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index > Sachstand Dienstleistungsrichtlinie (Bericht Büro Ulla Lötzer)

Sachstand Dienstleistungsrichtlinie - Stand: Juli 2006 - Büro Ulla Lötzer

Aktueller Sachstand zur Auseinandersetzung um die EU-Dienstleistungsrichtlinie


I. Überblick

Die EU-Dienstleistungsrichtlinie (DLR) wurde nach der ersten Lesung im Europäischen Parlament durch die EU-Kommission und mittlerweile auch durch den zuständigen Ministerrat für Wettbewerb verändert. In den nächsten Wochen folgt die Überweisung zur zweiten und wahrscheinlich endgültigen Lesung ins Europäische Parlament, die voraussichtlich im Herbst 2006 stattfindet. Die Richtlinie könnte dann 2009 in Kraft treten. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die wesentlichen Änderungen und Kritikpunkte gegeben werden. Im Anschluss findet sich eine ausführlichere Behandlung von diverse ‚Nebenkriegsschauplätze’, die die EU-Kommission eröffnet hat, um die neoliberale Agenda der ursprünglichen Bolkestein-Richtlinie über die Hintertür wieder durchzusetzen. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um

  • ‚Empfehlungen’ zur Umsetzung der Entsendeleitlinie,
  • eine Mitteilung zu den sozialen Dienstleistungen und
  • eine geplante Richtlinie zu den Gesundheitsdienstleistungen


1. Veränderungen an der Richtlinie durch die Kommission

Im Anschluss an die erste Lesung des Parlaments hat die Kommission einen geänderten Vorschlag der Richtlinie. Im Folgenden die wesentlichen Änderungen:

  • Herkunftslandprinzip: Die Entscheidung des Parlaments, dass das Arbeitsrecht des Ziellandes und das Recht, Tarifverträge abzuschließen anerkannt werden, wurde übernommen.
    Der berühmt-berüchtigte Art. 16 lautet nun: „Der Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung erbracht wird, sorgt für freie Aufnahme und für freie Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten innerhalb seines Hoheitsgebiets.“ Damit ist in keinster Weise gesichert, dass das statt dem recht des Herkunftslandes nun das Recht des Bestimmungslandes gilt. Vielmehr werden Anforderungen an Dienstleister aus dem EU-Ausland einer engen Begründungspflicht ausgesetzt. Diese dürfen in Zukunft
    • nicht direkt oder indirekt diskriminierend wirken,
    • müssen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit, Gesundheit oder des Umweltschutzes erforderlich und
    • verhältnismäßig sein.
  • Anwendungsbereiche:
    • Ausnahme der Gesundheitsdienstleistungen, aber nur derjenigen, die von reglementierten Gesundheitsberufen erbracht werden.
    • Ausnahme der ‚nationalen Bildungssysteme’, solange diese „noch überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert wird.“ (Erwägungsgrund 16). Angesichts der häufigen Mischung aus privater und staatlicher Finanzierung und Erbringung von Bildungsdienstleistungen ist damit aber in keinster Weise Rechtssicherheit geschaffen worden.
    • Ausnahme von Sozialdienstleistungen aber nur im Zusammenhang mit Sozialwohnungen, Kinderbetreuung und der Unterstützung bedürftiger Personen.
    • Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse sind grundsätzlich nicht von der DLR ausgenommen worden, sondern nur von Art. 16. (Freier Dienstleistungsverkehr)
    • Zeitarbeit ist ebenfalls nicht grundsätzlich ausgenommen worden, sondern nur die „Dienstleistungen von Zeitarbeitsagenturen“.
  • Eine wirksame Wirtschaftsaufsicht und insbesondere eine Kontrolle von unlauterem Wettbewerb und offenen Betrug wird in den Art. 33 ff stark erschwert. Dies würde insbesondere Verstöße gegen Scheinselbständigkeit oder gegen verbürgte Arbeitnehmerrechte wie nationale oder sektorale Mindestlöhne betreffen.


