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index > Bundestagsdebatte 26.01.06 - Plenarprotokoll (Auszug)

Plenarprotokoll 14. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2006

Original-Fundstelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/pp/14/16014n.zip


[Dienstleistungsrichtlinie]

Ich rufe hiermit die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf (Frankfurt), Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Die Dienstleistungsrichtlinie verbessern - Das europäische Sozialmodell bewahren
- Drucksache 16/373 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Diether Dehm, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
EU-Dienstleistungsrichtlinie ablehnen
- Drucksache 16/394 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Hierfür ist eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
(Unruhe)
Ich eröffne gleich die Aussprache, wenn die Kolleginnen und Kollegen den Saal verlassen haben, die dieser Debatte nicht folgen möchten.
(Zahlreiche Abgeordnete verlassen den Plenarsaal - Anhaltende Unruhe)
- Möglicherweise könnten die Gespräche, die nicht zur Sache gehören, draußen geführt werden.
Ich gebe das Wort der Kollegin Dr. Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Anhaltende Unruhe)
- Auch auf die Gefahr hin, dass es Sie stört: Ich habe Ihnen hier zu einem sehr zentralen Thema etwas mitzuteilen.
Meine Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, bringt einen Antrag ein mit dem Titel "Die Dienstleistungsrichtlinie verbessern - Das europäische Sozialmodell bewahren". Warum? In naher Zukunft, und zwar am 14. Februar, findet in Brüssel eine ganz zentrale Abstimmung über die Dienstleistungsrichtlinie statt, die das Ziel hat, den gemeinsamen Binnenmarkt auf den Dienstleistungsbereich auszudehnen. Auf die Ausgestaltung der Dienstleistungsrichtlinie müssen wir Einfluss nehmen. Die Bundesregierung sucht noch nach ihrer Linie, wie überall zu lesen ist. Wir wollen ihr dabei helfen, ihre Position zu finden, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und der CDU/CSU.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nett von uns!)
Worum geht es? Der Binnenmarkt bietet eine große Chance für Europa, der Binnenmarkt im Dienstleistungsbereich allemal. Es könnten - auch in Deutschland - viele Arbeitsplätze geschaffen werden. Diese Chance dürfen wir nicht verspielen.
(Vorsitz: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt)
Den Antrag bringen wir ein, weil wir verhindern wollen, dass in Europa durch die Dienstleistungsrichtlinie in ihrer jetzigen Form Tür und Tor für Sozialdumping, Lohndumping und Umweltdumping geöffnet werden. Das Ziel, einen Binnenmarkt für den Dienstleistungsbereich zu schaffen, ist richtig. Auf die Ausgestaltung aber müssen wir von der Bundesrepublik Deutschland wie auch von Brüssel aus Einfluss nehmen.
Es müssen folgende Schritte umgesetzt werden: Erstens darf das Herkunftslandprinzip nur für den Marktzugang gelten. Dadurch erreichen wir, dass die bürokratischen Hürden für kleinere und mittlere Betriebe beim Zugang auf den Dienstleistungsmarkt in den Nachbarländern abgebaut werden. Zweitens muss bei der Durchführung von Dienstleistungen das Ziellandprinzip gelten. Das bedeutet, dass die sozialen Standards, Umweltstandards und arbeitsrechtlichen Standards der Zielländer gelten, also unsere Standards hier in Deutschland.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dadurch müssen sich unsere Verbraucherinnen und Verbraucher nicht durch den Dschungel von 25 Rechtssystemen und 25 unterschiedlichen Standards in Europa kämpfen, wobei die Gefahr besteht, dass sie die Orientierung verlieren.
Wir wollen hier zu diesem Thema eine Debatte führen. Sie ist zielführend und es besteht die Chance, dass die Ergebnisse in Europa Realität werden. Evelyne Gebhardt von der SPD hat den Kompromissvorschlag eingebracht. Unser Antrag mit seinen klaren Änderungsvorschlägen, nämlich der Berücksichtigung des Herkunftslandprinzips und des Ziellandprinzips, hat eine Chance auf Umsetzung, wenn wir uns hier einig werden. Ich glaube, im Ziel sind wir uns einig.
In unserem Antrag werden noch andere Punkte angesprochen. Auch darüber gilt es zu diskutieren. Wir wollen, dass besonders sensible Bereiche, die vom zuständigen Binnenausschuss des Europäischen Parlaments noch nicht berücksichtigt worden sind - dazu zählen die Bereiche Pflege und Leiharbeit, aber auch Bereiche der Daseinsvorsorge -, aus dieser Dienstleistungsrichtlinie herausgenommen werden.
In Deutschland könnte es, auch wenn das Entsendegesetz auf alle Branchen ausgeweitet wird, möglicherweise noch Bereiche geben, die in manchen Regionen oder je nach Branche über Tarifverträge nicht abgesichert sind. Deswegen wollen wir auf Regionen bzw. auf Branchen bezogene Mindestlöhne möglich machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dieser Weg ist gangbar - das sage ich noch einmal - und wird für Deutschland und für Europa große Chancen eröffnen. Er ist gangbar, wenn sich die Koalition an ihren Koalitionsvertrag hält. Damit kommen wir zu des Pudels Kern: Im Koalitionsvertrag steht, dass das Herkunftslandprinzip beim Schutz der sozialen Standards nicht wirklich zum Ziel führt. Herr Koch zum Beispiel hat im Bundesrat einen interessanten Antrag eingebracht, in dem steht, dass das Herkunftslandprinzip nur für den Marktzugang gelten soll; das hat auch Frau Evelyne Gebhardt in Brüssel so vorgetragen. Man könnte meinen, in der Bundesregierung existiere hierzu eine klare Linie.
