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»Unsere Forderung nach Gerechtigkeit ist Ausdruck quantischer Verbundenheit«

Erhard Wiers-Keiser, 82, ist Attacie und fasziniert von der Quantenphysik. Für ihn ist die Attac-Forderung nach einer gerechten Welt Ausdruck quantischer Verbundenheit. Wir haben mit ihm über seinen politischen Lebensweg gesprochen, wie für ihn gesellschaftliche Fragen und moderne Quantenphysik zusammengehören, und auch darüber, wie er Attac über sein Leben hinaus verbunden bleiben möchte.

Erhard, wie bist du politisch sozialisiert, und wie kamst du zu Attac?

Während ich ursprünglich beruflich in der Werbung war, waren es ab den 1970er-Jahren mehr und mehr die gesellschaftlichen und ökologischen Alternativen, für die ich mich interessierte und die ich auch versuchte zu leben. Mein Spezialgebiet wurde die Planung von ökologischen Niedrigenergie-Häusern. Im Rentenalter wurde ich in der Anti-Atom-Bewegung aktiv, war fasziniert von den Berichten über den Attac-Kongress »Jenseits des Wachstums« 2011, und als dann im Herbst 2011 die großen »Occupy Wall Street«-Demos stattfanden, stand für mich fest, dass wir auch in unserer Region eine Attac-Gruppe brauchen, die ich dann 2012 gründete.

Du hast ja einen echten Wendepunkt erlebt – weg von der klassischen Werbung, hin zum politisch lebenden und arbeitenden Menschen. Wie kam es dazu?

Da kommt eine spirituelle Note ins Spiel – was interessant ist, weil ich immer schon ein zwar kreativer, aber wissenschaftsorientierter Mensch bin, für den alles stimmig und genau sein muss. Nach dem Abitur war ich total aufs Geldverdienen aus. Das führte mich in die Werbung, wo ich bald Art Director wurde, und dann in die Werbefotografie, weil man dort noch mehr verdienen konnte (lacht). Und gerade als es im Frühjahr 1973 so richtig losging – ich hatte ein schönes Studio im Frankfurter Westend und gute Aufträge – lag ich eines Tages auf der Couch und hörte Beethovens »Eroica«, als ich etwas Außergewöhnliches erlebte: einen mehrere Minuten andauernden, tief beglückenden und energiegeladenen Bewusstseinszustand. Natürlich wollte ich wissen, was mir da geschehen war und stieß auf Abraham Maslows »Psychologie des Seins«. Maslow beschreibt dort ausführlich den über unser Ego weit hinausgehenden Bereich unseres Bewusstseins – was mir den Weg öffnete für meine Suche nach Sinn! Meine Fixierung auf die verlogene Werbung und auf Geld wurden mir zuwider, und ich wandte mich ab 1975 sinnvollen politischen wie beruflichen Betätigungen zu. Nach längerer Einarbeitung plante und leitete ich das im Auftrag des Forschungsministeriums wissenschaftlich begleitete Forschungsprojekt »Nullenergiehaus«, das 1987/88 gebaut wurde.

Ein Ausdruck deiner Suche nach Erklärungen und Sinn ist sicher auch deine intensive Beschäftigung seit 2007 mit der Quantenphysik, die für dich viel mit politischem Engagement zu tun hat. Kannst du deine Idee hier grob umreißen?

Ich habe zu dem Thema sogar ein kleines Buch geschrieben: »Ein kurzes Plädoyer für das, was wir Gott nannten« heißt es, hat nur 72 Seiten – damit man es auch zur Hand nimmt – und ist im Februar erschienen. Ich versuche, den Menschen ganzheitlich, also sowohl in seiner Beziehung zum Welt-Ganzen als auch vor allem zur Evolution, zu sehen, und das auf der Grundlage moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse.

Die wesentliche wissenschaftliche Perspektive sehe ich in der modernen Quantenphysik. Sie weist nach, dass nicht Materie das der Welt Zugrundeliegende ist, sondern Information und quantische Verbundenheit – und unsere Forderungen nach der gerechten Welt sind für mich eindeutig Ausdruck dieser Verbundenheit! Aus der Quantenphysik leite ich auch die Hoffnung ab, dass es durch eine zunehmende Orientierung am Gemeinwohl letztlich zur Überwindung des Kapitalismus kommen wird. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob viele Attacies diesen Ansatz teilen (lacht).

Du bist ja nicht nur Aktivist, sondern du hast dir auch Gedanken gemacht, wie du auch über dein Leben hinaus Attac unterstützen kannst und hast dich entschlossen, Attac dein Haus zu vererben. Was hat dich dazu bewogen?

Die Begrenztheit meines Lebens auf noch wenige Jahre ist für mich völlig okay (lacht), denn der Tod ist untrennbar mit dem Leben verbunden. Und mit dem Vererben öffnet sich ein über das individuelle Leben weit hinausgehendes Feld der Beteiligung und der Einflussnahme auf die Zukunft. Im Umweltbereich gibt es schon eine Reihe von Vererbungsinitiativen; wenige dieser Initiativen haben einen sozialen Schwerpunkt. Keine Organisation steht so für beide Seiten, für die gegenseitige Abhängigkeit und Verbundenheit der großen Zukunftsfelder Klima/Umwelt und Mensch, wie Attac. In einem übertragenen Sinn ist damit mein Vererben an Attac nichts anderes als ein Einsatz für das Leben – der eben nach meinem Tod geschieht. Nicht an bestimmte Personen zu vererben, sondern in politische Ideen zu investieren, ist eine völlig andere und größere Dimension. Es geht weit über das Wohl einzelner, bevorzugter Erben hinaus um das Wohl aller Menschen. Wir stehen vor einem Perspektivenwechsel: In der Vergangenheit dachten wir Jahrtausende lang in Familienstrukturen; zukünftig wird es unseren Kindern und Enkeln am besten gehen, wenn es allen gut geht.  Es geht auch beim Vererben um das gute Leben für alle!