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Kein gewöhnlicher Markt – aber einer mit garantierter Rendite

Ein Strommarkt ist in Deutschland erst in den letzten 25 Jahren entstanden. Strommärkte haben zwei Besonderheiten: Zum einen sind sie an ein Netz gebunden, mit dem aufgrund der Monopolstruktur auf der Angebotsseite Monopolrenditen erzielt werden können. Zum anderen muss ins Stromnetz zu jeder Zeit genau so viel Strom eingespeist werden, wie entnommen wird, sonst bricht das Netz zusammen. Während auf anderen Märkten Nachfrager*innen bei überhohen Preisen entweder auf den Kauf verzichten oder auf Alternativen umsteigen, ist dies auf dem Strommarkt nicht möglich. Wer zeitnah Strom braucht und über die Börse beziehen muss, muss jeden noch so hohen Preis dafür zahlen.

Die Entstehung des Strommarktes

Im letzten Viertel der 19. Jahrhunderts entstanden in Deutschland die ersten Kraftwerke zur Versorgung von Städten mit elektrischer Energie. Diese wurden teilweise von den Kommunen selbst gebaut, teilweise wurden Dritte damit beauftragt. Wer über das Versorgungsnetz verfügte, hatte den privilegierten Zugang zu den Abnehmer*innen und konnte sich über garantierte Profite freuen. Ab 1935 regelte das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) die Abgrenzung der Einflusssphären. Es entstanden regionalen Netzmonopole unter staatlicher Aufsicht mit je einem Versorger. In den 1980er Jahre gab es vier überregionale Versorger sowie eine Vielzahl regionaler Stadtwerke. Alle kümmerten sich um die Netzinfrastruktur und um die Energieerzeugung. Die Preise waren staatlich geregelt.
 
Im neoliberalen Geist der Zeit verabschiedete die Europäische Union 1996 die Richtlinie zum Elektrizitätsbinnenmarkt, die 1998 mit der Novellierung des EnWG in deutsches Recht umgesetzt wurde. Der deutsche Strommarkt wurde für Private geöffnet. Wer Strom beziehen wollte, konnten nun unter verschiedenen Unternehmen wählen. Die lokalen Versorgungsnetze und die überregionalen Übertragungsnetze blieben zunächst in der Hand der Stadtwerke und der vier Stromkonzerne RWE, EON, EnBW und Vattenfall. Neben ihnen entstand eine Vielzahl von Unternehmen, die mit Strom handeln und mit dem Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien (EEG) zunehmend auch Firmen, die Strom aus erneuerbaren Energien erzeugen und vertreiben. Um den Monopolbereich (Netze) vom übrigen Markt (Stromerzeugung und -handel) zu trennen, leitete die EU 2005 Entflechtung von Netzbetreibern und Stromerzeugern ein. Energieversorgungsunternehmen, die sowohl über Netze verfügten, als auch Strom produzierten und verkauften, mussten ihren Netzbereich organisatorisch abtrennen. 

Netzmonopole: Lizenz zum Gelddrucken

Der Strommarkt besteht heute aus überregionalen und regionalen Monopolbereichen und Feldern auf den Wettbewerb herrscht. Es gibt rund 1,5 Millionen Anlagen zur Energieerzeugung, 100 Stromlieferant*innen und 900 Unternehmen, die Netze betreiben. Das Übertragungsnetz im Hochspannungsbereich teilen sich 50Hertz, Amprion, TenneT und TransnetBW. Sie sind im Zuge der Entflechtung von Netz und Stromerzeugung aus den vier ehemaligen Monopolisten hervorgegangen. Vattenfall und EON haben ihre Netze verkauft, EnBW hat es in ein separates Tochterunternehmen ausgelagert und RWE in eine Gesellschaft, an der es einen Anteil von 25,1 Prozent hält. Das Beispiel RWE zeigt, wie sich ein Konzern trotz formaler Entflechtung seine Marktmacht sichern konnte. RWE ist heute ein großer Energieerzeuger, ist am Netzbetreiber Amprion beteiligt und auch an vielen Stadtwerken. Anteilseigner von 50Hertz sind aktuell die börsennotierte belgische Holding Elia Group (80 Prozent) und die KfW Bankengruppe mit 20 Prozent. Amprion gehört neben RWE noch der M31 Beteiligungsgesellschaft. Hierbei handelt es sich um ein Konsortium von überwiegend deutschen institutionellen Finanzinvestoren aus der Versicherungswirtschaft und von Versorgungswerken. 

