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Wir müssen wählen: Kapitalismus oder Demokratie

Die folgenden Thesen wurden von Conrad Schuler anlässlich eines Podiumgesprächs mit Werner Rätz (Attac, Blockupy) und Joachim Schubert (IG Metall, Betriebsrat) aufgestellt.

1. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus.

Doch wo geht sie hin? Die „bürgerliche Demokratie“ war von Beginn an ein System der Klassenherrschaft des Kapitals. Den Anspruch dieser Demokratie hat der damalige US-Präsident Abraham Lincoln in seiner Rede in Gettysburg 1863 hingegen so beschrieben: Demokratie, sagte er, sei „Regierung des Volkes, durch das Volk, für das Volk“. Im Grundgesetz, der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, heißt es dementsprechend (Artikel 20, Abs. 2): „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Bert Brecht hat diesen hohen Anspruch so in Frage gestellt: „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus. Doch wo geht sie hin?“
Sie geht schon immer zu den Eliten der bürgerlichen Gesellschaft. Dies war seit der Beerdigung der bürgerlichen Revolution in Frankreich durch Napoleon so. Joseph Schumpeter, einer der Pioniere dermodernen kapitalistischen Volkswirtschafts- und Staatstheorie, nennt die Demokratie dann bloß noch ein Verfahren der Mehrheitsfindung, nämlich „diejenige Ordnung der Institutionen zur Erreichung politischer Entscheidungen, bei welcher einzelne die Entscheidungsbefugnisse vermittels eines Konkurrenzkampfes um die Stimmen erwerben“.
Wer entscheidet diesen Konkurrenzkampf um die Stimme n für sich? Das Regime der Eliten, das durch die Kooperation von Big Business, Government, Think Tanks und Medien bestimmt ist. Sie prägen die Zustimmung zum System und zu den einzelnen Gesetzen, wie Walter Lippmann, ein weiterer der neoliberalen Vordenker und Berater vieler US-Präsidenten, es genannt hat: „the manufactoring consent“, die Fabrikation von gesellschaftlicher Zustimmung durch die darauf spezialisierten Eliten der herrschenden Klasse.
Diese Eliten haben sich in Wissenschaft und Verwaltung, in Unternehmen und Gerichten, in Medien und Bildungssystemen bis zu dem Punkt durchgesetzt, dass die Kanzlerin Merkel ihr Ideal nicht anders beschreiben kann, als dass es um eine „marktkonforme Demokratie“ ginge. Demokratie nur so weit noch, als sie sich mit den Imperativen der Märkte, mit Höchstprofit und erbarmungslosem Wettbewerb verträgt.
Wie eng die Grenzen dieser Art von Demokratie sind, zeigen die Verhandlungen um TTIP, um die sog.Freihandelszone USA-EU. Die Demokratie wird dort ausgemacht als das „nichttarifäre Handelshemmnis“ erster Güte. Ein Vertrag soll festgezurrt werden, wonach gegen jede demokratisch zustande gekommene Regelung, Umweltgesetze zu verbessern, soziale Besserstellungen zu erreichen, die Versorgung mit Gemeinschaftsgütern wie Wasser, Energie, Bildung, Gesundheit zu erhöhen, gegen jede solcher Verbesserungen kann von Konzernen auf Schadenersatz geklagt werden kann, wenn durch die Gewinnerwartungen der Investoren geschmälert werden. „Indirekte Enteignung“ wird das in den Verträgen genannt. Die Demokratie erweist sich für den Neoliberalismus als das fundamentale Hemmnis – deshalb soll sie muss abgeschafft werden.

2. Worauf stützt sich die ideologische Hegemonie des Neoliberalismus?

Bei den EU-Wahlen gab es eine Zunahme der Parteien der Europäischen Linken um über 50 % der Sitze. Das ist gut, aber angesichts der Zugewinne der Rechte n und der soliden 2/3-Mehrheit der neoliberalen Kräfte um EVP und Sozialdemokraten zu wenig.
Es gibt eine breite Unterstützung der neoliberalen Parteien und Konzepte, die allesamt auf eine komplette Aushöhlung der Demokratie hinauslaufen.
Ich möchte vier Eckpunkte als wesentliche Stützen dieser neoliberalen Hegemonie kennzeichnen:

2.1 Das Sich-Fügen der Verlierer des allgegenwärtigen gesellschaftlichen Wettbewerbs

Nach dem Motto „Wir sind alle der Finanzmarktkapitalismus“ werden die Krise und ihre Auswirkungen als persönliches Schicksal, wird ein Scheitern als selbstverantwortet empfunden. Wie die Untersuchungen der Heitmeyer-Gruppe über mehr als 10 Jahre hinweg zeigen (Deutsche Zustände), haben die neuen Unterschichten, die prekär Beschäftigten und die schon weitgehend von der Arbeitswelt Ausgeschlossenen, am meisten Angst vor der Zukunft. Doch sie finden sich überwiegend mit ihrem Schicksal ab. Sie verstehen die gesellschaftlichen Abläufe nur zu einem geringen Teil, sie haben eine Biografie des Scheiterns und der Misserfolge, ihnen wird auf breiter Front erklärt, das Nicht-Gelingen ihres Lebens hätten sie sich selbst zuzuschreiben. So sind sie disponiert, sich in die von der neoliberalen Dominanz ausgehenden Kommandos zu
schicken.

2.2 Die „exklusive Solidarität“ der Stammbelegschaften – sie suchen den Schulterschluss mit „ihrem“ Unternehmen und grenzen sich nach unten ab

Klaus Dörre und seine Jenaer Soziologengruppe haben zahlreiche Stammbelegschaften in west- und ostdeutschen Industriebetrieben untersucht. Die Grundstruktur des Gesellschaftsbewusstseins dieser Belegschaften haben sie überschrieben mit der Formel „guter Betrieb, schlechte Gesellschaft“. Die Stammbeschäftigten tendieren in hohem Maße dazu, sich positiv mit dem Unternehmen zu identifizieren. Zwar sind kapitalismuskritische Einstellungen weit verbreitet. Doch schlägt sich diese Kapitalismuskritik nicht nieder in eine prinzipielle Kritik an den gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Die Mehrheit der Stammbelegschaften wünscht sich eine Gesellschaft, die nach dem als gut wahrgenommenen Miteinander von Kapital und Arbeit im eigenen Betrieb funktioniert. Die von den Jenaer Soziologen untersuchten Stammbelegschaften grenzen sich nach unten, gegenüber Arbeitslosen und prekär Beschäftigten ab. Sie entwickeln eine „exklusive Solidarität“, wer nicht zum Betrieb und zur Stammbelegschaft gehört, erfährt keinen oder nur einen verminderten Anspruch auf Solidarität.

2.3 Große Gewerkschaften setzen auf Krisen-Korporatismus mit dem Kapital – gemeinsam will man siegen im globalen Wettbewerb

Hier ist besonders das Verhalten der IG Metall von Bedeutung, mit 2,3 Millionen Mitgliedern die größte deutsche Gewerkschaft. Sie organisiert die Betriebe der Metall- und Elektroindustrie, die für 60 % aller deutschen Exporte aufkommt. Eine Strategie der Gewerkschaft und Betriebsräte, „ihre“ Betriebe wettbewerbsüberlegen zu halten oder zu machen, wird logischerweise dazu führen, die sozialen Standards den globalen Konkurrenten anzunähern und sie schließlich zu unterbieten. Die IG Metall stellt selbst fest, dass sie in der Krise mit dem Unternehmerlager und der Politik kooperiert hat mit der Folge von Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich und anderen sogenannten „Lohndämpfungsmaßnahmen“. Hans-Jürgen Urban vom IGM-Vorstand meint, dass hierin kein Versagen gewerkschaftlicher Interessenvertreter zum Ausdruck käme, sondern „die objektive ökonomische Logik der Konstellation“. Dieser „objektiven ökonomischen Logik“ kann der deutsche Exportüberschussweltmeister unter neoliberalen Bedingungen aber nie entkommen – weder in der Krise noch in angeblich „normalen“ Zeiten.

2.4 Die Klasse der Sieger entwickelt eine „rohe Bürgerlichkeit“ – hoch der eigene Status, weg mit den Unnützen

Rosa Luxemburg prägte die Formel „Sozialismus oder Barbarei“. Dieser Barbarei kommt der gegenwärtige neoliberale Kapitalismus immer näher. In seiner Studie spricht Heitmeyer von einer „rohen Bürgerlichkeit, die sich bei der Beurteilung sozialer Gruppen an den Maßstäben der kapitalistischen Nützlichkeit, der Verwertbarkeit und Effizienz orientiert und somit die Gleichwertigkeit von Menschen antastbar macht und dabei zugleich einen Klassenkampf von oben inszeniert“. Diese Rohheit hat im vergangenen Jahrzehnt enorm zugenommen. „Zivilisierte, tolerante, differenzierte Einstellungen, die in höheren Einkommensgruppen einmal anzutreffen waren, scheinen sich in unzivilisierte, intolerante – ja: verrohte – zu verwandeln.“ Diese wachsende Rohheit zeichnet sich vor allem auch „durch Tendenzen eines Rückzugs aus der Solidargemeinschaft aus.“

