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Zur Militarisierung des Gesundheitswesens

Bei der Gesundheitsversorgung wird gespart, in Rüstung investiert. Eine fatale Entwicklung.

„Jeder Monat, in dem nicht fünf bis zehn Krankenhäuser vom Netz gehen, ist ein verlorener Monat“ (Wulf Dietrich Leber, Leiter der Abteilung Krankenhäuser beim GKV-Spitzenverband)

Im Kriegsfall„….wären die Betten in den Bundeswehrkrankenhäusern und berufsgenossenschaftlichen Kliniken innerhalb von 48 Stunden ausgelastet.“ (Prof. Dietmar Pennig, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie)

Wie können zwei Experten, die unser Gesundheitssystem von Berufs wegen gut kennen müssen, zu derart widersprüchlichen Einschätzungen über die Kapazitäten unserer Krankenhäuser gelangen? Der folgende Text soll dieses Rätsel lösen helfen.

Was hat die Schuldenbremse mit der Militarisierung im Gesundheitswesen zu tun?

What ever it takes – es hat nicht einmal einen Monat nach der Bundestagswahl gedauert, alle Bedenken gegen eine grenzenlose militärische Aufrüstung unseres Landes wie einen Federstrich aus dem Weg zu räumen. Mit der Abschaffung der Schuldenbremse ausschließlich für Investitionen in die Bundeswehr ist auch ein Paradigmenwechsel für die Aufgabenstellung unseres Gesundheitswesens verbunden, der uns alle betrifft und von dem dennoch nur wenig gesprochen wird: Alle Einrichtungen der medizinischen Versorgung sollen im Kriegsfall unter militärische Kontrolle gestellt und vor allem auf die Behandlung verwundeter Soldatinnen und Soldaten ausgerichtet werden. Bisher noch kaum in der Öffentlichkeit bemerkt, bereiten sich medizinische Fachgesellschaften in Kooperation mit Fachkräften der Bundeswehr auf den Kriegsfall vor und formulieren entsprechende Forderungen auch an die Politik. Die Begründung: Deutschland ist nach Einschätzung der Nato in allen geplanten Kriegsszenarien das Zentrum, in dem die meisten Kämpfe zu erwarten sind und in dem die Truppenbewegungen sich hauptsächlich abspielen werden. Prof. Dietmar Pennig, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie und Koordinator für die Versorgung von Schwerverletzten in Deutschland, nennt zu den Simulationen der NATO im Gespräch mit der Zeitung die Welt konkrete Zahlen:

„Im militärischen Ernstfall wäre Deutschland ein Aufmarschgebiet mit 700.000 Soldatinnen und Soldaten aus den Mitgliedstaaten. Aufmarschgebiete werden angegriffen, das zeigt die Realität anderer kriegerischer Auseinandersetzungen. Wir rechnen mit 1000 Verletzten pro Tag, ein Viertel davon schwerstverletzt, also 250 Menschen.“

Die Einschätzung der vorhandenen Kapazitäten zur Behandlung dieser vielen verletzten Soldatinnen und Soldaten fällt bei Prof. Pennig ernüchternd aus:

„Zudem wären die Betten in den Bundeswehrkrankenhäusern und berufsgenossenschaftlichen Kliniken innerhalb von 48 Stunden ausgelastet.“
Wie ändert die Militarisierung unser medizinisches Denken?

Schleichend wird so mit den Vorbereitungen zur „Kriegstüchtigkeit“ der Bundeswehr die gesamte medizinische Versorgung dem Primat des militärischen Denkens unterstellt. Schon die Ampel-Koalition hatte für diesen Zweck ein neues Gesundheitssicherstellungsgesetz geplant, das nur wegen der vorgezogenen Bundestagswahl nicht mehr verabschiedet werden konnte. 

Diese Militarisierung unseres Gesundheitssystems verändert bereits jetzt unser medizinisches Denken 

Immer häufiger entstehen Kooperationen zwischen zivilen und militärischen Institutionen der medizinischen Versorgung. Auf chirurgischen Kongressveranstaltungen und in den Programmen  der ärztlichen Fort- und Weiterbildung tauchen inzwischen zunehmend kriegsmedizinische Versorgungsthemen auf. Am bedrohlichsten für uns alle ist der Einfluss der Militarisierung auf die notfallmedizinische und katastrophenmedizinische Versorgung: Während in der Notfallmedizin bei begrenzten Ressourcen diejenigen zuerst behandelt werden, die die schwersten Verletzungen erlitten haben und bei denen dennoch eine Überlebenschance besteht, gilt im Kriegsfall der Vorrang bei der Versorgung den Soldatinnen und Soldaten, deren Behandlung am schnellsten den erneuten Einsatz an der Front ermöglicht. 

Hinter der schon jetzt einsetzenden Militarisierung des Gesundheitswesens steht also ein beispielloses Umdenken bei ganz alltäglichen medizinischen Entscheidungen, das zu Lasten der Heilungsaussichten ziviler Patientinnen und Patienten geht. Für Mitarbeitende insbesondere in den Krankenhäusern und Rettungsdiensten verändern sich die Arbeitsbedingungen radikal: Schon jetzt ist der Stress durch Überlastung und Personalmangel, der durch das neue Krankenhausreformgesetz (KHVVG) noch verschlimmert wird, kaum auszuhalten. In Zukunft kommt dazu aber die komplette Verkehrung des eigenen Berufsethos, wenn nicht mehr die Schwerkranken zuerst versorgt werden dürfen, sondern die Soldatinnen und Soldaten, die mit Hilfe der Behandlung am schnellsten wieder kriegstauglich entlassen werden können.

Auswirkungen der Krankenhausreform auf die Versorgung im Kriegsfall 

Das vor wenigen Wochen verabschiedete Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) verschärft die negativen Behandlungsaussichten im Kriegsfall für die zivilen Patientinnen und Patienten in den Krankenhäusern noch weiter: Denn während im KHVVG eine massive Zentralisierung der stationären Behandlungen beabsichtigt wird mit der einkalkulierten Folge der Schließung mehrerer hundert weiterer Krankenhäuser, fordert die Bundeswehr eine starke Zunahme an Krankenhausbetten, um den Massenanfall tausender verletzter Soldatinnen und Soldaten  in Kriegssituationen bewältigen zu können. Hier trifft das Primat der Ökonomisierung, das die Strukturen und Funktionsweise unseres zivilen Gesundheitssystems prägt, auf die Forderungen der Militarisierung, die unsere Gesundheitseinrichtungen im Kriegsfall dominieren werden. Ganz aus dem Blick gerät dabei zunehmend die eigentliche Aufgabe, die ein Gesundheitssystem in unserer Gesellschaft zu erfüllen hat: Daseinsvorsorge zu bieten für alle Menschen, zu jeder Zeit und mit dem Anspruch, jede Patientin und jeden Patienten bestmöglich zu behandeln.

Unsere Forderungen

Attac AG Soziale Sicherungssysteme ruft daher dazu auf: 

  • Wehrt Euch gegen die schleichende und unaufhaltsame Militarisierung unseres Gesundheitswesens!
  • Wir wollen keine kriegstüchtigen Gesundheitseinrichtungen, stattdessen benötigen wir eine bessere Vorsorge gegen einen drohenden Krieg.
  • In der Medizin ist Prävention für die Menschen besser als nur Behandlung im Notfall, und genauso sind Friedensverhandlungen die wirksamste Methode, Kriegen vorzubeugen oder diese zu beenden!

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