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Linkspopulismus

Der Beitrag beschäftigt sich mit dem Artikel von Dieter Boris zum Begriff des Linkspopulismus.

Vor ca. 40 Jahren wurde der Begriff “Populismus” noch für historisch weit zurückliegende Ereignisse oder politische Vorgänge in der Dritten Welt verwendet. Die Konnotation des Begriffes hat sich stark gewandelt, unter “Populismus” wird heutzutage eine polemisierende und vereinfachende Darstellung des politischen Geschehens mit dem Ziel der Werbung für die eigene Position verstanden und in den meisten Fällen stillschweigend mit Rechtspopulismus gleichgesetzt. Der Populismusbegriff ist Gegenstand des Artikels “Aspekte von Linkspopulismus” [1] von Dieter Boris, indem erst auf den Populismus im Allgemeinen eingegangen wird, um anschließend die Begriffsbildung des Linkspopulismus, deren Existenzberechtigung und deren Abgrenzung zum Rechtspopulismus genauer unter die Lupe zu nehmen. Sein Artikel soll hier zusammengefasst werden und anschließend mit einigen Kommentaren angereichert werden.

Verschiedene Positionen zum Linkspopulismus

Eine Position, die gerade in linken Bewegungen eine gewisse Popularität genießt, liegt in der Leugnung von Linkspopulismus und der Ablehnung des Begriffes als Widerspruch in sich, da Populismus rechts sein müsse, wie dies etwa von Georg Fülberth ausgeführt wird: „Linkspopulismus gibt es nicht. Mit diesem Begriff werden von der Rechten und der Mitte linke Massenbewegungen diffamiert.“ [2]

Eine weitere Strömung setzt Linkspopulismus mit Rechtspopulismus gleich, beide seien, schreibt K. Priester , trotz "genetischer und funktionaler Unterschiede" [3] wesensgleich. Dies bezieht sich auf Wirkweisen vom Populismus, ohne die politische Stoßrichtung mit einzubeziehen.

Dieter Boris selbst kommt zu einer differenzierten Betrachtungsweise von Linkspopulismus, er lehnt die Gleichsetzung von Links- und Rechtspopulismus ab und arbeitet vielmehr eine strikte Trennung zwischen Links- und Rechtspopulismus heraus.

Weiterhin gibt es die These von u.a. Jan-Werner Müller, der Linkspopulismus sei von Anfang an zum Scheitern verurteilt, da die zugrundeliegende Gesellschaftsanalyse undifferenziert oder falsch sei und damit entweder scheitern oder ins Autoritäre abgleiten müsse [4]. Boris hält dem entgegen, dass von einem linkspopulistischen Diskurs nicht auf die Qualität der zugrundeliegenden Analyse geschlossen werden könne, eine richtige Analyse könne also auch in einen linkspopulistischen Diskurs gegossen werden

Wesen des Populismusses

Merkmale und Charakteristika:

Populismus ist ein Modus der Politik mit einem spezifischen Diskurs bzw. Politikstil, der dem Machterwerb und Machterhalt dient. Er zeichnet sich durch Betonung von Symbolik, Inszenierungen und Mythenbildungen, durch starke Vereinfachungen und durch einfache Feindbilder aus, welcher emotional aufgeladen geführt wird und mit programmatischen Forderungen durchzogen ist.

Gemein ist jedweder Form des Populismus die starke Vereinfachung der politischen Gemengelage, die Herstellung eines starken Gegensatzes zwischen dem Volk als dem “Guten” und der Elite als dem “Bösen”, der Heraufbeschwörung von Krisen und Niedergang sowie in aller Regel der Benennung von Sündenböcken.

Nährboden:

Priester [3] beschreibt den Populismus als eine Politisierung von Unbehagen und Empörung, welcher ideologischen Kompoenenten aus dem unpolitischen moralischen Empörung erst eine politische Ausrichtung verleihe.

Als Nährboden braucht der Populismus also eine einschneidende Veränderung des gesellschaftlichen Rhythmusses, etwa durch Transformationsprozesse oder tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen, die mit gesellschaftlichen Krisen einhergehen und breite Gesellschaftsschichten betreffen, z.B. die Globalisierung ("Einbindung in den Weltmarkt"), Zentralisations- und Konzentrationsprozesse des Kapitals, eine radikale Veränderung des Arbeitsmarktes und der Arbeitsverhältnisse (Industrie 4.0, Digitalisierung).

