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Wirtschafts- und Coronakrise: Was ist wirklich wichtig? Wie wollen wir leben? Aktualisierte Erklärung des Attac-Kokreises zur Corona-Pandemie / 12.11.2020

Die Corona-Pandemie und der aktuelle Umgang mit ihr bedroht nicht nur Gesundheit und Leben vieler Menschen. Das lange bekannte Pandemierisiko wurde aufgrund ökonomischer Politiklogik seit Jahren unterschätzt. Notwendige Vorsorge z.B. bei Masken und Schutzausrichtung unterblieb.

Die Abwägung zwischen wirtschaftlichen Interessen und Gesundheitsschutz bei den Entscheidungen der Politik sorgt gerade bei wirtschaftlich abgehängte Menschen mit wenig Geld für Ängste. Zum einen fehlen dort finanzielle Reserven und andererseits ist die Erkrankungsrate höher. Damit die soziales und wirtschaftliches Leben einschränkenden Maßnahmen nicht zu einer unsolidarischen und aggressiven Stimmung in der Gesellschaft führen, ist die soziale Absicherung aller eine dringende Notwendigkeit. Darüber hinaus dürfen Entscheidungen der Regierung erst nach Einbeziehung von Bürger*innen und Parlamenten auf demokratischem Weg getroffen werden.

Große Konzerne wie Daimler Benz und die Lufthansa nutzen die wirtschaftlichen Krisenprogramme, um die Folgen der unabhängig von Corona bestehenden Wirtschaftskrise mit erheblichen staatlichen Mitteln abzufedern und schonen ihre Reserven. Die Menschen in Dienstleistungsbereichen, im künstlerischen Bereich, in Kleinbetrieben und Soloselbständige haben dagegen Mühe, wenigstens eine geringe Unterstützung zu erhalten.

Konzerne wie Amazon und Microsoft profitieren in der Krise mit Milliardenbeträgen. Sie bauen ihre wirtschaftliche Monopolstellung und ihren Einfluss weiter aus und umgehen weiterhin ihre Verpflichtungen zur Steuerzahlung. Die Nutznießer des wachstumsgetriebenen Wirtschaftssystem verhindern soziale, demokratische und Lösungen im Einklang mit der Natur.

Die Gesellschaft muss daher entscheiden, wie wir künftig leben wollen. Soll die soziale Spaltung durch rein am Wirtschaftswachstum und am Gewinn orientierte Lösungen vertieft werden und damit auch die Klimakrise?

Was muss für einen Einstieg in einen sozialen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft zu einem harmonischen Leben als Teil der Natur getan werden? Der globale Charakter der aktuellen Krise erfordert internationale Lösungen. Diese müssen überall von den Menschen entsprechend ihrer Bedingungen getragen werden.

Daher bezieht sich Attac, bei gleichzeitiger Unterstützung internationaler Aktivitäten, in dieser Erklärung zunächst auf Maßnahmen für Deutschland.

Existenzen sichern – Betroffene schützen

Je länger die Corona-Pandemie anhält, umso mehr leiden die wirtschaftlich diskriminierten Menschen. Um dies zu verhindern, braucht es zunächst existenzsichernde Maßnahmen für die von der Krise Betroffenen. Dazu gehören:

•    Kompensation aller Umsatzeinbußen für Soloselbständige, Kulturschaffende und kleine Betriebe. Für eine schnelle wirksame Hilfe müssen bürokratische Hürden abgebaut und die Bearbeitungsdauer verkürzt werden
•    Weitere Verlängerung des Bezugs von Kurzarbeitergeld und Alg 1
•    Sofortige Anhebung von Hartz IV auf armutsfeste Regelsätze von mindestens 644 Euro
•    Krisenfeste soziale Absicherung für alle Menschen in Deutschland
•    Aussetzung aller Kündigungen, Zwangsräumungen und Mieterhöhungen sowie dezentrale Unterbringung von Obdach- und Wohnungslosen

Finanzierung der Krisenprogramme zu Lasten der Finanzvermögen

Corona zeigt: Geld ist bei Bedarf schnell mobilisierbar, die „schwarze Null“ vorerst vom Tisch. Die Krisenmaßnahme dürfen jedoch nicht wieder von der Allgemeinheit in Form von Kürzungen an anderer Stelle bezahlt werden. Die Kosten der „Rettungen“ müssen diejenigen tragen, die mit Vermögen, hohen Einkommen, gestiegenen Börsenkursen und niedrigen Steuern profitiert haben. Wir fordern von der Bundesregierung

•    Einmalige Vermögensabgabe für große Millionärsvermögen
•    Laufende Reichensteuer auf Millionenvermögen
•    Höhere Spitzensteuersätze, Abschaffung der Abgeltungssteuer sowie progressive Kapital- und Erbschaftssteuer
•    Unternehmen, die weiterhin Gewinne ausschütten, sind von jeglicher Unterstützung auszuschließen
•    Konsequenter Kampf gegen Steuerhinterziehung, -flucht und -vermeidung und Austrocknen von Steueroasen
•    Einführung einer Gesamtkonzernsteuer mit globalen Mindeststeuersätzen
•    Wirkungsvolle Finanztransaktionssteuer auf spekulative Finanzgeschäfte
•    Reduzierung des Verteidigungshaushaltes
   
Nachhaltige Wirtschaft ausbauen – überflüssige Bereiche beenden

Das globale Wirtschaftssystem löst nicht die gegenwärtigen weltweiten sozialen und Umweltprobleme sondern vertieft sie weiterhin. Die durch die Corona-Maßnahmen verschärfte Wirtschaftskrise stellt die „Normalität“ des Kapitalismus infrage. Die Krise muss zum Einstieg in einen sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft jenseits der Kapitalwachstumslogik genutzt werden.

