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Zur aktuellen Entwicklung in Griechenland

In den letzten Stunden hat sich die Entwicklung um Griechenland dramatisch zugespitzt. Manchem geht bei den sich überschlagenden Ereignissen vielleicht etwas der Überblick verloren. Deshalb hier der Versuch einer kurzen Zusammenfassung, wie und warum es zu der aktuellen Situation gekommen ist.

Griechenland ist seit langem zahlungsunfähig und bräuchte eigentlich einerseits einen weitgehenden Schuldenerlass, andererseits ein groß angelegtes Investitionsprogramm, um wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen. Die neue griechische Regierung war mit dem Ziel angetreten, beides durchzusetzen, um so einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen.

Die Gläubiger betreiben seit Ausbruch der Krise eine andere Politik. Sie ignorieren die Staatspleite und tun so, als seien die Zahlungsschwierigkeiten nur vorübergehender Natur. Das hat zur Folge, dass Griechenland immer wieder neue Kredite braucht, um seine alten Kredite bedienen zu können. Die Gläubiger können diese Situation ausnutzen, um der griechischen Regierung ihre Bedingungen zu diktieren und nutzen dies, um in einem beispiellosen Maß Austeritätsmaßnahmen durchzusetzen. Die neue griechische Regierung, die eigentlich mit dem Versprechen angetreten war, mit der Austeritätspolitik zu brechen, soll dazu gezwungen werden, noch mehr bei den kleinen Leuten zu kürzen. Nicht nur die soziale, auch die wirtschaftliche Lage des Landes verschlimmert sich dadurch immer weiter.

Die griechische Regierung ist lange Zeit davon ausgegangen, dass den Institutionen (IWF, EZB und EU-Kommission mit den dahinter stehenden Regierungen der Eurozone, insbesondere der deutschen Bundesregierung) ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone auf Grund zu befürchtender negativer Effekte wirtschaftlicher und geopolitischer Art viel zu riskant wäre. Irgendwann würden sie einlenken, wenn die Regierung nur hart genug verhandeln und auf ihren Forderungen beharren würde. Dies hat sich spätestens mit der Sitzung der Finanzminister an diesem Samstag als Fehleinschätzung herausgestellt. Im ersten Teil dieser Sitzung verabschiedeten die Eurofinanzminister ein Statement, dem der griechische Finanzminister explizit nicht zustimmte (1) und im zweiten Teil tagten sie gleich ganz ohne ihren griechischen Kollegen weiter, um darüber zu beraten, wie sie sich im Falle einer zu erwartenden ungeordneten Staatsinsolvenz Griechenlands verhalten sollten.

Bei dem, worüber die griechische Regierung mit den Institutionen in den letzten Monaten verhandelt hat, muss man zwei Dinge auseinanderhalten. Das eine sind die Bedingungen, die die griechische Regierung erfüllen soll, um neue Kredite zu bekommen. Das andere sind die Kredite selbst.

In den letzten Tagen wurde eine ganze Reihe von Forderungspapieren der unterschiedlichen Akteure geleakt (die meisten davon gibt es, in englischer Sprache, im Blog der Financial Times zu Brüssel, unter anderem ein Papier der Institutionen, in dem sie im Überschreibmodus die Angebote der griechischen Regierung ‘korrigierten’.

Dort wurde unter anderem der Vorschlag der griechischen Regierung, eine Sondersteuer von 12% auf Unternehmensprofite von mehr als 500.000 Euro zu erheben, einfach gestrichen. Statt dessen wurden zum Beispiel eine ganze Reihe von Kürzungen bei Pensionen gefordert. Dies ist nur eines von vielen Beispielen für den klaren Bruch einer Vereinbarung, die die griechische Regierung und die Institutionen zu Beginn ihrer Verhandlungen geschlossen hatten. Demnach wollte man sich zwar gemeinsam auf Haushaltsziele einigen, dann sollte es aber der griechischen Regierung überlassen bleiben, wie sie diese erreichen will. Wenn es also in der Abschlusserklärung vom letzten Treffen der Eurogruppe heißt, die Institutionen hätte einen Vorschlag „making use of the given flexibility within the current arrangement“ (deutsch: „unter Ausnutzung der Flexibilität im Rahmen der aktuellen Vereinbarung“) gemacht, dann ist das eine reine Farce. Einer der wenigen Artikel, der sich in deutschen Medien mit diesem Umstand in bemerkenswerter Klarheit auseinandersetzt ist ausgerechnet der Gastbeitrag eines Londoner Bankers auf Zeit Online:

„So entsteht der Eindruck, die legitimen politischen Prioritäten eines Staates werden bewusst blockiert, mit dem Ziel, einen Regierungswechsel oder einen Austritt Griechenlands aus dem Euroraum zu provozieren. Niemand hat das Recht, einen solchen Regimewechsel anzustreben.“

Verfolgt man die Abfolge von Vorschlägen der Institutionen und der griechischen Regierung, dann kann man nicht umhin festzustellen, dass die griechische Regierung im Rahmen der Verhandlung eigentlich bereits schon so viele Zugeständnisse gemacht hatte, dass dies mehr oder weniger einer Kapitulation gleich kam.

Neben den Bedingungen geht es aber auch noch um die Kredite, die damit verknüpft sind. Da war wochenlang immer von 7,2 Milliarden Euro die Rede, die Griechenland noch aus dem laufenden Rettungsprogramm ausbezahlt bekommen könnte. Dann kam der Freitag und das Manager-Magazin titelte auf einmal: „Gläubiger würden Athen mit Milliarden überschütten“. Was war passiert?

Aufklärung schafft wieder einmal die Financial Times und gemessen an dem, was dort berichtet wird, kann man das, was sich das Manager Magazin in seinem Artikel erlaubt, nur noch als plumpe Desinformation bezeichnen. Bei der Financial Times heißt es nämlich, dass an dieser Summe eigentlich nichts neu wäre. Es würde sich exakt um das Geld handeln, dass Griechenland schon immer als letzte Rate seines laufenden Bailout- Programms versprochen worden war. Aber wie erklärt sich dann die Differenz zwischen 7,3 Mrd. Euro und 15,3 Mrd. Euro? Das Rätsel lässt sich relativ leicht aufklären. Teil des letzten Rettungspaketes sind noch einige Milliarden, die ursprünglich für die Rekapitalisierung der griechischen Banken vorgesehen waren, bisher aber dafür nicht gebraucht worden waren. Die griechische Regierung wollte Teile dieser Gelder ursprünglich laut ihrem Wahlprogramm zur Bekämpfung der humanitären Katastrophe in Griechenland einsetzen. Die Institutionen zogen diese Gelder allerdings, noch bevor die neue Regierung in Athen ins Amt kam, aus Griechenland ab, damit diese darauf keinen Zugriff hat. Es kommt allerdings noch besser: Die gesamten 15,3 Mrd. Euro sollen laut der Auflistung der Institutionen, mit Ausnahme einer vergleichsweise geringen Summe von 0,5 Mrd. Euro, gar nicht erst nach Athen überwiesen werden, sondern direkt an die Gläubiger. Wie die Financial Times zu dem Papier schreibt, soll das zusätzliche Geld aus dem Bankenfonds vor allem dazu verwendet werden, Kreditrückzahlungen an die EZB zu leisten, für die sonst kein Geld da wäre. Gleichzeitig soll die Regierung aus dem Primärüberschuss, zu dem sie sich auf Druck ihrer Gläubiger verpflichten soll, noch zusätzliches Geld für den Schuldendienst drauf legen.

Völlig außer Acht gelassen wird bei all diesen Berechnungen, dass die griechische Regierung bereits in den letzten Monaten zahlreiche Schulden bedienen musste, für deren Umschuldung eigentlich Gelder aus der letzten Tranche vorgesehen gewesen wären, die bisher nicht zur Auszahlung kamen. Die griechische Regierung war dazu nur in der Lage, weil sie die letzten Reserven zusammengekratzt hat, über die das Land noch verfügte. Diplomatische Vertretungen waren aufgefordert, ihre Rücklagen nach Griechenland zu überweisen, Kommunen sollten ihre überschüssigen Gelder an die Zentralregierung transferieren. Die griechische Regierung steht finanziell mit dem Rücken zur Wand. Der Hick-Hack der letzten Wochen dürfte die ohnehin schon vorher auf tönernen Füßen stehende Prognose zur griechischen Schuldentragfähigkeit endgültig zur Makulatur gemacht haben. Medienberichten zufolge waren bereits die Steuereinnahmen der ersten fünf Monate um 1,7 Mrd. Euro eingebrochen (http://www.n- tv.de/wirtschaft/Steuereinnahmen-brechen-stark-ein-article15316796.html). Die Gläubiger Griechenlands schätzen sogar, dass das Haushaltsloch mittlerweile 2 bis 3,6 Milliarden Euro betrage. Und darüber, ob nicht auch das griechische Bankensystem mittlerweile wieder insolvent ist und dringend rekapitalisiert werden müsste, scheint im Moment lieber niemand nachdenken zu wollen. Beim letzten Mal hatte allein das einen zweistelligen mittleren Milliardenbetrag erfordert.

