... und eine Antwort von Attac
1. Der Begriff "Herkunftslandsprinzip" ist gestrichen
Das ist nicht die ganze Wahrheit. Es wurde lediglich der Ausdruck "country of origin principle" ersetzt durch "rules of the country of origin" oder "Freedom to provide services". So z. B. im geänderten Art. 6 oder Art. 16.
2. Das Recht des Staates der Niederlassung gilt
Das ist zwar richtig, das Problem taucht allerdings bei der Definition einer "Niederlassung" auf. Zweckmäßigerweise werden die Dienstleistungen ja von einer Art "Stützpunkt" im Zielland erbracht. Die Kommission hat es daher vorsätzlich unterlassen, den Begriff "Niederlassung" zu definieren, damit diese "Stützpunkte" in einem möglichst großen rechtlichem Graubereich operieren können, für die dann zwar nicht mehr das "Herkunftslandsprinzip", wohl aber die "Freiheit, Dienstleistungen durchzuführen" bzw. die "Regeln des Herkunftslandes" gelten, was allerdings dasselbe ist.
3. DL von allgemeinem wirtsch. Interesse
Richtig ist, dass diese DL nicht von einem Entsendestaat aus erbracht werden können, wohl aber von einer Niederlassung, für die dann zwar zugegebenermaßen dt. Tarifrecht gelten würde, allerdings nur dann, wenn dieses denn zu erwzingen wäre. So hat z. B. vor 4 Wochen neben dem Büro des Verfassers dieser Zeilen ein Dienstleister für Postdienste in Hamburg aufgemacht, und er weiß ganz genau, dass die Beschäftigten dort alles möglich bekommen, aber mit Sicherheit keinen Lohn, der mit den existenzsichernden Löhnen ehemaliger Briefträger vergleichbar wäre.
4. Kontrolle im Zielland
Die Richtlinie verbietet, dass Dokumente in beglaubigten Übersetzung verlangt werden dürfen. Ferner müssten sich die Aufsichtsbehörden mal schnell in 24 Sozialsysteme und den sonstigen Tarifbedingungen schlau machen. Wie da irgendeine Kontrolle möglich wäre bleibt schleierhaft. Andersherum, mit der Kontrolle im Herkunftsland wäre es allerdings auch nicht besser, denn dann müssten die KontrolleurInnen ja quer durch Europa reisen und dort kontrollieren. Wie man's dreht und wendet: eines der zentralen Ziele der DL-RL ist es, die Kontrollmöglichkeiten faktisch so weit wie möglich einzuschränken. Das ist allerdings auch schon immer das erklärte Ziel von Frits Bolkestein gewesen. Wenn die Konservativen dennoch von "strengeren Prüfungen" reden, dann machen sie dies entweder aus Ignoranz oder wider besseres Wissen. Es gibt bei dem in der DL-RL verfolgten Prinzip der "negativen Integration" über gegenseitige Anerkennnug ("reconnaissance mutuelle", auch "Cassis de Dijon"-Prinzip) grundsätzlich keine Lösung für dieses Problem, sondern der einzig gangbare Weg einer europ. Integration ist und bleibt für DL eben die Harmonisierung, das liegt nun mal in der Natur von DL!
5. Gewerkschaftliche Maßnahmen und Tarifverträge
a) Es gibt ein EuGH-Urteil, nach dem ausländische DL-Unternehmen zwar die gültigen Tarifverträge anerkennen müssen, nicht aber die "landesspeziellen" Sozialleistungen (in diesem EuGH-Fall waren das irgendwelche besonderen belgischen Arbeitslosenbeiträge). Die Darstellung ist also so in der praktischen Realität nicht richtig.
b) Gewerkschaftlich Rechte nützen einem nur dann was, wenn man sie auch durchsetzen kann. Solange die Europäischen Verträge kollektive Maßnahmen auf europ. Ebene ausdrücklich negieren, ist eine wirksame Vertretung von Arbeitnehmer-Interessen auf europ. Ebene nicht möglich. Ausnahmen unter ganz spezifischen Bedingungen (Hafenarbeiter) bestätigen die Regel. Daneben möchte der Verfasser dieser Zeilen den prekär beschäftigten litauischen Jobnomaden sehen, der hier unter Zuhilfenahme deutscher Gewerkschaften für bessere Arbeitsverhältnisse unter seinem litauischen Arbeitsvertragsbedingungen kämpft und danach noch länger als einen Tag beschäftigt bleibt!
