Menü

Wie wollen wir den Kuchen backen und verteilen?

Bericht vom 22. isw-forum: „Ist Wohlstand ohne Wachstum möglich?“

 

Am Samstag, den 5. Juli fand das mittlerweile 22. Forum des Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung im Münchner Gewerkschaftshaus statt.

Gemeinsam mit mehr als 80 KollegInnen diskutierten Ulrich Brand, Professor für internationale Politik an der Universität Wien, Uwe Fritsch, Betriebsratsvorsitzender von VW Braunschweig, Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der Partei Die Linke im Bundestag und Franz Garnreiter, isw-Redakteur und Volkswirt die große Frage, ob in unserem Gesellschaftssystem Wohlstand ohne Wachstum möglich sei. Das isw-Forum verstand sich dabei als Teil der im September in Leipzig stattfindenden großen Degrowth-Konferenz (leipzig.degrowth.org). Verschiedenste AktivistInnen, aus attac, Sozialforen oder Gewerkschaften bereicherten das diesjährige Forum mit fundierten Diskussionsbeiträgen.
In seiner Einleitung ging der Vorsitzende des isw, Conrad Schuhler, auf die Aktualität und Wichtigkeit des Themas ein und stellte fest, dass der globale Kapitalismus und sein Zwang zum Wachstum ein „Angriff auf das Leben selbst“ sei. Der Mensch müsse seine Lebens- und wirtschaftliche Produktionsweise ändern, um als solcher überleben zu können. Das „Geld als Gott“ (Papst Franziskus), stehe im Mittelpunkt dieses Wirtschaftssystems, das geändert werden müsse.

Die Wachstumsfixierung wird zum Risiko für die Gesellschaft

Prof. Ulrich Brand, der gleichzeitig Mitglied der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags zu „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ ist, stellte fest, dass der Profit die zentrale Triebkraft für Unternehmen sei und dieser nur durch Wachstum sichergestellt werden könne. Dabei stehe die Ideologie des unbedingten Wirtschaftswachstums schon seit langer Zeit in der Kritik, beginnend bei John Stuart Mill über Karl Marx bis hin zu John Maynard Keynes. Besonders in Krisenzeiten komme dabei die Wachstumsdebatte immer wieder auf das Tablett der politischen linken Diskussion, so in den 70er Jahren als auch besonders seit der Krise von 2008.
Brands zentrale These bestand darin, dass das heutige Wirtschaftswachstum von einem Stabilisator früherer Zeiten, hin zu einem Destabilisator der Gesellschaft geworden ist. Die Wachstumsfixierung wird zum Risiko der Gesellschaft. Dies sei besonders bei den Finanzmärkten ersichtlich, deren Wachstumsfixierung ein weiteres Aufblähen der Spekulationsblasen ermögliche. Das heutige Wirtschaftswachstum sichere den Menschen im Vergleich zum Fordismus kein vergleichsweise „gutes“ Leben mehr: Es wird gelebt um zu arbeiten, statt gearbeitet um zu leben. Der Konsumismus, die Fixierung der Gesellschaft auf möglichst viel Konsum wird befördert, genauso wie ein anarchistischer, ungeplanter Produktivismus, zur Herstellung der (Konsum-)Güter. All dies führe zu einem massiven ökologischen Problem, das die Frage eines Wandels, eines Umbaus der Produktions- und Lebensweise immer dringender mache.
Auch die Funktion der Herrschaftssicherung, die über die Wachstumsideologie in Krisenzeiten vermittelt werde, stand im Mittelpunkt des Vortrages. Krisen wurden und werden immer auch herrschaftlich von den Mächtigen beantwortet, die ihre Positionen meistens absichern können, so Brand. Die Lohnabhängigen bleiben dabei meist untergeordnet, in einer klassen- und geschlechterförmig sowie rassifiziert organisierten Arbeitsteilung. Die strukturelle Grenze der bürgerlichen Demokratie bestehe dabei in der Ausklammerung der ökonomischen Sphäre der Gesellschaft. Somit werde die Macht der wirtschaftlich Starken niemals angetastet.
Doch was folgt daraus? Was ist zu tun? Brand plädierte dafür, nicht nur den Kuchen der gesellschaftlichen Produktion anders zu verteilen, sondern schon früher anzusetzen und darüber zu diskutieren, wie in einer Postwachstumsgesellschaft der Kuchen ganz anders, mit weniger Ressourcen- und Energieeinsatz, zustande kommen könnte, um dann über seine Verteilung zu diskutieren. Der Weg dahin sei mit dem etwas sperrigen Begriff der sozial-ökologischen Transformation, am besten zu beschreiten. Ein zentraler Bestandteil dieses Weges, so stellte Brand in der anschließenden Diskussion fest, sei die Vergesellschaftung und Demokratisierung der Energiekonzerne.

