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Stoppt den Bahn-Putsch der Viererbande Mehdorn-Steinbrück-Tiefensee-Kauder!

Erklärung des Wissenschaftlichen Beirats von Attac zur geplanten Bahnprivatisierung unter Ausschaltung des Parlaments

Offensichtlich ist das Modell eines integrierten Börsengang der Deutschen Bahn AG mit dem unsäglichen "Eigentumssicherungsmodell" gescheitert. Da jedoch – nicht zuletzt als Resultat der Kampagne des von Attac mit initiierten Bündnisses "Bahn für Alle" - der Widerstand gegen dieses Vorhaben allzu groß wurde, wird die Bahnprivatisierung inzwischen putschartig am Parlament vorbei und weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit betrieben. Nach dem neuen Modell soll es unter dem Dach der Deutschen Bahn AG zwei zentrale Gesellschaften geben, die mit der Muttergesellschaft nicht (mehr) durch einen Beherrschungsvertrag verbunden sind: zum einen eine Infrastrukturgesellschaft, in der die Trassen, die Bahnhöfe und die Energieerzeugung zusammengefasst sind. Zum anderen ein Transportbereich mit dem Nahverkehr, dem Fernverkehr und der Logistik einschließlich des Schienengüterverkehrs, des Lkw-Geschäfts und der internationalen Erwerbungen. Die letztgenannte AG wird intern als VuL = Verkehr und Logistik-Gesellschaft bezeichnet. Für diese neue Gesellschaft wurde bereits ein neues Unternehmen geschaffen: die DB Mobility & Logistics AG, die aus einer Umbenennung der ehemaligen Stinnes AG verbunden mit einer Satzungsänderung hervorging. Entscheidend dabei ist: Während die DB AG als Dachgesellschaft zu 100 Prozent Eigentum des Bundes sein und die neue Infrastrukturtochter eine 100-prozentige Tochter der DB AG bleiben soll, sollen die Anteile an der Transport-Tochter zunächst zu 49 Prozent (später absehbar zu 100 Prozent) an private Investoren gehen.

Faktisch läuft dieses Modell auf eine umfassende Privatisierung des Transportbereichs bei Beibehaltung des öffentlichen Eigentums an der Infrastruktur hinaus, ein Modell, das in Großbritannien seit 2002 existiert - mit katastrophaler Bilanz für Fahrgäste und Service.*) Vor allem handelt es sich um ein Modell, das sich ideal für eine Vergesellschaftung von Verlusten und für eine Privatisierung von Profiten eignet. Konsequenterweise wird ein solches Trennungsmodell vor allem von den Unternehmerverbänden BDI und DIHK und von der FDP favorisiert.

Die Umsetzung dieser Bahnprivatisierung ist mit massiven negativen Folgen verbunden: für die Fahrgäste in Form eines deutlichen Abbaus von Strecken und Service, für die Beschäftigten im Bahnbereich in Form von Lohndumping und Arbeitsplatzabbau, für Umwelt und für das Klima in Form einer beschleunigten Verkehrsverlagerung zur Straße und in die Luft. Sie stellt in der konkreten Form, wie sie von einer Art Viererbande, gebildet von Bahnchef Hartmut Mehdorn, Finanzminister Peer Steinbrück, Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee und CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder, betrieben wird, eine Art Putsch dar. Dies auf den folgend beschriebenen drei Ebenen.

 

  • Erstens - Putsch einer kleinen Minderheit gegen eine große Mehrheit in der Bevölkerung. Zwei Drittel der deutschen Bevölkerung wollen, dass die Eisenbahn in Deutschland sich weiter in öffentlichem Eigentum befindet. Dies ist das Ergebnis von nunmehr drei repräsentativen Umfragen, die von Forsa und Emnid 2006 und 2007 durchgeführt wurden. Der Anteil derjenigen, die eine Bahn in öffentlichem Eigentum wünschen, hat sich dabei verfestigt und teilweise verstärkt. Dies deckt sich mit den erfolgreichen Referenden in Freiburg/Brsg. (2006) und Leipzig (2007) gegen einen fortgesetzten Ausverkauf öffentlichen Eigentums und gegen den beschleunigt betriebenen Abbau von Daseinsvorsorge. Die Bahnputschisten wollen klammheimlich Fakten schaffen, die dem Mehrheitswillen entgegengesetzt sind.

