Wirkliches und Mögliches in der Klimakrise
Der Autor, Sozialwissenschaftler an der Uni Hamburg, analysiert auf knapp 250 Seiten sehr akribisch den Stand der Zerstörung der Erde, den Umgang von Politik und Gesellschaft einschließlich emanzipatorischer Ansätze mit der Situation und macht am Ende Vorschläge, wie aus der aktuellen Lähmung der Klimabewegung herauszukommen ist. Adloff bezieht die bekannten neueren Studien und Stellungnahmen zum Thema ein und arbeitet Kontroversen heraus. So werden Zusammenhänge deutlich und eigene Positionsfindung erleichtert, Voraussetzung für jeden zielgerichteten Aktivismus.
Der Untertitel „Perspektiven der Sozialwissenschaften im ökologischen Wandel“ muss dabei nicht irritieren. Dass Adloff von Fachkollge*innen fordert, sich als aktive Gestalter*innen gesellschaftlicher Transformation zu begreifen, kann der Sache nur dienen. Und das Gute: Das Buch, das im Verlag transcript erschienen ist, kann kostenlos als pdf heruntergeladen werden.
Adloff konstatiert zu Beginn eine weltweite Polykrise in fast allen gesellschaftlichen Bereichen, wobei er die zunehmende Erderwärmung und das Artensterben als fundamentalste Krisen noch einmal faktenreich beschreibt. Die ohne Öl und Gas nicht mögliche „große Beschleunigung“ ab den 50ger Jahren des letzten Jahrhunderts, das rasante Anwachsen von Wachstum und klimaschädlichen Emissionen hat zu einem „Highway to Hell“ geführt. Das 1,5-Grad-Ziel von Paris ist kaum noch zu erreichen, denn die dafür notwendige Senkung der Emissionen erfordert die vollständige Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bis 2050. Das ist unwahrscheinlich. Stattdessen scheint alles auf einen ökologischen Kollaps und Krisenkumulation in Form von gesellschaftlichen Zusammenbrüchen herauszulaufen. Das führt zu einer Reduktion kollektiver Handlungskapazitäten und zu einem Funktionalitätsverlust sozialer Systeme. Die Klimafrage ist also die soziale Frage per se. Die Vulnerabilität der Opfer verläuft dabei entlang der bekannten Kategorien von »race, ethnicity, gender, social class, and age«. Ungleiche Gesellschaften können eh mit einem Kollaps schlechter umgehen, da ihr soziale Ressourcen wie Solidarität und Kooperationsfähigkeit fehlen. Der Zeithorizont ist eng und die Vorstellung, die Entwicklung verlaufe, wenn schon zum Schlechten, wenigstens linear, ist trügerisch.
Die gesellschaftlichen Antworten auf die Situation teilt Adloff in drei Stränge:
- Der Ansatz der ökologischen Modernisierung setzt auf Dekarbonisierung und wirtschaftspolitisch auf eine Internalisierung ökologischer Kosten (z.B. Emissionshandel). Er wurde von der EU mit dem „Great New Deal“ und von der deutschen Ampelregierung verfolgt, hat es aber nicht geschafft, den Ressourcenverbrauch vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln und den Klimawandel aufzuhalten. Denn ökologische Modernisierung bricht nicht mit dem Wachstumszwang kapitalistischen Wirtschaftens, der auf der Externalisierung von Kosten durch Ausbeutung der Natur und des globalen Südens basiert („imperiale Lebensweise“). Der
