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Für ein Mosaik von Plänen

Europäische Union und die gesellschaftliche Linke

Der Beitrag erscheint zeitgleich in der Zeitschrift Sozialismus 2/2016

1. Die gesellschaftliche Linke verfolgt mit Blick auf ihre Position zur EU unterschiedliche Optionen. Es finden sich drei Positionen:

  • Die als eher sozialdemokratisch zu beschreibende Position meint, unter den gegebenen rechtlichen Verhältnissen mit anderen Mehrheiten eine andere, soziale Politik machen zu können.
  • Die beiden anderen Positionen gehen davon aus, dass die rechtlichen und institutionellen Strukturen der EU auf ein neoliberales Programm zugeschnitten sind und innerhalb dieser Struktur keine grundsätzlich andere Politik möglich ist. Diese Analyse wird hier nicht weiter begründet,(1) sondern als zutreffend vorausgesetzt. Deshalb fordert die zweite Position eine Neubegründung der EU durch eine Revision der Verträge, wodurch eine demokratische, soziale und ökologische Politik in der Union wenigstens möglich, wenn nicht festgeschrieben wird.
  • Das hält die dritte Position unter den gegebenen Kräfteverhältnissen für unrealistisch und folgert, dass dort, wo entsprechende Mehrheiten existieren, ein Exit (zunächst) aus dem Euro, der als zentrales Problem analysiert wird, anzustreben ist: Im Übrigen wird eine Flexibilisierung und Differenzierung der Politik und des Rechts vertreten, also differenzierte Regeln in unterschiedlichen Kontexten. Das beinhaltet Spielraum sowohl für eine verstärkte Zusammenarbeit eines Kerneuropa, wie immer es regional und politisch zusammengesetzt ist, als auch eine Politik des zivilen Ungehorsams gegenüber europäischen Zumutungen.

2. In den vorgetragenen Positionsbestimmungen wird analytisch zumindest vernachlässigt, dass die EU sich seit längerem in einer existenziellen Krise befindet und ein Prozess eingesetzt hat, der eher einer Diffusion als einer Differenzierung gleicht, d.h. es gibt Absetzbewegungen von der Union. Sie haben vorwiegend national-chauvinistische Hintergründe und reichen von der Aufkündigung der Dublin-Verordnung und von Schengen über die Verweigerung der Quote bis zur Verletzung von elementaren Regeln von Demokratie und Rechtstaat in Ungarn, Polen oder zeit- weise in Portugal. Daneben erstarken konservative oder national-chauvinistische Kräfte, die im Interesse der nationalen Souveränität die Kompetenzen der EU infrage stellen. Speerspitze ist dabei sicher Großbritannien, wenn man auf die Regierung abstellt. Auf der Linken gibt es bisher nur Griechenland, das zumindest eine Strategie der Verzögerung der von der EU verordneten Austeritätspolitik verfolgt. Die neue portugiesische Regierung hat bisher nur erklärt, aus der Austeritätspolitik auszusteigen.

Dieser Prozess der Diffusion hat reale Grundlagen in den ungelösten Krisenprozessen der EU. Das Problem der Ungleichgewichte zwischen den national konstituierten Volkswirtschaften innerhalb einer einheitlichen europäischen Währung wird im hegemonialen Diskurs weder thematisiert geschweige denn gelöst. Die reale Antikrisenpolitik der EZB durch eine Politik des »lockeren Geldes« führt im Kontext unzureichender Finanzmarktregulierungen absehbar zu einem Crash auf den Finanzmärkten und/oder der Gesamtwirtschaft. Die Konzepte für einen Umgang mit dem neuen Phänomen massenhafter Migration sind eher aktionistisch als erfolgversprechend und verschärfen die Gegensätze zwischen den einzelnen Staaten innerhalb der EU. Gleichzeitig zeigen sich erste Anzeichen einer globalen konjunkturellen Schwäche aufgrund des verringerten Wachstums in den BRICS-Staaten.

3. Die absehbar herrschende Strategie der dominanten Kräfte innerhalb der EU setzt weiter ausschließlich auf Kontrolle der Neu- und Gesamtverschuldung, was in dieser Logik mit Austeritätspolitik verbunden ist. Kontrolle meint dabei nicht mehr die nationale Kontrolle bei souveräner Entscheidung über den eigenen Haushalt, sondern erkenn- bar ist eine Tendenz zur Zentralisierung und Kontrolle bei der EU, die damit gleichzeitig vom Parlament auf die Administration verschoben wird – also Zentralisierung verbunden mit Entdemokratisierung. Der Fiskalpakt ist dafür ein gutes Beispiel. Ein weiteres ist der Fünf-Präsidenten-Bericht.(2) Er schlägt einen europäischen Finanzausschuss vor, der die nationalen Wettbewerbsausschüsse –Einrichtungen, die u.a. die Politik und Tarifpartner in Fragen der Schulden und Lohnentwicklung »beraten« sollen – koordiniert und die Haushaltpolitiken der Mitgliedstaaten »koordiniert«. Diese Form der Zentralisierung löst absehbar die Krisenprozesse des gegenwärtigen Modells der Akkumulation nicht. Die Akkumulation stockt und Renditen werden über Umverteilung realisiert. Wie lange dies noch ein Projekt der Mitte sein kann, ist zumindest offen. Gegenwärtig zeichnet sich kein Projekt des Zentrums ab, das in Zukunft hegemoniefähig wäre. Das könnte dazu führen, dass die autoritären Tendenzen im Zentrum verstärkt werden, also die Austeritätspolitik mit stärkeren und flächendeckenden Eingriffen in Bürger- und Grundrechte verbunden wird. Der Maßnahmestaat könnte zum Ausnahmestaat werden.

