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Zehn Erwiderungen auf die häufigsten Volksentscheid-Ängste

1. "Die Direkte Demokratie nutzt vor allem den Populisten!"

Wir sind gegen Referenden "von oben", also von Regierungen eingeleitete Volksabstimmungen wie zum Beispiel die Abstimmung zur Flüchtlingspolitik in Ungarn oder die Befragung zum Brexit. Mit der Volksgesetzgebung "von unten" können die Bürgerinnen und Bürger selbst konstruktive Vorschläge zur Abstimmung bringen.

Aufgrund der Länge eines Verfahrens – in der Regel zwei Jahre – sind Volksbegehren für populistische Schnellschüsse weniger geeignet. Generell sind Volksentscheide ein Spiegel der Gesellschaft und genauso gut oder schlecht gegen Populismus gerüstet wie Parlamente. In vielen Ländern sind rechtspopulistische Parteien an den Regierungen beteiligt. Populismus nistet in Repräsentationslücken. Diese können durch direkte Demokratie geschlossen und den Demagogen kann somit der Wind aus den Segeln genommen werden. Dabei muss es nicht zum Volksentscheid kommen. Die Vorwirkung von direkter Demokratie sorgt dafür, dass sich die Politik mit den durch aus auch vielfältigen Interessen in der Bevölkerung auseinander setzen muss. Direkte Demokratie hat auch eine Ventil-Funktion. Sie kann Menschen das weit verbreitete Gefühl nehmen, nicht gehört zu werden.

2. "Komplexe Fragen werden auf Ja/Nein-Entscheidung reduziert!"

Auch Parlamente entscheiden mit Ja oder Nein, unabhängig davon, wie komplex der Sachverhalt ist. Auch darf die Annahme, die parlamentarische Demokratie folge ausschließlich rationalen Abwägungen und sei per se auf konstruktive Kompromisse ausgerichtet, angesichts der Praxis hinterfragt werden.

Volksbegehren können mit Hilfe zweier Regelungen flexibler ausgestaltet werden: 1. Die Initiator/innen dürfen ihre Vorlage nach der Volksinitiative anpassen. So können sie auf aktuelle Diskussionen reagieren, Anregungen aufnehmen und auch zulässigkeitsrelevante Mängel beheben. 2. Wenn sich Bundestag, Bundesrat und Initiator/innen nach einem erfolgreichen Volksbegehren auf einen Kompromiss einigen, wird der gemeinsam mit der ursprünglichen Vorlage im Volksentscheid abgestimmt. So ist es heute schon bei kommunalen Bürgerentscheiden. In der Hälfte der Fälle setzt sich der Vorschlag der Gemeindevertretung durch.

3. "Bei Volksentscheiden wird die öffentliche Debatte emotional und polemisch geführt!"

Die Ausgestaltung von direkter Demokratie ist entscheidend. Die Positionen der Kontrahenten im Volksentscheid müssen den Bürger/innen vorab in einer Broschüre vorgelegt werden. Eine unparteiische Kommission kontrolliert die Inhalte. Wenn sie diskriminierende oder offensichtlich unwahre Äußerungen feststellt, werden diese nicht veröffentlicht.

Die Erfahrungen auf kommunaler und Landesebene haben gezeigt, dass der Diskurs in der Regel zugespitzt, aber sachlich verläuft. Das Wissen über politische Themen ist dort an höchsten, wo darüber abgestimmt wird. Es gewinnt auch selten der, der am lautesten schreit, sondern wer am besten überzeugen kann und ein hohes Vertrauen in der Bevölkerung genießt. Empfehlungen der Parteien und der Fachverbände haben in Volksabstimmungen hohes Gewicht.

4. "Volksentscheide ermöglichen eine Tyrannei der Mehrheit!"

Volksbegehren werden im Vorfeld auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz und Völkerrecht überprüft (präventive Normenkontrolle). Durch sie kann es keine verfassungswidrigen Volksbegehren geben. Der verfassungsgemäße Minderheitenschutz bleibt somit gewahrt. Zudem haben Minderheiten mit der direkten Demokratie eine gute Möglichkeit, ihre Anliegen auf die politische Agenda zu setzen.

5. "Direkte Demokratie dient nur den Reichen und ist sozial selektiv!"

