Arbeitszeit kürzen statt verlängern!

Im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD ihre Absicht erklärt, die Begrenzung der Höchstarbeitsdauer auf acht Stunden, die seit 1919 gilt, aufzulösen. Die wöchentliche Arbeitszeit von maximal 48 Stunden soll jedoch erhalten bleiben. Merz, die Arbeitgeberverbände und neoliberale Ökonom*innen sprechen in diesem Zusammenhang von einer Verlängerung der Arbeitszeit. Sie schaffen steuerliche Anreize für Überstunden und für eine Beschäftigung über den Renteneintritt hinaus. Eine verlängerte Arbeitszeit solle sich positiv auf die von der Bundesregierung angeführten Ziele auswirken: wirtschaftliche Impulse, die Interessen von Beschäftigten an Flexibilität und der Erhalt des Arbeitsvolumens trotz des demografischen Wandels.
Margareta Steinrücke von der Attac-AG „ArbeitFairTeilen” sagt dazu: „Die Pläne der Bundesregierung sind sozialpolitisch und volkswirtschaftlich verheerend. Deregulierte Arbeitszeiten sind nicht im Interesse der Gesellschaft. Sie haben konkrete negative Folgen für Arbeitnehmende und somit auch für unsere Wirtschaft. Arbeitsmedizinische Untersuchungen belegen, dass alles über acht Stunden Erwerbsarbeit pro Tag zu einem dramatischen Anstieg von Arbeitsunfällen und berufsbedingten Erkrankungen führt. Umgekehrt belegen Studien zur Einführung der Vier-Tage-Woche mit echter Arbeitszeitverkürzung die positiven gesundheitlichen Effekte von Arbeitszeitverkürzung.“
Attac kritisiert die Unredlichkeit in der aktuellen Arbeitszeitdebatte. Mit dem Heranziehen einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) über arbeitsfaule Deutsche versucht Bundeskanzler Merz, die Debatte zu einer weiteren Lockerung des Arbeitszeitgesetzes und einer Ausweitung der täglichen Höchstarbeitszeit zu verschieben. „Merz benutzt statistische Tricks, um den Eindruck zu erwecken, die Deutschen seien arbeitsfaul. Anstatt die ohnehin schon Arbeitenden einfach noch mehr arbeiten zu lassen, sollte die CDU lieber etwas an den Rahmenbedingungen der Erwerbsarbeit ändern“, fordert Sophia Wagner von der AG „ArbeitFairTeilen” „Insbesondere eine schnellere Arbeitserlaubnis für Geflüchtete, aber auch die Abschaffung des Ehegattensplittings und der Ausbau von Kinderbetreuung würden weit wirksamere Anreize setzen und das Gesamtarbeitsvolumen in Deutschland erhöhen – nur eben auf mehr Schultern verteilt.“
In Zeiten rasanter technologischer Entwicklung und wachsender Arbeitslosigkeit ist eine Verlängerung der Arbeitszeit arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitisch kurzsichtig. Die Vorstellung, mehr Arbeitsstunden pro Kopf führten automatisch zu mehr Wohlstand, ist für Attac nicht haltbar. Ein internationaler Vergleich, etwa mit Griechenland, zeigt, dass lange Arbeitswochen nicht zwangsläufig mit einem hohen Lebensstandard einhergehen. Ausschlaggebend sind das Ausbildungsniveau, eine effiziente Arbeitsorganisation und der Einsatz von Technologie. Da die Produktivität der Beschäftigten in den letzten Jahrzehnten zudem deutlich stärker gewachsen ist als die Löhne, ist eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ein wirksamer Schritt zu mehr sozialer Gerechtigkeit.
Die letzte große tarifliche Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden pro Woche fand in der Metall- und Elektroindustrie sowie in wenigen anderen Bereichen vor mehr als 30 Jahren statt. Seither sind die Produktivität und die Intensität der Arbeit erheblich gestiegen. Stephan Krull, Mitglied in der Attac-AG „ArbeitFairTeilen”, war als Gewerkschafter an der Einführung der 28,8-Stunden-Woche bei Volkswagen beteiligt. Er sagt dazu: „In vielen Ländern erleben wir Angriffe auf Gewerkschaften, auf das Leben und die Gesundheit der Arbeiter*innen. Wegducken ist keine Option, wenn der Acht-Stunden-Tag angegriffen wird. Wir leben in Zeiten einer großen Transformation, und dafür brauchen wir Arbeitszeit- und Industriepolitik. Betriebsrät*innen suchen mit betrieblichen und tariflichen Mitteln nach Lösungen, um die Arbeit auf alle Schultern zu verteilen, sodass niemand zurückgelassen wird. Insofern ist die Forderung nach der Vier-Tage-Woche mit Lohnausgleich ein passender Gegenentwurf zum Koalitionsvertrag, zur steigenden Erwerbslosigkeit und zum gesellschaftlichen Rechtsruck.“
Für Attac ist die Arbeitszeitverkürzung nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der sozial-ökologischen Transformation und verbindet die Klimabewegung mit den Gewerkschaften. Aus Nachhaltigkeitsgründen ist es dringend geboten, die Normalarbeitszeit zu reduzieren, um Emissionen zu verringern und zeitliche Ressourcen für nachhaltige Lebensweisen zu schaffen. So trägt Arbeitszeitverkürzung zur Gesundheit bei – sowohl der Beschäftigten als auch des Klimas.
Der Jahrhundertkampf um die Arbeitszeit ist ein machtpolitischer Konflikt zweier Ökonomien. Die Rationalität des Gemeinwesens steht der betriebswirtschaftlichen Rationalität des Einzelunternehmens gegenüber. „Der weitere Kampf um kollektive Arbeitszeitverkürzung ist die Offensive gegen den Ausschluss von Millionen Menschen aus der Gesellschaft – für ein gutes Leben für alle mit gleichem Lohn bei gleicher Arbeitszeit und für einen nachhaltigen Umgang mit der Natur“, sagt Margarete Steinrücke. „Er ist durchsetzbar in Allianzen mit jungen Eltern, den feministischen und Care-Bewegungen, Sozialverbänden, der Umwelt- und Klimabewegung, Wissenschaftler*innen, Kirchen, Mediziner*innen und Sportvereinen. Daran arbeitet Attac weiter.“