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Eine verbindliche Regulierung der globalen Wirtschaft auf Grundlage der Menschenrechte

Seit vielen Jahren setzt sich Attac für die Regulierung der globalen Wirtschaft auf der Grundlage von Menschenrechten und Umweltstandards ein. Hierzu zählt die Kampagne ‚Menschenrechte vor Profit’ ebenso wie die Forderung nach einem Lieferkettengesetz auf deutscher und europäischer Ebene. In einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis unterstützt Attac die Forderung nach einem völkerrechtlichen Vertrag (Binding Treaty, BT), der Konzerne zur Achtung der Menschenrechte verpflichtet und eine Haftungspflicht von Unternehmen vorsieht. Auch die Kampagnen von Attac gegen Freihandelsabkommen wie CETA haben die verbindliche Regulierung von Konzernen zum Thema. Dabei geht es um die Abschaffung privater Schiedsgerichte (Investor-State Dispute Settlements, ISDS), weil diese einseitig die Interessen der Konzerne schützen, während Menschenrechte und Umweltbelange auf der Strecke bleiben.

Hintergrund der Debatte über Wirtschaft und Menschenrechte

Die Debatte über Wirtschaft und Menschenrechte, die seit dem Beginn der 1990er Jahre geführt wird, muss im Kontext der politischen und wirtschaftlichen Nachkriegsordnung seit 1945 gesehen werden. Bereits die Charta der Vereinten Nationen (VN) hebt in Artikel 2 die nationale Souveränität der Staaten hervor, die auch die Grundlage für das Völkerrecht darstellt. Diese Auffassung spiegelt sich im Menschenrechtsregime der VN wider, das seit der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1948 entstanden ist und dessen Staatszentriertheit betont wird. So definieren die Menschenrechte das Verhältnis zwischen dem Staat als dem Träger von Pflichten für den Respekt, den Schutz und die Gewährleistung der Menschenrechte und den Individuen als Inhabern von Rechten auf dem jeweiligen staatlichen Territorium bzw. unter der jeweiligen staatlichen Gerichtsbarkeit. Dies gilt für alle Menschenrechte, die politischen wie auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte. Durch die Globalisierungs- und Transnationalisierungsprozesse der letzten Jahrzehnte sind neue Herausforderungen entstanden, die ein Überdenken dieses Ansatzes erforderlich machen.

Auf der wirtschaftlichen Ebene war die Nachkriegszeit zunächst geprägt von der Herausbildung einer liberalen Wirtschaftsordnung, die u. a. durch den Kalten Krieg und die US Hegemonie bestimmt war. Vor allem seit dem Ende der 1980er Jahre führte die Zunahme des Freihandels und ausländischer Direktinvestitionen (Foreign Direct Investments, FDIs) zu einer stärkeren Integration der globalen Wirtschaft. Dabei wird ein Großteil dieser Investitionen durch transnationale Konzerne (TNK) aus westlichen Industrieländern getätigt, die Produktionsstätten auslagern, in anderen Ländern Tochterfirmen gründen oder sich in Unternehmen einkaufen. Dadurch erschließen sie neue Märkte und erlangen Standort- sowie Steuervorteile. Diese wirtschaftliche Globalisierung wurde und wird rechtlich durch eine Ausweitung von Freihandels- und Investitionsschutzabkommen (Bilateral Investment Agreements, BITs) gefördert und abgesichert.

Treiber dieser Prozesse sind transnationale Konzerne (TNK). Ihre Zahl ist nach den Daten der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) dramatisch angestiegen: Waren es 1970 noch rund 7000 TNK, so operierten 2013 rund 80000 TNK mit geschätzt 900.000 Tochtergesellschaften im Ausland. Heute findet 80% des Welthandels in globalen Produktionsnetzwerken statt. Der US-amerikanische Jurist Dan Danielsen erfasst diese Entwicklung mit dem Begriff des Lieferkettenkapitalismus. Rechtlich getrennte und geographisch verstreute Tochterunternehmen, Beteiligungsgesellschaften und Zulieferer sind durch Verträge in Netzwerkstrukturen integriert. Sowohl in den käufergesteuerten als auch in den herstellergesteuerten Lieferketten hat die Macht der Konzerne zur Koordination und Steuerung der Lieferketten dramatisch zugenommen und wird durch Formen des Privatrechts, beispielsweise Vertrags-, Eigentums-, Gesellschafts- und Insolvenzrecht, umfassend abgesichert. TNK bestimmen somit nicht nur über die Ressourcenverteilung, sondern auch über die Governance-Strukturen in der globalen Wirtschaft und beschränken dadurch die Regulierungsfähigkeiten der Regierungen vieler Produktionsländer. Hierzu zählen auch die bereits erwähnten privaten Schiedsgerichte im Rahmen von Freihandelsabkommen und BITs. Eine Gesamtverantwortung oder auch Durchgriffshaftung von TNK für ihr Lieferketten wird durch diese rechtliche Struktur bisher weitgehend verhindert.