Wo ist das Problem? In Wirklichkeit existiert keine klare Linie. Der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Herr Wuermeling, hat in Brüssel sehr viel Energie investiert, damit das Herkunftslandprinzip nicht verändert wird. Er hat sich dem in den Weg gestellt und hat dafür gesorgt, dass gerade die Konservativen in Brüssel diesen notwendigen Veränderungen nicht zugestimmt haben. Er hat sogar klare Worte gefunden und gesagt, dass das eine unredliche Panikmache vonseiten der Linken sei. Ich muss Ihnen übrigens sagen, dass er ganz offensichtlich auch Herrn Koch damit gemeint hat. Nun gut.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, Sie haben die Chance, an dieser Stelle die Einigung zu finden, nach der Sie suchen, indem Sie sich auf Ihren Koalitionsvertrag beziehen, indem sich die Union zum Beispiel auf einen bestimmten Ministerpräsidenten bezieht und indem wir alle gemeinsam die positiven Chancen, die es im Binnenmarkt für Dienstleistungen gerade auch für die Entwicklung des Arbeitsmarktes in Deutschland gibt, aufgreifen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich komme zum Schluss. - Ich möchte noch eine Bemerkung machen, weil hier noch ein zweiter Antrag vorliegt, nämlich der der PDS.
Das ist ein ziemlicher Zwitterantrag. Sie rufen in erster Linie zum Boykott der Dienstleistungsrichtlinie und erst in zweiter Linie zu Änderungen auf. Liebe Kolleginnen und Kollegen der PDS, ich glaube, Sie täten den sozialen Standards sowie den Arbeitsrechts- und Umweltschutzstandards in Europa Gutes, wenn Sie von Ihrem Boykott Abstand nehmen und dieses Europa mitgestalten würden; denn ein soziales und ein umweltfreundliches Europa ist möglich.
Danke schön.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Laurenz Meyer, CDU/ CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der freie Dienstleistungsverkehr ist Bestandteil des EU-Vertrages. In Art. 49 EG-Vertrag ist das vorgesehen. Die Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte ist integraler Bestandteil. Das müssen wir einfach sehen. Als Dienstleistungen gelten insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten. So steht es in Art. 50 des EG-Vertrages.
Die Öffnung der europäischen Dienstleistungsmärkte bietet große Chancen für mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland. Das sollten wir bei all den Diskussionen über Einzelpunkte nicht unterschlagen. Wir haben hochmoderne und leistungsfähige Dienstleistungsbranchen, die von dieser Marktöffnung sehr stark profitieren können. Diese Chancen gilt es zu nutzen. Wir sind bisher Weltmeister beim Export von Industrieprodukten. Wir sollten in Zukunft auch einen Spitzenplatz beim Handel mit Dienstleistungen einnehmen können, wenn wir es richtig anstellen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
In dem ganzen Konzept ist zu bedenken - das nehmen wir sehr ernst -, dass aufseiten der Bevölkerung, insbesondere der Arbeitnehmerschaft, mit der Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte Sorgen verbunden sind, denen durch geeignete gesetzliche Regelungen begegnet werden muss. Deshalb wollen wir die wünschenswerte Liberalisierung in einen geeigneten Rahmen stellen. Das haben wir die ganze Zeit getan. Das wichtigste Ziel ist, drohende Nachteile, etwa gar Sozialdumping, zu vermeiden und auszuschließen. Deshalb ist es wichtig, dass wir jetzt die Dienstleistungsrichtlinie als gesetzlichen Rahmen bekommen, da die Regelungskompetenz für den ganzen Bereich ansonsten ausschließlich dem Europäischen Gerichtshof zufiele. Das kann niemand von uns wünschen.
Meine Damen und Herren, wir müssen eine vernünftige Balance zwischen den sozialen und den ökologischen Schutzinteressen einerseits und der Erleichterung des zwischenstaatlichen Handels andererseits erreichen. Deshalb wollen wir eine weitere Öffnung der Dienstleistungsmärkte. Diese Liberalisierung ist im Übrigen auch Teil der Lissabonstrategie, durch die Europa zum dynamischsten Wirtschaftsraum werden soll. Wenn wir hier keine vernünftigen Regelungen finden, dann werden wir dieses Ziel ganz bestimmt nicht erreichen.
