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Für eine solidarische und ökologische Verkehrswende

Der folgende Text basiert auf einem Input beim Forum Verkehr auf der Europäischen Sommerakademie 2022 in Mönchengladbach.

Attac hat sich seit seiner Gründung 1998 im Zusammenhang ist der Initiative für eine Finanztransaktionssteuer einen Bildungsauftrag gegeben, der breit in die Bevölkerung und in die durch die Medien repräsentierte Öffentlichkeit hineinwirken soll. Der Name Attac resultiert aus dem Gründungsanlass. Er bildet sich aus der Abkürzung Association pour une taxe Tobin pour l'aide aux citoyens, sollte aber durchaus auch hinweisen auf die Gegenattacke, die von dieser NGO ausgehen soll gegen herrschende immer noch sehr wirkmächtige Narrative. 

Diese Narrative sind z.B. 

  • Wir brauchen Wirtschaftswachstum, um Wohlstand zu schaffen.
  • Wir brauchen einen großen spekulativer Finanzmarkt, um Geldmittel zu schöpfen.
  • Wir brauchen einen intensiven Wettbewerb zwischen Ländern und Regionen, um gute Unternehmen und Arbeitsplätze zu erhalten.

Für Attac ist es besonders wichtig, durch konkrete öffentlichkeitswirksame Aktionen und fundierte Informationsveranstaltungen Zusammenhänge zwischen Themen wie z.B. Klimawandel, Krieg, Flucht, internationalem Handel und der Organisation des Finanzmarktes aufzuzeigen und hierdurch eine Kompetenz der vielen aufzubauen unter dem übergreifenden Motto: „Eine andere Welt ist möglich“. 

Mit diesem Motto geht es nicht um eine naive Utopie. Vielmehr ist mit dem zentralen Satz: „Eine andere Welt ist möglich“ ein höchst kompetenter Wirtschaftsansatz gemeint, der den Blick auf Regulierungen lenkt, die sich die Allgemeinheit geben kann, um die Ressourcen dieses Planeten zum Wohle aller zu schützen. Es geht zudem um die Aufklärung über die Macht der Vielen, die sich über Massenbewegungen entfalten kann, Massenbewegungen, die, rollen sie erst einmal an, das Potential einer exponentiellen Entwicklung haben. Viele Menschen wissen inzwischen, wie absurd und krank unser gegenwärtiges Wirtschaftssystem ist. Ihnen fehlt aber noch das Wissen darüber, wie zum Greifen nahe die Änderungsmöglichkeit liegt.

Einfach.umsteigen

Anhand des politischen Kampfes um eine Verkehrswende, in dem sich Attac mit seiner Kampagne „Einfach Umsteigen“ intensiv engagiert, möchte ich diese Gedanken näher ausführen. Wir sehen gerade an dem Thema Mobilität, wie eng die Themen soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz zusammenhängen. Eine gelingende Verkehrswende bedeutet neben der klimaschützenden Wirkung eine riesige Umverteilung, denn den vielen wird Wohlstand zurückgegeben, während eine kleine Elite finanziell und damit an Macht und Einfluss verliert. Mit Wohlstand meine ich Gesundheit, gutes Wohnen und Teilhabe an der Gesellschaft. Aus dieser Umverteilung folgt dann neben dem Wohlstandsgewinn auch weiteres Empowerment der Vielen, denn Menschen, die gemeinsam über diesen verfügen, werden sich auch für eine demokratische Gesellschaft engagieren. Es geht also, so gar nicht um eine Verzichtsdebatte.

Wie sieht das konkret aus? Was können wir mit einer Verkehrswende gewinnen? Das Umsteigen von dem Individualverkehr auf den Öffentlichen Verkehr und vor allem auf die Schiene bedeutet, Erhalt von Grünflächen, Gewinn von Fläche für Fahrrad- und Fußgängerverkehr, für ein interaktives, gleichberechtigtes öffentliches Leben,  weniger Lärm, bessere Luft, Entschleunigung, Stressreduzierung und mehr Sicherheit. Es bedeutet der Zugang aller zu kostengünstiger Mobilität. Ländliche Räume würden wie städtische Räume an Lebensqualität gewinnen. Regionales Wirtschaften würde gefördert durch den Zugewinn an attraktiven Lebensräumen. 

Wie kommen wir von den autozentrierten Gesellschafts- und Machtstrukturen dorthin? Es geht darum, in die komplexen Wechselwirkungen der nationalen und internationalen wirtschaftlichen Beziehungen hinein entschlossene Schritte des Strukturwandels zu wagen. Solche Schritte sind z.B. der Stopp des Baus weiterer Kraftstraßen und der Ausbau der gesamten Infrastruktur eines guten ÖPNV sowie die Einstellung und massive Ausbildung von Fachkräften im Schienenverkehr zu fairen Arbeitsbedingungen ohne Beschränkung der hierfür erforderlichen finanziellen Mittel. 

Natürlich entstehen hierdurch auch soziale Verwerfungen, da viele Wirtschaftszweige an die Autoindustrie und den Straßenverkehr  (und den Flugverkehr angeschlossen) sind. Wir sind allerdings in der Zeit angekommen, wo wir auch in unserer Gesellschaft deutlich sehen: Wir können uns nur entscheiden zwischen unkontrollierten immer größer werdenden Verlusten durch Krisen oder den bewusst durch Gestaltung angestoßenen sozialen Verwerfungen, die wir ebenfalls mit all unseren Möglichkeiten auffangen können. Der letztere Weg ist der eindeutig bessere.

