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Nachhaltig wirtschaften – aber wie? Teil 2: Weniger Globalisierung und Wachstum durch Corona – eine Chance zum Umsteuern?

Der erste Teil dieses Beitrags endete mit dem Vorschlag, das Ziel der Ökonomie im Nachhaltigkeitsdreieck durch „Demokratie“ zu ersetzen. Nun ist Demokratie ein großes Wort, vielleicht einer der am meisten missbrauchten Begriffe unserer Zeit. Aber was bedeutet das in Zeiten von Corona, wo schnelles Entscheiden und Handeln gefragt ist? Aus aktuellem Anlass hat dieser Beitrag einen anderen Schwerpunkt als ursprünglich geplant.

Sachzwang und Zeitdruck können – im Großen wie im Kleinen – entdemokratisierend wirken. In der Krise sind Politikerinnen und Politiker gefragt, das „Richtige“ zu entscheiden. Immerhin sind sie durch Wahlen legitimiert, trotz aller Unzulänglichkeiten der parlamentarischen Demokratie. Auf Corona war niemand vorbereitet. Und nun geschieht im Weltmaßstab etwas, das so schnell trotz Klimakatastrophe und Fridays for Future undenkbar war: Die Lufthansa halbiert ihr Flugangebot, Ryanair will um 30 Prozent reduzieren, der weltweite Flugverkehr wird drastisch eingeschränkt und die Börsenkurse der Airlines fallen.

Plötzlich sind schnelle Änderungen möglich – angesichts von Corona viel wirksamer als Verhaltensänderungen durch „Flugscham“. Auch der Klimaschutz erfordert schnelles Handeln und es wäre problematisch darauf zu warten, dass sich kulturell verankerte Gewohnheiten und Verhaltensmuster langsam verändern. Es reicht nicht aus, von Einzelnen zu verlangen, zu verzichten und ihr privates Flugverhalten zu ändern. Wenn Gutwillige sich gegenseitig darin bestätigen, auf der richtigen Seite zu stehen, und dies stolz auf „Social“-Media-Kanälen vermarkten, kann zudem der Eindruck entstehen, es ginge mehr um konkurrente Selbstdarstellung als um Klimaschutz.

Mit sinkenden Preisen wurde das Fliegen für viele zugänglich, wurde praktisch demokratisiert und hat drastisch zugenommen, zumal Bahnfahren sehr teurer ist. Dass Kerosin nicht besteuert wird, ist eine fragwürdige indirekte Subventionierung. Aber muss Fliegen deswegen teurer werden zum Schutz des Klimas? Rein marktwirtschaftliche Regulierungen haben immer eine unsoziale Komponente. Hinzu kommt, dass nicht einzusehen ist, warum das Recht auf Schädigung der Umwelt käuflich sein sollte. Statt Ärmere vom Fliegen auszuschließen, gehören Flüge drastisch reduziert – so wie es nun aufgrund von Corona geschieht. Das gilt auch für Kreuzfahrten und den Tourismus insgesamt.

Zum Schutz des Klimas wurde über Schäden durch Fliegen und Tourismus bisher nur diskutiert und ein wenig Greenwashing betrieben. Wegen Corona geschieht nun wirklich etwas, auch in vielen anderen Bereichen – mit teils problematischen Folgen, etwa für die Demokratie. Nicht nur Fußballspiele, Messen und Großveranstaltungen werden abgesagt, sondern Zusammenkünfte jeder Art, auch Kundgebungen und politische Demonstrationen. Gastronomische und kulturelle Betriebe müssen schließen, das soziale Leben wird heruntergefahren.

Das heilige Wirtschaftswachstum schrumpft

Corona führt zu einem Sinken des Wirtschaftswachstums. War zunächst noch von einem geringeren Anstieg des Bruttosozialprodukts als erwartet die Rede, ist nun immer häufiger der Begriff Rezession zu hören. Die Weltwirtschaft könnte schrumpfen, so wie zuletzt in der Finanzmarktkrise 2008. Bei diesen Aussichten fallen die Börsenkurse. Dabei verlieren die einen innerhalb kürzester Zeit ihr Vermögen, während andere mit der Spekulation auf den Kursverfall gewinnen, zum Beispiel mit sogenannten Leerverkäufen. Sie leihen sich Aktien mit fallendem Kurs gegen eine Gebühr und verkaufen sie zu einem noch akzeptablen Preis. Wenn der Kurs dann im Keller ist – was durch einen Verkauf im großen Stil beschleunigt werden kann – kaufen sie die Aktien billiger wieder ein und geben sie zurück. Solche Transaktionen finden automatisiert statt und können mit geringem finanziellem Einsatz hohe Gewinne bringen.

