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Bedingungsloses Grundeinkommen = Couponschneiden?

Die finnische Rechtsregierung experimentiert im zweiten Jahr mit einer Sozialhilfe unter der Armutsgrenze und nennt das „Grundeinkommen”. Ähnliches versuchen einzelne Städte in den Niederlanden und auch die Landesregierung in Schleswig-Holstein stellt vergleichbare Überlegungen an. Bei aller notwendigen Kritik an diesen Projekten, die mit einem bedingungslosen Grundeinkommen nichts gemeinsam haben, haben sie eines erreicht: Es wird in breiten Teilen der Öffentlichkeit umfassend über das Grundeinkommen gesprochen. Nicht immer will dabei Freude aufkommen.
 
Dabei, da dieser Beitrag im Attac-Theorieblog erscheint, ein kurzes Vorab an dessen LeserInnen. Hier hat Franz Groll[1] im März einen Text veröffentlich, in dem er anhand einer Reflexion über Dagmar Paternogas und meinen Attac-Basistext „Zukunftsmodell Grundeinkommen” zu dem Schluss kommt, dass es bessere Vorschläge gebe, die ein bedingungsloses Grundeinkommen überflüssig machten. Franz’ Widergabe unserer Thesen aus dem Buch ist aufmerksam und fair, er verfälscht unsere Argumente nicht und setzt sich sehr ernsthaft mit unseren Vorschlägen auseinander. Solche Kritik ist notwendig, wenn wir in der Debatte über den besten Weg zu den erforderlichen gesellschaftlichen Veränderungen weiterkommen wollen, auch wenn ich seine Schlussfolgerungen verständlicherweise nicht teile.
 
Im Gegensatz dazu steht in jüngster Zeit eine fast kampagnenartig wirkende Ablehnung des BGE von gewerkschaftlicher, linkssozialdemokratischer, traditionssozialistischer Seite. Diverse Gewerkschaftsvorsitzende um den 1. Mai herum, die verdi Abteilung Wirtschaftspolitik in einer eigenen Broschüre schon vor ein paar Monaten, Anna Coote, die Leiterin der sozialpolitischen Abteilung des britischen Thinktanks New Economics Foundation, in der SPD-nahen Online-Zeitschrift IPG-Journal[2] und jetzt auch die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik in ihrem „Memorandum 2018″[3] haben ihre Distanz zum Grundeinkommen deutlich gemacht. Auch wenn die Beiträge in ihrem Anspruch, ihrer Qualität und in der Haltung zu den BefürworterInnen eines BGE durchaus unterschiedlich sind, so fällt doch vielfach ein profundes Nichtwissen um die Argumente für ein BGE auf. Manchmal kann man sich des Eindrucks von ideologischen Borniertheiten kaum erwehren.
 
Erstaunlich zum Beispiel ist die immer wieder aufgestellte Behauptung, ein BGE in einer Höhe, die ein anständiges Leben ermögliche, lasse sich nicht finanzieren.In der Sache bedeutet das letzten Endes nichts Anderes, als dass es nicht genügend Güter und Dienstleistungen auf der Welt gebe, um allen ein anständiges Leben zu ermöglichen. Schließlich lässt sich alles, was realwirtschaftlich hergestellt werden kann, auch finanzieren, anderenfalls wäre es nicht herstellbar. Eine völlig andere Frage wäre allerdings, ob man die für solche Absicherung notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen für durchsetzbar oder wünschenswert hält. Ingmar Kumpmann, Referent für Industrie- und Dienstleistungspolitik beim DGB, hatte die notwendige und mögliche Vereinbarkeit einer umfassenden Lohn- und Transferpolitik schon 2013 gut begründet[4]. Kein Wort davon nehmen die KritikerInnen zur Kenntnis.
 
Auch ein zweites Argument, das sich als gewerkschaftlich fundiert versteht, ist ähnlich widersprüchlich, nämlich dass lediglich (kapitalistische) Erwerbsarbeit umfassende gesellschaftliche Teilhabe bedeute. Es tritt meist in Kombination mit weiteren Argumenten auf und heißt dann zum Beispiel: „Wer macht denn dann die unangenehmen Arbeiten oder wer geht denn dann überhaupt noch arbeiten?” oder: „Ohne Erwerbsarbeit werden Menschen auf ein Abstellgleis geschoben.” Abgesehen von der Widersprüchlichkeit dieser unterschiedlichen Konnotationen untereinander sind auch hier die im Hintergrund stehenden und nicht offen ausgesprochenen Gesellschaftvorstellungen interessant. Wer meint, ohne pure wirtschaftliche Not gehe niemand einer Erwerbsarbeit nach, kann das mit der Teilhabe durch Erwerbsarbeit irgendwie ja nicht so ganz ernst meinen. Und wer glaubt, dass unangenehme Arbeiten nur gemacht würden, wenn sie umfasssend bezahlt werden, muss ein weißer Mann mit mindestens mittlerem Einkommen sein, denn alle Frauen und alle Armen wissen genau, dass vieles getan wird, weil man die Notwendigkeit einsieht und nicht wegen der Bezahlung oder weil die Tätigkeiten so schön sind. Die gesamte Pflege- und Sorgearbeit wird hier gerade so ignoriert, wie sie gesellschaftlich systematisch unsichtbar gemacht wird. Auch dazu hatte ein Gewerkschafter, der Politikwissenschaftler und systemische Berater Volker Koehnen, im selben Buch ausführlich argumentiert[5].
 
Möglichkeiten, die Auseinandersetzung wirklich mit uns und unseren Argumenten zu führen, wie es Franz Groll getan hat, hätten also auch andere Autoren und öffentliche Redner gehabt. Die meisten derer, die sich da geäußert haben, sind uns auch persönlich, oft aus gemeinsamen Kampagnen, gut bekannt.
 
In einem kurzen Kapitel der Kurzfassung ihres Gutachtens 2018 geht jetzt auch die Memogruppe auf das bedingungslose Grundeinkommen ein (alle folgenden Zitate Memorandum 2018, a.a.O). Die oben zitierten Argumete tauchen auch da auf, wobei zentral ist, dass die Gruppe die Forderung nach einem BGE ausschließlich als „verzweifelten Versuch, aus der Problematik der chronischen Massen- und Langzeitarbeitslosigkeit und dem Prekariat auszubrechen”, versteht. Selbstverständlich würden BGE-BefürworterInnen nie bestreiten, dass ein Grundeinkommen die ökonomische Unsicherheit beenden würde. Aber wir haben auch immer betont, dass ein viel wichtigerer Aspekt darin liege, dass ein BGE selbstbestimmte Tätigkeit ermögliche. Die Memogruppe bestreitet übrigens beides.
 
Was sie aber überhaupt gar nicht zur Kenntnis nehmen, ist, dass die gesellschaftliche Produktivität nicht in der kapitalistischen Erwerbsarbeit aufgeht. Weit mehr als die Hälfte aller gesellschaftlich notwendigen Tätigkeit geschieht außerhalb aller Bezahlung und auch erhebliche Teile der bezahlten Arbeit entfalten ihre Wirksamkeit nur, weil sie sich auf ein umfassendes Netz unbezahlter ArbeiterInnen, meist mit kleinem „i”, stützen können. Ein BGE würde all diese Formen der gesellschaftlichen Produktivität anerkennen und materiell absichern.
 
Im Gegensatz dazu behauptet die Memogruppe: „Beim BGE geht es darum, dass Menschen andere Menschen für sich arbeiten lassen. Im Kapitalismus kann das bislang die Unternehmerin bzw. der Unternehmer für sich beanspruchen. Das BGE macht dies zu einem Grundprinzip für alle. Ökonomisch nennt man das Ausbeutung.” „Ökonomisch”, dass sollten Linkskeynesianer wissen, „nennt man es Ausbeutung”, wenn Menschen ihre Arbeitskraft verkaufen und deshalb für einen Dritten lebendige Arbeit leisten müssen. Die dabei hergestellten realen Produkte gehören dem Investor und nicht den Produzenten und der zahlt letzteren einen Lohn, der zwar im Idealfall zu deren Reproduktion ausreicht, der aber immer unter dem Wert der von ihnen produzierten Güter oder Dienstleistungen bleibt.
 
Wieviel persönliche Wut muss beim Autor solcher Zeilen vorhanden sein? Wie kann man auf die Idee kommen, etwas, das alle gleichermaßen erhalten, bedeute, dass die einen die anderen „für sich arbeiten lassen”? Was soll das für eine Gesellschaft sein, in der nur die kapitalistische Erwerbsarbeit zur gesellschaftlichen Teilhabe legitimiert? Konsequent verteidigt der Text dann auch die Notwendigkeit, Sozialleistungen an Bedingungen zu knüpfen: „Da sozialer Zusammenhalt maßgeblich auf Gegenseitigkeit und sozialer Solidarität beruht, ist es wichtig, dass die Nennung ‘guter Gründe‘ die Voraussetzungen für den Leistungsbezug sind.”
 
Genau, ein guter Grund, der beste, der mir einfällt, ist, dass wir alle, jede und jeder von uns, ein Mensch ist und als solcher das Recht auf ein anständiges Leben hat. „Das muss man sich nicht verdienen und das kann man nicht verlieren”, hatte Attac beim Ratschlag in Aachen 2003 formuliert. Und da die Ressourcen dieser Erde unser gemeinsames Erbe sind, steht auch jeder und jedem von uns ein Anteil daran zu.


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