Wirtschaft, die wir loswerden müssen

Franz Garnreiter ging in seinem Beitrag auf unproduktive Wirtschaftsbereiche ein, die in einer sozial-ökologisch transformierten Gesellschaft nicht mehr von Nöten sind. Damit sind zum Beispiel die Werbeindustrie (mit mehr als 480.000 Beschäftigten in Deutschland), die die Menschen nur zu mehr Konsum animiere gemeint oder die Ausrichtung der Produktion auf Wegwerfprodukte und einkalkuliertes Kaputtgehen der Konsumgüter („geplante Obsoleszenz“ genannt). So wirft die deutsche Bevölkerung im Jahr insgesamt ca.1,5 Milliarden Kleidungsstücke weg. In Großbritannien sind 80% aller weggeworfenen Mikrowellen nicht kaputt oder leicht reparierbar. Auch der Repressionsapparat, das Militär, die Massen an Wirtschaftsprüfern, Steuer- und Rechtsberatern seien ein Teil der Wirtschaft, die wir loswerden müssen und nur dem Selbsterhalt der Gesellschaft dienen würden, so Garnreiter.
In detaillierten Berechnungen wies er nach, dass bis zu 11% des deutschen Bruttoinlandproduktes des Jahres 2010 auf unproduktive Wirtschaft zurückgehe, die dazu dient die kapitalistische Maschinerie am Laufen zu halten, aber keinerlei produktive Funktion habe.
Die graphische Darstellung von mehreren hunderttausenden Jobs, die man sich sparen könne, wurde in der Diskussion kritisch bewertet – man dürfe die Bedürfnisse der Menschen nach sicheren Arbeitsplätzen nicht auf die leichte Schulter nehmen. Eine Lösung dieses Problems sahen viele TeilnehmerInnen in einer massiven Arbeitszeitverkürzung und einer Konversion der unproduktiven Wirtschaftsbereiche. Auch die Frage ob individuelle Bedürfnisse der Menschen allein sozial konstruiert seien und somit als falsches Bewusstsein abgetan werden dürfen, wurde in der Diskussion aufgegriffen und kontrovers diskutiert.