Die soziale Schieflage ist bei allen demokratischen Verfahren zu beobachten. Auch an Wahlen beteiligen sich nicht alle Einkommensgruppen gleichermaßen. Hinzu kommt, dass die Zusammensetzung der Parlamente alles andere als sozial repräsentativ ist. Studien belegen, dass dadurch bestimmte Bevölkerungsinteressen stärker repräsentiert werden. Gerade die direkte Demokratie zeigt sozial abgehängten oder politikfernen Menschen, dass es häufiger als alle vier Jahre auf sie ankommt. In einem politischen System, das Volksbegehren und Volksentscheide kennt, können sie sich auch zwischen Wahlen zu Wort einmischen. Darüber hinaus muss politische Partizipation viel stärker zum Gegenstand politischer Bildung werden.

6. "Finanzkräftige Akteure haben mehr Einflussmöglichkeiten!"

Diese Behauptung entspricht der Praxis der direkten Demokratie in den Bundesländern nicht. Viel entscheidender als das Budget einer Kampagne ist ihre Glaubwürdigkeit. In Berlin setzten sich zum Beispiel die Volksentscheide mit dem kleinsten Kampagnenbudget durch. Wichtig ist hier Tranzparenz: Eine gesetzlich verankerte Vorschrift zur Offenlegung von Spenden für Volksbegehren deckt auf, welche Akteure hinter einer Kampagne stehen. Eine Kostenerstattung für die Initiatoren ermöglicht auch finanzschwachen Gruppen die Durchführung eines Volksbegehrens.

7. "Die Bürger/innen gehen verantwortungslos mit öffentlichen Finanzen um!"

Die Annahme, dass eine Selbstbedienungsmentalität entstehe, wenn Bürger über ihre Angelegenheiten selbst entscheiden, basiert auf einem skeptischen Menschenbild. Studien belegen genau das Gegenteil. Häufig wenden Bürger- und Volksbegehren auch kostenintensive Großprojekte ab oder zielen auf Kosteneinsparungen. Schließlich geht es hier um das Geld der Bürgerinnen und Bürger.

8. "Volksentscheide führen zu schlechten Entscheidungen, siehe Brexit!"

Volksentscheide sind der Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse, sie produzieren nicht von sich aus schlechte Ergebnisse. Referenden "von oben", wie die Abstimmung über den Brexit, sind nicht das Ziel. Unser Gesetzentwurf stärkt die Bürgerschaft und die demokratischen Möglichkeiten der Bevölkerung durch Volksentscheide, die "von unten" angestoßen werden.  Dadurch können auch unliebsame Entscheidungen der Regierung revidiert werden oder die Regierenden an Wahlversprechen bzw. ihren Koalitionsvertrag erinnert werden.

Die Frage, was ein "schlechte Ergebnis" ist, wird von unterschiedlichen Akteuren auch unterschiedlich beantwortet werden. Zudem ist es ein demokratisches Grundprinzip, dass beide Seiten versuchen, eine Mehrheit von den eigenen Argumenten zu überzeugen. "Schlechten Ergebnissen" lässt sich nur durch bessere Inhalte und öffentlichen Diskussionen entgegentreten.

9. "Parlamente werden durch die direkte Demokratie ausgehöhlt!"

Die direkte Demokratie ergänzt und stärkt die Parlamente. Gut geregelt sorgt sie für eine höhere Transparenz, mehr Verantwortlichkeit und mehr Responsivität. Die meisten Entscheidungen verbleiben im Parlament – so ist es auch in der Schweiz.
Das Parlament ist stets in das Verfahren involviert: Es berät über das Volksbegehren und kann einen Kompromiss mit den Initiatoren aushandeln. Es kann im Volksentscheid auch einen eigenen Gegenentwurf mit zur Abstimmung stellen. Die Erfahrungen in den deutschen Kommunen und Bundesländern sowie in anderen Ländern mit direkter Demokratie "von unten" zeigen, dass kein Parlament durch direkte Demokratie abgeschafft oder geschwächt wurde.

10. "Die Bürger/innen sind manipulierbar!"

Ganz im Gegenteil. Die langen Verfahren vor Volksentscheiden erfordern ausführliche Debatten. Die vorgesehene Spendentransparenz legt den Einfluss von Interessengruppen offen. In einer  Abstimmungsbroschüre, die vor dem Volksentscheid an alle Haushalte geht, werden die Argumente der Kontrahenten gegenübergestellt. Direkte Demokratie sorgt auch durch das Zusammenwirken mit anderen Regelungen wie einem Transparenzgesetz für mündige Bürgerinnen und Bürger. Ähnlich wie im Parlament spielt bei Volksabstimmungen das Vertrauen in die Urteilskraft anderer eine große Rolle. Studien aus der Schweiz zeigen, dass Empfehlungen von Parteien und Fachverbänden großes Gewicht haben.