„Rente statt Rendite!“ – Eine solidarische und armutsfeste Alterssicherung ist möglich
Die Autor:innen des Basistextes Joachim Braun, Julia Elwing und Werner Rätz haben sich viel vorgenommen: Auf 92 Seiten soll unser Rentensystem, eines der komplexesten Themen der Sozialpolitik, verständlich erklärt und einer kritischen Bewertung unterzogen werden, und zusätzlich sollen auf Grundlage dieser Analyse eigene Vorschläge zum Erhalt unseres Rentensystems abgeleitet werden. Um es vorweg zu nehmen: das ist ihnen gelungen.
Schon der historische Überblick über die Entstehungsgeschichte des gesetzlichen Rentensystems bringt eine Erkenntnis zutage, die in unserer aktuellen durch neoliberale Gedanken geprägten Reformdebatte mehr zur Kenntnis genommen werden sollte: Die Einführung von Kapitaldeckungselementen in das Rentensystem sind schon vor 100 Jahren versucht worden und gescheitert und wurden daher durch ein Umlageverfahren ersetzt. Warum sollten wir denselben Fehler daher noch einmal machen?
Die Stärke des Textes liegt neben der faktenbasierten Argumentation in der Analyse der Interessen der politischen Akteur:innen. So werden die Beweggründe hinter den politischen Forderungen der Parteien deutlich, die letztlich der mächtigen Lobby der Versicherungs- und Finanzbranche zu Diensten sind und das Rentensystem als neues Geschäftsfeld für Investoren öffnen wollen.
Zu Recht wird daher dem Konzept der Aktienrente ein eigenes Kapitel gewidmet, denn im vorherrschenden neoliberalen politischen Diskurs wird diese immer wieder als rettende Idee beworben. Dass dabei die Rentner:innen am Ende ein hohes Risiko eingehen, liegt erwartbar in dem zugrundeliegenden kapitalistischen Geschäftsmodell. Dass aber RentnerInnen, deren Aktienrenten nur steigen, wenn durch niedrige Tarifabschlüsse und Personalabbau sich die Dividenden und Aktienkurse erhöhen, auf einmal ganz andere wirtschaftspolitischen Interessen entwickeln als ihre arbeitenden KollegInnen und diesen damit ihre Solidarität entziehen, ist eine brisante politische Folge der Aktienrente, die nur in einer kapitalismuskritischen Analyse wie diesem Attac-Basistext zu lesen ist.
In unseren Medien und in der politischen Debatte betreiben wir die Diskussion um die Zukunftsperspektive unseres Rentensystems leider all zu sehr als Nabelschau. Dabei ist der Blick zu anderen europäischen Ländern, dem die Autor:innen im 7. Kapitel Raum geben, in mehrfacher Hinsicht lehrreich. Wir erfahren so, dass in diesen Ländern die Renten teils deutlich höher sind, dadurch weniger Armut im Alter verursachen und dass höhere Rentenbeiträge für die arbeitende Bevölkerung kein gesellschaftliches Tabu darstellen und auch die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft nicht beeinträchtigen. Dass sogar Beitragszahlungen ohne Beitragsbemessungrenze bei gleichzeitiger Deckelung der Rentenauszahlungsbeträge in der Schweiz offenbar von allen klaglos akzeptiert werden, relativiert auf eindrückliche Weise politischen Denkverbote, die den Rentendiskurs in Deutschland prägen.
Die Vorschläge im Schlusskapitel, wie wir unser Rentensystem solidarisch und armutsfest gestalten könnten, profitieren von diesem erweiterten Blick in unsere europäischen Nachbarländer. So entsteht ein Reformmodell, das nicht ideologisch fixiert ist, sondern sehr realitätsnah und damit umsetzbar, wenn es uns nur gelingen würde, die neoliberalen Scheuklappen abzulegen und uns dadurch der eigentlichen Zielsetzung eines sozial ausgewogenen Rentensystems zu verpflichten: dass jede(r) im Alter ein Anrecht auf ein auskömmliches und würdevolles Leben haben sollte. Zu dieser Debatte leisten die Autor:innen in dem Attac-Basistext einen wesentlichen Beitrag.
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