  • Zweitens - Putsch gegen die Verfassung. Artikel 87e Grundgesetz lautet: "Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird."**

    Dieser GG-Artikel enthält damit keineswegs nur ein "Infrastrukturgebot" des Bundes, wie dies in der vorherrschenden Fachliteratur interpretiert wird. Er verpflichtet den Bund auch dazu, auf diesem Schienennetz für (ausreichende) Verkehrsangebote zumindest im Personenfernverkehr, wenn nicht auch im Güterverkehr "Rechnung zu tragen" - und zwar "zum Wohle der Allgemeinheit", insbesondere orientiert an "den Verkehrsbedürfnissen". Jede weitreichende Bahnprivatisierung widerspricht damit der verfassungsrechtlichen Verpflichtung, da private Investoren sich grundsätzlich nicht an einem "Wohl der Allgemeinheit" und an "Verkehrsbedürfnissen", sondern ausschließlich an der auskömmlichen Rendite orientieren.

    Der Bahnputsch richtet sich somit zumindest gegen den Geist der Verfassung und gegen den zitierten GG-Artikel. Interessant ist hierbei: Artikel 87e wurde erst 1993 in das Grundgesetz eingefügt. Damit sollten Befürchtungen entkräftet werden, wonach die damalige "Bahnreform" (Vereinigung von Bundesbahn und Reichsbahn zur Deutschen Bahn AG) auf eine materielle Privatisierung der Eisenbahnen hinauslaufen würde.

  • Drittens - Putsch gegen das Parlament und gegen den Souverän und Eigentümer. Die Eisenbahnen in Deutschland befinden sich seit rund 100 Jahren in öffentlichem Eigentum. Auch bei der Bahnreform des Jahres 1993/94 wurde festgeschrieben, dass "die Bundesrepublik Deutschland ... alleinige Aktionärin der Deutschen Bahn Aktiengesellschaft" ist (§ 8 des Deutsche Bahn Gründungsgesetz DBGrG). Im Koalitionsvertrag vom Oktober 2005 stellten sich die Fraktionen von CDU/CSU und SPD die Aufgabe, in der neuen Legislaturperiode im Rahmen eines gesetzgeberischen Verfahrens die materielle Bahnprivatisierung zu realisieren. In einem Entschließungsantrag des Bundestags vom 18. November 2006 wurde der Verkehrsminister aufgefordert, den Entwurf für ein Bahnprivatisierungsgesetz zu erarbeiten. Dieser Entwurf wurde im Frühjahr 2007 vorgelegt, das Kabinett übernahm ihn im Juli 2007 und machte daraus einen Gesetzentwurf der Exekutive. Im September übernahmen die Fraktionen von CDU/CSU und SPD diesen 100seitigen Gesetzentwurf eins zu eins und machten daraus einen Gesetzentwurf der Legislative (womit die Einspruchsmöglichkeiten des Bundesrats weitgehend ausgehebelt wurden; ein im übrigen den Prinzipien der Gewaltenteilung Hohn sprechender Vorgang). Zu diesem Gesetzentwurf gab es am 18. September 2007 im Bundestag die erste Lesung; er wurde am Ende der Debatte an sechs Ausschüsse des Bundestags überwiesen. Damit befindet sich dieser Gesetzentwurf weiter im parlamentarischen Verfahren.

