Büro Lötzer 17 / 02 / 2006
EU-Dienstleistungsrichtlinie – Stand nach der Abstimmung im EP und erste Bewertung
Gestern hat das Europäische Parlament in erster Lesung über die Dienstleistungsrichtlinie abgestimmt: Schlussabstimmung Ja 391, Nein 213, Enthaltungen 34
So geht es weiter
Die EU-Kommission legt nun dem Rat einen überarbeiteten Vorschlag vor, auf dessen Basis die Mitgliedstaaten eine Einigung finden sollen. Der Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen Mc Creevy hat angekündigt, die Richtlinie auf Basis der EP-Abstimmung bis April zu überarbeiten. Der Kommissar für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit, Vladimir Spidla, hat bereits angedeutet, dass dies nicht eins zu eins geschehen soll, sondern sogar hinter dem schlechten Kompromiss noch mal zurückgegangen werden soll.
Der Wettbewerbsrat hat schon in der Vergangenheit über die Richtlinie beraten, war jedoch bisher zu keiner Einigung gekommen. Vor einer weiteren Beratung sollte das Ergebnis der Abstimmung im EP abgewartet werden. Die nächste Tagung der Regierungschefs findet am 23./24. März statt, vermutlich wird die Richtlinie bereits da Thema sein. Im Rat gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen. Wie schnell eine Einigung dort zustande kommen kann, ist im Moment schlecht absehbar.
Am 21.3. führen wir als Linksfraktion eine öffentliche Anhörung in Berlin durch, auf der Sachverständige den aktuellen Stand bewerten und Alternativen diskutieren werden.
Die Auseinandersetzung um die Richtlinie ist noch lange nicht vorbei !
Zu den Abstimmungen im EP im Einzelnen:
Herkunftslandprinzip
„Freier Dienstleistungsverkehr“
Das Herkunftslandprinzip wurde nicht aufgegeben, sondern umbenannt und teilweise abgeschwächt. Der Begriff "Herkunftslandprinzip" wird in der gesamten Richtlinie ersetzt durch den Begriff " Freier Dienstleistungsverkehr“. Dienstleistungserbringer haben das generelle Recht, Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ihrer Niederlassung zu erbringen. Die Mitgliedstaaten müssen für die freie Aufnahme und die freie Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit innerhalb ihres Hoheitsgebiets sorgen. Einschränkungen des „Freien Dienstleistungsverkehrs“
Die Mitgliedstaaten bekommen das Recht, den Dienstleistungserbringern bestimmte Anforderungen aufzuerlegen, allerdings nur aus Zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, des Umweltschutzes und der öffentlichen Gesundheit.
Damit fallen die Beschlüsse hinter die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zurück, der auch die Anwendung des Rechtes des Ziellandes z.B. beim Schutz des Arbeitsmarktes, der Arbeitsbedingungen und der bevorzugten Beschäftigung von Arbeitslosen im Zielland als zulässig erklärt hat.
Verbraucherschutz oder Sozialpolitik sind keine ausreichenden Gründe, die Dienstleistungsfreiheit einzuschränken und das Ziellandprinzip gelten zu lassen.
Einschränkung der Einschränkung
Die Mitgliedstaaten dürfen Anforderungen nur auferlegen, wenn sie folgende Grundsätze beachten:
- Diskriminierungsfreiheit
- Erforderlichkeit
- Verhältnismäßigkeit
Den Mitgliedstaaten werden bestimmte Anforderungen explizit untersagt:
- die Anforderung, dass der Dienstleister auf ihrem Hoheitsgebiet eine Niederlassung zu unterhalten hat,
- die Anforderung, dass der Dienstleister für die Ausübung eine Genehmigung zu beantragen hat,
- die Anforderung, dass der Dienstleister sich registrieren lässt,
hiermit wird die Arbeit der Berufsgenossenschaften fast unmöglich gemacht
- die Anforderung, dass der Dienstleister einer Standesorganisation beizutreten hat,
damit werden die Handwerkskammern mittelfristig in Frage gestellt
- das Verbot zu erlassen, dass der Dienstleister auf dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates eine erforderliche Infrastruktur errichtet, inkl. Geschäftsräume, Kanzlei oder Praxis,
- Anforderungen, bezüglich bestimmter vertragliche Beziehungen zwischen dem Dienstleistungserbringer und dem Empfänger, welche eine selbständige Tätigkeit des Dienstleistungserbringers verhindert oder beschränkt,
Dies ist das Einfallstor dafür, dass bei öffentlichen Auftragsvergaben nicht mehr vorgeschrieben werden darf, dass es einen Mindestanteil an eigenen Beschäftigen gibt. D.h., öffentliche Aufträge können an Firmen gehen, die nur mit Scheinselbständigen arbeiten
- die Anforderung, dass der Dienstleister einen besonderen Ausweis für die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit ausstellen lassen muss,
- Anforderungen betreffend der Verwendung von Ausrüstungsgegenständen und Materialien, es sei denn sie sind für die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz notwendig.
Bericht nach 5 Jahren
Die EU-Kommission muss spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie einen Bericht darüber vorlegen, ob das Prinzip des freien Dienstleistungsverkehrs funktioniert und ggf. Harmonisierungsmaßnahmen vorschlagen.