3. Die Herstellung der Demokratie verlangt die Demokratisierung der Wirtschaft

Die bürgerliche Demokratie kennt bloß die formale politische Gleichheit – die Gesellschaft aber ist in ungleiche Klassen aufgeteilt – aus der Dominanz des Kapitals erwächst die Herrschaft über die öffentliche Meinung und die Anerkennung der Imperative des Kapitalismus.
Streeck (Direktor des Max-Plack-Instituts in Köln): „Mehr denn je scheint wirtschaftliche Macht heute zu politischer Macht geworden zu sein, während die Bürger fast gänzlich ihrer demokratischen Verteidigungsmöglichkeiten und ihrer Fähigkeiten beraubt sind, die mit denen der Kapitaleigner nicht vereinbar sind.“
Wenn der Kapitalismus dabei ist, die Demokratie ab zuschaffen, dann müssen Demokraten dazu übergehen, den Kapitalismus zu überwinden. Die Alternative lautet: Autoritärer Kapitalismus oder solidarische Demokratie. Ohne die Demokratisierung der Wirtschaft ist die Herstellung einer gesamtgesellschaftlichen Demokratie nicht zu haben.

4. Widerstand – die entscheidende Größe für das Selbstbewusstsein der „Subalternen“, für die Mobilisierung zum Kampf um Demokratie

4.1 Das derzeitige demokratische Potential erzielt Wirkung, ist aber noch zu schwach

Das derzeit aktive Potential in Deutschland ist stärker, als es die neoliberal dominierten Medien darstellen. Dazu gehört der jüngste Wahlerfolg der Europäischen Linken, ebenso wie das Erstarken von Attac, das Ende 2013 über 27.000 Mitglieder zählte und eine Hauptkraft gegen den Demokratie-Abriss durch das TTIP darstellt. Blockupy ist national und EU-weit aktiv und mobilisiert gegen eine der institutionellen Stützen des Finanzkapitals, gegen die Europäische Zentralbank. Die Gewerkschaft en, auch der DGB, sprechen sich klarer gegen die Austeritätspolitik des EU-Regimes aus. Dennoch sind wir ein gutes Stück davon entfernt, dem antineoliberalen Protest die „Macht der organisierten Lohnarbeit“ (Urban) hinzufügen zu können. Dies muss eine der Hauptaufgaben der kommenden Mobilisierungsphase sein.

4.2 Das Gebot der Stunde heißt: Widerstand

Politischer Widerstand ist natürlich auf Erfolg aus, ab er schon in seinem Versuch verändert er sowohl den, der Widerstand leistet, als auch die ganze Umgebung, die Zeuge davon werden. Gerade in einer Lage, da viele so genannte Verlierer sich in die Resignation schicken, da die Gleichgültigkeit der Vielen ebenso anhält wie die Hoffart, die rohe Arroganz der Mächtigen, sind Akte des Widerstands ganz entscheidend. Sie verändern das Selbstverständnis aller, die die Akte wahrnehmen, vor allem diejenigen, die sie ausführen und sich vielleicht zum ersten Mal als politisch Handelnde wahrnehmen.
Unser Grundgesetz räumt dem Widerstand einen hohen Rang ein. Artikel 20, Absatz 4 lautet: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Zu der Ordnung, auf die hier verwiesen wird, gehört laut Artikel 14: „(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.“
Angesichts der Einkommens- und Vermögensverhältnisse ist die Schlussfolgerung zwingend, dass derGebrauch des Eigentums in Deutschland durch die Kapitalisten nicht dem Wohl der Allgemeinheit dient, sondern dem Wohl der Reichsten zu Lasten der Allgemeinheit.
Auch die zweite Voraussetzung des Grundgesetzes ist erfüllt. Offenbar ist die öffentliche Meinung, gesteuert durch die vielfältigen neoliberalen Medien, durch bloßes abstraktes Argumentieren nicht zum Nachdenken und Umschwenken zu bewegen. Dann sind Akte des zivilen Ungehorsams, und das ist hier gemeint mit Widerstand, dann ist ziviler Ungehorsam angesagt, z.B. das Umzingeln von Banken, Behörden und Betrieben.
Dann sind Aktionen angesagt, wie sie Blockupy für die Eröffnung des neuen Prachtbaus der Europäischen Zentralbank in Frankfurt für den Herbst 2014 angekündigt hat.
Seien wir alle dabei.

Der Beitrag ist zuerst bei der isw München erschienen: www.isw-muenchen.de


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