Trotzdem kommen laut Medienberichten die Institutionen in einem Papier für den deutschen Bundestag zu dem Schluss, „dass ein von der griechischen Regierung geforderter Schuldenschnitt nicht notwendig sei, auch wenn klar sei, dass die früher angenommenen Ziele unter keinem der Szenarien erreicht werden können.“ Die Lücke will man einfach, wie gehabt, durch zusätzliche Schulden finanzieren und der griechische Schuldenstand würde dann eben ein paar Jahre später sinken.

Was die gegenwärtigen Vorschläge der Institutionen für die griechische Regierung bedeuten würden, scheint damit klar: Während die verbliebenen Gelder aus der letzten Tranche direkt in den Schuldendienst flössen und damit die Bedienung der griechischen Kredite bei IWF und EZB bis November abgesichert wäre, wäre die griechische Regierung wahrscheinlich bald schon nicht mehr in der Lage, ihren finanziellen Verpflichtungen gegenüber der eigenen Bevölkerung nachzukommen. Kalkül der Gläubiger scheint zu sein, dass sie spätestens dann zurücktreten müsste und wieder einer Regierung Platz machen würde, die willfährig alles absegnet, was ihr von den Gläubigern vorgelegt wird.

Für die aktuelle wirtschaftliche Lage in Griechenland tragen die Gläubiger-Institutionen mittlerweile eine große Mitverantwortung, denn sie ist nicht mehr nur eine Folge der Mißwirtschaft vergangener griechischer Regierungen, sondern auch der verordneten Maßnahmen dieser Institutionen, die den letzten griechischen Regierungen trotz aller mittlerweile seit Jahren zu besichtigenden katastrophalen Folgen aufgezwungen wurde. Heiner Flassbeck fasst das in einem u.a. bei Telepolis veröffentlichten Artikel sehr gut zusammen:

„Damit haben sich, jenseits aller kleinteiligen Kompromisse, die Gläubiger und vorneweg Deutschland vollständig durchgesetzt. Sie haben ihre Ideologie von der Flexibilisierung, der Privatisierung und dem Rückzug des Staates ohne Rücksicht auf die konkrete Lage und die schlimmen Folgen der seit 2010 verschriebenen Flexibilisierungsmaßnahmen durchgedrückt. Das ist ein Ausmaß an Borniertheit, Ignoranz und Arroganz, das seinesgleichen sucht. Es ist das Ende des Europas, das einsichtige Politiker einst suchten, als sie nach den Wirren des Krieges den Menschen Hoffnung auf eine bessere und gerechtere Welt machen wollten. Die Folgen werden verheerend sein, und das ganz sicher nicht nur für Griechenland.“

Die aktuelle griechische Regierung wird vielleicht schon bald Geschichte sein. Eine gute Nachricht für Europa ist das aber nicht. Denn ihre wesentlichen Forderungen, die nach einem großzügigen Schuldenerlass und einem wirkungsvollen Investitionsprogramm, wie sie Westeuropa und insbesondere die alte Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg wirtschaftlich wieder auf die Beine brachten, bleiben auch dann weiterhin ohne Alternative, wenn die aktuelle Krise in Europa überwunden werden soll. Von besonderer Tragik ist dabei, dass ausgerechnet die deutschen Regierung eine der entscheidenen Kräfte hinter dieser Politik ist. Denn aus unserer eigenen Geschichte, den katastrophalen Folgen der Austeritätspolitik nach dem Ersten Weltkrieg einerseits, aber auch des großzügigen Schuldenerlasses nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Marschallplan andererseits, müssten wir eigentlich besser wissen, was auf dem Spiel steht.

 

(1) Im Blog des griechischen Finanzministers kann man seinen Redebeitrag auf dem letzten Eurogruppen-Treffen in englisch lesen und einige Hintergrundinfos, wie es zu seinem Ausschluss und dem Statement ohne seine Zustimmung kam.

 


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