2. Veränderungen im Rat

  • Es wurde ein neuer Erwägungsgrund (39c) eingeführt, der beinhaltet, dass Einschränkungen in Bezug auf Beschäftigungsbedingungen nichtdiskriminierend, notwendig und angemessen sein müssen.
  • Der wichtige Bezug zur Grundrechtecharta und dem dort verankerten Prinzipien des kollektiven Arbeitsrechtes in Art. 1, Nr. 7 wurde gestrichen.
  • Die Ausnahme der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse wurde noch einmal eingeschränkt auf nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse.
  • Die Ausnahmekriterien für die sozialen Dienstleistungen wurden weiter verschärft. Erwägung 10h und Artikel 2cg gebrauchen jetzt die Formulierung 'provided by the State, by providers mandated by the State or by charities recognized as such by the State'.
  • Nach dem vorliegenden englischen Text (Erwägungsgrund 14) hat hier entgegen der Behauptung der Bundesregierung keine (!) Änderung stattgefunden, die die Pflege explizit ausschließt.
  • Die sog. ‚Review Clause’ (Art. 43) wurde noch einmal verschärft. Danach ist es möglich, dass die Kommission in Zukunft Maßnahmen gerade auch für die Bereiche vorschlägt, die aus dem Geltungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen sind. Damit hat sich die Kommission einen Freibrief gegeben, um die erreichten Ausnahmen vom Geltungsbereich der Richtlinie wieder rückgängig zu machen.
  • Die Bundesregierung behauptet eine Entschärfung der vorgesehen neuen Berichtspflichten. Bei den Berichten handelt es sich um das zentrale, ‚weiche’ Deregulierungsinstrument, das in Zukunft für den DL-Binnenmarkt eingeführt wird. In der Kommissionsfassung war bisher nur eine nationale Berichtspflicht für Beschränkungen zur Niederlassungsfreiheit vorgesehen. Der Rat fügt dem einen zweiten Bericht zur Deregulierung des freien (grenzüberschreitenden) Dienstleistungsverkehrs hinzu (Art 41. Abs 5). Die Bundesregierung versucht es als Erfolg zu verkaufen, dass hier keine konkrete Rechtfertigungspflicht, sondern nur eine Begründungspflicht eingeführt wurde. Vertragsverletzungsverfahren vor dem EUGH sind damit aber natürlich in keinster Weise ausgeschlossen.


Politische Bewertung:

Die Auseinandersetzung um die DLR tritt in die entscheidende, letzte Phase. An der grundsätzlichen Ausrichtung der Richtlinie - Liberalisierung und Deregulierung des Dienstleistungssektors – hat sich nichts geändert. Von einer „fein austarierte Balance zwischen Marktöffnung und Sozial- und Umweltschutz“ (Bundesregierung) kann nicht die Rede sein. Zwar wird jetzt das Arbeitsrecht und Tarifvertragsrecht des Ziellandes anerkannt. Allerdings gibt es bei uns keinen gesetzlichen Mindestlohn. Tarifliche Bedingungen sind nur für den Bau im Entsendegesetz abgesichert. Somit gibt es für ausl. Dienstleistungserbringer nur sehr eingeschränkte arbeitsrechtliche Vorgaben, an die sie sich halten müssen.

Nach der nationalen Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie werden Arbeitnehmerrechte, Verbraucher-, Sozial- und Umweltstandards begründungspflichtig und schrittweise abgebaut werden, Lohn- und Sozialdumping befördert, Kontrollen gegen Verstöße erschwert.

  • Nach wie vor setzt die Richtlinie auf marktradikale Konkurrenz und Privatisierung statt einer sozialen und ökologischen Gestaltung durch Harmonisierung von Standards auf hohem Niveau.
  • Nach wie vor sind große Teile der öffentlichen Daseinsvorsorge im Geltungsbereich der Richtlinie, wie z. B. die Erwachsenenbildung oder die Volkshochschulen. Völlig ungeklärt ist der Schutz des gemeinwohlorientierten Sektors.
  • Nach wie vor werden inländische Unternehmen, die sich an nationale Auflagen und Gesetze halten müssen, diskriminiert.
  • Nach wie vor werden die Behörden des Landes, in dem die Dienstleistung erbracht wird, massiv an einer wirksamen Kontrolle gehindert.
  • Nach wie vor wird die politische Gestaltung Europas an den Europäischen Gerichtshof abgetreten.

