Am 29. Mai 2006 hat der Ministerrat der Europäischen Union auf der Grundlage eines von der Ratspräsidentschaft formulierten Papiers seine Position zur EU-Dienstleistungsrichtlinie beschlossen. Der endgültige Text wird erst noch erstellt, in einer der nächsten Sitzungen beschlossen und dann an das Europäische Parlament weitergeleitet.
Medien, EU und Bundesregierung sind gleichwohl intensiv bemüht den Eindruck zu vermitteln, als sei der radikalste Versuch in der Geschichte der EU erfolgreich abgewehrt, den Standortwettbewerb zu forcieren und Löhne und Sozialstandards durch einen intensiven Dumpingwettbewerb abzusenken.
Die Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte würde demnach nun sozialer gestaltet, das stark kritisierte Herkunftslandprinzip gestrichen, Dienstleister nun den Regeln des Gastlandes unterworfen, der Schutz vor Lohn- und Sozialdumping gewährleistet, viele Branchen ganz von der Anwendung der Dienstleistungsrichtlinie ausgenommen.
Diese Darstellung versucht zu verschleiern, abzulenken und ruhig zu stellen. Zur Erinnerung: Das Europäische Parlament hat in erster Lesung im Februar 2006, unter dem Eindruck massiver Kritik und internationaler Protestaktionen der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, durch einen mit heißer Nadel gestrickten, sogenannten Kompromiß zwischen Konservativen und Sozialdemokraten die ursprüngliche Bolkesteinrichtlinie in einigen wichtigen Punkten entschärft. Dies war Schadensbegrenzung im Rahmen der politischen Machtverhältnisse. Diese beinhaltete noch immer Rückschritte hinter geltendes EU-Recht. Sie schuf durch vage Kompromissformulierungen statt Rechtssicherheit Raum für Rechtssetzung durch den liberalisierungsfreundlichen Europäischen Gerichtshof. Sie sorgte eben nicht für die Sicherung des in Art. 50 EG-Vertrag vorgesehenen Grundsatzes, dass für die gleiche Arbeit am gleichen Ort zumindest die gleichen Mindeststandards bei Löhnen und Arbeitsbedingungen gelten und ein unterlaufen der tariflichen Bedingungen verhindert wird. Entsprechende Vorschläge aus der SPE-Fraktion konnten nicht durchgesetzt werden und so war schon der Parlamentskompromiß weit davon entfernt, eine notwendige und sinnvolle, soziale Gestaltung grenzüberschreitender Dienstleistungsarbeit zu schaffen.
Im weiteren Gesetzgebungsverfahren hat die Kommission mit teils trickreichen Änderungen versucht, einerseits den Eindruck zu vermitteln als akzeptiere sie die im Parlament beschlossenen Änderungen und wolle Lohn- und Sozialdumping verhindern. Andererseits aber die Änderungen in ihrer Wirkung zu begrenzen, aufzuheben oder durch andere Instrumente zu umgehen, wie beispielsweise durch den Erlaß einer Leitlinie zur Arbeitnehmerentsendung. Nach den bisher vorliegenden Informationen hat der Rat diese Verschlechterungen übernommen und weitere hinzugefügt.
Das Europäische Parlament steht nun in der Verantwortung. Es darf die Verschlechterungen nicht einfach passieren lassen, sondern muß in 2. Lesung dafür sorgen, dass Lohn- und Sozialdumping durch die Dienstleistungsrichtlinie wirklich nicht stattfinden können. Dies erfordert insbesondere sicherzustellen:
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Daß Leiharbeit komplett ausgenommen wird und ein Regulierungsauftrag festgeschrieben wird.
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Daß bei Arbeitnehmerentsendung die Lohn- und Sozialstandards des Gastlandes als Mindestnormen zur Anwendung kommen, die Entsenderichtlinie und ihre zukünftige Ausgestaltung uneingeschränkten Vorrang gegenüber den Regelungen der Dienstleistungs-richtlinie erhalten, ihre nationale Umsetzung inklusive zukünftiger Änderungen nicht unter einen Genehmigungsvorbehalt fallen.