Den KollegInnen muss eine Lebensperspektive eröffnet werden

Uwe Fritsch, Betriebsratsvorsitzender von mehr als 8500 VW-KollegInnen in Braunschweig und Mitglied im Weltbetriebsrat des Automobilkonzerns, wies darauf hin, dass er sich als Betriebsrat oftmals im Widerspruch zwischen gesellschaftlichen und betrieblichen Interessen befinde. Als Interessensvertreter der Belegschaft habe auch er Interesse am Wachstum des Konzerns, um somit die Beschäftigung sichern zu können. Gleichzeitig sei er sich aber bewusst, dass ein erwarteter Absatz von weltweit mehr als 73 Millionen Autos in diesem Jahr, ein massives Hindernis bei der sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft sei. Dabei wies er auf die Gefahr der Oberflächlichkeit der bisherigen Transformationskonzepte hin. Eine Infragestellung der Automobilindustrie, müsse gleichzeitig Antworten auf die Ängste und Lebensperspektiven der KollegInnen geben. Ohne die aktive Beteiligung der Belegschaften und ihrer Gewerkschaften an einer sozial-ökologischen Wende, würde es zu keinerlei Wandel kommen, so Fritsch. Die Angst vor sozialem Abstieg, angesichts des Damoklesschwer ts Hartz IV, sei zu groß um momentan große Begeisterung für eine Konversion der Autoindustrie hervorzurufen.
Besondere Hervorhebung fand der mit der Unternehmensführung und Betriebsrat bei Tarifverhandlungen erkämpfte Innovationsfond II für Innovationen außerhalb der Auto-Wertschöpfungskette. Dieser beinhalte zwar nur ein geringes Volumen von 20 Millionen Euro (bei einem Jahresumsatz von 200 Milliarden Euro), eröffne aber die Möglichkeit die Belegschaften selbstbestimmt an der Entwicklung von Alternativen zu beteiligen und Erfahrungen zu sammeln, die die Arbeiterklasse auf Veränderungen vorbereitet und ein Produzentenbewusstsein entwickelt. Dies sei ein Schritt in die richtige Richtung und ein nachahmenswertes Beispiel für andere Konzerne.
Gleichzeitig betonte er die Wichtigkeit von gesetzlichen Vorgaben und Vorschriften, die maßgeblich für Wandelprozesse in der Autoindustrie seien. Die Unternehmen müssten zu umweltverträglichen Innovationen gezwungen und das Mitbestimmungsrecht der Beschäftigten massiv ausgebaut werden. Auch er forderte als wichtigen Schritt eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Dies sei nur durch breiteste gesellschaftliche Bündnisse, einer Mosaik-Linken und vor allem einer aktiveren Beteiligung der Belegschaften ohne Stellvertreterpolitik möglich. Für Fritsch stand die Verteilung und nicht die Zubereitung „des Kuchens“ im Mittelpunkt seiner Ausführungen.
Professor Ulrich Brand ergänzte in der anschließenden Diskussion, dass die Verfügung der Produktionsmittel und der Investitionsentscheidungen wieder verstärkt diskutiert werden müsse.

Kräfte bündeln

Sabine Leidig, Mitglied des Bundestags für Die Linke und bis 2009 Bundesgeschäftsführerin von attac Deutschland, gab in ihrem Referat einen Überblick über Akteure einer sozial-ökologischen Transformation. Diese sind sehr vielfältig. So plädierte der Deutsche Frauenrat für eine Bedeutungsverschiebung und -zuwachs der Care-Ökonomie, also einer Ökonomie, die nicht in die derzeitigen Prinzipien von Gewinnsteigerung, Effizienz, Nutzen und Produktivitätsmaximierung passt. Gemeint sind zum Beispiel soziale Berufe, Altenpflege, Behindertenbetreuung etc. Auch die Bewegung gegen Stuttgart 21 und die Anti-Fracking-Bewegung seien Akteure eines sozial-ökologischen Wandels, gerichtet gegen die rücksichtslose Wachstumsideologie. Für Leidig werden diese Thematiken auch in gewerkschaftlichen Kreisen immer mehr diskutiert und das Wachstum = Wohlstand – Paradigma immer häufiger hinterfragt. Für die Partei Die Linke hob sie den Anfang diesen Jahres veröffentlichten „Plan B – das rote Projekt für einen sozial-ökologischen Umbau“ hervor, der auch für Die Linke ein Fortschritt weg von der ausschließlichen Wachstumsorientierung, hin zu einer sozial- und ökologisch Nachhaltigen Gesellschaft sei. Sie betonte, dass es in der derzeitigen Lage unbedingt nötig sei, fortschrittliche und linke Kräfte zu bündeln und gesellschaftliche Auseinandersetzungen hin zu einer sozial-ökologischen Wende zu organisieren. Dabei sei auch die im September stattfindenden Degrowth-Konferenz ein wichtiger Schritt.

Für viele der TeilnehmerInnen des 22. isw-forums war dieser Samstag nicht einfach nur anstrengend gut – nein er war spannend um den eigenen Horizont zu erweitern und vielleicht auch die im eigenen Kopf existierende Wachstumsideologie zu hinterfragen, durch neue Überlegungen zu ersetzen und sich nun nicht mehr nur um die Verteilung, sondern auch die grundsätzliche Zusammensetzung des Kuchens Gedanken zu machen.

Der Beitrag ist zuerst bei der isw München erschienen: http://www.isw-muenchen.de/

Die Referate des 22. isw-forums werden in isw-report 98 (erscheint ca. Anfang September 2014) veröffentlicht.

 


Download als PDF