Die Bundesregierung hat dem im Wettbewerbsrat nichts entgegengesetzt und verkündet gemeinsam mit Medien und EU-Vertretern in der Öffentlichkeit Entwarnung. Von den CDU-geführten Ländern wurde in den Bundesrat eine kritische Stellungnahme eingebracht und verabschiedet. Die politische Einflussnahme des Bundestags muss von uns selbst erzwungen werden und zwar vor allem über den Druck auf die Bundesregierung.
Politisch muss es darum gehen, letzte Widerstandsmöglichkeiten auszuschöpfen und gleichzeitig schon jetzt damit zu beginnen die Folgewirkungen der Richtlinie aufzuzeigen. Hier bietet sich insbesondere eine enge Verzahnung mit der Mindestlohnkampagne an. Die Gewerkschaften (GEW. IG Metall, IGBAU und der DGB) haben mittlerweile kritische Stellungnahmen zu den aktuellen Texten vorgelegt.


Die nächsten Termine und Schritte:

28 Juni 2006: Im federführenden Wirtschaftsausschuss wurde auf unseren Antrag, unterstützt von Grünen und FDP die Durchführung einer Anhörung des Wirtschaftsausschusses (Der Gesundheitsausschuss hat sich am 3. Mai bereits bei einer auswärtigen Sitzung in Brüssel über die Auswirkungen der Richtlinie informiert.)
Juli 2006: Antworten der Bundesregierung auf die Große und Kleine Anfrage der Linksfraktion
24.07. 2006 / 25. 9. 2006: Sitzungen Wettbewerbsrat (finnische Präsidentschaft): offizieller Beschluss Gemeinsamer Standpunkt und Weiterleitung an EP
September 2006: Anhörung Wirtschaftsausschuss
September / Oktober 2006 (??): Zweite Lesung im EP

Aus unserer Sicht ist jetzt unbedingt eine Verbindung der Auseinandersetzung um die Dienstleistungsrichtlinie mit der Mindestlohnkampagne herbeizuführen. Ein gesetzlicher Mindestlohn ist auch im Zusammenhang mit der DLR zwingend, wie auch die Ausweitung des Tarifschutzes im Entsendegesetz.

Mit einer Broschüre gibt es dafür erneut Material, das an den Infoständen zur Mindestlohnkampagne benutzt werden und an die Gewerkschaften und Verbände vor Ort weitergegeben werden kann.


II. Bolkestein durch die Hintertür – Details zu einzelnen Bereichen und neue Initiativen der EU-Kommission

1. Gewerkschaftliche Rechte / Entsendeleitlinien

Es ist sicherlich ein Erfolg, allerdings der sozialen Bewegungen, nicht der Regierung, dass die europäische Kommission im geänderten Entwurf den Mitgliedsstaaten das Recht zugesteht „ihre Vorschriften zu Beschäftigungsbedingungen einschließlich derjenigen, die in Tarifverträgen niedergelegt sind, anzuwenden“. Das ist schwammig formuliert und nicht ausreichend. Der Wettbewerbsrat hat zudem einen neuen Passus (Erwägungsgrund 39c) eingeführt, der beinhaltet dass Einschränkungen in Bezug auf Beschäftigungsbedingungen nichtdiskriminierend, notwendig und angemessen sein müssen. Die grundsätzliche Anerkennung des Arbeitsrechtes und auch gewerkschaftlicher Rechte – wie vom Parlament gefordert – wurde nicht akzeptiert. Der Bezug auf die Grundrechtecharta, der in eine ähnliche Richtung ging, wurde von den Ministern gestrichen. Die Unterscheidung von Selbständigen und abhängig Beschäftigten wurde nicht verbessert. Leiharbeit wurde nur unzureichend von der Richtlinie ausgenommen. Konzerninterne Verleihung und Verleihung durch Unternehmen mit formal anderem Rechtszweck wird nicht erfasst. Damit sind genug
Schlupflöcher zur Umgehung von Lohn- und Sozialstandards offen.