Freiwilligkeit oder verbindliche Regulierung

Diese umfassende rechtliche Absicherung von Konzernen in der globalen Wirtschaft wird bisher nur unzureichend thematisiert und kritisiert (Pistor 2020). Sie steht im krassen Gegensatz zu den Regulierungslücken in Bezug auf Menschenrechte und Umweltstandards. Hier fällt das Beharren des Privatsektors und westlicher Regierungen, einschließlich der EU, auf freiwilligen Vereinbarungen ins Auge. Dies zeigt sich auch in den Debatten über die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen. Hier stehen sich zwei Ansätze gegenüber, die sich ergänzen, zugleich aber konkurrierende Auffassungen über die angemessene Steuerung der wirtschaftlichen Globalisierung zum Ausdruck bringen. So schlagen die VN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (VNLP) aus dem Jahr 2011 einen freiwilligen Ansatz für Konzerne vor. Die Verhandlungen für einen völkerrechtlichen Vertrag, die seit 2014 auf VN Ebene stattfinden, bauen vor allem im Hinblick auf die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht von Unternehmen inhaltlich auf den VNLP auf, fordern darüberhinausgehend aber eine verbindliche Regulierung global agierender Konzerne.

Logo der Attac-Kampagne Menschenrechte vor Profite

Ein Vergleich der beiden Entstehungsprozesse zeigt, dass dies auch ein Kampf um die Definitionshoheit, was die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen beinhalten soll, ist; zugleich geht es auch um die Legitimität der globalen Wirtschaft (Hamm 2021). Die VNLP sind durch umfassende und weltweite Multistakeholder Konsultationen entstanden, deren Legitimität auf der breiten Beteiligung beruht. Für den BT richtete der VN Menschenrechtsrat 2014 eine sogenannte open-ended intergovernmental working group (OEIGWG) ein; dabei folgen die Verhandlungen den ‚klassischen‘ Vorgaben der VN mit den Staaten als den Hauptverantwortlichen und mit einer – auf klar definierten Regeln basierenden – Einbindung von Zivilgesellschaft und dem Privatsektor.

Die VNLP bauen auf drei Säulen auf, die sich wechselseitig bedingen:

(1) die Pflicht des Staates, Menschenrechte zu schützen; d. h. die jeweilige Regierung muss durch Gesetze und andere Maßnahmen dafür sorgen, dass Unternehmen mit Sitz auf dem jeweiligen Staatsgebiet und/oder unter der jeweiligen Rechtsprechung keine Menschenrechtsverletzungen begehen oder in solche verstrickt sind. Diese Auffassung zur staatlichen Schutzpflicht ist Bestandteil des Menschenrechtskonzepts der VN.

(2) die Verantwortung von Unternehmen für die Achtung der Menschenrechte; Säule (2) stützt sich auf Vorstellungen, die als Soziale Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility, CSR) bekannt wurden. Das Konzept ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche Formen unternehmerischen Engagements und betont vor allem die Freiwilligkeit. Zugleich fordert die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen auch zum eigenständigen Umgang mit menschenrechtlichen Risiken auf. Dazu wurde der Begriff der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht (corporate human rights due diligence) eingeführt. Neben der Veröffentlichung einer Grundsatzverpflichtung zur Achtung der Menschenrechte umfasst die Sorgfaltspflicht Risikoanalysen und Folgenabschätzungen, das Ergreifen effektiver Gegenmaßnahmen, Transparenz und Zugang zu Wiedergutmachung. Das Konzept der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht von Unternehmen ist umstritten, weil es sich an privatwirtschaftlichen Managementverfahren orientiert. Es wird eine Privatisierung und auch Verwässerung des Menschenrechtskonzepts befürchtet (z. B. Scheper 2019).

(3) der Zugang für Opfer zu Wiedergutmachung durch Beschwerdemechanismen und Entschädigung; Säule (3) beinhaltet erste Ansätze für eine Haftungspflicht und soll die Rechte Betroffener gegenüber Unternehmen stärken.

Die Leitprinzipien bilden den derzeit wichtigsten internationalen Bezugsrahmen zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen im Kontext globaler Wirtschaftsaktivitäten. Sie sind sogenanntes soft law, also rechtlich nicht bindend. Seit ihrem Bestehen ist die Kritik an diesem Instrument gewachsen, weil sich die Arbeits- und Lebensbedingungen in vielen Produktionsländern nicht verbessert, sondern weiter verschlechtert haben.

Der BT baut inhaltlich, gerade was die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht angeht, auf den VNLP auf. Die Verhandlungen über einen völkerrechtlichen Vertrag zum Thema Wirtschaft und Menschenrechte gehen auf eine Resolution 26/9 des VN-Menschenrechtsrates zurück, die durch eine Initiative Ecuadors und Südafrikas zustande kam. Auf dieser Grundlage verhandelt seit 2014 eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe mit dem Mandat, ein verbindliches Regelwerk für Unternehmen in der globalen Wirtschaft auszuarbeiten, das auch Klagemöglichkeiten für Betroffene enthalten soll. Zwischen 2015 und 2020 fanden sechs Arbeitstagungen statt, auf denen über unterschiedliche Vertragsentwürfe beraten wurde.

Der Entwurf verzichtet auf direkte völkerrechtliche Pflichten für Unternehmen und soll entsprechend der herkömmlichen Völkerrechtsdoktrin die Vertragsstaaten verpflichten. Diesen Ansatz kritisieren einige zivilgesellschaftliche Organisationen als unzureichend. Bei Verstößen gegen die Menschenrechte ist eine Haftungspflicht von Unternehmen vorgesehen. Dabei geht es u. a. um die Notwendigkeit, dass innerstaatliches Recht effektive, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen sowie Wiedergutmachung für Fälle von wirtschaftsbezogenen Menschenrechtsverletzungen bereithält. Es werden zwei Typen von Haftung vorgeschlagen werden, nämlich zum einen die Haftung bei einem Versäumnis der Sorgfaltspflicht, also bei fehlender Prävention, und eine Haftung im Falle des eingetretenen Schadens.

Die niederländische Juristin und Aktivistin Grietje Baars nimmt gegenüber dem Binding Treaty eine sehr kritische Sicht ein und versteht das internationale Recht im Bereich der Menschenrechte als Teil des Problems. Aus ihrer Sicht ist der Kampf um die Rechenschaftspflicht von Unternehmen durch strategische Prozesse und den Binding Treaty zwar gut gemeint, aber er ist unlogisch, weil er dem Konzernkapitalismus letztlich nur zur Legitimierung dient.

 

Literatur

Grietje Baars (2020) The Limits of Law. Why ‘corporate accountability’ will not change the corporation. https://www.tni.org/en/publication/the-limits-of-law.

Danielsen, Dan (2020) Situating Human Rights Approaches to Corporate Accountability in the Political Economy of Supply Chain Capitalism. In: Brinks D, Dehm J, Engle K. (eds) Power to the People?: Private Regulatory Initiatives, Human Rights and Supply Chain Capitalism. Penn Press, Philadelphia, forthcoming. https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3654582.

Hamm, Brigitte (2021) The Struggle for Legitimacy in Business and Human Rights Regulation—a Consideration of the Processes Leading to the UN Guiding Principles and an International Treaty. In: Human Rights Review. http://links.springernature.com/f/a/28oSCWci48ivuHfwGsX7Nw~~/AABE5gA~/RgRh2H04P0QwaHR0cDovL3d3dy5zcHJpbmdlci5jb20vLS8xL0FYYmQ5X1dYRjJmd1B0OVNXSy0wVwNzcGNCCl_2uEn3XwRqixxSHWJyaWdpdHRlLmhhbW1AaW5lZi51bmktZHVlLmRlWAQAAAbn.

Pistor, Katharina (2020) Der Code des Kapitals. Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft. Frankfurt.

Scheper, Christian (2019) Menschenrechte als private Legitimitätspolitik. Politische Autorität und völkerrechtliche Rechtfertigung von Unternehmenspraktiken. In: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 26 (1):5-27.


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