Arbeitsplatzverluste sind zunächst dadurch zu vermeiden, dass anders als bisher, Konzerngewinne aus fossiler Energie und der gesamten Autoindustrie stärker abgeschöpft werden und  Arbeitnehmerrechte gestärkt werden. Es ist schon innerhalb der alten Industrie, die letztlich abzuwickeln ist, umzuverteilen weg vom Manager und vom Aktionär hin zu den ArbeitnehmerInnen.

Die weitere Möglichkeit, ArbeitnehmerInnen aufzufangen, besteht durch das neu entstehende riesige Arbeitsplatzangebot, das der Aufbau und die Unterhaltung einer klimafreundlichen Verkehrsinfrastruktur bietet. Hier gilt es, durch große Aufwendungen Umschulungen und Ausbildungen für ArbeitnehmerInnen aller Altersstufen und aller Qualifizierungsgrade zu ermöglichen. 

An dieser Stelle ein kleiner Exkurs zur Finanzierbarkeit: 

  1. Durch die Abwendung von Zuwendungen an die Autoindustrie, den Flugverkehr, klimaschädlichen Subventionen und von Straßenbauprojekten sowie der Erschließung von Parkflächen werden Finanzmittel frei. 
  2. Wir können als Gemeinwesen die Finanz- und Schuldenlage regulieren. Wir sehen das in negativer Hinsicht, wie Budgets bereitgestellt werden für bestimmte Zwecke wie z.B. Rüstung. Wir können also selbstverständlich in voller demokratischer Freiheit mit Regulierungen des Schulden- und Finanzwesens dafür sorgen, dass unsere Ressourcen sozialökologisch sinnvoll eingesetzt werden.

Ich habe skizziert, was eine Verkehrswende erreichen und wie sie umzusetzen ist. Unsere wichtigste Frage hier ist, wie können wir die Breite der Bevölkerung mobilisieren? Menschen sind als soziale Wesen sehr nachahmungsbereit und sie sind sogar sehr opfer- und risikobereit, wenn eine Veränderungsrichtung erkennbar und das Ziel der Veränderung für gut befunden werden. Diese Fähigkeit kann für einen positiven Strukturwandel genutzt werden. 

Hierzu muss aber auch verstanden werden, wann sich Menschen einer gewollten Veränderung nicht anschließen. Das ist nämlich dann der Fall, wenn einerseits eine Veränderung fortlaufend gepredigt, aber kein Schritt dieser Veränderung getan und andererseits die legitimen Interessen der vielen (gesicherte Teilhabe, gesicherte Existenzgrundlage) nicht glaubwürdig und konkret in die Veränderungsstrategie einbezogen werden. Verständlicherweise mag niemand seine Existenz auf das Spiel setzen, wenn nicht erkennbar ist, dass die Gesellschaft überhaupt auf einem guten Weg zum Wohle aller ist. Verständlicherweise ist die Sorge, in einer komplexen Massengesellschaft als Individuum und die Räder zu kommen und Opfer einer Veränderung zu werden groß.

Die Klimabewegung ist immer noch eine Vorhut, die konkrete Schritte erkämpft, um mit diesen Erfolgen eine Massenbewegung ins Rollen zu bringen. Wird ein konkreter Schritt in Richtung Klimaschutz für möglichst viele sichtbar und fühlt sich für viele gut an oder zeigt für viele hautnah zumindest die Möglichkeit an, sie könnten Gewinner dieser Veränderung sein, so kann die Unterstützung für die nächsten Schritte enorm sein und die Risikobereitschaft für positive Veränderungen stark ansteigen.

Die Klimabewegung sollte also weniger auf tiefgreifende theoretische Begründungen setzen, warum Strukturwandel erforderlich und wie er zu bewirken ist, sondern immer noch viel mehr auf Anschaulichkeit und super konkrete Ziele.

9-Euro-Ticket weiterfahren

Hierfür eignet sich die von uns angestrebte Verkehrswende hervorragend. Wir wollen die Flächen und Ressourcen, die uns der Individualverkehr und die übersteigerte und dazu ungerecht verteilte Mobilität tagtäglich raubt, zurückgewinnen für ein gutes Leben für alle. Jeder geschützte Wald, jedes eingestampfte Kraftstraßenprojekt, jede wieder eröffnete oder neu gebaute Bahnstrecke, jedes autofreie Stadtquartier, jede Fahrradstraße, jede neue Geschwindigkeitsbeschränkung etc., etc. führt Menschen ganz konkret vor Augen, dass dieser Raub rückgängig gemacht werden kann, wenn die Beraubten, nämlich wir vielen, öffentlich dafür eintreten. 
Die Kampagnengruppe Einfach Umsteigen hat zusammen mit dem Institut Solidarische Moderne, Changing Cities und dem Konzeptwerk Neue Ökonomie und anderen Akteuren die Initiative „9-Euro-Ticket weiterfahren“ gestartet. Es wird gefordert, das im Juni für drei Monate bundesweit eingeführte 9-Euro-Ticket fortzuführen, gleichzeitig den ÖPNV barrierefrei auszubauen und bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im ÖPNV zu schaffen. Bereits 14.000 Unterschriften sind gesammelt. Es soll die bereits vorhandene große Unterstützung in der Bevölkerung, die u.a. durch den Kauf eines 9 Euro Tickets gezeigt wurde, als Möglichkeitsfenster genutzt werden, um einen guten ÖPNV für alle politisch durchzusetzen.


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