Bedarf nach »Billigen Naturen« wachse dabei aber schneller als diese sich regenerieren können bzw. handelt es sich sowieso um endliche Rohstoffe. Damit gerät diese Art zu Wirtschaften an ihre Grenzen. - Ökologische Modernisierung gerät zunehmend durch einen „fossilen Rollback“ unter Druck, vorangetrieben durch die Gas- und Ölindustrie und rechten Bewegungen und Regierungen. Dieses „Weiter so“ ist die bewusste Fortsetzung und Verschärfung des ausschließenden, imperialen Wegs, der dem Klimawandel nicht mehr entgegentreten will, sondern der regressiv den fossilen Lebensstil mit Mitteln der Preisgabe von Teilen der Bevölkerung und der Externalisierung ökologischer Lasten in die Zukunft verteidigt. Diese Projekte der autoritär- neoliberalen Rechten basieren auf einem ethischen Partikularismus, bei dem einige wenige Menschen im Norden gerettet werden können. Dabei spielen militärische Lösungen eine wachsende Rolle unter Einschluss von „Sicherheitsforschung“. Leider bezieht sich der Autor nicht auf Cara Deggetts Arbeit „Petromaskulinität“, in der die Autorin die Verteidigung der fossilen Gegenwart mit aggressiver Frauenfeindlichkeit als Triebkräfte des aufkommenden Faschismus zusammen denkt. Dem Strang des „Weiter So“ ordnet Adloff noch Projekte des „Climate Engeneering“ zu, z.B. Methoden zur Entfernung und Einlagerung von CO₂ aus der Atmosphäre, die den den Fortbestand fossiler Industrien legitimiere und Lösungen in die Zukunft verschiebe.
- Wege in eine postfossile oder gar postkapitalistische Wirtschaft zeigen Konzepte wie Degrowth, Care, Konvivialität, Post-Development, Buen Vivir, Commons, Solidarische Ökonomie, Posthumanismus, Habitabilität oder neuer Animismus auf. Bei ihrer Suche nach Alternativen steht nicht die Erneuerung des Kapitalismus, sondern um seine schrittweise Überwindung im Vordergrund. Sie hinterfragen ökonomistische Denkmuster, lehnen Wachstum als gesellschaftliches Ziel ab und fordern ein radikal anderes Mensch-Natur-Verhältnis. Durch emanzipatorische Praktiken in sozialen Nischen erhoffen einige dieser Ansätze, den Wachstumszwang des Kapitalismus von innen heraus dauerhaft untergraben zu können.
Der Autor zeigt diesen Ansätzen gegenüber viel Sympathien, hält aber ihre Durchsetzungskraft aktuell für schwach. Die Übergangspfade blieben für ihn schwammig, der Mangel an Transformationsstrategien symptomatisch, sie seien eher Appelle als Handlungsleitfäden.
Die zunehmende Dringlichkeit der sozial-ökologischen Transformation stehe zudem in einem Gegensatz zu kleinräumigen und langwierigen Prozess des Aufbaus zivilgesellschaftlicher Strukturen für den Wandel.
Als Fazit braucht es für Adloff einen schrittweisen, flexiblen Mix aus kurzfristiger ökologischer Modernisierung und langfristigen Transformationsexperimenten.
In einem weiteren Abschnitt untersucht Adloff, warum es modernen Gesellschaften schwer falle, auf offensichtliche Krisen wie der Klimakrise angemessen zu reagieren. Er verweist auf den Fortschrittsglauben und das Konzept der persönlichen Selbstverwirklichung bürgerlicher Gesellschaften, jeweils verstärkt durch neoliberale Ideologie. Es verweist auf Ansätze, nach denen moderne Gesellschaften über kein Steuerungszentrum verfügen, sondern aus funktional ausdifferenzierten Teilsystemen wie Wirtschaft, Politik, Recht bestehen, die jeweils eigenen Logiken folgen. Daraus ergeben sich kurzfristige gegenwartsorientierte Interessen, die auf Machterhalt und Wachstum ausgerichtet sind, „Präsentismus“ gebiert einen Mangel an gesellschaftlich langfristigem Denken. Das drückt sich auch in einer zunehmenden Polarisierung von Zeit- und Raumhorizonten aus. Während Fridays for Future auf ein bedrückende Zukunft verweist, sind radikale Klimaveränderungen im Alltag der Menschen nicht sichtbar bzw. räumlich noch zu weit weg. Die individuellen Lebenswelten sind zudem durch Routinen geprägt und abgesichert, die komplexe Krisen ausblenden: „Der Alltag ist stabiler als jedes Argument“.
