Die wahrscheinlichste Antwort auf die Frage, woher das Coronavirus stammt, ist: «Die Wissenschaft hat diese Pandemie verursacht.» Das sagte der Virologe Robert Redfield jüngst in einem Video-Interview mit «The Hill». Redfield leitete bis Januar 2021 die US-Gesundheitsbehörde «Centers for Disease Control and Prevention» (CDC) und war Mitglied der US-Coronavirus-Taskforce.
Seit über drei Jahren steht die Frage im Raum, ob die sogenannte «gain of function»-Forschung (GOF), bei der Mikroben absichtlich gefährlicher gemacht werden, zur Corona-Pandemie geführt hat. Redfield hält das für sehr viel plausibler als die Hypothese vom Virus, das von Tieren auf den Menschen übersprang. (...)
Allein die Tatsache, dass es Wissenschaftler mit Einblick für möglich hielten, dass Sars-CoV-2 ein Laborprodukt war oder durch einen Laborunfall freigesetzt wurde, hätte zur öffentlichen Diskussion führen müssen, ob solche Forschung weiterhin stattfinden soll. Auf diesen Punkt wies kürzlich der Kolumnist David Wallace-Wells in der «New York Times» hin. (...)
Barack Obama erliess ein Forschungsmoratorium für die «gain of function»-Forschung, ein Entscheid, dem auch mehrere Laborunfälle vorausgingen. So wurden zum Beispiel einmal anstelle von angeforderten, harmlosen Grippeviren versehentlich tödliche Vogelgrippe-Viren von einem Labor zu einem anderen verschickt, berichtete 2014 die «New York Times«. (...) David Wallace-Wells nennt einige Zahlen: Seit 2010 habe sich die Anzahl der Hochsicherheitslabore (BSL-4) weltweit mehr als verdoppelt. Es gibt keine offizielle Übersicht, geschweige denn Aufsicht über diese Labors. Dazu kommt eine ungewisse Anzahl von BSL-2 und schätzungsweise 1500 BSL-3-Labore, in denen ebenfalls «potenziell gefährliche» Arbeit gemacht werden könnte (auch wenn viele davon einfach nur als Spitalllabor oder ähnlich zivilen Zwecken dienen würden). Plus die sogenannten BSL-3+-Labore, die laut einem kritischen Wissenschaftler «fast komplett unreguliert» seien. Viele Länder hätten praktisch «Null Übersicht». (...)
Begründet wird die «gain of function»-Forschung unter anderem damit, dass die Wissenschaft so künftige Entwicklungen von Viren besser voraussagen und Impfungen oder Medikamente dagegen entwickeln könne. Doch die aktuell grassierenden Vogelgrippe-Viren scheinen sich bisher anders zu entwickeln als von den Forschenden erwartet, schreibt Wallace-Wells. Auch von der Omikron-Virusvariante bei Sars-CoV-2 wurden die Wissenschaftler bekanntermassen überrascht.
Die «gain of function»-Forschung werde ihr Versprechen, die nächste Grippe-Pandemie vorherzusagen, nie erfüllen können, und sie mache die Welt zu einem gefährlicheren Ort, ist Simon Wain-Hobson überzeugt. «Die Crux ist, dass sich ein pandemischer Virusstamm nicht vorhersagen lässt – und damit ist der propagierte Nutzen [der «gain of function»-Forschung – Anm. d. Red.] hinfällig», argumentierte der emeritierte Professor am Pasteur Institut in Paris im November 2022 auf «the-microbiologist.com» und fuhr fort: Wir könnten niemals feststellen, wozu diese künstlich hergestellten Viren fähig seien, weil Tiermodelle von begrenztem Vorhersagewert für menschliche Infektionen seien und eine experimentelle Infektion von Menschen mit solchen Viren nicht in Frage komme. «Trotzdem ist die «gain of function»-Virologie auf dem Vormarsch», so Wain-Hobson.
Bei dieser Forschung gehe es jedoch nicht nur um Viren, die einen Menschen nach dem anderen dahinraffen würden, so Wain-Hobson. Sondern auch um Viren, die zum Beispiel etwa so Wichtiges wie Reispflanzen befallen könnten.
Immer wieder hätten ihm Menschen gesagt: «Warum soll man neue und für Menschen gefährliche Viren herstellen? Wissenschaftler sollten keinen Schaden anrichten.»
«Wir brauchen dringend eine weit offenere Diskussion vor dem nächsten unvermeidbaren Unfall», verlangt Wain-Hobson, und damit steht er nicht allein.