Wir treten daher kurzfristig ein für
•    den Stop der Unterstützung für die Herstellung klimaschädlicher Produkte
•    den beschleunigten Ausstieg aus der fossilen Energie
•    den Umbau des Automobilsektors in eine klimafreundliche Mobilitätsindustrie
•    die Reduzierung des Flugverkehrs und Rückbau der Luftfahrtindustrie im Rahmen einer umfassenden Verkehrswende
•    den sofortiger Stopp jeglicher Rüstungsproduktion

Auch die Geldpolitik muss zum sozial-ökologischen Umbau beitragen, indem sie Kapitalströme in die entsprechenden Sektoren lenkt. Dazu muss u.a. der Kauf von Anleihen aus fossilen Industrien durch die EZB gestoppt werden.

Gesundheitsbereich von Profitlogik befreien – Daseinsvorsorge stärken

Mit der Einführung der Fallpauschalen und dem Rückzug des Staates aus der Krankenhausfinanzierung wurde das Gesundheitswesen der Profitlogik unterworfen. Der damit verbundene Personalabbau, Arbeitsverdichtung und schlechte Bezahlung sowie der gravierende Abbau von Kapazitäten haben diesen Sektor in der jetzigen Krise an den Rand des Zusammenbruchs gebracht.

Deshalb braucht es dringend
•    Staatliche Kostendeckung für alle Kliniken
•    Abschaffung der Fallpauschalen (DRGs)
•    Verbesserung der Bezahlung und der Arbeitsbedingungen des Personals in Kliniken und Pflegeeinrichtungen
•    Kurzfristig Anreize zum Wiedereinstieg für ausgestiegene Pfleger*innen

Parallel dazu muss die öffentliche Daseinsvorsorge und soziale Infrastrukturen in Bildung, Betreuung, Kultur, Wohnen, Mobilität und Information gestärkt und den Kapitalinteressen entzogen werden.

Demokratie stärken – Abbau von demokratischen und sozialen Rechten verhindern

Corona-Maßnahmen, darunter auch die Einschränkung persönlicher Freiheiten, sind nötig um die Erkrankung und den Tod insbesondere verletzlicherer Menschen zu verhindern, ohne anderen gesundheitlich und psychisch zu schaden. Das, und nicht wirtschaftliche Kalkulation ist unser Maßstab für ihre Akzeptanz. Die getroffenen Maßnahmen müssen ihren Ausnahmecharakter behalten. Ihre sofortige Rücknahme mit Abflauen der Corona-Pandemie ist sicherzustellen. Die Parlamente müssen ihre Funktion als Legislative stärker als in den letzten Monaten ausüben. Wir müssen verhindern, dass Corona zum Vorwand für Demokratieabbau wird.

Internationale Solidarität ist gefragt

Als Folge der zusätzlichen wirtschaftlichen Einbrüche durch die Corona-Pandemie könnte sich die Zahl der weltweit von Hunger bedrohten Menschen verdoppeln. Dagegen muss dringend internationale Hilfe verstärkt und Ressourcen für regionale und internationale Organisationen, vor allem für vor Ort tätige Nichtregierungsorganisationen, bereitgestellt werden. Auch ein Übergangsgrundeinkommen in Entwicklungsländern, wie es das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen UNDP vorschlägt, wäre eine für viele hilfreiche Maßnahme.

Das gilt auch für die Geflüchteten im Grenzbereich Europas, insbesondere in den Lagern auf den griechischen Inseln.

Um die Folgen von Corona bewältigen zu können, benötigen Länder mit geringer Wirtschaftskraft eine weit über das im Rahmen der G20 diskutierte Verfahren hinausgehende sofortige Schuldenstreichung.

Impfstoffe gegen Corona und andere Krankheiten werden mit massiver staatlicher Unterstützung auf Basis universitärer Forschung entwickelt. Sie dürfen nicht zum Handelsgut werden, das sich nur reichere Länder leisten können. Medikamente sind als Gemeingüter der Menschheit zu behandeln und weltweit gerecht zu verteilen.

Um die Macht der Pharmakonzerne zu beschränken, fordern wir die Bundesregierung auf, sich für einen durch die Weltgesundheitsorganisation WHO zu verhandelnden internationalen Vertrag zur koordinierten Forschung und Entwicklung und Verteilung für neue unentbehrliche Medikamente, Diagnostika und Impfstoffe einzusetzen.

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