Die Bundesregierung argumentiert: Mit der Ausnahme der Entsenderichtlinie vom Geltungsbereich der Richtlinie wäre der Schutz vor Lohn- und Sozialdumping erreicht worden. Das ist glatt gelogen. Die Entsenderichtlinie sichert in der EU zwar das Prinzip: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“. Damit ist es möglich, nationale Standards auch auf europäische Arbeitnehmer anzuwenden, die vorübergehend nach
Deutschland ‚entsandt’ werden. In vielen Ländern der EU wurde diese Richtlinie aber nur unzureichend umgesetzt und oft hielten sich die beteiligten Firmen nicht an die Vorschriften oder versuchen diese durch undurchsichtige Konstruktionen einer Vielzahl von Unterauftrags-Verhältnissen, falsche Angaben über Firmensitze etc., zu unterlaufen oder liefern nur unzureichende Informationen über die Bedingungen des
Einsatzes entsandter Arbeitskräfte, was ein echtes Hindernis für die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen bedeute.

Die Bundesrepublik bleibt im europäischen Vergleich auch hier weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Für die meisten Branchen sind nur gesetzliche Mindestbedingungen in Bezug auf Arbeitszeit, Urlaub, Mutterschutz, Gleichbehandlung von Männern und Frauen und sonstige Arbeitsbedingungen im Entsendegesetz (Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht) geregelt. Tarifverträge regeln mehr: Höhere Löhne und
Gehälter, 35-40 Stunden wöchentliche Arbeitszeit, statt 48, mehr Urlaub, Qualifikationsansprüche, Mindestbesetzungen an Maschinen und vieles andere mehr. Eine gesetzliche Mindestbedingung für Entlohnung gibt es nicht, auch das ist ein wesentlicher Grund für einen gesetzlichen Mindestlohn.

In einer neuen ‚Leitlinie für die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen’ (KOM (2006) 159) versucht die Kommission die nationalen Kontrollrechte gegenüber ausländischen Unternehmen, die Arbeitnehmer nach Deutschland entsenden, kaum dass sie durch das Europäische Parlament wieder dem Zielland zugesprochen wurden, auszuhöhlen. Der Inhalt - die durch das Parlament
gestrichenen Art. 24 und 25 aus der ‚Bolkestein-Richtlinie’ -taucht in der Leitlinie nun wieder auf. Betroffen wären davon vor allem Sanktionen und Kontrollen gegen Schwarzarbeit, Scheinselbständigkeit und bei Verstößen gegen nationale Mindestlohnregelungen und andere Sozialstandards, die im Arbeitnehmerentsendegesetz vor allem im Baubereich geschützt sind.

Nach den Empfehlungen der Kommission an die Mitgliedstaaten ist es z. B.

  • nicht mehr angemessen, dass ein verantwortlicher Rechtsvertreter vor Ort als Ansprechpartner zur Verfügung stehen muss. In Deutschland würde das zur Folge haben, dass ein Bußgeldbescheid wegen Verstößen gegen die Entsenderichtlinie (Schwarzarbeit, Lohn- und Sozialdumping) nicht rechtsgültig zugestellt und so das Strafverfahren nicht verfolgt werden kann. Man müsste erst umständlich im Ausland mit einer Behörde Kontakt aufnehmen, die dann der Firmenzentrale den Bußgeldbescheid zustellt. Die Firmen hätten genug Zeit gewonnen, um ihr Vergehen zu verschleiern und sich der Verantwortung zu entziehen.
  • Außerdem dürfen Unternehmen nicht mehr verpflichtet werden vor der Arbeitsaufnahme die jeweilige Entsendung anzumelden oder genehmigen zu müssen, Arbeitsunterlagen wie Arbeitsverträge oder Abrechnungen müssen nicht mehr am Arbeitsort vorgehalten werden. Künftig wäre es auch unzulässig, von den Entsendefirmen den Nachweis zu verlangen, dass sie drittstaatsangehörige Arbeitnehmer bereits vor der Entsendung beschäftigt haben müssen bzw. eine Arbeitserlaubnis im Zielland zu beantragen. Das würde Menschenhandel Tür und Tor öffnen (1).
  • Die Bundesregierung hält in einer ersten Stellungnahme drei Ergänzungen bzw. Klarstellungen durch KOM für erforderlich:
    • die Pflicht zum Vorhalten von Lohnabrechnungen und Zahlungsbelegen am Arbeitsort
    • die Pflicht zur Nennung von Name und Anschrift eines Zustellungsbevollmächtigten
    • nachträgliche Kontrollen bei entsandten Drittstaatsangehörigen

