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Attac Marokko prangert umfassende Unterdrückungswelle an

Presserklärung von Attac/Cadtm (Komitee für die Annullierung der Schulden der Dritten Welt) Marokko

Wir dokumentieren nachfolgend eine Presseerklärung unseres Partnernetzwerks in Marokko.

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Rabat, 15. Januar 2013

Proteste in MarokkoAn diesem Jahresanfang 2013 erlebt Marokko ein Anwachsen der Unterdrückung aller Formen sozialen Protestes. Das äußert sich in brutalen Einsätzen gegen Demonstrationen und Sit-ins, in der Inhaftierung und gerichtlichen Verfolgung von Aktivisten, in Einschüchterungen aller Art. Der Staat versucht ein Klima des Schreckens zu errichten und die Widerstandsbewegungen zu kriminalisieren: Die Bewegung des 20. Februars (M20F) fordert Demokratie und soziale Gerechtigkeit; Gewerkschaften kämpfen für die Verteidigung der Errungenschaften im öffentlichen (Bildungswesen, Gesundheitswesen, Justiz,...) und im privaten Sektor (Bergbau, Textil, Hotelgewerbe, Landwirtschaft,...); die arbeitslosen Absolventen der Hochschulen kämpfen für ihr Recht auf Arbeit (ihre täglichen Aktionen in Rabat gehen trotz der brutalen Unterdrückung weiter). Die Proteste zur Verteidigung der öffentlicher Dienstleistungen, für das Recht auf Wohnung und gegen die hohen Lebenshaltungskosten in den Städten erleiden dasselbe Schicksal.

In den ländlichen Gebieten verlangt die Bevölkerung grundlegende Infrastrukturmaßnahmen, deren Fehlen sich in den isolierten Gebieten bitter bemerkbar macht. Die Frauen, die Opfer der katastrophalen Auswirkungen des Mikrokreditsystems wurden, sowie die subsaharischen Migranten, die von den Behörden drangsaliert werden und unter Rassismus zu leiden haben, mobilisieren sich auch und erfahren ebenfalls Unterdrückung, Inhaftierung und ungerechte Prozesse.

Diese unterschiedlichen Mobilisierungen sind insgesamt Ausdruck des Scheiterns der neoliberalen Politik; die Unterdrückungswelle des Staates zeigt dessen Entschlossenheit, die Bevölkerung die Last der Krise tragen zu lassen und ohne Bedenken die Meinungsfreiheit und die Menschenrechte mit Füßen zu treten.

Bankrott des neoliberalen Programms im Kontext der weltweiten Krise des Kapitalismus

Die weltweite Krise verschärfte das Scheitern des neoliberalen Programms, das von den internationalen Finanz- und Handelsorganisationen diktiert wurde. Die Abhängigkeit unseres Landes von den Großmächten ist symptomatisch für dieses Scheitern. So deckt auch der Wert unseres Exports nur 47 Prozent unseres Imports. Das Jahr 2012 hat mit einem Außenhandelsdefizit von 200 Milliarden Dirham (rund 17 Milliarden Euro), also 24 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) geschlossen. Die Politik wirtschaftlicher Öffnung, die ausländische Direktinvestitionen anlocken soll, sowie die Freihandelsabkommen zerstören das ohnehin schon schwache nationale Produktionsnetz und führen zu Entlassungen, zum Druck auf die Löhne und zur Verringerung der Zolleinkünfte. Die Privatisierung der großen rentablen Staatsunternehmen und die Überlassung der Geschäftsführung der öffentlichen Dienstleistungen an das Privatkapital tragen dazu bei, dass Devisen in Form von Dividenden ins Ausland abfließen. Das hat zum Ergebnis, dass die Staatsfinanzen austrocknen und der Staat auf ständige Neuverschuldung zurückgreift.

Schuldenspirale und Politik der Ausgabenkürzungen

Die (interne und externe) Staatsverschuldung Marokkos hat im September 2012 583 Milliarden Dirham (rund 50 Milliarden Euro) erreicht (ungefähr 70 Prozent des BIP). Der Schuldendienst beläuft sich auf 108 Milliarden Dirham (rund 9 Milliarden Euro).

Wenn man den Betrag des jährlichen Schuldendienstes mit dem Etatposten des Bildungswesens (51 Milliarden Dirham), des Gesundheitswesens (12 Milliarden Dirham) oder mit dem Posten für staatliche Investitionen (59 Milliarden Dirham) vergleicht, wird offensichtlich, dass ohne Schuldenannullierung keinerlei wirtschaftliche oder menschenwürdige Entwicklung möglich ist. Diese Schuldenannullierung fordern wir.

Leider führt der Staat unser Land aber geradewegs in den Teufelskreis der Verschuldung. Die Anleihe von einer Milliarde Euro 2010 und von 1,5 Milliarden Dollar im Dezember 2012 bestätigt diese Tendenz. Während dieser Zeit hat der Internationale Währungsfonds mit seiner Vorsorge-und-Liquiditäts-Linie, die einen Kredit von über 6,2 Milliarden Dollar umfasst, die Bedingungen des zu befolgenden Kürzungsplans diktiert. Im Einzelnen: Einfrieren der Löhne, Senkung der öffentlichen Ausgaben im Sozialbereich, Zerschlagung des Subventionssystems für Grundnahrungsmittel und des Rentensystems.

Die breite Bevölkerung wird demnach für die Krise bezahlen. Die Steuern bringen entsprechend dem Haushaltsgesetz 2013 mehr als 63 Prozent der Staatseinnahmen und werden hauptsächlich von den Verbrauchern und den Lohnabhängigen aufgebracht, während die Beteiligung der Privatunternehmen und der Reichen daran schwach bleiben wird, denn sie profitieren von Steuerbefreiungen, von Subventionen und von einem Zugang zu Grundbesitz zu lächerlich geringen Preisen.

Der Staat versucht dem Widerstand in der Bevölkerung, der sich an allen Fronten entfaltet, mit Hilfe einer brutalen Unterdrückung zuvorzukommen, die sich besonders hartnäckig gegen alle organisierten oder unorganisierten kämpferischen Strukturen richtet: M20F, Gewerkschaften, Vereinigungen arbeitsloser Hochschulabsolventen, Verteidiger der Menschenrechte, Opfer des Systems der Mikro-Kredite, AktivistInnen von Attac, etc.

Unsere Vereinigung, ATTAC CADTM Marokko, erklärt angesichts dieser Lage:

  • Wir verurteilen mit Nachdruck diese Welle der Unterdrückung und betonen unsere tiefe Verbundenheit mit deren Opfern;
  • Wir verlangen die Freilassung aller politischen Gefangenen und sichern ihren Familien unsere Solidarität zu;
  • Wir fordern einen radikalen Bruch mit dem derzeitigen neoliberalen Programm, um eine echte wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu erreichen, in deren Mittelpunkt die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung steht, und um unsere Nahrungssouveränität zu gewährleisten;
  • Wir erneuern unsere Forderung nach Erlass der marokkanischen Staatsschulden.

Eine Entscheidung in diesem Sinn wird es erlauben, beträchtliche Gelder für deren Verwendung im sozialen Bereich frei zu machen, sich von der Abhängigkeit von den imperialistischen Mächten zu befreien und unsere Souveränität wieder zu erlangen.

Übersetzung: Jürgen Janz (coorditrad), SiG-Redaktion