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Eine andere Digitalisierung ist möglich – Chancen und Risiken einer vernetzten Gesellschaft

Rezension zu Dagmar Paternoga / Werner Rätz / Dominik Piétron: Eine andere Digitalisierung ist möglich – Chancen und Risiken einer vernetzten Gesellschaft

Den Autor*innen ist etwas Überraschendes gelungen: Nicht noch ein Buch über „Digitalisierung“ zu schreiben, das bekanntes wiederholt, sondern auf knapp 100 Seiten den aktuellen Stand der Debatte über Entwicklungstendenzen und Risiken einer vernetzten Gesellschaft darzustellen, sowie aufzuzeigen, dass statt bedingungsloser Akzeptanz oder totaler Ablehnung eine kritische Diskussion über den Umgang mit den neuen Technologien sowie über alternative Nutzungsmöglichkeiten möglich und notwendig ist.

In der Einleitung geht es um die notwendige Abgrenzung des Themenfeldes. Digitalisierung ist einer der meistgebrauchten Begriffe, wenn es um die aktuellen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft geht. Aber Digitalisierung gibt es schon lange und bis vor Kurzem verstand man oft nur eine weitere Stufe der Automatisierung industrieller Fertigungsprozesse darunter. Die aktuelle Stufe der Digitalisierung ist von der Vernetzung von Menschen, von Mensch und Maschine und Maschinen untereinander geprägt. Am offensichtlichsten stellt sich dies in Form der verschiedenen internetbasierten Plattformen (z. B. Google, Amazon) dar. Mit dem Internet als Basistechnologie auf der Systemseite, und dem Smartphone auf der Teilnehmerseite, das inzwischen bis in die letzten Winkel unserer Erde verbreitet ist, ist erstmals eine wirklich globale Ökonomie entstanden. Diese Vernetzungstechnologien, meistens kostenlos zu nutzen, verändern aber nicht nur unsere Art zu kommunizieren, sondern verursachen tiefgreifende Strukturbrüche in den Wirtschafts- und Finanzbereichen und in der Arbeitswelt. Mit diesen Themenbereichen befassen sich die weiteren Kapitel des Buches.

Im zweiten Kapitel steht der Strukturwandel der Öffentlichkeit im Mittelpunkt. Früher war die Medienlandschaft geprägt von zentralen Vermittlungsinstanzen (Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk, Fernsehen). Mit dem Internet verband sich zu Beginn die Hoffnung auf freie und direkte Kommunikation ohne staatliche Bevormundung und filternde Redaktionen. Heute hat zwar jeder die Möglichkeit, seine Inhalte zu veröffentlichen, die Landschaft wird aber geprägt von selektierenden Algorithmen, von Influencern mit großer Gefolgschaft, von Fake und Hate News. Ein zentraler Abschnitt in diesem Kapitel setzt sich mit den Geschäftsmodellen in diesem Bereich auseinander. An Facebook und Google werden die Tendenzen zu Monopolbildung dargestellt und die Profitmaschine aus der Verwertung der Nutzerdaten erläutert. In der abschließenden kritischen Debatte werden die negativen Auswirkungen behandelt, es wird das Recht auf Vergessen thematisiert. Aber, und das ist ein spannender Bereich, es schließt sich eine Debatte um Alternativen an. Liegt alles daran, dass die digitale Öffentlichkeit fast vollständig auf privater Infrastruktur aufsetzt? Wer kontrolliert was mit welchem Ziel? Es geht bei der Öffentlichkeit nicht mehr um Zugang, sondern um Reichweite, es geht um Inhaltskontrolle durch private Betreiber und staatliche Stellen.

Strukturwandel der Wirtschaft ist Thema des dritten Kapitels. Basis dafür ist die „Plattformisierung“ der Verteilung von Gütern und Dienstleistungen. Was mit eBay und Amazon begann, setzt sich mit Uber und Airbnb fort und hat noch lange kein Ende gefunden. Dabei gilt: Je größer der Marktanteil eines Betreibers, desto attraktiver ist es dabei zu sein für Kunden und Anbieter, desto umfangreicher die Nutzerdaten, die profitabel verwertet werden können. Es geht um Kosteneinsparungen für Konsumenten, um Kundenzugang für die Produzenten und um Profite für die Plattformbetreiber, die sich diesen Kundenzugang bezahlen lassen. Konzentriert werden die Netzwerk- und Skaleneffekte dargestellt, Big Data und die Auswertungsinstrumente für diese Datenberge, die Algorithmen. Es schließt sich in diesem Kapitel die Darstellung der Finanzierung dieser Plattformunternehmen an, die unter der Devise läuft „growth-before-profit“ – Wachstum vor Profit. Es werden erhebliche Kapitalbeträge in diese Unternehmen gesteckt, deren Vermögen vorrangig aus Patenten und Warenschutzrechten besteht, den sogenannten immateriellen Vermögenswerten. Der weltweit größte Taxibetreiber besitzt kein Taxi, der größte Hotelzimmervermittler kein einziges Bett. Was heißt das in wirtschaftlichen Abschwungphasen für die Unternehmensbewertung?

Im vierten Kapitel werden die Vernetzungstechnologien aus dem Blickwinkel der politischen Ökonomie betrachtet. Es geht um den Informations- und Datenraum als weiteren Bereich der kapitalistischen Landnahme, seiner Nutzung für Verwertungsprozesse. Genauer beleuchtet werden die Entwicklungen in Landwirtschaft und im Gesundheitswesen. Des Weiteren geht es in diesem Kapitel um Arbeit. Plattformen vermitteln nur Arbeitsergebnisse und Dienstleistungen, die eigentliche Arbeit muss weiterhin getan werden. Auch Plattformen und ihr Betrieb machen sich nicht von allein und daher gibt es auch für Arbeitsangebote Plattformen: Crowd- und Click-Working greifen um sich. Die Menschen, die sich beteiligen, stehen oft im weltweiten Wettbewerb, ohne irgendeine Art von sozialem Schutz.

Chancen der Vernetzung und notwendige Schutzmaßnahmen stellen den Themenschwerpunkt des fünften Kapitels dar. Die Autoren stellen mögliche positive Nutzugsmöglichkeiten der Technologien zu Diskussion. In den Bereichen Mobilität und Verkehrswende, Landwirtschaft sowie der Stadtpolitik werden Konzepte und erste Erfahrungen alternativer Nutzung (Digitale Agenda der Stadt Barcelona) dargestellt. Was in den vorangegangenen Kapiteln bereits angeklungen ist, wird hier breiter diskutiert: Haben Versuche der Konzentrationsbekämpfung eine Chance gegen die strukturellen Monopolisierungstendenzen oder sind die Plattformen als elementarer Teil der Daseinsvorsorge als öffentlicher Service zu betreiben? Wie könnte Datenschutz gestaltet werden, wie ist soziale Sicherheit zu gestalten? Ein eigener Abschnitt befasst sich mit dem Sonderthema der Steuervermeidungsstrategien von Amazon, Google, Facebook & Co. und dem Vorschlag von Attac, mit einer Gesamtkonzernsteuer dies zu unterbinden. Auch die Umweltbelastung durch die digitale Infrastruktur wird beleuchtet. Das einzelne Gerät ist vielleicht energiesparsam, der immense Energieverbrauch der Infrastruktur wird nicht gesehen. Auch vor den problematischen Förderbedingungen der Rohstoffe für diese Geräte macht man die Augen zu.

Am Ende steht das Plädoyer der Autoren für eine Abwägung von Risiken und Chancen, für die Forderung nach einer demokratischen, ökologischen und sozialen digitalen Ökonomie.

Dem Buch merkt man an, dass die Autor*innen einen weiten Wissens- und Erfahrungsbereich abdecken. Es ist pointiert geschrieben, setzt sich mit der aktuellen Literatur auseinander und ermöglicht auch dem neu Interessierten einen guten Einstieg. Die aufgezeigten Risiken und Chancen laden zur Fortsetzung der Diskussion ein.


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