Die Mitteilung ist zwar nicht rechtsverbindlich, allerdings kündigt die Kommission an, auf Grundlage dieser Mitteilung Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedsstaaten anzustreben. Insgesamt geht es der Kommission darum, die Kern-Kontrollinstrumente der Mitgliedstaaten gegen Lohn- und Sozialdumping einzuschränken. Sie stellt damit kriminellen Entsendefirmen und Leiharbeitsvermittlern einen Freibrief aus.

Weiterhin fordern wir:

  • Einen nationalen, gesetzlichen Mindestlohn
  • Eine Ausweitung des Tarifschutzes im Entsendegesetz auf alle Branchen und die Einbeziehung der Lohn- und Manteltarifverträge, die die Arbeitsbedingungen regeln
  • Die komplette Herausnahme der Leiharbeit aus der DLR und eine europäische Regulierung (Leiharbeitsrichtlinie) in diesem Bereich,
  • Scheinselbstständigkeit muss auf nationaler Ebene eng definiert werden können
  • Kontroll- und Überwachungsrechte von Verstößen gegen nationale Standards müssen ausgebaut werden, sonst laufen Mindestlöhne und andere Standards ins Leere.


2. Öffentliche Dienstleistungen werden schrittweise sturmreif geschossen!

Die Deregulierung und Kommerzialisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge wird auf europäischer Ebene weiter forciert. Zu den von der Dienstleistungsrichtlinie erfassten Sektoren gehören z. B. Wasser, Entsorgung, Strom + Gas und Bildung. In der Richtlinie heißt es zwar, dass die nationalen Regierungen ihre öffentlichen Dienste selbst organisieren können, aber auch, dass dies in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht
erfolgen muss. Da es auf EU-Ebene bisher kein Rechtsinstrument für den Schutz von öffentlichen Diensten gibt, bedeutet dieser Satz eigentlich: „Nationale Regierungen können ihre öffentlichen Dienste in Übereinstimmung mit der Dienstleistungsrichtlinie organisieren!”

Die Europäische Kommission wird nach Verabschiedung der DLR in Zukunft noch stärker prüfen, wie nationale Regierungen ihre öffentlichen Dienste organisieren (Genehmigungsregelungen) und die vor allem von Kommunen erbrachten Leistungen der Daseinsvorsorge weiter in Richtung Privatisierung und Kommerzialisierung drängen. Die Kommission wird nur interessieren, ob die Dienstleistung den Binnenmarktgesetzen folgt; sie wird nicht fragen, ob dies eine öffentliche Dienstleistung höchster Qualität ist. Die Europäische Kommission kann in Zukunft neue Regelungen blockieren, die eine nationale Regierung zum Schutz der Qualität und der Erbringung eines öffentlichen Dienstes einführt (Anforderungsklausel).

Waren in der alten Fassung der Dienstleistungsrichtlinie noch alle Dienstleistungen von allgemeinen Interesse ausgeschlossen, so heißt es nun im Ratstext nur noch: Dienstleistungen von allgemeinem nichtwirtschaftlichen Interesse (DANWI). Die Kommission hat selbst in den letzten Jahren mehrfach erklärt, dass es nicht abschließend möglich ist, ein Verzeichnis von nichtwirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse aufzuführen (z. B: Grünbuch, Absatz 45). Damit sorgt der Rat jetzt für weitere juristische Unklarheiten und Auslegungsprobleme. Bisher gab es höchstens die (ebenfalls unklare) Unterscheidung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (DAI) (Justiz, Bildung usw.) und Dienstleistungen
von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI: Energie, Telekommunikation…). Die Kommission unterscheidet dabei nur noch zwischen marktbezogenen und nicht-marktbezogenen Dienstleistungen. Der nicht-marktbezogene Bereich soll immer mehr eingeschränkt und auf ein absolutes Mindestmaß zurückgefahren werden. Alle anderen Bereiche (wie der Dritte Sektor) sollen den europäischen Wettbewerbsregeln
und Beihilfeverboten unterworfen werden.