Deshalb will ich Ihnen hier die Position, die die Union die ganze Zeit verfolgt hat und deren Durchsetzung wir in den letzten Monaten - auch in Abstimmung mit unseren Kollegen im Europaparlament - vorangetrieben haben, noch einmal nennen. Wir haben bisher schon viel erreicht. Ich möchte die Position aber noch einmal wiederholen, damit wir alle den für uns vorgegebenen Rahmen kennen:
Erstens. Durch die Richtlinie muss deutschen Unternehmen die Chance gegeben werden, in Zukunft leichter und mehr Aufträge in europäischen Ländern zu erhalten und durchzuführen, und müssen die Voraussetzungen für mehr Wachstum und Arbeitsplätze geschaffen werden. Gleichzeitig wollen wir sicherstellen, dass die Anwendung der Richtlinie in Bezug auf die Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge und die Ausübung öffentlicher Gewalt eingeschränkt wird. Die Definitions-, Gestaltungs- und Finanzierungshoheit der Mitgliedstaaten bei der Daseinsvorsorge muss unangetastet bleiben und die Besonderheiten von Dienstleistungen im allgemeinen Interesse müssen innerhalb der Richtlinie berücksichtigt werden.

Notare, die sich mit der Ausübung öffentlicher Gewalt beschäftigen, und Tätigkeiten, die damit verbunden sind, sind vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen. Der Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie die staatliche Kulturförderung dürfen nicht eingeschränkt oder ausgehöhlt werden. Deshalb ist es unsere Strategie, von dieser Diskussion über das Herkunfts- und Bestimmungslandprinzip wegzukommen und zu einer klaren Regelung der einzelnen Bestandteile zu kommen, die aus unserer Sicht notwendig ist, um das Subsidiaritätsprinzip in Europa sicherzustellen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich will noch einige Punkte nennen, die von dieser Diskussion um Begriffe klar wegführen, und Ihnen zeigen, an was wir im Einzelnen denken. Wir dürfen unsere nationalen Umwelt- und Sicherheitsstandards sowie unsere Gesundheitsstandards nicht aushöhlen. Das nationale Arbeitsrecht muss in vollem Umfang unberührt bleiben. Das geht bis hin zur Entsenderichtlinie. Hier hat die nationale und nicht die europäische Gesetzgebung den Vorrang.
Die Überlassung von Arbeitnehmern muss ebenso wie die Steuerung von Arbeitsmigration nach deutschen Standards geregelt werden. Hier muss die nationale Ebene zuständig bleiben. Das geht bis hin zu der Frage, welche Drittstaatenangehörigen in unser Land entsandt werden dürfen. Die Mitgliedstaaten müssen in der Lage sein, all das zu beschließen, was in ihrem Interesse ist und was sie für richtig halten, um den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Volksgesundheit, Umwelt und die Vorbeugung gegen Risiken vor Ort wirklich sicherzustellen.
Das Herkunftslandprinzip - bei dieser Meinung sind wir geblieben, schließlich liegt in der Zusammenarbeit die große Chance - darf sich eben nicht auf Fragen des anwendbaren Zivilrechts und auf das internationale Privatrecht ausdehnen. Dass Verträge nicht nach dem Herkunftslandprinzip gestaltet werden dürfen, ist gerade für die Verbraucher in Deutschland von ganz entscheidendem Interesse; denn wenn es um Dienstleistungen aus dem Ausland geht, wollen die Menschen sichergestellt wissen, dass zum Beispiel Gewährleistungs- oder Schadensersatzansprüche bei uns und nach unserem Recht abgewickelt werden und sie nicht etwa irgendwo in Polen oder Tschechien vorstellig werden müssen. Deutsche Gerichte müssen für diese Bereiche zuständig bleiben.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Finanzierungshoheit im öffentlichen Gesundheitswesen ist sicherzustellen. Im Übrigen - dieser Punkt ist offen, darüber müssen wir in Europa noch sprechen - geht es darum, dass der Gesundheitssektor insgesamt nach unserer Überzeugung von der Richtlinie auszuschließen ist. Das gilt für den staatlichen Bereich, aber nach unserer Meinung auch für private Gesundheitsdienstleistungen. Hier muss die Einbeziehung in die Richtlinie geprüft werden, weil es sich bei dem Gesundheitsbereich in unseren Augen um einen Wachstumssektor handelt. Hier müssen wir unsere Rahmenbedingungen selber gestalten können.
Die Anerkennung von Berufsqualifikationen ist ein weiterer Punkt, der nicht durch die Dienstleistungsrichtlinie geregelt werden sollte, sondern durch die dafür vorgesehene Richtlinie, die dann Vorrang haben muss. Die Berufsqualifikation sollte durch eine eigene Richtlinie geregelt werden und nicht durch die Dienstleistungsrichtlinie ausgehebelt werden können. Das heißt, dass die Rahmenbedingungen aus unserer Sicht durch die Dienstleistungsrichtlinie festgelegt werden, diese jedoch subsidiär gilt. Dort, wo Sondertatbestände existieren, die einzeln geregelt werden, gelten diese Sonderregelungen und nicht das allgemeine Rahmenwerk der Dienstleistungsrichtlinie. Das betrifft etwa die Bereiche von audiovisuellen Dienstleistungen oder auch Rechtsanwälte. Diesen Bereich haben wir bereits besprochen. Auch den Bereich Fernsehen oder audiovisuelle Dienstleistungen haben wir im Zusammenhang mit dem Petitor unserer öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten debattiert. Sie sind aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie herauszunehmen und damit nationale Angelegenheiten.
Das Gleiche gilt, wenn es um die Bekämpfung illegaler Beschäftigung und die Bekämpfung von Schwarzarbeit geht. Hier dürfen keine Erschwernisse auftreten. Angesichts der geltenden Regelung zur Verwaltungszusammenarbeit bin ich ganz sicher, dass dieser Bereich bisher schon gut geregelt ist und nicht neu gestaltet werden muss.