    Doch das interessiert die Bahnputschisten nicht, ja, es ist Teil eines Täuschungsmanövers: Der Bahnputsch läuft darauf hinaus, die Bahnprivatisierung nunmehr ausschließlich durch Beschlüsse innerhalb der Gremien der Deutsche Bahn Aktiengesellschaft (Vorstand, Aufsichtsratspräsidium, Aufsichtsrat und Hauptversammlung bzw. Eigentümerversammlung) umzusetzen und sie im Parlament bestenfalls pauschal bestätigen zu lassen. Der Bahnputsch richtet sich somit gegen das – damit ausgeschaltete - Parlament, das wiederum den tatsächlichen Eigentümer, die Bevölkerung repräsentiert. Das Argument, das nunmehr gewählte Holding-Modell einer Bahnprivatisierung bedürfe nicht eines gesetzgeberischen Verfahrens, ist nicht stichhaltig. Der Bundestag sah im Jahr 2006 gerade auch für eine Bahnprivatisierung in Form des Holding-Modells ein solches gesetzgeberisches Verfahren vor.***

 

In Wirklichkeit geht es allein um das Folgende: Das erforderliche gesetzgeberische Verfahren soll vermieden werden, weil dies ein zu großes öffentliches Aufsehen erregen und die "Volksparteien" CDU/CSU und SPD allzu großen "Belastungen" aussetzen würde - der Konfrontation mit dem Mehrheitswillen in der Bevölkerung und bei der eigenen Parteibasis. Letzten Endes soll vermieden werden, dass damit weitere Stimmenverluste verbunden sind. Das war der Grund dafür, dass für CDU/CSU und SPD die Bahnprivatisierung seit Ende Oktober 2007 und bis Anfang März 2008, nach der bayerischen Kommunalwahl, öffentlich kein Thema mehr war. Das ist auch der Grund dafür, dass ab sofort das kleine Zeitfenster bis Ende 2008 genutzt und die Bahn in einer Art Notschlachtung an private Investoren verkauft werden soll. Anfang 2009, zum Auftakt des Bundestagswahlkampfs, soll die Bahn kein Thema mehr sein – eben weil hier zwei Drittel der Bevölkerung gegen zwei Drittel der Bundestagsabgeordneten stehen.

Der Wissenschaftliche Beirat von Attac hat sich bereits in einer vorausgegangenen Erklärung strikt gegen jede Art Bahnprivatisierung ausgesprochen. Ergänzend dazu und gemeinsam mit "Bahn für Alle" propagiert der Beirat eine integrierte Bahn in öffentlichem Eigentum, die sich konsequent an den Interessen der Fahrgäste und am Umwelt- und Klimaschutz orientiert. Eine solche Flächenbahn mit integralem Taktverkehr unterscheidet sich erheblich von der aktuellen Deutschen Bahn mit ihrer prioritären Orientierung auf Geschäftsreisende und auf superschnelle Verbindungen zwischen großen Metropolen. Ein solche Bürgerbahn stellt eine Konkretisierung und Weiterentwicklung eines Bahnmodells vor, wie es in unserem Nachbarland Schweiz überzeugend praktiziert wird.

Der Wissenschaftliche Beirat von Attac appelliert an die Bundestagsabgeordneten und an alle Parteien im Deutschen Bundestag, den heimlich betriebenen Ausverkauf der Deutschen Bahn und den damit verbundenen elementaren Abbau von Demokratie zu stoppen und das Thema Zukunft der Bahn dort zu debattieren, wo es hingehört: im Parlament und in der Öffentlichkeit.

Der Wissenschaftliche Beirat von Attac appelliert an den SPD-Parteivorsitzenden Kurt Beck und an die SPD, gemäß den Beschlüssen des Hamburger SPD-Parteitags vom 26.- 28. Oktober 2007 zu verhindern, dass private Investoren Einfluss auf die Deutsche Bahn AG gewinnen bzw. dass die Bahn als einheitliches Unternehmen zerschlagen wird.

Der Wissenschaftliche Beirat von Attac appelliert an die Partei Bündnis 90/Die Grünen, die Konzeption eines Trennungsmodells mit einer Teilprivatisierung des Transportsektors ad acta zu legen und gemeinsam mit Bahn für Alle und der Grünen Jugend als Teil dieses Bündnisses für eine Flächenbahn im Sinne eines konsequenten Umwelt- und Klimaschutzes einzutreten.