Besonders betroffen sind dabei der Bildungsbereich und die sozialen Dienste. Die Kommission hat zwar mittlerweile klar gestellt, dass die DLR nicht für die nationalen Bildungssysteme gilt, solange diese „nochüberwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert wird.“ (Erwägungsgrund 16). Die Bundesregierung verkauft dies als Erfolg und meint alle Probleme wären dadurch beseitigt. Angesichts der Mischung aus privater und staatlicher Finanzierung und Erbringung von Bildungsdienstleistungen ist damit aber in keinster Weise Rechtssicherheit geschaffen worden. Vielmehr wird dadurch die Aufspaltung von Bildungsdienstleistungen in private und öffentliche fortgeschrieben.

Aktuell findet im Europäischen Parlament unter Berichterstattung des deutschen Sozialdemokraten Rapkay eine Debatte zum Kommissions-Weißbuch über Dienstleistungen von allgemeinem Interesse statt. Europäische Sozialdemokraten und Grüne haben Vorschläge für eine europäische Rahmenrichtlinie entwickelt und eine Kampagne zum Schutz der öffentlichen Daseinsvorsorge angekündigt. Auch die Sozialdemokraten übernehmen dabei die Unterscheidung in marktbezogenen (durch Nutzer finanziert) und nichtmarktbezogene Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (durch öffentliche Gelder finanziert). Zum Anwendungsbereich heißt es dort: „Diese Richtlinie findet immer dann Anwendung, wenn eine Behörde auf nationaler, regionaler, lokaler oder Gemeinschaftsebene beabsichtigt, einem Dienstleistungserbringer, der
eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, Gemeinwohlverpflichtungen oder die Pflicht zur Erbringung eines Universaldienstes aufzuerlegen.“ …

Wir fordern deshalb seit Jahren eine EU-Rahmenrichtlinie in der

  • die Sicherstellung von qualitativ hochwertigen Standards für die flächendeckende Erbringung von DAI und DAWI und der erschwingliche und gleichberechtigte Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen im Vordergrund stehen,
  • die europaweite Ausschreibungspflicht zugunsten von qualitativen, sozialen, ökologischen und regionalen Zielen revidiert wird,
  • und die Definition, Organisation und Finanzierung der DAI und DAWI den Mitgliedstaatenüberlassen bleibt.


3. Soziale Dienste als Wirtschaftsunternehmen

Im Hintergrund untergräbt die Kommission die Beschlüsse des Europäischen Parlamentes oder auch des Rates und versucht Bolkestein-pur wieder durch die Hintertür einzuführen. In einer Mitteilung zu den Sozialdienstleistungen (KOM (2006) 177) definiert die Kommission jetzt Kindergärten, Einrichtungen der Behindertenhilfe oder der Altenpflege und viele weitere soziale Dienstleistungen „unabhängig von der Rechtsform des Unternehmens und der Art seiner Finanzierung“ zu Wirtschaftsunternehmen um und liefert sie damit dem freien Markt aus.