Dabei spielen besonders existenzielle Sorgen, Jobunsicherheit, Arbeitslosigkeit und darüber hinaus Migration als Nährboden für Rechtspopulismus eine entscheidende Rolle.

Umrisse Rechtspopulismus

Der Rechtspopulismus hält im Wesentlichen an der neoliberalen Wirtschaftspolitik fest, er ist neo-konservativ, hegt autoritäre Bestrebungen und schürt rassistische und nationalistische Ressentiments.

Dabei fischt er breite Bevölkerungsschichten von Gutbürgerlichen bis hin zu prekär Beschäftigen ab. Dies gelingt durch starke Vereinfachungen und Schuldzuweisungen sowie durch Kritik an Teilen des neoliberalen Systems. “Das Volk” ist im Kontext des Rechtspopulismus ethnisch definiert und schließt dabei ganz klar viele ethnische Gruppen aus.

Umrisse Linkspopulismus

Der Linkspopulismus richtet sich gegen Oligrachisierungstendenzen und übt Kapitalismuskritik, wobei die politisch-ökonomischen Führungsgruppen (die "Elite") angegriffen werden mit dem Ziel, sozial gerechtere, demokratisch selbstbestimmte Politiken in Angriff zu nehmen. Der Hauptgegner ist das kapitalistische System an sich.

Der Diskurs benutzt scharfe Polarisierungen und ist emotional aufgeladen, er politisiert u.a. Empörung um somit möglichst breite Bevölkerungsschichten (“das Volk”) für ihre Sache zu gewinnen.

Das Volk wird als “handlungs- und lernfähige Multitude” verstanden, das alle Ethnien und alle Schichten gleichermaßen beinhaltet und auf größtmögliche egalitäre gesellschaftliche Verhältnisse abzielt, wobei im besonderen Maße auf die Inklusion marginalisierter Bevölkerungsteil abgezielt werde. “Das Volk” wird hier eben nicht als ethnisch homogene oder irrtumsfreie Entität gedacht, sondern als “Ort gemeinsamer Interessen, die Berufungsinstanz politischer Handlungen.“

In linkspopulistischen Diskursen vor allem in den Ländern der Peripherie wird auf nationale Souveränität als Gegenpol zu den Zentren und Metropolen der Wirtschaft beharrt. Darüber hinaus gibt es Misstrauen und Kritik gegenüber den "repräsentativen Organen" – ein emanzipatorisches Element, das dem Rechtspopulismus gänzlich fehlt.

Ernesto Laclau u.a. betonen, die Bildung eines politischen "Wir" komme maßgeblich über die Bildung eines politischen Gegners, den Kapitalismus, also die "politischen und ökonomischen Kräfte des Neoliberalismus", zustande, welcher dabei in Abhängigkeit der jeweiligen Bewegung und ihrer nationalen Rahmenbedingungen verschieden beim Namen genannt wird. Boris führt genauer aus, der Diskurs und die sie begleitenden Gesellschaftsanalysen müssten “feld- und situationsabhängig” abgestimmt sein, um Erfolg haben zu können. Er sieht darüber hinaus eine Einbeziehung der emotionalen Ebene als legitim an, um etwa mit moralischer Empörung extreme Missstände anzuprangern und die “Bewegungsphase” zu bewältigen. Er legt weiter dar, dass der linkspopulistische Diskurs nicht zwangsläufig auf die Qualität der zugrundeliegenden Gesellschaftsanalyse schließen lasse.

Medial wird Linkspopulismus auffällig oft der Lächerlichkeit preisgegeben durch Begriffe wie "Wutbürger", "europafeindlich" etc.

Abgrenzung Linkspopulismus und Rechtspopulismus

 Boris betont, dass diese Punkte, also "Inklusion, weitestgehende Egalität, Herrschafts- und Hierarchieabbau sowie demokratische Selbstbestimmung auf möglichst vielen Ebenen” keineswegs Elemente rechtspopulistischer Diskurse oder Programmatik sind. Damit bestärkt er, Links- und Rechtspopulismus seien ihrem Wesen nach grundverschieden, obwohl es diskursive Gemeinsamkeiten gibt, wie bereits 1935 von Ernst Bloch bemerkt wurde: "Thematische und diskursive Gleichklänge zwischen 'rechten' und 'linken' Positionen kann es geben und hat es immer gegeben." [7] Es wird also nicht überraschen, wenn man Gemeinsamkeiten zwischen Links- und Rechtspopulismus ausmachen kann. Etwa gibt es gleiche Angriffsflächen und opponieren sie gegen ein und dasselbe System. 

Zunächst ist die Gesamtausrichtung der Kritik nach Boris das wesentliche Faktum des Unterschieds zwischen Links- und Rechtspopulismus. Im Linkspopulismus gibt es keine Ausgrenzung innerhalb des Volkes, wohingegen im Rechtspopulismus Teile des Volkes gegen andere verteidigt bzw. Teile ausgegrenzt werden. Zudem spielt die Volksverherrlichung im Rechtspopulismus eine große Rolle, wohingegen sie im Linkspopulismus wiederum nicht auftritt.

Im Linkspopulismus gibt es keinen "Führerkult" oder Wunsch nach autonomen Herrschaftsformen, sondern es steht die Entwicklung autonomer Institutionen und strukturierter Parteien im Fokus.

Der Linkspopulismus zieht in den Kampf gegen die kapitalistische Gesamtordnung, wohingegen im Rechtspopulismus nur gegen einzelne Aspekte vorgegangen wird und die kapitalistische Ordnung dem Wesen nach aufrecht erhalten bleiben soll.

Probleme des Linkspopulismus

Wir erleben einen deutlichen politischen Rechtsruck. So sieht ein großer Teil der Bevölkerung die Opposition zum neoliberalen Wirtschaftssy stem am besten durch “rechts außen” repräsentiert, was durch negative Begriffsbildungen zu linken Strömungen in der Medienlandschaft noch verstärkt wird (Wutbürger etc.).

Weiterhin wird eine tendenzielle Entleerung der Politik zugunsten ihrer Kommunizierbarkeit" kritisiert, was Laclau in [5] als "leeren Signifikanten" benennt. Dazu führt Boris beispielhaft die spanischen 'Podemos' an, wo der Linkspopulismus Gefahr läuft, einen sinnentleerten Diskurs zu bilden.

Außerdem weise der Linkspopulismus zumeist nur “graduelle Unterschiede zur herrschenden Praxis” auf.

Weitere Schwierigkeiten bestehen in der Bündnisbildung mit der Mittelklasse und prekären Schichten, etwa Arbeitslosen und prekär Beschäftigten. Besonders für regierende linke Gruppierungen erweist es sich als schwierig, dass die Staatsapparate selbst "materiell" bzw. kapitalistisch sind. In diesem Zuge betont Boris, dass dies auch Kernprobleme der Transformation des Kapitalismus seien und auf diese teilweise zurückgeführt werden können.

Zusammenfassung

Boris spricht sich für den Linkspopulismus aus, er sieht ihn als grundverschieden zum Rechtspopulismus an und ist gegen eine grundsätzliche Diskreditierung des Begriffes, da dies jegliche Politikarbeit verleugne. Er bezieht sich dabei auf Zelik : "Begriffe zu suchen, die unterschiedliche Positionen und Anliegen zusammenführen können, ist tatsächlich Grundlage jedes erfolgreichen Organisationsprozesses und jeder Politik. Ohne gemeinsame Interpretationen der Wirklichkeit kann es kein gemeinsames Handeln geben, und ohne gemeinsames Handeln ist die richtige Beschreibung der Realität irrelevant." [6]

In dem Sinne ist Linkspopuplismus für Boris als Kampfbegriff fehl am Platze, denn der Linkspopulismus  ist eine bzw. mehrere Formen der Massenmobilisierung für bestimmte politische Strategien.

Linkspopulismus bietet also Ausgangspunkte und Chancen einer progressiven Politik und ist somit auch als Element einer progressiven Politik anzusehen.

Rechtspopulismus diene lediglich der Machtsteigerung einzelner Personen und Gruppierungen, deren Politik einen regressiven Charakter hat.

Linkspopulismus sei ein Lernprozess, bei dem es gelte, den Maßstab in der Ausarbeitung, Verfeinerung und Mobilisierung der Handlungsfähigkeit der Massen zu finden. Man müsse diesen Lernprozess beobachten, sehen, wo dieser Erfolg bringt oder scheitert und daraus Rückschlüsse zu ziehen.