Im Übrigen - das möchte ich abschließend feststel-len - sollten Regelungen, die neue bürokratische Lasten wie unnötige zusätzliche Evaluierungsvorschriften oder überzogene Informations-, Berichts- und Prüfungsvorschriften mit sich bringen, konsequent aus der Richtlinie herausgenommen werden, um das, was wir in Deutschland machen, auch auf der europäischen Ebene fortzusetzen.
Wenn wir diese Vorstellungen in den Prozess hin zur Verabschiedung der Richtlinie durch das Europaparlament einbringen, dann bin ich optimistisch, dass wir in Europa zu guten Lösungen kommen. Das erreichen wir nicht, indem wir uns verweigern und auf einzelne Begriffe abstellen, sondern indem wir uns hart an der Sache orientieren und uns bemühen, Rahmenbedingungen zugunsten von Wachstum und Arbeitsplätzen zu schaffen, damit in Europa ein wichtiger weiterer Sektor geregelt werden kann.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Martin Zeil, FDP-Fraktion.
Martin Zeil (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion über die Dienstleistungsrichtlinie ist ein Test dafür, wie wir es mit den Chancen des europäischen Binnenmarktes und dem Abbau bürokratischer Hindernisse halten. Jenseits aller Detailaspekte geht es um unsere Vision von Europa: Wollen wir ein Europa auf der Basis von Freiheit und Wettbewerb, das wirtschaftlich zusammenwächst, oder verkrümeln wir uns in einem Akt der Selbsttäuschung in die heimelige Wärmestube des Protektionismus?
(Beifall bei der FDP - Zurufe von der SPD: Oh!)
Grüne und Linke - auch Teile der SPD - bevorzugen offenbar die Wärmestube. So wäre zum Beispiel die von ihnen vorgeschlagene Spaltung von Zugangs- und Ausübungsregelungen zwischen Herkunfts- und Bestimmungsländern ein erheblicher Rückschritt gegenüber dem geltenden Recht. Die Bedenkenträger übersehen, dass es im Zeitalter der Globalisierung nicht hilft, wenn man sich in die Furche duckt und hofft, der Wind des Wettbewerbs würde irgendwie an uns vorüberziehen.
Frau Merkel hat in Davos zu Recht festgestellt: Der Staat muss loslassen können - das gilt auch europa-weit -, wenn wir wieder eine Wachstumsregion werden wollen.
(Beifall bei der FDP)
Die Koalition muss aber den Worten der Kanzlerin auch Taten folgen lassen, Herr Meyer. Sonst riskieren Sie, dass sie zur Frühstücksdirektorin wird.
(Beifall bei der FDP)
Ich zitiere den früheren Wirtschaftsminister Clement, der im Februar 2005 im "Tagesspiegel" festgestellt hat:
Wir brauchen mehr Wettbewerb im Dienstleistungssektor in Europa. Gerade die deutschen Unternehmen sollten in der Richtlinie mehr Chancen als Risiken sehen.
Der Mann hatte Recht!
Mit der Richtlinie soll endlich europaweit Bürokratie abgebaut werden. Das begrüßen wir schon deshalb, weil aus Europa bisher oft mehr Bürokratie gekommen ist.
Die Kritiker der Richtlinie verschweigen, dass der zuständige Ausschuss des Europaparlaments - der Kollege Meyer hat es schon erwähnt - einer Reihe von Anregungen Rechnung getragen hat:
Erstens. Bei der staatlichen und kommunalen Daseinsvorsorge bleibt es bei der Definitions-, Gestaltungs- und Finanzierungshoheit der Mitgliedstaaten.
Zweitens. Das Arbeitsrecht - auch die Entsendung von Arbeitnehmern - fällt aus dem Herkunftslandprinzip heraus. Weder die Bestimmungen zu Arbeits- und Tarifverträgen noch zum Arbeitsschutz können umgangen werden.
Drittens. Die Bekämpfung von Schwarzarbeit und Scheinselbstständigkeit bleibt Sache der Behörden vor Ort und ist durch grenzüberschreitende Verwaltungszusammenarbeit sicherzustellen. Hierbei kommt es darauf an, dass die Kommission endlich Vorschläge für die Umsetzung der grenzüberschreitenden Kooperation der Behörden vorlegt.
(Beifall bei der FDP)
Viertens. Der vereinfachten Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Behörden muss ein möglichst breiter Anwendungsbereich eingeräumt werden, damit das Ziel der Entbürokratisierung auch wirklich erreicht werden kann. Dabei muss das Prinzip der Gegenseitigkeit zwischen den Ländern gelten. Die Vereinfachungen müssen auch inländischen Wettbewerbern nutzbar gemacht werden.
(Beifall bei der FDP)
Der Vorschlag des Binnenmarktausschusses garantiert nun dem Zielstaat, dass er seine Gemeinwohlinteressen wirkungsvoll sichern kann. Im Ergebnis bekommen wir keine unbeschränkte, sondern eine kontrollierte Dienstleistungsfreiheit. Wer jetzt noch das Gespenst des Sozial- und Umweltdumpings an die Wand malt, der will oder kann nicht verstehen, was wirklich Sache ist.
