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G20: Teil des Problems

Die 20 Staats- und Regierungschefs, die sich am 7. und 8. Juli in Hamburg treffen werden, repräsentieren große Industrie- und Schwellenländer sowie die EU. Die Asienkrise hatte 1998 zur Etablierung des Gremiums als informelles Treffen der Finanzminister geführt.

Unter deutschem Vorsitz traf sich der heutige Teilnehmerkreis erstmals im Dezember 1999 in Berlin. Auch dass sich seit 2008 die Staats- und Regierungschefs treffen, war eine Reaktion auf eine Krise, nämlich die beschönigend Finanz- und Bankenkrise genannte Krise des globalen Kapitalismus. Mit am Tisch, ohne allerdings formell Mitglied zu sein, sitzen regelmäßig Spanien, Norwegen, die Niederlande, die Schweiz und Singapur. Auch eine Reihe internationaler Organisationen ist kontinuierlich vertreten, neben der UNO und ihrer Unterorganisation ILO (Internationale Arbeitsorganisation) , dem IWF und der Weltbank auch die OECD, die WTO und der Finanzstabilitätsrat (FSR). Die Bundesregierung hat, ähnlich wie manche früheren Präsidentschaften, zusätzlich die Afrikanische Union, die „Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung“, die Vereinigung südostasiatischer Staaten, die Asiatisch-pazifische Wirtschaftsgemeinschaft und die Weltgesundheitsorganisation eingeladen.

 

Diese Zusammensetzung erscheint zwar in vielem willkürlich beziehungsweise von bestimmten politischen Sichtweisen geprägt – warum ist zum Beispiel Iran als wichtige Regionalmacht nicht vertreten oder warum ist ganz Schwarzafrika ein weißer Fleck? Aber es wird auch deutlich, dass hier ein Kreis zusammensitzt, der den Anspruch erhebt, tatsächlich den globalen Kapitalismus zu gestalten und zu reorganisieren. Ein herausragendes Beispiel dafür ist der Finanzstabilitätsrat. Er ist ein direktes Gremium der G20, der in ihrem Auftrag und Namen internationale Finanzmärkte gestaltet. Ihm gehören die Regierungen der Mitgliedsstaaten sowie der regelmäßigen Gastländer (ohne Norwegen, dafür ist Hongkong dabei) an, aber auch internationale Organisationen (EZB, BIZ, IWF, WB, OECD) und vor alle sogenannte „internationalen Standardsetzer“ wie der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht und die Ausschüsse für das Globale Finanzsystem, für Zahlungs- und Abrechnungssysteme, für internationale Standards der Rechnungslegung, die Vereinigungen der Versicherungsaufsichts- und der Wertpapieraufsichtsbehörden. Hier verfügt die G20 also über ein tatsächlich wirksames Umsetzungsinstrument ihrer Beschlüsse, sofern sie sich denn auf solche verständigen kann.

 

Es wäre also verfehlt, sich von dem Showeffekt, der den Treffen der Chefs immer auch anhaftet, blenden zu lassen. Die G20 sind ein Gremium, das durchaus machtbewusst globale Fragen nicht nur diskutieren, sondern auch die Verhältnisse entsprechend gestalten will. Sie haben viele interne Widersprüche, die durch die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten eher noch zu- als abgenommen haben dürften. Nationalisten wie er oder Modi (Indien), autoritäre Regimes wie Russland, Türkei oder China, harte Neoliberale klassischen Stils wie Merkel, Abe oder May sind sich keineswegs von vorne herein einig und es ist in diesem Jahr noch fragwürdiger als in den vergangenen, ob und welche Beschlüsse das Treffen zustande bringen wird. Aber gewollt sind sie und in der Vergangenheit gab es auch einige, die die Bundesregierung weiter verfolgen will. Das betrifft zum Beispiel die Suche nach einem gemeinsamen Umgang mit Fragen internationaler Steuerpolitik. Die waren nach der Veröffentlichung der „Panama-Papers“ im April 2016 zentraler Gegenstand der Vereinbarungen der Finanzminister in Peking gewesen und sollen zu einer „G20-Steueragenda“ führen. Um deren Kernpunkte „zu identifizieren“ ist „die OECD gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds von der G20 beauftragt worden“, so die Formulierung von Datev, dem führenden deutschen Dienstleister „für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte und Unternehmen“. Man merke: Beauftragt!

 

Die Bundesregierung beschreibt auf ihrer offiziellen G20-Webseite das Gremium „als das bedeutendste Forum für wirtschafts- und finanzpolitische Zusammenarbeit“. Sie betont damit nochmals den Anspruch, den modernen Kapitalismus zu managen, seine Krisen zu bewältigen und vor allem die Weltwirtschaft, sprich die Kapitalverwertung, in Schwung zu halten. In einem Text des IWF vom November 2016, den sich das Finanzministerium auf seiner G20-Seite zu eigen macht, heißt es dazu als zentraler Grundsatz: „Gestützt auf das Regelwerk des IWF, einschließlich makroprudenzieller Maßnahmen und der Institutionalisierten Sicht (des IWF) auf die Liberalisierung und das Management von Kapitalströmen, gilt es, Ländern zu helfen, die Erträge von Kapitalbewegungen zum eigenen Vorteil zu nutzen und dabei die finanzielle Stabilität aufrecht zu erhalten und die Risiken zu beherrschen, die sich ergeben könnten.“

