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Warum hohe Wachstumsraten dauerhaft nicht erzielbar sind.

Das ungebremstes Wachstum aufgrund endlicher Ressourcen dauerhaft nicht möglich sein wird und außerdem unsere Lebensgrundlagen endgültig zerstören würde, muss hier nicht weiter erörtert werden.

Aber nicht nur diese Grenzen des Wachstums machen die daran geknüpften Versprechen unglaubwürdig, auch in Zeiten durchschnittlicher Wachstumsraten, haben Hunger, Arbeitslosigkeit und prekäre Lebensbedingungen, weltweit stets zugenommen. Verbesserungen des Wohlstands waren die Ausnahme und blieben regional und zeitlich begrenzt. Selbst in der vergleichsweise privilegierten Bundesrepublik sind die Reallöhne in den letzten 20 Jahren, nach offiziellen Angaben, um ca. 2% gesunken.

Da dies so ist, wird ein möglichst hohes Wirtschaftswachstum weiterhin von fast allen Staaten, internationalen Organisationen, bis hin zu Gewerkschaften und linken Parteien angestrebt und gilt als notwendige Voraussetzung zur Lösung der wichtigsten gesellschaftlichen Probleme. Daran ist sicher richtig, dass in Phasen hoher Wachstumsraten auch bessere Bedingungen zur Durchsetzung höherer Einkommen und besserer Sozialleistungen bestehen. Dabei wird jedoch häufig übersehen, dass solche Phasen stets geschichtliche Ausnahmesituationen waren und nicht beliebig wiederholbar sind. Dies lässt sich beispielhaft anhand der wirtschaftlichen Entwicklung nach 1945 zeigen.

Die Wachstumsraten waren in den 50er und 60er Jahren in beinahe allen entwickelten kapitalistischen Ländern so hoch, wie in keinem ähnlich langen Zeitraum davor. Das durchschnittliche Wachstum lag in Deutschland von 1870 bis 1913 jährlich bei 1,8%, zwischen 1950 und 1968 aber bei 5,1%, die entsprechenden Zahlen für Japan waren 3,4% und 9,0%, in Italien 0,7 % und 5,1%. Ausdruck dieser als Wirtschaftswunder verklärten Entwicklung war der nach einiger Zeit einsetzende Massenkonsum langlebiger Konsumgüter und eine allgemeine Wohlstandssteigerung. Ab Ende der 70er Jahre verringerten sich die Wachstumsraten jedoch, in der Bundesrepublik beispielsweise von 2,8% 1970 auf 1,2% 2010, dieser Prozess verlief allerdings nicht linear, sondern in konjunkturellen Zyklen.
Begünstigt wurde das weltweit langanhaltende Wachstum nach 1945 u.a. durch die Möglichkeit, infolge der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre und dem Zweiten Weltkrieg versäumte Akkumulation aufzuholen. Dafür standen teilweise im Krieg entwickelte technologische Neuerungen zur Verfügung, deren Anwendung nach entsprechender Anpassung jetzt zunehmend in der Produktion möglich wurde. Dazu gehörten die Elektronik, die Kernkraft, die Modernisierung der Kommunikationsmethoden und des Transports und daraus resultierend, die größere Verfügbarkeit von Ressourcen und ein beschleunigter Warenumsatz. Zu einem bedeutenden Faktor wurde die Bereitstellung von billigem Öl als Voraussetzung für den massenhaften Absatz von Automobilen, aber auch als Energie für Produktionsprozesse, u.a. in der Chemieindustrie.
In der BRD bestand nach dem Krieg trotz Zerstörungen und Demontagen eine gute produktionstechnische Basis, sowie ein großes Angebot an qualifizierten Arbeitskräften. Die guten Produktionsbedingungen wurden ergänzt durch die Neuordnung des Geldwesens (Währungsreform) und Kredithilfen von außen (Marshall Plan) sowie guten Absatzbedingungen auf einem expandierenden Weltmarkt. Auch die sonstigen Bedingungen zur Erzielung außergewöhnlich hoher Profite waren verbessert. Die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse hatten sich durch Faschismus und Krieg zu Ungunsten der Arbeiterklasse entwickelt. Ihre Organisationen waren weitgehend zerschlagen (Verbot der Gewerkschaften, Liquidierung der Arbeiterkader) oder zumindest stark geschwächt und hatten dadurch zunächst wenig Möglichkeiten, die Interessen der Lohnabhängigen zu artikulieren und durchzusetzen. Die Folge waren niedrige Löhne, zunehmend hohe Arbeitsintensität und verlängerte Arbeitszeiten, was durch die stagnierende, teilweise sogar gesunkene organische Zusammensetzung des Kapitals, zu hohen Mehrwertraten führte.
Die Ausgangsbedingungen für das explosive Wachstum in der Nachkriegszeit waren in den Ländern Westeuropas im Vergleich zu den USA jedoch sehr unterschiedlich. 1955 war das Produktivitätsniveau (Bruttoinlandsprodukt je Arbeitsstunde) in den USA mehr als doppelt so hoch wie in der BRD. Trotz hoher Löhne konnten die USA also billiger produzieren als die europäische Konkurrenz, diesen Vorteil konnten sie aber nur dann in großem Maße ausnutzen, wenn die Nachfrage auf dem Weltmarkt entsprechend groß war. Also hatten sie Interesse an einem expandierenden Weltmarkt, dem sowohl die Schaffung des Weltwährungssystems von Bretton Woods als auch die Marshall-Plan-Hilfe dienten. Das europäische Kapital konnte diesen Produktivitätsvorsprung nur durch geringe Lohnkosten, lange Arbeitszeiten und hohe Arbeitsintensivität kompensieren, was insbesondere bei den Verlierern des Weltkriegs (BRD, Japan und Italien) durch die erwähnte Disziplinierung der Arbeiterbewegung durchsetzbar war.
Diesen Bedingungen veränderten sich jedoch mit der Zeit und verloren dadurch an Wirkung. Hohe Profitraten führten zu beschleunigten Investitionen und zunehmender Vollbeschäftigung. Dadurch verbesserten sich für die Gewerkschaften die Voraussetzungen im Kampf um höhere Löhne und zur Verringerung der Arbeitszeit und der Arbeitsintensität. Außerdem verbilligten sich die neuen Technologien zunehmend, was ihre Verbreitung beschleunigte, gleichzeitig aber ihr ökonomisches Potenzial einschränkte. Dazu kamen noch andere Einflüsse, wie die Überbewertung des Dollars gegenüber der DM (aber nicht nur), wodurch sich für westeuropäische Waren ein Preisvorteil gegenüber US-Waren ergab, etc.
Ohne auf die ökonomischen Zusammenhänge genauer einzugehen, lässt sich sagen, dass die Normalisierung der erwähnten Bedingungen zur Angleichung des Produktivitätsniveaus zwischen den USA, Japans und Westeuropas führte. Als Folge konnte das US-Kapital auf dem Weltmarkt keine Extraprofite mehr erzielen. Die Erhöhung der Kapitalintensität in Westeuropa und die gleichzeitig   steigenden Löhne, führten zu tendenziell fallenden Profitraten. Aufgrund dieser Ursachen, die zwar unterschiedlich waren, sich aber gegenseitig bedingten, verschlechterten sich die Verwertungsbedingungen sowohl in den USA als auch in Westeuropa. Daraus entstand die Wirtschaftskrise der 60er Jahre, die von der expansiven Nachkriegsphase in die stagnative Phase der 70er Jahre überleitete, mit dem bereits erwähnten Übergang zu deutlich geringeren Wachstumsraten.
Auch für außergewöhnlich hohe Wachstumsraten in anderen Ländern und in anderen Zeiträumen ließen sich die jeweils spezifischen Bedingungen für ihr Zustandekommen beschreiben. Oft handelte es sich dabei um Phasen ursprünglicher oder nachholender Akkumulation. Dabei spielte i.d.R. ein extrem niedriges Lohnniveau eine wichtige Rolle. Um dieses durchzusetzen bedurfte es einer großen Anzahl verfügbarer Arbeitskräfte, welche in bevölkerungsreichen Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit existierte oder mittels massiver Eingriffe in die Landwirtschaft erreicht wurde.