Dass eine Rücknahme des Wirtschaftswachstums (englisch „degrowth“) notwendig ist, vertreten Aktive der Klimagerechtigkeitsbewegung schon lange. Es sei allerdings die Frage, ob dieses Degrowth „by design or by disaster“ stattfinde, ob es also sozial verträglich gestaltet werde oder mit desaströsen Zuständen einhergehe. Die Krise in Griechenland ab 2014 gilt als Beispiel für „degrowth by disaster“. Damals hatte die Europäische Union unter Federführung der deutschen Regierung dem Land ein zerstörerisches Sparprogramm auferlegt. Die Folgen spüren die Menschen bis heute.

Die Folgen von Corona zeigen sich hierzulande erst langsam, aber schon jetzt ist deutlich, dass vor allem diejenigen, die ohnehin schon am wenigsten haben, von den materiellen Auswirkungen am härtesten getroffen werden. Nicht nur Großbetriebe, sondern viele Klein- und Kleinstunternehmen im Hotel- und Gaststättengewerbe oder im Veranstaltungs- und Messebau verlieren Kundschaft und Aufträge, Soloselbstständige und Freiberufler*innen werden arbeitslos. Arbeitsplätze werden abgebaut werden, auch wenn großzügiges Kurzarbeitsgeld angeboten wird. Die Berliner Tafel zur Lebensmittelversorgung für Bedürftige hat ihre Ausgabestellen teilweise geschlossen. Menschen in Sammelunterkünften für Geflüchtete werden von den Behörden nicht ausreichend informiert. Spätestens wenn das Gesundheitssystem an seine Grenzen kommt und die Krankenhausbetten nicht mehr ausreichen, dann ist das Desaster da.

Angesichts des zu erwartenden sozialen Elends wäre es zynisch, darauf zu hoffen, dass Corona wenigstens der Umwelt nützt. In China ist die Luft wohl deutlich sauberer geworden, nachdem die Millionenstadt Wuhan, wo der Virus zuerst ausgebrochen war, unter Quarantäne gestellt, der Verkehr eingestellt und viele Produktionsstätten geschlossen wurden. Aber das ist ja kein Dauerzustand. Sobald die Corona-Krise überstanden ist, wird die Wirtschaft wieder angekurbelt. Das ist in China teilweise schon der Fall, und im Moment rechnen Wirtschaftsinstitute auch für Deutschland ab dem Herbst wieder mit wirtschaftlichem Aufschwung. Besonders betroffene kleine Unternehmen und Selbstständige werden so lange kaum durchhalten und vom Markt verschwinden.

In Krisenzeiten mag es angeraten scheinen, möglichst schnell wieder in gewohnte Bahnen zurückzufinden. Aber es war ja auch vor Corona nicht alles gut, im Gegenteil. Nicht zuletzt dank Fridays for Future schien die Welt langsam zu begreifen, dass ein Weiter-so einem kollektiven Selbstmord gleichkäme. Diese ausbeuterische, auf Wachstum angelegte Wirtschaft hat keine Zukunft. Darum sollte jede Gelegenheit genutzt werden, deutlich umzusteuern.

Zeit zum Innehalten: Was tun?

Wirtschaft und Gesellschaft sind durch Corona erschüttert. Ist das soziale Leben weitgehend eingefroren, bleibt Zeit zum Innehalten, Nachdenken und Nachspüren. Könnte nicht diese zunächst erzwungene Ruhe genutzt werden, um anschließend anders weiterzumachen? Was ist wirklich wichtig im Leben, worauf kommt es an? Welche Produkte und Leistungen sind notwendig – für die Bedürfnisse, nicht für Profite – und legitim im Sinne globaler Gerechtigkeit? Welche Schritte wären erforderlich, um nicht länger auf Kosten anderer zu leben? Wie könnte – statt wieder die gleichen Wachstumsautomatismen und klimaschädigenden Pfadabhängigkeiten aufzubauen – die notwendige Re-Strukturierung unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation erfolgen? Wie ließe sich ein „degrowth by design“ einleiten als Prozess einer schrittweisen Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft mit sozial-ökologischen Zielsetzungen?

 

 

Die Grundlagen dafür müssten heute geschaffen werden. Beispielsweise indem die Politik nicht wieder den Fehler der Bankenkrise macht und große private Unternehmen bedingungslos unterstützt. Stattdessen dürfte öffentliches Geld zur Rettung von Unternehmen nur eingesetzt werden, wenn sichergestellt ist, dass damit auch öffentliche Miteigentums- oder zumindest Mitentscheidungsrechte gesichert werden. Denn es ist nicht einzusehen, warum die Privaten in wirtschaftlich guten Zeiten die Gewinne als private Profite einstreichen, aber in schlechten Zeiten die Verluste von der öffentlichen Hand ersetzt bekommen. Bedingungslos und vor allem schnell sollten prekär Beschäftigte und kleine Selbstständige und Betriebe unterstützt werden, damit sie nach der Wirtschaftskrise wieder auf die Beine kommen.

Statt besonders klimaschädigende Unternehmen wie Flug- und Kreuzfahrtgesellschaften oder Tourismuskonzerne mit öffentlicher Beteiligung zu demokratisieren, um vielleicht auf lange Sicht eine Konversion in andere, sozial-ökologischere Geschäftsfelder zu vollziehen, könnte stattdessen in manchen Branchen schon jetzt eine unternehmensübergreifende Konversion eingeleitet werden. Warum nicht, statt Arbeitsplätze bei der Lufthansa zu retten, das Unternehmen schrumpfen lassen und einen Großteil der Beschäftigten in Betriebe des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs übernehmen, mit begleitenden Qualifizierungen?

Lebensnotwendige Produktions- und Dienstleistungsbereiche könnten in öffentliche Hand und in öffentliche, demokratische Kontrolle überführt werden. Nicht als patriarchal-autoritär geführte Staatsbetriebe, die bei jedem politischen Richtungswechsel wieder von Privatisierung bedroht sind, sondern als weitgehend lokal wirtschaftende Betriebe „für alle“. Wenn solche neuen öffentlichen Unternehmen sowohl nach innen als auch nach außen demokratisiert sind, wenn also sowohl die Beschäftigten als auch diejenigen, die ihre Leistungen nutzen, belastbare Mitentscheidungsrechte haben, dann sollten sie schon dadurch vor zukünftig drohenden Privatisierungen geschützt sein.

Corona hat unverhoffte Einschränkungen der Globalisierung und ein Bewusstsein für deren Risiken mit sich gebracht. Auch große Unternehmen denken nun über eine stärkere Regionalisierung der Wirtschaft nach. Das könnte ein guter Moment sein für den Aufbau weitgehend lokaler Wirtschaftskreisläufe, wodurch auch die sozialen Ungleichheiten zwischen den Lebensbedingungen in der Stadt und auf dem Land schrittweise behoben werden könnten. Dem Verkehr kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Ein Verbot von Inlandsflügen und die deutliche Einschränkung von Langstreckenflügen müssten verbunden werden mit einem weitgehenden Umstieg bei Personen- und Gütertransporten auf Schienen. Dafür wäre ein deutlicher Ausbau des Streckennetzes unter dem Gesichtspunkt der Versorgung, nicht der Profitabilität, notwendig.

All diese Maßnahmen kostet sehr viel Geld. Umso wichtiger ist es, dieses Geld gezielt und entsprechend den Interessen breiter Schichten der Bevölkerung einzusetzen, statt ohnehin Privilegierte und Mächtige zu fördern. Geld ist genug vorhanden, nur leider oft in falschen Händen. Corona könnte auch ein Anlass sein, gerechtere Besteuerungsregeln einzuführen und beispielsweise auf Profite aus Kursabstürzen an den Börsen empfindliche Steuern zu erheben.

Die Schere zwischen Arm und Reich wird sich durch Corona weiter öffnen. Die Politik diskutiert Hilfestellungen wie eine vorübergehende Absenkung der Mehrwertsteuer oder ein sogenanntes Helikoptergeld als einmalige finanzielle Unterstützung. Es ist bezeichnend, dass diese Instrumente nicht etwa mit sozialem Ausgleich, sondern mit der Verbesserung der Kaufkraft im Sinne einer Stützung von Unternehmen begründet werden. Wäre es nicht Zeit, nun endlich das entwürdigende Hartz-IV-System mit seinen Sanktionen abzuschaffen und durch eine gerechte Grundsicherung oder gar ein bedingungsloses Grundeinkommen zu ersetzen?

Ein gutes Leben für alle, wirklich für alle!

All dies könnten Schritte in die Richtung sein, die beispielsweise das globale Netzwerk „Stay Grounded“ („Am Boden bleiben“) anstrebt. Es setzt im Kampf gegen den zerstörerischen Flugverkehr nicht auf moralische Appelle, sondern auf strukturelle Veränderungen. Die vermeintliche Lösung, sich für jede Flugreise mit Kompensationszahlungen freizukaufen, lehnt das Netzwerk als Greenwashing ab: „Die Kompensation ist ein moderner Ablasshandel: Sie ist wirkungslos, führt zu Landnahme im globalen Süden und löst das Problem nicht.“ In einem Positionspapier fordert Stay Grounded eine „Wirtschaft der kurzen Wege“ und einen „gerechten Übergang“ („Just Transition“) zu einem „Ende der Abhängigkeit von den umwelt- und klimaschädlichsten Transportarten“. Unterzeichnet haben aus Deutschland unter anderem die Umweltverbände BUND und der Dachverband DNR sowie Attac.

Netzwerke und Bündnisse wie „Stay Grounded“ oder „Ende Gelände“ und Bewegungen wie „Fridays for Future“ legitimieren sich durch ihr fachlich kompetentes und sozial verantwortliches Handeln selbst und treten für die Interessen der Vielen ein. Vielleicht vergleichbar mit den Forderungen nach Demokratie seit 2011 bei den Platzbesetzungen in den arabischen Ländern, in Spanien, Griechenland usw., sowie in der weltweiten Occupy-Bewegung. Lautstarke Proteste sind wegen Corona zurzeit auf den Straßen weniger deutlich wahrnehmbar. Ob verstärkte digitale Aufrufe und Petitionen wirklich etwas bewirken können, sei dahingestellt. Was jedoch in Zeiten von Corona dringend nottut, sind wirtschaftliche Alternativen, die im Sinne einer echten Nachhaltigkeit sozial-ökologisch wirksam sind und demokratisch gestaltet werden. Dafür gibt es in den sozialen Bewegungen seit Jahrzehnten Ideen und Konzepte sowie eine Reihe praktischer Ansätze.

Es geht nicht darum, die Wirtschaft zu retten, sondern es geht um Menschen. Um ein gutes Leben für alle, um würdige Arbeit ohne Ausbeutung, um das Recht auf Wohnen und – ganz aktuell – um eine Gesundheitsversorgung für alle. Die nächste Krise kommt bestimmt, umso wichtiger sind tragfähige Strukturen, die verhindern, dass sich doch wieder die Interessen der Stärkeren und wirtschaftlich Mächtigen durchsetzen.

Es wäre jedoch fatal, wenn dabei diejenigen in Vergessenheit gerieten, für die es zunächst schlicht ums Überleben geht. Von Corona in besonderem Maße bedroht sind die Schutzsuchenden an den europäischen Außengrenzen. Auf Lesbos und anderen griechischen Inseln müssen 42.000 Gestrandete unter unmenschlichen Bedingungen ausharren. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen fordert „angesichts der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus Covid-19 die umgehende Evakuierung der EU-Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln“. Prominente aus aller Welt rufen – unabhängig von Corona – dazu auf, „dass allen Personen, die sich an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei, also an unserer gemeinsamen Außengrenze als EU, in Not befinden, ein vorläufiger Schutz-Status eingeräumt wird. Das gilt ebenso für die Menschen, welche unter ganz unbeschreiblichen Bedingungen in Lagern auf den Ägäis-Inseln festgehalten werden.“

Menschenrechte sind unteilbar, doch sie werden durch eine wachstumsgetriebene, profitorientierte Wirtschaft permanent gebrochen. Überlegungen zu einer nachhaltigen Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft folgen im nächsten Raben Ralf.

Dieser Beitrag erscheint im April 2020 in der Berliner Umweltzeitung Rabe Ralf


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