Persönliche weiterführende Anmerkungen

Die Argumentation von Fülberth, Linkspopulismus gäbe es nicht, da dieser diffamierend gebraucht würde, ist abzulehnen. Es muss gerade deshalb möglich sein, linken Populismus zu analysieren und ihn vom Rechtspopulismus scharf abzugrenzen, wie Boris dies tut.
Ebenso ist eine Gleichsetzung von Links- mit Rechtspopulismus als eine Verblendung abzulehnen, da sie die innewohnende politische Ausrichtung dieser Begriffe vollkommen außer Acht lässt. Stattdessen sollte dann der Begriff Populismus verwendet werden.
Der im Artikel genannte Begriff “populistische Bewegung” ist etwas fragwürdig. Im Sprachgebrauch ist dieser Begriff abwertend und dahingehend sollte der Autor diesen Begriff genauer abgrenzen, was also darunter zu verstanden werden soll und was gerade nicht.
Spannend wie auffällig ist die genannte Feststellung, Sanders laufe Clinton den Rang überraschend von "links" und Trump von rechts ab, führe zu der Einschätzung, es gäbe einen links- sowie einen rechtspopulistischen Angriff und darüber hinaus ein “populistisches Moment”. Es erweckt den Anschein, als ob 'die Regierung' gar nicht populistisch sein könnte. Es wäre fatal, nur oppositionellen Kräften das Attribut “populistisch” überhaupt zuzuschreiben! Man vergleiche dazu zum einen die Bertelsmann-Stiftung, in der nach “etablierten” und “populistischen” Parteien getrennt wird, oder die Reaktion der thüringischen CDU 2013, nachdem bei der Landtagswahl die AfD erstarkte, die CDU brauche nun “mehr Wahlwerbung” - ein rein populistisches Mittel, ohne eine zwingend notwendige Korrektur des politischen Kurses vorzunehmen.
Ebenso wie der Regierung muss man zwingend den Medien auch kritisch hinsichtlich Populismusses auf den Zahn fühlen, etwa ist die BILD-Zeitung einschlägig von Populismus durchzogen.
Auf einige Mechanismen der medialen Sicht- und Wirkungsweise möchte ich noch hinweisen: Der Linkspopulismus wird diffamiert und in weiten Teilen als lächerlich hingestellt, wie oben beispielhaft benannt, während der Rechtspopulismus als direkte Gefahr betrachtet wird. Diese Darstellungsweise macht die “Gefahr” als Opposition deutlich attraktiver, wenn man mit der Realpolitik nicht einverstanden ist, und dies führt u.a. zu einer Stärkung rechter Opposition gegenüber linken oppositionellen Kräften.
Es besteht dadurch im speziellen die große Gefahr, dass der Rechtspopulismus linken Bewegungen als “Globalisierungskritiker” und “Kapitalismuskritiker” den Rang abläuft, ohne irgend sinnvolle Alternativen in petto zu haben.
Sicherlich befeuern und bestärken die sozialen Netzwerke einen populistischen Diskurs. Eine politische Bewegung braucht auf diesem Feld zwingend zumindest Teilaspekte des Populismusses, denn es wird zwangsläufig vereinfacht, da man durch Überschriften und visuelle Effekte alleine die Aufmerksamkeit erregen kann, und die Betonung des Visuellen wiederum führt automatisch zu einer Betonung der Symbolik und starker Assoziationen. Dies führt auch unweigerlich zu einem Abgleiten vieler politischer Strömungen und Bewegungen ins Populistische.

 

[1] Dieter Boris 2016: “Aspekte des Linkspopulismus” in “Marxistische Erneuerung” Nr. 107

[2] Georg Fülberth (2015): “Kapitalismus – Faschismus – Antifaschismus”, Vortrag in Stralsund www.ostsee-rundschau.de/Redemanuskript-von-Professor-F%C3%BClberth.pdf

[3] Karin Priester (2012): "Wesensmerkmale des Populismus" in "Aus Politik und Zeitgeschichte" (http//www.bpb.de/apuz/75848/wesensmerkmale-des-populismus)

[4] Jan-Werner Müller (2016): “Was ist Populismus? Ein Essay.”

[5] Ernesto Laclau (1977/1981): “Zu einer Theorie des Populismus” in Ders.: Politik und Ideologie im Marxismus. Kapitalismus – Faschismus – Populismus,

[6] Raul Zelik (2015): “Mit PODEMOS zur demokratischen Revolution? Krise und Aufbruch in Spanien”

[7] Ernst Bloch (1935): “Erbschaft dieser Zeit”


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