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Die WTO - das Fundament der neoliberalen Welthandelsordnung

Heute gibt es kaum ein Land, das nicht Mitglied der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) ist. Seit 1995 bestimmen ihre Regeln und Verträge die globalen Handelsbeziehungen. Vorrangig auf die Interessen von transnationalen Konzernen ausgerichtet, steht die WTO für die fortlaufende Liberalisierung des Welthandels.

25 Jahre nach ihrer Gründung steckt die WTO in einer tiefen Krise. Wie unter einem Brennglas werden die Schwächen der neoliberalen Gestaltung des Welthandels in der Corona-Pandemie verstärkt sichtbar:

  • Die Regeln der WTO haben nicht zu den versprochenen Wohlstandsgewinnen für alle geführt, vielmehr zerstört ihr Regime die Lebensgrundlagen von Menschen;

  • sie verschärfen die Klimakrise, schädigen durch Raubbau an Ressourcen Mensch und Umwelt und engen den Handlungsspielraum von Regierungen und Parlamenten empfindlich ein.

Zugleich passen die alten Regeln der WTO zu Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung, die sich ihre damaligen Mitglieder zur hohen Zeit des Neoliberalismus gegeben haben, nicht mehr zu der veränderten geopolitischen und wirtschaftlichen Situation. Verhandlungsvorschläge, um das Regelwerk zu reformieren und die Organisation handlungs- und zukunftsfähiger zu gestalten, stecken fest:

  • Deutlich werden die zunehmenden Interessengegensätze zwischen den Mitgliedern in stockenden Verhandlungen und in minimalen Ergebnissen der Ministerkonferenzen.

  • Aus seiner Ablehnung der multilateralen WTO hat der bisherige US-amerikanische Präsident Donald Trump keinen Hehl gemacht. Mit seiner „America-First“ -Agenda hat die nationale Sicherheitsstrategie der USA Vorrang vor multilateralen Handelsbeziehungen erhalten. Nicht nur das Verhältnis zwischen den USA und China ist seit dem Jahr 2017 durch Import- und Strafzölle stark belastet; in der Folge sind internationale Institutionen weitgehend handlungsunfähig. Inzwischen gibt es Anzeichen, dass sich der Kurs der US unter Trumps Nachfolger Biden in Richtung eines Multilateralismus verändern könnte.

  • In der Debatte um eine Reform internationaler Institutionen wird gerade auch in der EU für die WTO ein Kurswechsel diskutiert: Dabei sollen sich „demokratische Marktwirtschaften und angeglichene Wertesysteme“ zu einem Kernregime zusammenschließen, um sich gegen Länder mit „inkompatiblen Wirtschaftssystemen“ zu behaupten. Dies wäre eine neue Machtpolitik, die zum Systemwettbewerb zurückkehrt und eine Reihe von Ländern aus Entscheidungsprozessen ausschließt.

  • Derzeit kann die WTO keine Handelsstreitigkeiten mehr entscheiden, denn das Berufungsgremium des Streitschlichtungssystems hat im Dezember 2019 seine Arbeit eingestellt. Die Ernennung neuer Schiedsrichter muss im Konsens getroffen werden, seit 2017 blockieren die USA jegliche Ersetzung der ursprünglich sieben Mitglieder. Eine Gruppe von 19 WTO-Mitgliedern unter Führung der EU hat der WTO Ende April 2020 eine Übergangsvereinbarung zur Beilegung von Handelsstreitigkeiten angezeigt, das Streitfälle untereinander beenden soll.

  • Der Generalsekretär der WTO Roberto Azevêdo ist ein Jahr vor dem offiziellen Ende seiner Amtszeit zurückgetreten und hat sein Amt zum 31. August 2020 zur Verfügung gestellt. Die Entscheidung der US-Administration Anfang November, die Wahl der ehemaligen nigerianische Finanzministerin NgoOkonjo-Iweala zur Generalsekretärin zu blockieren, unterstreicht die anhaltenden Handelsspannungen zwischen den USA, Japan, China und der EU. Die für den 9. November 2020 anberaumte Sitzung des Allgemeinen Rates zur Prüfung der Ernennung der nächsten WTO-Generaldirektorin wurde inzwischen „bis auf Weiteres“ verschoben.

  • Globale Liefer- und Transportketten sind im Zuge der Corona-Pandemie teilweise eingebrochen, Mitgliedstaaten haben der WTO bis Ende Oktober 2020 über 264 handelsbeschränkende Maßnahmen gemeldet,

  • In ihrer Prognose vom Oktober 2020 erwartet die WTO, dass der globale Handel mit Waren in diesem Jahr um 9,2 Prozent zurückgehen wird.

  • Dass die für Juni 2020 geplante 12. Ministerkonferenz wegen der Corona-Pandemie auf das Jahr 2021 verschoben wurde, schwächt die WTO zusätzlich.

In Anbetracht dieser Mängelliste wäre es jedoch ein schwerer Fehler, die WTO nun als unbedeutend oder einflusslos abzuschreiben:

Die Verträge der WTO gelten unbefristet; ihre Ziele, Regeln und die einzelnen Abkommen prägen weiterhin fundamental die Welthandelsordnung, insbesondere auch die bilateralen Handelsverträge der EU.

Die von der WTO betriebene neoliberale Freihandelspolitik ist eine der wesentlichen Ursachen der globalen Ungleichgewichte und Krisen. Die dafür verantwortlichen Politiker*innen agieren im Interesse transnationaler Konzerne.

Indem die Corona-Pandemie die Schwächen des neoliberalen Handelssystems verstärkt vor Augen führt, stellen sich auch Unternehmer*innen und Investor*innen die Frage nach notwendigen Veränderungen. Deren Strategie besteht inzwischen in einem „Verschärften Weiter-So“: Um möglichst schnell zum Zustand vor der Krise zurückzukehren, das Wachstum anzutreiben und Profite zu sichern, setzen sie unverändert auf eine Ausweitung von Marktöffnungen und Liberalisierung. Weiterhin agieren Politiker*innen in deren Interesse, wenn diese sich entgegen der reinen Lehre verstärkt um staatliche Unterstützung bemühen.

Statt kosmetischer Korrekturen des globalen Handelsregimes durch eine Reformierung der WTO muss es jedoch zu einem grundsätzlichen Umdenken kommen. Es geht um die Neusetzung von Prioritäten im Handelssystem; statt Effizienz, Innovation und Wachstum, gehören Mensch, Klima und Umwelt an die erste Stelle; nicht für alle Güter muss ein liberalisierter Weltmarkt bestehen, sondern ökologische und soziale Regionalisierung und Kooperation sind zu fördern; oberstes Ziel dieser neuen Handelspolitik besteht darin, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen, . Das „Alternative Handelsmandat für die EU“ ist ein Schritt hin zu einer anderen Handels- und Investitionspolitik und orientiert sich an Menschenrechten, Rechten der Natur und der Erreichung gesellschaftlicher Ziele.

(10.11.2020)

 

Factsheet zur WTO

Das Factsheet gibt einen Überblick über die WTO-Vorgeschichte, Struktur, Ziel und Grundprinzipien, Abkommen, Streitschlichtung und Profiteure - und informiert über Kritik und Widerstand gegen die neoliberale Welthandelsordnung