurde der „europäische Rettungsschirm“, EFSF, aufgespannt, aus dem die drei Länder Kreditsicherungen erhielten. Diese wurden von den reicheren Euro-Staaten garantiert, d.h. diese treten als Bürgen auf. Weil nun aber die Gefahr besteht, als Bürge in Anspruch genommen zu werden, also zahlen zu müssen, machte insbesondere die Bundesregierung und der deutsche Boulevard ein großes Geschrei: man wolle nicht die „faulen Griechen“ bezahlen. Tatsächlich schützt der Rettungsschirm genauso wie die nationale Bankenrettung 2008 die Banken und Anteilseigner, deren Zinsansprüche bei einer Pleite verloren gehen könnten.

Das neue autoritäre Regime in Europa wurde im ersten Akt installiert als die Konditionen für Hilfskredite aus dem EFSF diktiert wurden. Die Konditionen hießen: Sparen bis sich die Balken biegen, bei den Renten, Löhnen und Sozialausgaben – nicht gefordert wurden natürlich Steuererhöhungen für die Reichen. Gefordert wurden außerdem Privatisierungen – bis zur Idee Griechenland solle seine Inseln verkaufen.[2] Die Zustimmung der Parlamente in den Schuldnerstaaten geriet zur Groteske, fortgesetzt durch die Entmachtung des Bundestages durch ein Ermächtigungsgesetz, das es einem neunköpfigen Unterausschuss übertrug, über Summen zu entscheiden, die beinahe so groß sind wie der jährliche Bundesetat.

Zum zweiten Akt der Farce wurde der Vorhang gelüftet, als der griechische Ministerpräsident Papandreou es vorzuschlagen wagte, eine Volksabstimmung über die verordneten Sparmaßnahmen durchzuführen. „Wo kommen wir denn da hin, wenn das Volk selber entscheidet.“ Papandreou musste gehen, dafür sorgten die politisch Mächtigen in der EU, Merkel und die EZB. Das war eine günstige Gelegenheit auch Berlusconi los zu werden, dem man keine Träne nachweinen muss. Aber in Italien und Griechenland wurde nicht etwa neu gewählt. Die Staatspräsidenten schlugen im Einvernehmen mit den europäischen Autoritäten „Expertenregierungen“ vor, die vom Parlament brav installiert wurden. Da wird als Farce aufgeführt, was als Tragödie das Ende der Weimarer Republik einläutete. Deren letzte Regierung vor der Machtübertragung auf Hitler war das Kabinett der Barone unter Franz von Papen, der vom parteilosen Kurt von Schleicher abgelöst wurde, der das letzte „Präsidialkabinett“ aus reaktionären, parteilosen „Experten“ zusammen setzte. Der Grieche Loukas Papademos und der Italiener Mario Monti genießen das Vertrauen der EU und „der Wirtschaft“ nicht ihrer Bürger; Monti war EU Wettbewerbskommissar, Papademos war Vizepräsident der EZB.

Im Dritten Akt verpflichtet Merkel die EU-Staaten nach deutschem Vorbild eine Schuldenbremse in ihre nationalen Verfassungen zu schreiben, wonach die Neuverschuldung noch höchstens 0,5 % des BIP ausmachen darf – sonst gibt es Geldstrafen, was besonders idiotisch ist. Warum die Schuldenbremse eingehalten werden könnte, nachdem die von der EU verordnete 3 %-Grenze beständig gerissen wurden, kann man wohl nur mit höherer Mathematik nachvollziehen. Außerdem soll die EU-Kommission die nationalen Haushalte kontrollieren und ein „Durchgriffsrecht“ haben, wenn diese nicht ausgeglichen sind. Nun werden nicht nur die nationalen Verfassungen europäisch diktiert, sondern auch die nationale Haushaltspolitik. Man erhofft sich so, „die Märkte“ zu beruhigen. Ebenso gut hätt man auch „ruhig Brauner“ rufen können. Die neue, europäisch überwachte Sparpolitik wiederholt die Fehler der Präsidialkabinette der Weimarer Republik - sie spart in der Krise. Das führt nicht nur dazu, dass diese verschärft wird – Griechenland steckt seit 2008 ununterbrochen in der Rezession – es führt auch dazu, dass die Steuereinahmen wegbrechen und der Haushalt erst recht nicht konsolidiert werden kann. Auch das zeigen die Zahlen aus Griechenland: die Schuldenlast wächst. Die Demokratie wurde dem Götzen „Finanzmarkt“ geopfert, aber der ist noch lange nicht besänftigt.  Andreas Fisahn

Andreas Fisahn ist Professor für Offentliches Recht und Rechtstheorie an der Uni Bielefeld und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac