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Aufklärung, neue Ethik unter Einbeziehung allen Lebens und internationale Solidarität

In den letzten Jahren sind drei wichtige Publikationen erschienen, die auf Aufklärung beruhende weltweit gültige moralische und ethische Prinzipien durchsetzen möchten: „Das Zeitalter des Lebendigen. Eine neue Philosophie der Aufklärung“ von Corine Pelluchon (2021), „Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten. Universale Werte für das 21. Jahrhundert“ von Markus Gabriel (2020) und „Das emphatische Gen. Humanität, das Gute und die Bestimmung des Menschen“ von Joachim Bauer (2021). Einige wichtige Aussagen dieser drei Bände, die weltweite Perspektiven für den Schutz aller Lebewesen, gegen Rassismus und Nationalismus und für internationale Solidarität eröffnen, sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.

1. Aufklärung

Sowohl Gabriel als auch Pelluchon würdigen Aufklärung als Basis für Rationalität und Menschenrechte, sehen aber auch Fehlentwicklungen, die sie durch eine „neue Aufklärung“ beseitigen möchten. Pelluchon wirft der traditionellen Aufklärung eine dualistische Unterscheidung zwischen Menschen und Tieren, Natur und Kultur, Vernunft und Emotion vor, die zu einem fragwürdigen technologischen Fortschritt geführt habe, der gegen die Interessen des Lebendigen verstoße und ökologische Probleme wie Klimawandel und Reduzierung von Artenvielfalt hervorrufe. Eine neue Aufklärung müsse diese Gegensätze im Interesse sowohl von Menschen als auch von Tieren überwinden.

In diesem Zusammenhang sieht sie auch die Menschenrechte, die in der französischen Revolution den Schwerpunkt auf die individuelle Autonomie legten. Ökologische Probleme wie die Verschlechterung von Luft, Wasser und Böden stellen jedoch ebenso wie die traditionelle Herrschaft eine Verletzung der Grundrechte des Menschen dar, weil sie ihr Leben und ihre Gesundheit beeinträchtigen und zu Konflikten und Kriegen führen. 

Sie müssen deswegen durch „Menschheitsrechte“ ergänzt werden, welche auf Verantwortung beruhen und zukünftige Generationen und andere Spezies nicht belasten. „Während den Menschenrechten vorgeworfen wurde, sie förderten und stärkten den Individualismus, verbinden die Menschheitsrechte sehr klar und deutlich Freiheit und Verantwortung miteinander“ (117).

2. Rassismus, Nationalismus, Diversität und eine neue Ethik

Das von Pelluchon geforderte respektvolle Herangehen an die Rechte aller Lebewesen beschränkt sich nicht auf die Natur, sondern schließt gesellschaftliche Probleme mit ein. Eine harmonische Interaktion zwischen Menschen erfordert auch Respekt für ihre Einzigartigkeit und damit die Akzeptanz von Diversität (96).

Mit diesem Thema hat sich Gabriel sehr intensiv auseinandergesetzt. Für ihn gelten moralische Werte, die Gebotenes, Verbotenes und Erlaubtes festlegen, universal, d.h. für alle Menschen überall und zu allen Zeiten (44). Diese Werte sind keine europäische Erfindung („Eurozentrismus“), sondern galten schon in vormodernen Zeiten und auch außerhalb Europas.

Universalismus ist das Gegenteil von Relativismus. Das Gute, Neutrale und Böse sind unabhängig von individuellen oder gruppenbezogenen Wertvorstellungen. Universales Gebot ist deswegen, dass die eigene Kultur nicht Grundlage für Imperialismus und Unterjochung fremder Kulturen werden darf.

Die Biologie hat schon vor längerer Zeit erkannt, dass es keine menschlichen Rassen gibt, weil die genetische Varianz innerhalb dieser „Rassen“ größer ist als zwischen ihnen. Dies kann man auch daran erkennen, dass die Hautfarbe sich im Verlaufe der Migration immer wieder verändert hat.

Gabriel geht über die biologische Abschaffung von Rassen hinaus, indem er auch die soziale und kulturelle Identität anzweifelt. „All diese sozialen Identitäten sind in der Sache unbegründete, wissenschaftlich unzulängliche Vereinfachungen unserer komplexen sozialen und natürlichen Situation als Lebewesen auf dem Planeten Erde“ (190). Diese Identitäten beruhen auf Stereotypen und Vorurteilen. 

Er bezweifelt auch, dass es eine „deutsche Kultur“ gibt. Die Unterschiede zwischen Luther, Bach, Beethoven und der Berliner Technoszene seien hierfür zu groß. Stattdessen gibt es Gruppenbildungen, die auf einen gemeinsamen ästhetischen Geschmack zurückzuführen sind.

Soziale und kulturelle Stereotype sind moralisch verwerflich, weil sie zu Ausgrenzung und Diskriminierung führen. Die Folge sind sowohl innerhalb von Staaten als auch zwischen ihnen gewaltsame Auseinandersetzungen.

Die weltweite Zunahme nationalistischer und faschistischer Tendenzen und Regime kann nur dadurch bekämpft werden, dass individuelle Unterschiede akzeptiert werden. Jeder ist anders als jeder andere. Nach Gabriel ist dies eine anthropologische Konstante, die uns nicht trennt, sondern verbindet. Für die politische Umsetzung dieser Erkenntnis ist statt Identitätspolitik eine Differenzpolitik erforderlich, welche die große Vielfalt weltweit akzeptiert und nicht durch nationale oder Gruppenidentitäten einschränkt.

Hierfür ist eine universale Grundidee erforderlich: alle Menschen müssen am Guten teilhaben. Deswegen ist die innerhalb vieler Länder und zwischen ihnen herrschende ökonomische Ungleichheit mit unvorstellbarem Reichtum einer kleinen Spitze und Armut, Not und Verzweiflung eines Großteils der Bevölkerung moralisch verwerflich und muss durch Umverteilung behoben werden.

Diese Umverteilung als wichtiger Bestandteil der innerstaatlichen und internationalen Solidarität ist nur möglich, wenn sich das neoliberale Menschenbild des nur auf seinen persönlichen Vorteil bedachten homo oeconomicus ändert.

3. Neues Menschenbild als Basis von Solidarität und Kooperation

Die Ausführungen der Philosoph*innen Pelluchon und Gabriel werden hier durch die Erkenntnisse des Neurowissenschaftlers und Psychotherapeuten Bauer untermauert. Im Gegensatz zum neoliberalen Menschenbild stellt er fest, „… dass der Mensch aus der Sicht der Gene nicht für ein egoistisches, sondern für ein Sinn-geleitetes, prosoziales Leben bestimmt ist“ (20).

Der Mensch ist auf Zuwendung und Liebe eingestellt. Ausgrenzung aktiviert deswegen die Schmerzsysteme, wodurch Aggression hervorgerufen wird (49). Auch Armut wird von den Benachteiligten angesichts des großen Reichtums auf der anderen Seite als Ausgrenzung empfunden. Die Beseitigung ökonomischer Ungleichheit ist auch aus diesem Grund eine wichtige Aufgabe.

Sozialdarwinistische Überzeugungen findet man dagegen häufig bei Menschen mit psychischen Störungen wie Narzissmus, geringer Empathiefähigkeit und antisozialem Verhalten. Auch soziale Netzwerke im Internet können bei Menschen mit wenigen sozialen Beziehungen die sozialen Fähigkeiten durch ständigen Wettbewerb um die meisten Freunde, “Likes“ und die besten Selbstdarstellungen beeinträchtigen.

Sowohl Bauer als auch Gabriel sehen in Veränderungen des Bildungssystems einen wichtigen Beitrag zur Stärkung von Kooperationsfähigkeit und Solidarität. Bauers Schwerpunkt liegt in der stärkeren Betonung der pädagogischen Beziehung, wozu er auch Trainingsprogramme mit schulischen Lehrkräften durchführt. Gabriel fordert eine Ethik für alle, die unabhängig von Schulform, Religion Herkunft, Vermögen, Geschlecht und politischer Meinung für alle gültig ist (336). Im Unterschied zum Neoliberalismus versteht er unter Moral ein System normativer Anforderungen, das die eigene Vorteilsperspektive unter bestimmten Umständen zugunsten der Verfolgung fremder Güter und Interessen zurückstellt (113).

4. Fazit

Die Forderung nach Berücksichtigung allen Lebens weltweit erfordert sowohl eine Ausrichtung der Politik auf internationale Solidarität als auch auf Arten- und Klimaschutz, wovon wir noch weit entfernt sind. Bildung kann hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten. Auch für Attac eröffnen sich hier wichtige Handlungsperspektiven zum Beispiel durch die Entwicklung von entsprechendem Material für die schulische Bildung.

Literatur
Bauer, Joachim (2021): Das emphatische Gen. Das Gute und die Bestimmung des Menschen. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau
Gabriel, Markus (2020): Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten. Universale Werte für das 21. Jahrhundert. Ullstein Verlag, Berlin
Pelluchon, Corine (2021): Das Zeitalter des Lebendigen. Eine neue Philosophie der Aufklärung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt


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