Geltungsbereich der Richtlinie
Die Richtlinie gilt für Dienstleistungen, die von einem in einem EU-Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten werden. Unter einer „Dienstleistung“ ist dabei jede selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit zu verstehen, die normalerweise gegen Entgelt ausgeführt wird.
Nicht erfasst von der Richtlinie sind Tätigkeiten, die der Staat oder eine regionale oder lokale Behörde ohne wirtschaftliche Gegenleistung im Kontext seiner bzw. ihrer jeweiligen Pflichten im sozialen, kulturellen, bildungspolitischen und justiziellen Bereich ausüben.
Die Richtlinie beeinträchtigt auch nicht die Maßnahmen, die auf gemeinschaftlicher oder nationaler Ebene ergriffen werden, um die kulturelle oder sprachliche Vielfalt oder den Pluralismus der Medien zu schützen oder zu fördern.
Ausnahmen
Folgende Tätigkeiten sollen vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen werden:
- Dienstleistungen von allgemeinem Interesse gemäß der Definition in den Mitgliedstaaten (darunter fällt Polizei, Militär),
- Dienstleistungen im Zusammenhang mit Bankgeschäften, Krediten, Versicherungen, beruflicher oder privater Altersvorsorge, Geldanlagen oder Zahlungen,
- Dienstleistungen und Netze der elektronischen Kommunikation,
- Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs einschließlich städtischer Verkehr, Taxen und Krankenwagen sowie Hafendienste,
- Dienstleistungen von Rechtsanwälten,
- Dienstleistungen im audiovisuellen Bereich, ungeachtet der Art ihrer Herstellung, Verbreitung und Ausstrahlung, einschließlich Rundfunk und Kino,
- Gewinnspiele, die einen Geldeinsatz bei Glücksspielen verlangen, einschließlich Lotterien, Spielkasinos und Wetten,
- Berufe und Tätigkeiten, die dauerhaft oder vorübergehend mit der Ausübung von Amtsgewalt in einem Mitgliedstaat verbunden sind, insbesondere Notare,
- Steuerwesen,
- Sicherheitsdienste,
- Zeitarbeitsagenturen,
- Soziale Dienstleistungen wie Dienstleistungen im Bereich des sozialen Wohnungsbaus, Kinderbetreuung und Familiendienste,
- Öffentliche Gesundheitsdienste
- Dienstleistungen, durch die ein sozialpolitisches Ziel verfolgt wird
In Sachen Gesundheitsdienstleistungen hat das Parlament widersprüchlich abgestimmt und die privaten Dienstleistungen in einem Artikel aus dem Geltungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen, in einem anderen in den Geltungsbereich aufgenommen. Durch einen angenommenen ´PPE-PSE Kompromissantrag in den Erwägungsgründen ist überdies klargestellt, dass die Herausnahme der Gesundheitsdienste nur die dort typischen reglementierten Berufe (medizinisch-pharmazeutisch etc.) betrifft - also z.B. nicht das Kantinen- oder Reinigungspersonal von Krankenhäusern usw. usf.
Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse
Unter "Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ sind Dienstleistungen zu verstehen, die besonderen Gemeinwohlverpflichtungen unterliegen. (Öffentliche Daseinsvorsorge). Die Mitgliedstaaten können selbst definieren, was sie unter Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse verstehen, festzulegen, wie diese Dienstleistungen erbracht und finanziert werden sollten, und für sie besondere Auflagen zu erlassen.
Vom freien Dienstleistungsverkehr (ehem. Herkunftslandprinzip) sollen folgende Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, die in einem anderen Mitgliedstaat erbracht werden, ausgenommen werden:
- Postdienste
- Elektrizitätsübermittlung, -verteilung und -versorgung
- Dienste der Gasweiterleitung , -verteilung , - versorgung und der - lagerung
- Dienste der Wasserverteilung und der Wasserversorgung sowie der Abwasserentsorgung
- Abfallbehandlung
Das heißt, für diese Dienstleistungen gilt z.B. die Niederlassungsfreiheit und die entsprechende Deregulierung (Verbote von Anforderungen) bei derselben. Die Dienstleistungen müssen jedoch nach den Regeln des Ziellandes erbracht werden.
Positive Änderungen
- Herausnahme von Leiharbeit aus der Richtlinie
- Die Streichung der Artikel zur Entsendung von ArbeitnehmerInnen führt dazu, dass die Entsende-Richtlinie für Arbeitnehmer gelten, die in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates entsandt werden, um dort eine Dienstleistung zu erbringen.
- Stärkung des Ziellandes bei der Kontrolle.
- Herausnahme von Strafrecht, Arbeitsrecht, Streikrecht aus der Richtlinie.
Betriebswirtschaftliche Interessen mit Grundrechten gleichrangig
In Erwägung 3 wurde durch das EP beschlossen, das das Recht zu unternehmerische Tätigkeiten mit den Grundrechten gleichgesetzt werden soll. Beide sollen bei notwendigen Abwägungen künftig gleichen Rang erhalten, das heißt, betriebswirtschaftliches Interesse wird dem Schutz von Leben und körperliche Unversehrtheit gleichgestellt.
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