4. Von »unten« wird die Leerstelle des hegemonialen Projekts unterschiedlich gefüllt – im Süden gibt es Anzeichen für eine Wendung nach links, der Osten befindet sich auf dem Weg in konservativ »gelenkte Demokratien« und im Zentrum und Norden erstarken national-chauvinistische Tendenzen. Speziell in der Bundesrepublik ist die Rückkehr zum Nationalstaat, die nationale Souveränität, von rechts besetzt, also national-chauvinistisch gewendet, d.h. sie mischt sich mit rassistischen Untertönen. Umgekehrt gibt es auch von links ein diffuses Unbehagen an der gegenwärtigen Form des Wirtschaftens und der Dominanz neoliberaler Konzepte, was nicht zuletzt durch die starke Mobilisierung gegen TTIP sichtbar wird. Dieses Unbehagen wird teilweise kom- biniert mit einer Anerkennung der EU als legitim in Form einer Basislegitimation – andere sehen, dass in der EU neoliberale Ideologie konstitutionalisiert und gefördert wurde.

5. Perspektiven und »Was tun?«:

  • Eine demokratische, soziale und ökologische Politik mit oder ohne Revision der Verträge unter Zustimmung aller EU-Mitgliedsstaaten ist gegenwärtig wegen der beschriebenen Kräfteverhältnisse keine realistische Option.
  • Die Wiederherstellung des Status quo ante, also die Rückkehr zur nationalen Souveränität, als »Instandsetzung des Nationalstaates« ist ebenso wenig realistisch, weil ein anderes Niveau der globalen Verflechtung existiert als in den 1970er Jahren, für die aber schon ein Kontrollverlust des Nationalstaates konstatiert wurde. Man fände sich außerdem mit zumindest unangenehmen Bündnispartnern in einem Boot. Zudem waren in der Vergangenheit ähnliche Zerfallsprozesse in aller Regel mit kriegerischen Auseinandersetzungen verbunden.
  • Gesucht wird also nach einer anderen Form der internationalen und/oder europäischen Kooperation, die Bedingungen für eine solidarische und ökologische Politik verbessert. Der verstärkten Integration durch Zentralisierung, wie sie gegenwärtig im Rahmen der EU betrieben wird, ist ein Projekt der demokratischen Integration, d.h. verstärkten Zusammenarbeit fortschrittlicher Regierungen in Europa und mit anderen Staaten auch außerhalb Europas entgegenzusetzen.
  • Eine solche neue Form demokratischer Integration müsste sich allerdings von einigen Regeln der EU verabschieden – beispielsweise: von der Unabhängigkeit der nationalen Zentralbanken (Art. 130 AEUV), der gemeinsamen Handelspolitik (Art. 206ff. AEUV), die auf Freihandel eingeschworen ist, oder der Marktöffnung für öffentliche Dienstleistungen durch Ausschreibungspflichten und Wettbewerbsgebote. D.h. fortschrittliche Allianzen können – ohne die EU zu verlassen – der neoliberalen Politik und entsprechenden Rechtsvorschriften den Gehorsam verweigern. An erster Stelle sind die neben den Lissaboner Verträgen geschlossenen, neueren Austeritätspakte zu nennen.(3) Notwendig wäre eine Art zivilen Ungehorsams der fortschrittlichen Kräfte innerhalb der EU, ein Unterlaufen der Austeritätspolitik durch die Länder, die insbesondere von ihr betroffen sind.
  • Für die BRD ist eine solche Strategie aber unter den gegebenen Kräfteverhältnissen und wegen ihrer dominanten ökonomischen und politischen Rolle innerhalb der EU keine realistische Option. Hier geht es um:
  • Die Abwehr der zentralistischen Entdemokratisierung einschließlich der Beseitigung des Austeritätsdiktats nach außen und innen.
  • Verteidigung demokratischer Freiheitsrechte und politischer Liberalität. Dazu sind neue Bündniskonstellationen und ein Aufbrechen der neoliberalen Bündniskonstellation erforderlich, also die Ermutigung zum »Nein«-Sagen insbesondere in der Sozialdemokratie. Das heißt: Nein zu weiteren Schritten zentralistischer, antidemokratischer und neoliberaler Integration auf unterschiedlichen Ebenen, solange die EU in erster Linie als neoliberales Projekt fungiert. Das heißt auch Rücknahme der Integration beispielweise in der Handelspolitik und im Bereich öffentlicher Dienstleistungen.
  • Gleichzeitig ist das Unbehagen an dieser Art des Wirtschaftens von unten aufzugreifen, d.h. die Kritik an Austerität und EU-Fehlkonstruktionen u.a. zu formulieren und zu verschärfen. Wichtig ist dabei aber, nicht entlang falscher Widersprüche zu argumentieren. Nicht national versus EU, nicht Integration versus Desintegration, sondern demokratische Integration versus zentralistischer Integration und soziale Integration versus Austerität. In einer Mosaiklinken können dabei unterschiedliche Schwerpunkte und Aktionsformen gewählt werden.
  • Die Kritik sollte zu einem hegemoniefähigen Projekt einer solidarischen Gesellschaft erweitert werden. Versatzstücke politischer Programmatik gibt es, die aber widersprüchlich oder inkonsistent sind und nicht als realistische Alternative wahrgenommen werden.

 


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