Als „Dienstleistungen von allgemeinem Interesse mit wirtschaftlichen Charakter“ gelten demnach alle Dienstleistungen, die gegen Entgelt erbracht werden – also auch Bibliotheken, Freibäder oder Volkshochschulen. Die Kommission folgert daraus, „dass praktisch alle Dienstleistungen im sozialen Bereich als‚wirtschaftliche Tätigkeit’ im Sinne der Artikel 43 und 49 des Vertrages betrachtet werden können“. Sie stellt offen und dreist klar, dass unabhängig von der Herausnahme der Dienstleistungen aus dem Geltungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie, diese weiter dem Gemeinschaftsrecht und hier eben der Dienstleistungsfreiheit, der Niederlassungsfreiheit und dem Wettbewerbsrecht unterliegen. Insbesondere stellt sie klar, dass der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit alle anwendbaren nationalen Bestimmungen entgegenstehen,„die die Ausübung dieser Grundfreiheiten weniger attraktiv machen könnten“ und nicht nur solche, die ausländische Anbieter direkt diskriminieren. Solange das europäische Wettbewerbsrecht soziale Dienstleistungen vorwiegend markt- und nicht aufgabenbezogen definiert und gemeinnützige Träger vom Beihilfeverbot bedroht sind, ist die Freie Wohlfahrtspflege und das Prinzip der Gemeinnützigkeit als wesentlicher Träger des bundesdeutschen und vermeintlichen und viel zitierten ‚Europäischen Sozialmodells’ in Gefahr. Die EU-Kommission unterscheidet dabei nur noch zwischen Markt oder Staat als möglichen Organisationsprinzipien von Dienstleistungen. Sobald die öffentliche Hand sich entscheidet, Aufgaben einem externen
Partner (der nicht zu 100 % in öffentlichen Besitz ist) zu übertragen oder mit dem privaten Sektor zusammenzuarbeiten, greife das Gemeinschaftsrecht. Eine gemeinwohlorientierte Daseinsvorsorge oder einen Dritten Sektor kennt die EU-Kommission nicht. Insbesondere sollen dadurch nach dem Modell z. B. der Verkehrsdienstleistungen auch Sozialdienstleistungen stärker den europäischen Vergabevorschriften (Ausschreibungszwang) und dem europäischen Beihilferecht (Beihilfeverbot!) unterworfen werden.


4. Gesundheitsdienstleistungen

In Reaktion auf die Abstimmung im Europäischen Parlament wird von der Kommission und der Bundesregierung behauptet, dass die Gesundheitsdienstleistungen vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen wären. Das ist erstmal aufgrund der schwammigen Formulierungen in keinster Weise gesichert. Zusätzlich verschärft die EU-Kommission ihren Durchgriff auf den - vor ihrer direkten Einflussnahmen geschützten - Gesundheitsbereich in Richtung Liberalisierung und Privatisierung. Unmittelbar nach dem Ausschluss des Gesundheitsbereichs aus der DLR kündigte die Kommission an, diesen gesondert zu regeln: Für den Herbst ist eine Richtlinie angekündigt, die einen „Gemeinschaftsrahmen für sichere, hochwertige und effiziente Gesundheitsdienste“ schaffen soll. Die Kommission beruft sich dabei auf Einzelfallentscheidungen des EUGH. Konkret wird von der Kommission aus Urteilen zur Erstattung von ambulanten Behandlungskosten im Ausland ein weitgehender Regelungsanspruch abgeleitet, der über Fragen der sog. Patientenmobilität hinausgehen soll. Der Gesundheitsministerrat hat in einer Stellungnahme „gemeinsame Werte und Prinzipien, die den Gesundheitssystemen Europas zugrunde liegen“, verabschiedet. Darin setzen die Minister einen Gegenakzent, in dem sie Qualität, Sicherheit und Patientenorientierung als gemeinsame Werte festlegen, statt sich auf EUGH-Einzelentscheidungen zu berufen und noch einmal die prinzipielle Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung der Gesundheitssysteme betonen.

(1) Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 19. Januar 2006 einer Klage der Europäischen Kommission stattgegeben, wonach die restriktive Behandlung von Nicht-EU-Bürgern, die aus einem anderen EU-Staat nach Deutschland zum Arbeiten entsandt sind, gegen EU-Recht verstößt. Konkret urteilen die Richter, dass die deutsche Regelung unverhältnismäßig sei und im Widerspruch zum freien Dienstleistungsverkehr stehe. Damit habe die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 49 EGVertrag verstoßen. Kritisiert wird das deutsche Recht, nach dem Ausländer aus Drittstaaten, die von einem Unternehmen aus einem anderen EU-Staat entsandt werden und für länger als drei Monate in der Bundesrepublik arbeiten, eine besondere Aufenthaltsgenehmigung benötigen. Unter anderem müssen die entsandten Beschäftigten zuvor mindestens schon ein Jahr bei ihrem Unternehmen in dem anderen Mitgliedstaat beschäftigt sein. Diese Bestimmungen gehen laut EuGH weit über das zur Verhinderung von Missbrauch erforderliche Maß hinaus. Deutschland muss das Gesetz nun entsprechend ändern. (AZ C-244/04)
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