(Beifall bei der FDP)
Auch der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung hinkt mit der Forderung nach einer weiteren Überarbeitung dem aktuellen Stand ein wenig hinterher. Ich habe den Eindruck, dass Herr Staatssekretär Wuermeling, der noch im November des letzten Jahres die Position des Binnenmarktausschusses zu Recht gelobt hat, ihn nicht mehr Korrektur gelesen hat. Laut einem Gutachten des Kopenhagen-Instituts können durch die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie kurzfristig bis zu 600 000 zusätzliche Arbeitsplätze in Europa - davon allein 100 000 in Deutschland - geschaffen werden. Können wir es uns wirklich leisten, darauf zu verzichten?
(Beifall bei der FDP)
Es geht nicht - das ist ein beliebtes Argument, das auch in einem Antrag steht - um die Interessen von Großunternehmen. Vielmehr geht es hier um die Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit vor allem der kleinen und mittleren Unternehmen, des Mittelstandes also, der in den Sonntagsreden ständig so sehr gelobt wird. Große Unternehmen haben zumeist Niederlassungen im Ausland und brauchen diese Richtlinie am allerwenigsten.
(Beifall bei der FDP)
Gerade der deutsche Mittelstand mit seiner bekannten Qualität hat hier die Chance, grenzüberschreitend zu expandieren, ohne durch absolut widersinnige Hürden behindert zu werden.
Nicht protektionistische Ängstlichkeit, sondern Mut zu Wettbewerb und Bürokratieabbau ist das Gebot der Stunde. Wenn wir nicht einmal in Europa diesen Mut aufbringen, wie wollen wir dann eigentlich im Wettbewerb mit anderen dynamischen Regionen der Welt bestehen?
(Beifall bei der FDP)
Lassen Sie mich abschließend an die Adresse der Bundesregierung und insbesondere an die des Wirtschaftsministers Glos sagen: Verbauen Sie dem Mittelstand und den Arbeitsuchenden bei uns, aber auch in anderen Ländern diese Chance nicht! Stehen Sie zu dem, was Ihre Parteifreunde gemeinsam mit den Liberalen im Europaparlament umgesetzt haben! Reden Sie nicht nur von mehr Freiheit, sondern handeln Sie auch danach! Auf unsere Unterstützung können Sie dabei zählen.
(Beifall bei der FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Garrelt Duin, SPD-Fraktion.
Garrelt Duin (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Selten hat ein Richtlinienentwurf der EU-Kommission für so viel Aufmerksamkeit gesorgt wie dieser; das hat gute Gründe. Ich möchte vorab anmerken, dass es sich künftig lohnen würde, hier und in der deutschen Öffentlichkeit noch öfter und rechtzeitig über solche Richtlinienentwürfe intensiv zu diskutieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Dienstleistungsrichtlinie hat in den vergangenen zwei Jahren zu regelrechten Proteststürmen geführt, weil die hinter diesem Entwurf stehende Denkweise - ich bin geneigt, zu sagen: die Ideologie, seinerzeit durch Herrn Bolkestein verkörpert und heute vom Kollegen Zeil noch einmal vorgetragen - Kern des Problems ist.
(Beifall der Abg. Andrea Nahles [SPD])
Welches Europa wollen wir? So ist die Frage richtig gestellt. Aber im zweiten Schritt geht es um die Fragen: Bedeutet Europa eigentlich mehr als Markt, Markt und nochmals Markt? Überlassen wir Europa denjenigen, die glauben, dass das freie Spiel der Kräfte alles zum Guten wenden wird und dass alleine der Markt die Dinge regeln kann? Diese Fragen und die damit verbundenen Ängste haben unter anderem dazu geführt, dass die Referenden in Frankreich und den Niederlanden negativ ausgegangen sind.
(Beifall bei der SPD)
Immer wieder stoßen wir auf diese Denkweise, zuletzt beim Port Package II. Wir können unseren Kolleginnen und Kollegen aus dem Europäischen Parlament nur gratulieren, dass sie diesen Angriff auf die Beschäftigten in unseren Häfen abgewehrt und das Port Package II versenkt haben.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir Europa so gestalten wollen, dass es von den Menschen, den europäischen Bürgerinnen und Bürgern getragen wird, dann brauchen wir neben dem intensiven Bemühen um Wettbewerbsfähigkeit auch den sozialen Zusammenhalt in Europa. Sozialer Zusammenhalt verkommt zur Worthülse, wenn wir nicht in der Normsetzung, in der Gesetzgebung, wie jetzt hier ganz konkret bei der Dienstleistungsrichtlinie, darauf achten und ihr Geltung verschaffen. Diese Verbindung von dem Bemühen um Wettbewerbsfähigkeit und dem sozialen Zusammenhalt ist unser Anliegen.