Wachstum und Konsum sind zentrale Bindekräfte moderner Gesellschaften. Ein Verzicht darauf würde soziale Spannungen und politische Instabilität verstärken. Klimapolitik müsse also zugleich Sozialpolitik sein, um soziale Spaltungen zu verhindern und Akzeptanz für notwendige Veränderungen zu schaffen, wie es Attac mit Kampagnen zu Tax the Rich oder zum Klimageld ja tut. Denn die Klimakrise ist auch eine massive Ungleichheitskrise.
Untersuchungen zu Bereitschaft und Widerstand gegenüber Transformationen kommen zum Teil zu unterschiedlichen Ergebnissen. Zum einen wird konstatiert, dass die unteren Klassen eine Transformation aus einem Misstrauen gegenüber Institutionen und wegen der befürchteten Transformationskosten weitgehend ablehnen. In der Tat haben wohlhabende Menschen einen wesentlich höheren Energieverbrauch und leben damit zu Lasten Anderer. Andere Untersuchungen kommen zum Ergebnis, dass der gesellschaftliche Widerstand gegen klimapolitische Maßnahmen nicht primär von den sozial benachteiligten Gruppen sondern von den wohlhabenden Mittel- und Oberschichten, die ihre Lebensweise bedroht sehen, ausgeht. Beides ist für sich gesehen wahrscheinlich richtig.
Wie kann nun ein Raum für Transformation so geöffnet werden, dass ein Potential entsteht, mittelfristig zu einer »Großen Transformation« zu kommen?
Um die soziale Akzeptanz für Transformation zu stärken, schlägt Adloff eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums sowie eine Konzentration auf Investitionen in öffentliche Infrastrukturen („Infrastruktursozialismus“) vor. Er warnt aber acuh vor einer rein „kapitalozentrischen Sicht“. Ökonomie ist nicht identisch mit Marktprozessen und nicht identisch mit kapitalistischer Wirtschaft. Es gibt daneben eine Vielzahl von nicht-kapitalistischen Praktiken des Wirtschaftens, z.B. Genossenschaften als Teil einer pluralisitischen Ökonomie.
Um die gesellschaftliche Blockade gegen die vorherrschenden politisch-kulturellen Konfliktlinien und damit einhergehende politische Stagnation aufzubrechen, setzt der Autor auf deliberative Modelle wie z.B. Bürgerräte, die per Losverfahren gewählt werden und nach intensiver Diskussion Lösungsvorschläge erarbeiten sollen.
Da sich das individualistische bürgerliche Freiheitsverständnis als untauglich erweist, um kollektive Probleme wie Klimawandel oder Artensterben zu bewältigen, plädiert er für ein erweitertes kommunitäres Freiheitsverständnis. Er nennt es „Konzept der konvivialen Freiheit“. Freiheit ist darin die Fähigkeit, wechselseitige Abhängigkeiten – auch gegenüber nicht-menschlichen
Akteuren und Entitäten – bewusst und konstruktiv zu gestalten. Damit verbunden ist der Rechtsstatus der Natur. Warum sollten (Nutz)Tiere und Umwelt keine einklagbaren Rechte genießen, wie wir sie für Aktiengesellschaften für ganz selbstverständlich halten.
Ganz pragmatisch plädiert Adloff für eine Art „Bricolage“ als Fähigkeit, den „Möglichkeitssinn“ zu schärfen und aus dem aktuell Möglichen das Beste zu machen. Das gesellschaftlich Mögliche liegt für ihn im Unvorhersehbaren.
Auch wenn das Buch sich gegen Ende ein wenig in Betrachtungen über das Verhältnis Mensch zu Natur, über Freiheit, Verantwortung und die Rolle der Wissenschaften verliert, lohnt sich die Lektüre auf jeden Fall.
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