Dies gilt auch für die ursprüngliche Akkumulation in der Sowjetunion. Die dabei im Rahmen der gewaltsam durchgeführten Industrialisierung erzielten, zweistelligen Wachstumsraten in den 30er Jahren, wären ohne die massive Abschöpfung des in der Landwirtschaft erzielten Mehrprodukts nicht möglich gewesen, was jedoch zwangsläufig zu drastischen Verarmungsprozessen der Landbevölkerung führte. Ähnlich verlief die ursprüngliche sozialistische Akkumulation in der Volksrepublik China.

Weitere Beispiele dafür sind die sogenannten Tigerstaaten, in denen in den 70er Jahren der autoritäre Staat (vor allem Südkorea und Taiwan) einen Industrialisierungsprozess in Gang setzte, an dessen wirtschaftlichen Ergebnissen breite Teile der Bevölkerung, zwar bei weiten nicht angemessen, aber durchaus beteiligt wurden.

Dabei wurden Investitionen in Leichtindustrien angelockt, die vor allem durch geringe Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und fehlende Gewerkschaften hohe Profite versprachen, zusätzlich begünstigt durch eine unternehmerfreundliche Wirtschaftspolitik in Form von zoll- und steuerbefreiten Sonderwirtschaftszonen. In dieser Zeit fand ein Strukturwandel statt und diese Länder entwickelten sich von Agrar- zu Industriestaaten.

Mit der Entstehung von Gewerkschaften verbesserte sich jedoch das Lohnniveau und auch die sozialen Bedingungen, außerdem gingen die Standortvorteile durch internationale Konkurrenz verloren, sodass der Produktivitätsvorsprung eingebüßt wurde und es in den 1990er Jahren zu einer wirtschaftlichen Depression kam.

Interessant wäre in diesem Zusammenhang auch eine Betrachtung der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas, mit hohen Wachstumsraten in den letzten Dekaden, bei gleichzeitig zunehmender Reichtumskonzentration, aber auch eine Darstellung der Fallstricke, die eine auf Rohstoffausbeutung basierende Wirtschaftspolitik bereithält, wie dies in einigen Ländern Lateinamerikas zu beobachten ist. Dies ginge jedoch über den Anspruch dieses Textes hinaus, mit dem nur exemplarisch gezeigt werden soll, dass hohe Wachstumsraten regelmäßig in Stagnation münden, da sie lediglich Ausdruck besonders günstiger Akkumulationsbedingungen sind, die sich jedoch nicht dauerhaft aufrechterhalten lassen.

 


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