Natürlich braucht der Wirtschaftsraum der EU einen intensiveren Austausch von Dienstleistungen, sowohl zur Stärkung der Wirtschaftskraft insgesamt, als auch um dem Ziel der Angleichung der Lebensverhältnisse, der Kohäsion, näher zu kommen. Die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen ist wesentliches Element des Binnenmarktes und der Abbau von Hindernissen ist für die Wirtschaftsentwicklung dieses Sektors und nicht zuletzt für die Verbraucher von grundlegender Bedeutung. Aber - auch das hat Frau Merkel in Davos gesagt - diese Freiheit braucht Regeln.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ohne oder mit falschen Regeln wird es einen ruinösen Wettbewerb um die niedrigsten Löhne, die niedrigsten Sozialstandards und die niedrigsten Umweltstandards geben. Wir dürfen dabei in der Tat - Herr Meyer hat es angesprochen - nicht vergessen, dass der Dienstleistungsbinnenmarkt mit all seiner Unzulänglichkeit bereits existiert und der Europäische Gerichtshof ihn mit seinen Urteilen gestaltet, allerdings - das will ich hinzufügen - nahezu ungetrübt von der Logik des freien Wettbewerbs.
Ruinöser Wettbewerb schadet nicht nur den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, sondern auch den kleinen und mittelständischen Unternehmen. So ist es nämlich zu erklären, dass die Proteste der Gewerkschaften nahezu wortgleich auch von vielen Verbänden, zum Beispiel dem Zentralverband des Deutschen Handwerks - es gab sogar eine Preisverleihung durch mittelständische Unternehmen an die sozialdemokratische Berichterstatterin -, unterstützt werden. Das können Sie nicht einfach wegwischen und sagen, der Mittelstand sei davon begeistert. Das entspricht nicht den Tatsachen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Die Kommission hat mit der Vorlage der Dienstleistungsrichtlinie eine große Chance vertan, weil sie mit der Brechstange des Herkunftslandprinzips versucht, eine Überliberalisierung des Binnenmarktes zu erreichen. Das führt zu praxisfernen Ergebnissen und sozial- und wirtschaftspolitischen Verwerfungen. Die Kommission hätte der Sache einen viel besseren Dienst erweisen können, wenn sie einen anderen, einen bescheideneren Ansatz gewählt hätte. Es wäre ausreichend gewesen, die zahlreichen Vorschläge zur Erleichterung der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung zu systematisieren und praxisgerecht auszugestalten.
Die Bundesregierung ist zurzeit genauso wie die im Europäischen Parlament vertretenen maßgeblichen Parteien dabei, nach Möglichkeiten zu suchen, diesen Bedenken Rechnung zu tragen. Ich bin der Überzeugung, dass dort, sowohl in der Bundesregierung als auch bei den maßgeblichen Vertretern im Europäischen Parlament, ein guter Weg gefunden werden kann, wenn wir von den zwei folgenden Eckpunkten ausgehen. Der erste Punkt ist, dass der Anwendungsbereich klar definiert wird, und der zweite Punkt ist - Bezug nehmend auf das, was wir im Koalitionsvertrag geschrieben haben -, dass das Herkunftslandprinzip à la Bolkestein nicht die Richtschnur dieser Richtlinie sein kann.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Bezüglich des Anwendungsbereiches muss klar sein, dass sektorale Richtlinien Vorrang vor der Dienstleistungsrichtlinie haben. Als zentrales Beispiel nenne ich hier die Entsenderichtlinie. Sie ist ein, wie ich finde, sehr gutes Instrument, von dem wir in Deutschland - das sei zugegeben - noch zu wenig Gebrauch machen. Vielleicht - so ist jedenfalls meine Hoffnung - kommen wir im Rahmen der Diskussion über den Niedriglohnsektor bei dem Thema Mindestlöhne dort noch ein Stückchen weiter. Aber vom Regelungsansatz her - das muss man sich vor Augen führen - steht das Herkunftslandprinzip der Entsenderichtlinie diametral entgegen. Während die Entsenderichtlinie gerade die Anwendbarkeit inländischer Normen auf ausländische Dienstleistungserbringer bezweckt, verfolgt das Herkunftslandprinzip den genau entgegengesetzten Ansatz.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Warum dennoch in Art. 24 und 25 der Dienstleistungsrichtlinie der Versuch unternommen wurde, Teilaspekte der Entsendung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu regeln, bleibt nach wie vor unverständlich. Es ist doch inzwischen jedem klar, dass eine Kontrolle aus dem Herkunftsland des Dienstleistungserbringers heraus nicht stattfinden wird und somit die Gefahr eines rechtsfreien Raumes besteht. Deswegen kann das unsere Zustimmung nicht finden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Es muss ebenso geklärt werden, dass alle Bereiche der Daseinsvorsorge unter die Gestaltungshoheit der Mitgliedstaaten fallen. Der gesamte Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, also Gesundheit, Bildung, Wasser, Abwasser, Abfall und öffentlicher Verkehr, gehört genauso wie die sozialen Dienstleistungen nicht in eine Richtlinie, die vor allem kommerzielle Dienstleistungen regeln soll. Mit der Einbeziehung aller Dienstleistungen, für die Entgelte erhoben werden, wird die sehr unterschiedliche Praxis in diesem Bereich in den 25 Mitgliedstaaten völlig ignoriert.
Ebenso wichtig ist - Herr Meyer, ich bin Ihnen für Ihre Aussage zu diesem Punkt sehr dankbar -, dass der gesamte Gesundheitssektor von dieser Richtlinie ausgeschlossen wird. Wichtig ist also, dass nicht nur der öffentliche Bereich ausgeschlossen wird, wie es von manchen - auch von ehemaligen Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die jetzt in anderer Funktion ganz nah bei uns sind - gefordert wird. Ich mag mir jedenfalls die Auswirkungen des alten Richtlinienentwurfs, zum Beispiel auf private Pflegedienste, nicht ausmalen. Deswegen sollten wir dafür eintreten - ich wiederhole -, dass der gesamte Gesundheitssektor und nicht nur der öffentliche Bereich von dieser Richtlinie ausgeschlossen wird.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Herkunftslandprinzip widerspricht allen Bemühungen, Standards, die das soziale Europa ausmachen, zu harmonisieren. Ich bin aber der Überzeugung, dass Harmonisierung ein wesentlich besserer Weg ist als ein Wettlauf um die geringsten Standards. Die Berichterstatterin im Europäischen Parlament will unterscheiden - darauf ist schon hingewiesen worden - zwischen dem Zugang einerseits und der tatsächlichen Erbringung einer Dienstleistung andererseits, die dann dem Ziellandprinzip unterliegen müsste. Der Zugang kann demnach nach den Regeln des Herkunftslandes erfolgen, solange klar ist: Dort, wo die Dienstleistung erbracht wird, gelten die Bedingungen ebendieses Ortes. Die Herkunft des Erbringers spielt dann keine Rolle und die Behörden vor Ort kontrollieren die Erbringung der Dienstleistung, nichts anderes.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich glaube, dass diese klare Unterscheidung sowohl im Sinne der anbietenden Unternehmen wie auch der Beschäftigten und der Verbraucher wäre. Dies gilt umso mehr, wenn uns ein deutlicher Abbau von Dokumentationspflichten und Verwaltungsaufwand gelingt.
Diese Linie hat - so sind alle Informationen - im Europäischen Parlament eine realistische Chance auf eine Mehrheit. Sie ist konstruktiv, nach vorne gerichtet. Von uns sollte heute das Signal ausgehen, dass wir alle unterstützen, die in diesem Sinne agieren: für einen funktionierenden Binnenmarkt, aber eben auch für ein Europa des sozialen Zusammenhalts, das die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Verbraucherinnen und Verbrauchern wie auch von kleinen und mittleren Unternehmen erkennbar schützt. Das verloren gegangene Vertrauen in Europa kann zurückgewonnen werden - ich habe auf die Referenden Bezug genommen -, wenn wir mit dieser Frage verantwortungsvoll umgehen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege Duin, das war Ihre erste Rede in diesem Haus. Ich beglückwünsche Sie dazu sehr herzlich und wünsche Ihnen für die weitere Arbeit alles Gute.
(Beifall)
Nun hat das Wort die Kollegin Ulla Lötzer, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Ulla Lötzer (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Tatsächlich hat noch nie ein Vorhaben der Europäischen Kommission in der deutschen Öffentlichkeit eine so breite gesellschaftliche Diskussion ausgelöst wie die EU-Dienstleistungsrichtlinie. Die Zeit, in der weitreichende Entscheidungen hinter verschlossenen Türen in Brüssel getroffen werden konnten, ist vorbei. Menschen mischen sich für ein soziales und ökologisches Europa ein und das begrüßen wir ausdrücklich.
(Beifall bei der LINKEN)
Folgerichtig stößt diese Richtlinie bei Gewerkschaften, Verbänden der kleinen und mittleren Unternehmen, Sozialverbänden, kommunalen Arbeitgebern und vielen anderen auf einhellige Ablehnung. Doch auf diesem Ohr ist die konservativ-liberale Mehrheit im Europaparlament taub. Das gilt auch für Sie, Herr Meyer. Mit den bisher beschlossenen Änderungsvorschlägen - auch Sie haben sie hier eben im Großen und Ganzen als Ihre vorgetragen - soll das Herkunftslandprinzip nämlich nur abgemildert, aber nicht abgeschafft werden. Länder sollen auf Einhaltung ihrer nationalen Bestimmungen dann bestehen können, wenn dies für den Schutz der öffentlichen Ordnung, der Gesundheit oder der Umwelt unerlässlich ist. Dazu frage ich Sie, Herr Meyer: Wer bestimmt das denn dann?
(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Wir!)
Gerade damit wird doch die politische Gestaltung Europas an den Europäischen Gerichtshof abgetreten.
Verbraucherschutz, Qualitätsstandards, Leih- und Zeitarbeit sollen weiterhin dem Herkunftslandprinzip unterliegen. Auch mit den aktuellen Änderungsvorschlägen tickt die Bombe für einen uneingeschränkten Dumpingwettbewerb zulasten der Löhne und der Arbeitsbedingungen, der Sozial-, Verbraucher- und Umweltstandards weiter.
Mit der völligen Deregulierung des Niederlassungsrechts und den Einschränkungen für kommunale Aufgaben werden demokratische Rechte der Kommunen gerade in der kommunalen Selbstverwaltung und der öffentlichen Daseinsvorsorge ausgehöhlt. Unternehmen aus Ländern mit hohen Standards werden diskriminiert. Entweder werden dann die Vorschriften geschliffen oder die Unternehmen flaggen aus; Briefkastenfirma genügt. Genauso werden kleine und mittlere Unternehmen auf der Verliererstraße enden und nicht profitieren.