Private Stromkund*innen haben 2000 im Schnitt rund 15 Cent, 2020 rund 32 Cent und im Sommer 2022 rund 33 Cent pro Kilowattstunde bezahlt. Dieser Betrag setzt sich grob aus drei Teilen zusammen: Dem Preis für die Stromerzeugung (44 Prozent), den Netzentgelten (25 Prozent) und Abgaben und Steuern (insgesamt 31 Prozent). Abgaben und Steuern werden vom Staat festgelegt. Die Preise für die Energieerzeugung werden auf den Energiemärkten ausgehandelt, teils über die Strombörsen in Leipzig und Paris und teils außerbörslich in längerfristigen Lieferverträgen. Netzentgelte werden von den Netzbetreibern festgelegt und von der Bundesnetzagentur genehmigt. Die Netzbetreiber dürfen die Entgelte so berechnen, dass sie ihr eingesetztes Kapital garantiert verzinst bekommen. Aktuell dürfen dafür 5,07 Prozent für Neuanlagen und 3,51 Prozent für Altanlagen veranschlagt werden. Wenn sie effektiver als andere Netzgesellschaften arbeiten, darf dies als zusätzlichen Gewinn eingestrichen werden – das bedeutet eine auf Jahre garantierte Rendite. Kein Wunder also, dass sich institutionelle Kapitalanleger in Netzbetreiber eingekauft haben!

Versorgungsunternehmen schließen Verträge mit ihren Kund*innen, in denen sie garantieren, Strom zu festen Preisen pro Kilowattsunde zu liefern. Diesen Strom müssen sie teilweise über längerfristig laufende Verträge, teilweise sehr kurzfristig für den folgenden Tag einkaufen. Letzteres vor allem an der Strombörse, wo das sogenannte Merit-Order-Prinzip gilt: Wer Strom braucht, fragt nach, wer Strom liefert, macht ein Angebot. Erneuerbare Energien können sehr günstig angeboten werden, Strom aus Gas ist aktuell die teuerste Variante, gleichzeitig aber die flexibelste Art der Stromerzeugung zur Abdeckung von Schwankungen bei Angebot und Nachfrage. Zu bestimmten Fristen werden diese miteinander abgeglichen und alle Anfragen zu den Kosten des zuletzt zur Abdeckung benötigte Angebot bedient. Deshalb treibt ein hoher Gaspreis nicht nur die Kosten für Strom aus Gas hoch, sondern auch die Kosten für jeden zur selben Zeit an der Börse gehandelten Strom.

Die aktuelle Energiekrise

Bereits vor dem Überfalls Russlands auf die Ukraine stiegen die Energiekosten kontinuierlich an, der Krieg hat den Anstieg nur stark beschleunigt. Im August 2022 kostete die Megawattstunde an der Leipziger Strombörse im Schnitt 586 Euro, ein Plus von 551 Prozent zum Vorjahr. Wegen der steigenden Nachfrage nach Kohlestrom stieg zudem der Bedarf und die Preise für CO2-Zertifikate, was in diesem Jahr ebenfalls die Strompreise nach oben trieb. Für die Stromhändler*innen stellen sich die Folgen der Krise sehr unterschiedlich dar: Während RWE am Stromhandel weiter verdient, sind andere in die Pleite geschlittert. Für Endverbraucher*innen steigen die Strompreise deutlich an – vielen Haushalten sind bereits drastische Preiserhöhungen ins Haus geflattert. Im Wesentlichen sind die aktuellen Erhöhungen den steigenden Gaspreisen geschuldet, teilweise aber auch den Marktmechanismen, insbesondere dem Merit-Oder-Prinzip an der Strombörse. 

Die Liberalisierung der Strommärkte in den 1990er Jahren war mit dem Versprechen sinkender Energiekosten für die Verbraucher*innen verbunden, da sich nicht mehr öffentliche Unternehmen, sondern vermeintlich effizient arbeitende Privatunternehmen darum kümmern würden. Das Gegenteil ist der Fall. Die Preise sind keineswegs gesunken – dafür ist der Stromsektor zur sicheren Kapitalanlage mit sicheren Renditen für institutionelle Anleger*innen geworden. Und in Krisensituationen muss dann doch der Staat eingreifen, um die Versorgung sicherzustellen. Die Stromversorgung nicht dem Markt und den Profitinteressen zu überlassen, sondern gleich gesellschaftlich zu organisieren, wäre einfacher und günstiger!


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