6. Entsenderichtlinie und sozialer Schutz
Ich zitiere hier einmal Stephan Lindner, der formuliert das immer am besten:
Erstmal ist es richtig, dass die Entsenderichtlinie und die Verordnung zur sozialen Sicherheit ausgenommen sind.
In der Entsenderichtlinie heisst es:
"Artikel 3 Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, daß unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der nachstehenden Aspekte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird,
- durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder
- durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche im Sinne des Absatzes 8, sofern sie die im Anhang genannten Tätigkeiten betreffen, festgelegt sind:
a) Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten;
b) bezahlter Mindestjahresurlaub;
c) Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze; dies gilt nicht für die zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme; d) Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen;
e) Sicherheit, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz;
f) Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Schwangeren und Wöchnerinnen, Kindern und Jugendlichen;
g) Gleichbehandlung von Männern und Frauen sowie andere Nichtdiskriminierungsbestimmungen.
Zum Zweck dieser Richtlinie wird der in Unterabsatz 1 Buchstabe c) genannte Begriff der Mindestlohnsätze durch die Rechtsvorschriften und/oder Praktiken des Mitgliedstaats bestimmt, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird."
Recht viel mehr als das kann allerdings arbeitsrechtlich nicht ausgenommen werden, denn im Abschnitt 10 des gleichen Artikels heisst es u.a.:
"(10) Diese Richtlinie berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, unter Einhaltung des Vertrags für inländische und ausländische Unternehmen in gleicher Weise
- Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für andere als die in Absatz 1 Unterabsatz 1 aufgeführten Aspekte, soweit es sich um Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung handelt,"
Was so klingt, als wäre noch viel mehr möglich, ist in Wirklichkeit eine Einschränkung, denn andere Bestimmungen sind nur zulässig, "soweit es sich um Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung handelt".
Problematisch ist daran, dass z.B. die Wahl von Betriebsräten und das Streikrecht nicht dazu gehören. Wenn es aber z.B. keine Betriebsräte gibt, tun sich auch Gewerkschaften schwer, die Belegschaft zu organisieren. Dann werden die schönsten Gesetze schnell Makulatur. Auch der Kündigungsschutz richtet sich dann nach dem Herkunftsland.
7. Daseinsvorsorge
Schickes Verwirrspiel mit den "Leistungen von allgemeinem Interesse". Die werden nämlich sofort zu "Leistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse", sobald irgendjemand irgendwas dafür bezahlt, z. B. in Form von Abfallgebühren etc.
8. Wenn die Konservativen die Leiharbeit rausnehmen wollten, hätten sie dem einfach im Ausschuss zustimmen können
Haben sie aber nicht. Warum wohl? Sie kommen offensichtlich nicht damit klar, dass wir ihnen auf die Finger schauen und denken nach wie vor, sie könnten uns was vom Pferd erzählen...
9. Dass der EGB für diese Richtlinie sei, wie Dr. Werner Langen in seiner email behauptet, ist schon irgendwie merkwürdig
Sschließlich mobilisieren sie ja immer noch intensiv für Straßburg, allerdings zugegebenermaßen nicht in einer Fundamentalopposition, sondern unter dem Schlagwort "Europa ja, aber gewiss nicht DIESE Richtlinie".
Die größte Dreistigkeit ist aber das Fazit: Kein "Sozialdumping", sondern "sozial ausgewogen"! Also, wenn das "sozial ausgewogen" ist, würde mich mal interessieren, was dann bei dem unter "Sozialdumping" zu verstehen ist! Vielleicht nur noch die blanke Despotie unter willkürlicher Gutsherrenknute, bei der man noch dankbar sein muss, wenn man nicht verhungert, denn "sozial ist, was Arbeit schafft"?
Alles in allem ist zu sagen:
Es handelt sich um eine Nebelkerze, schick eingepackt hinter einer Fassade aus verwirrendem europäischem Neusprech.
Gerold Schwarz, 2. Februar 2006
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