Der Beirat appelliert nicht zuletzt an die Partei Die Linke, ihr Nein gegen eine Bahnprivatisierung aufrecht zu erhalten, jegliche Trennungsmodelle abzulehnen und die Konzeption einer integrierten Bahn als Bürgerbahn und Flächenbahn zu entwickeln und als Alternative zu allen Privatisierungsmodellen in das parlamentarische Verfahren einzubringen. Auf diesen Weise könnte auf den parlamentarischen Prozess und die öffentliche Debatte konstruktiv Einfluss genommen werden.

Der Wissenschaftliche Beirat von Attac appelliert an die Öffentlichkeit und an die kritischen und demokratischen Medienmenschen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und die putschartig betriebene Bahnprivatisierung und ihre negativen Folgen für die Menschen, für die Umwelt und für das Klima offen zu legen und auf diese Weise dazu beizutragen, dass der Ausverkauf des größten noch verbliebenen gesellschaftlichen Vermögens in Deutschland fünf Minuten vor zwölf verhindert wird.

* Die britische Staatsbahn British Rail (BR) wurde 1996 privatisiert. Neben der Privatisierung des Transportsektors (Nah-, Fern- und Güterverkehr) ging dort zunächst auch die Infrastruktur in das Eigentum einer privaten Gesellschaft über (Railtrack). Railtrack ging Ende 2001 in Konkurs. Zuvor hatten ihre Eigentümer mehr als 15 Milliarden Euro an Dividenden aus dem Unternehmen gezogen und die Infrastruktur derart zu Grunde gerichtet, dass Ersatzinvestitionen in Höhe von 100 und mehr Milliarden Euro offen standen und teilweise bis heute offen stehen. Seit Anfang 2002 befindet sich die Infrastruktur wieder in öffentlichem Eigentum.

** Der GG-Einschub zum Schienenpersonennahverkehr bezieht sich darauf, dass seit der Bahnreform die Bundesländer für den Schienenpersonennahverkehr verantwortlich sind. Sie erhalten dafür Bundesmittel in Höhe von derzeit (2008) rund 6,7 Milliarden Euro ("Regionalisierungsgelder").

*** Anfang 2006 wurde das Gutachten vorgelegt: "Privatisierung der Deutschen Bahn AG mit und ohne Netz – PRIMON" (Januar 2006, Booz Allen Hamilton.). Dort werden auf den Seiten 369ff ("Finanzholding-Modell") und auf den Seiten 399ff ("Getrenntes Modell") zwei Bahnprivatisierungsmodelle vorgestellt, die dem aktuell debattierten Holding-Modell sehr nahe kommen. Das PRIMON-Gutachten wurde vom Deutschen Bundestag in Auftrag gegeben. Mit diesem sollten die unterschiedlichen, möglichen Modelle zur Bahnprivatisierung vorgestellt werden, um sie im parlamentarischen Verfahren qualifiziert zu debattieren. Das erste dort vorgestellte Bahnprivatisierungsmodell – das eines "integrierten Börsengangs" - ist in dem Gutachten auf der gleichen Ebene angesiedelt wie die o. g. Modelle einer Holding oder einer "Trennung". "Holding" und "Trennung" wurden bisher im Bundestag nicht diskutiert, weil CDU/CSU und SPD bis Oktober 2007 ausschließlich auf einen "integrierten Börsengang" orientierten. Interessant ist im übrigen, dass das PRIMON-Gutachten die Modelle "Holding" respektive "Trennung" als diejenigen bezeichnet, die für die öffentliche Hand finanziell am ungünstigsten sind: Sie bringen die geringsten ad hoc-Einnahmen und in einem 15-Jahres-Zeitraum die geringsten haushalterischen Entlastungen.

Verantwortlich: Professor Jörg Huffschmid / Dr. Winfried Wolf