 

Das misslingt ihnen offensichtlich gründlich, und zwar nicht nur, weil sie unfähig wären, sondern weil sie die falschen Rezepte anwenden. Die Themen benennt wiederum die Bundesregierung: „geopolitische Konflikte, Terrorismus, Migrations- und Fluchtbewegungen, Armut und Hunger sowie voranschreitender Klimawandel und Epidemien“. Wer wollte dieser Problembeschreibung widersprechen? Wenn man allerdings auf die Lösungsansätze schaut, die von G20-Regierungen propagiert werden, dann finden wir nur alte Rezepte, die schon in der Vergangenheit ihre Untauglichkeit bewiesen haben, wie Wirtschaftswachstum, Freihandel, Schaffung privater Investitionsmöglichkeiten und in deren Folge umfassender Sozialabbau.

 

Auch ein genauerer Blick auf die Einzelthemen lohnt sich:

* geopolitische Konflikte: Syrien, Irak, Afghanistan, Kongo, Ukraine, Jemen. Jedem dieser Kriege hat das Potenzial, sich noch weiter auszudehnen. An jedem sind gleich eine ganze Reihe G20-Länder beteiligt und nirgendwo verfügen sie über erfolgversprechende Ideen der Deeskalation und Friedensstiftung.

* Terrorismus: Terroristische Gruppen haben ihre eigene Logik und entstehen nicht einfach nur als Folge des Agierens Dritter. Aber die wesentlichste Ursache für ihre in den letzten Jahren ständig wachsende Basis liegt in der Politik der G20, nicht zuletzt in den oben genannten Kriegen.

* Migrations- und Fluchtbewegungen: Inzwischen weit über 60 Millionen Menschen haben nicht nur ihr Zuhause, sondern dabei auch ihr Land verlassen. Das tun sie in großer Zahl nur dann, wenn ein Leben dort unmöglich ist. Im Sommer 2015 waren die zehn wichtigsten Herkunftsländer von Geflohenen in Deutschland Syrien, Albanien, Kosovo, Afghanistan, Irak, Serbien, Eritrea, Mazedonien, Pakistan, Nigeria. In jedem dieser Länder haben G20-Staaten in den letzten Jahren Krieg geführt, regionale Konflikte akzeptiert oder verstärkt. Für jedes gilt, was Kanak Attack schon vor über einem Jahrzehnt formulierte: „Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört.“

* Armut und Hunger: Obwohl der Anteil der Hungernden an der Weltbevölkerung gesunken ist, haben immer noch mehr als 800 Millionen Menschen nicht genug zum Essen. Dabei werden nach wie vor Nahrungsmittel für fast 12 Milliarden Menschen jährlich produziert. Hunger ist ein Verteilungsproblem und als solches eng mit dem Kapitalismus verbunden, in dem nur versorgt wird, wer bezahlen kann. Institutionen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds, die bei den G20 regelmäßig mit am Tisch sitzen, haben mit ihren Programme viel dazu beigetragen, dass Unterstützungsmaßnahmen für die Ärmsten, die es in zahlreichen Ländern gab, beendet wurden.

* voranschreitender Klimawandel: Die G20 sind für 82 Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen verantwortlich.

* Epidemien: Verarmung, Abschaffung staatlicher Gesundheitsvorsorge, ausbleibende Finanzierung der Weltgesundheitsorganisation und dafür Förderung privater Organisationen wie der Bill- und Melinda-Gates-Stiftung haben wesentlichen Anteil an der sich verschlechternden Medikamentenversorung und Gesundheitssituation in vielen Ländern der Welt.

 

Es sind also genau die Verursacher und Antreiber all der genannten Probleme, die im Juli nach Hamburg kommen werden. Nicht nur die von Grund auf falsche Politik, sondern auch dieses Personal zeigt, dass die G20 Teil des Problems und nicht der Lösung ist. Wer sich solche Figuren einlädt, hat sich selbstverständlich auch den internationalen Protest eingeladen. Das könnte in diesem Jahr eine besondere Dynamik auslösen. Mit Hamburg findet das Gipfeltreffen erstmals seit langer Zeit wieder in einer Großstadt und in einem Land statt, in dem im Prinzip Demonstrationsfreiheit herrscht, nachdem man zuletzt regelmäßig auf irgendwelche abgelegenen Örtlichkeiten ausgewichen war. Die Konflikte in der Türkei und um die türkische Politik in der Region, die Auseinandersetzungen in der EU um Austeritätspolitik, Brexit und rechtspopulistische Bestrebungen, die starke international ausstrahlende Politisierung der US-Innenpolitik sind Momente, die eine Mobilisierung auch weit über Deutschland hinaus denkbar machen. Hamburg wäre ein Ort, an dem Bewegungen global zusammenfinden könnten, wie sie es in Seattle 1999 oder Genua 2001 getan haben. Dafür ist der Dreiklang aus Gipfel der Solidarität (5. und 6.7.), Aktionstag Zivilen Ungehorsame (7.7) und internationaler Großdemonstration (8.7.) ein Angebot, das sowohl inhaltliche Debatten als auch gemeinsame Erfahrungen auf der Straße zulässt. Schon bei Blockupy in Frankfurt war das europaweit sehr umfassend angenommen worden. Das wird, dafür gibt es schon deutliche Anzeichen, sicherlich auch in Hamburg so sein.

 


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