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Scheinselbständigkeit von den Mitgliedsstaaten definiert und wirksam bekämpft werden kann.
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Durch Briefkastenfirmen weder das Arbeits- und Sozialrecht, noch das Steuerrecht unterlaufen werden können
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Den Mitgliedsstaaten die Instrumente für eine wirksame Missbrauchskontrolle zur Verfügung stehen
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Die Gestaltung und Fortentwicklung öffentlicher Daseinsvorsorge nicht durch Privatisierungs- und Kommerzialisierungszwänge torpediert wird.
In diesen Themenfeldern ist auch die Bundesregierung aufgefordert, bestehende Regulierungsdefizite aufzugreifen und die erforderlichen Gesetzesinitiativen zu ergreifen. Dies gilt insbesondere für die Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf alle Branchen und die Einführung eines Verbandsklagerechtes zur Ahndung von Verstößen gegen tarifvertragliche Vorschriften bzw. das Arbeits- und Sozialrecht.
Jede Firma, so der ursprüngliche Entwurf der Richtlinie, soll ihre Dienstleistungen "ungehindert" in jedem Land der Europäischen Union anbieten können - und zwar zu den Bedingungen ihres Heimatlandes. Das plant die EU-Kommission mit ihrer Dienstleistungs-Richtlinie. Kern und Knackpunkt ist das "Herkunftlandsprinzip": Löhne und Arbeitsbedingungen sollen sich an den Mindeststandards der jeweiligen Herkunftsländer orientieren, nationale Gesetze und Regelungen nur noch in Ausnahmefällen oder übergangsweise gelten.
Damit würden soziale und tarifliche Standards ausgehebelt und ein verschärfter Unterbietungswettbewerb eingeläutet, befürchtet die IG Metall. Im Organisationsbereich der IG Metall könnten allein im baunahen Handwerk mehr als eine Million Beschäftigte zu den Leidtragenden gehören: Elektriker, Schlosser, Schreiner, Heizungsmonteure, Beschäftigte im Sanitär-, Klima- und Metallbau- Handwerk. Aber auch die Industrie bliebe nicht verschont. Für Metallfirmen würde es lukrativ, Dienstleistungen wie Werkschutz, Kantinen, Reinigung und Wartung an ausländische Billiganbieter auszulagern. Da die Richtlinie auch Verleihfirmen zu den Dienstleistern zählt, hätte sie Auswirkungen auf die gesamte Metallindustrie.
Die Gewerkschaften, deren Mitglieder davon betroffen sein können - sind neben der IG Metall or allem ver.di und IG BAU. Sie stehen mit ihrer Kritik keineswegs allein. Auch die Bundesvereinigung Bauwirtschaft und der Zentralverband des deutschen Handwerks fürchten Wettbewerbsverzerrungen und Unterbietungskonkurrenz. Der Bundesrat warnte schon vor einiger Zeit, dass nationale Regierungen ihre Kontroll Kontrollmöglichkeiten verlören und eine allgemeine Rechtsunsicherheit entstünde.
Was vor allem anders gemacht werden muss, hat die IG Metall formuliert:
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Das Tarif-, Gewerkschafts-, Arbeits- und Sozialrecht muss vom Herkunftsprinzip ausgenommen werden. Hier muss weiter Landesrecht gelten.
Um zu verhindern, dass Unternehmen im Ausland Briefkastenfirmen gründen, darf als Kriterium für Herkunftsland nicht nur die formale Registrierung gelten.
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Kontrolle und Überwachung vor Ort müssen gesichert bleiben.
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Die Richtlinie darf nicht für Leiharbeit gelten.
Öffentliche und private Dienstleistungen müssen voneinander abgegrenzt werden, um zu verhindern, dass immer mehr öffentliche Aufgaben (zum Beispiel Altenpflege) privatisiert und kommerzialisiert werden. |