Die Ersetzung des Herkunftslandprinzips durch die Gesetze, Standards und das Tarifrecht des Landes, in dem die Dienstleistung erbracht wird, ist und bleibt Minimum einer sozialverträglichen Lösung.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Nach wie vor sollen auch große Teile der öffentlichen Daseinsvorsorge von der Richtlinie erfasst werden. Sie haben einige Ausnahmen genannt, Herr Meyer. Aber zum Beispiel der Bildungsbereich soll nach wie vor erfasst werden.
(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Nein!)
Das hat die Europäische Kommission in der Anhörung ausdrücklich bestätigt. Die Vertreterin der Kultusministerkonferenz hat dies als nicht tragbar abgelehnt. Recht hat sie. Das ist mit einem demokratischen und sozialen Bildungswesen tatsächlich unvereinbar. Genauso gilt das für die Pflege und für andere soziale Dienstleistungen. Einzelne Ausnahmen und Erweiterungen der Ausnahmen reichen nicht aus. Die Herausnahme der gesamten öffentlichen Daseinsvorsorge aus dem Geltungsbereich der Richtlinie ist unverzichtbar.
(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Richtig!)
Die Daseinsvorsorge hat im Geltungsbereich dieser Richtlinie nichts zu suchen.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Regierung hat das mit in der Hand. Ohne ihre Zustimmung im Europäischen Rat wird es keine Richtlinie geben. Vor der Wahl haben SPD und auch die Grünen, Frau Dückert, im Bundestag beschlossen, die EU-Kommission aufzufordern, die Richtlinie zurückzuziehen - diese Aufforderung kreiden Sie uns in unserem Antrag jetzt als Boykott an -;
(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Mehrheitsentscheidung!)
eine Folgenabschätzung sollte her; das Herkunftslandprinzip wurde abgelehnt.
Auch Sie, Herr Duin, lehnen das Herkunftslandprinzip ab. Gleichzeitig ruft der Vorsitzende Ihrer Fraktion im EU-Parlament, Herr Schulz, in den letzten Tagen zur Bereitschaft zum Kompromiss mit den Konservativen auf, damit die Dienstleistungsrichtlinie auf jeden Fall verabschiedet wird. Das nenne ich Nebelkerzen werfen.
(Widerspruch bei der SPD)
Ihr Parteivorstand ruft zur Demo auf. Das freut uns. Aber dann müssen Sie auch im EU-Parlament und in der Regierung klare Positionen vertreten.
(Beifall bei der LINKEN - Garrelt Duin [SPD]: Wir wollen nicht, dass die Gerichte alles entscheiden!)
Herr Meyer, unter Federführung der Hessischen Landesregierung hat sich der Bundesrat komplett gegen das Herkunftslandprinzip ausgesprochen. Ihre Abgeordneten im Europäischen Parlament aber sind es, die die Ablehnung des Herkunftslandprinzips bisher verhindern und das auch am 15. Februar weiter tun wollen.
Frau Merkel war am Montag bei Herrn Chirac. Man solle doch eine gemeinsame Position finden, umarmt sie ihn - aber nicht, um die Richtlinie mit ihm gemeinsam abzulehnen, sondern mit dem Ziel, ihn von seiner konsequenten Ablehnung abzubringen. Das teilen wir nicht.
Dieser Entwurf ist insgesamt noch immer schlecht für die Menschen, auch in der aktuellen Fassung, auch mit Ihren Änderungsvorschlägen. Deshalb fordern wir Sie nach wie vor auf - wie es auch in unserem Antrag steht -: Kehren Sie zu Ihrer alten Position zurück, Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den Grünen! Lehnen Sie die Richtlinie ab! Statt Herkunftslandprinzip und Privatisierung brauchen wir einen Prozess der Harmonisierung von sozialen und ökologischen Standards in Europa sowie Rahmenrichtlinien für die öffentliche Daseinsvorsorge, die sie vor Privatisierung und Liberalisierung schützen.
(Beifall bei der LINKEN)
Dafür werden jedenfalls wir am 11. Februar in Berlin und dann auch in Straßburg mit vielen Menschen auf die Straße gehen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Die Demo wird die Aufmerksamkeit für diese Forderung noch erhöhen.
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein bisschen Realitätssinn und weniger Populismus, das würde Nutzen bringen!)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun die Kollegin Lena Strothmann, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Lena Strothmann (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selten ist über den Entwurf einer Richtlinie so intensiv und emotional diskutiert worden. Im Augenblick wird, so kann man sagen, alles in den Ring geworfen, was nur den Anschein von Dienstleistungsfreiheit hat. Viele sehen einen Zusammenhang mit den Fleischerkolonnen aus Osteuropa und den berühmten Fliesenlegern. In Frankreich und den Niederlanden hat der Entwurf sogar die Zustimmung zur EU-Verfassung verhindert.
Gemeinsam spiegeln all diese Diskussionen vor allen Dingen die Angst um die Arbeitsplätze wider. Ich bin der Auffassung, dass es grundsätzlich gut ist, diese Diskussion zu führen. Es ist positiv, weil dadurch im Vorfeld eines europäischen Beschlusses ausführliche Beratungen stattfinden. Im Klartext heißt das: Es bestehen Einflussmöglichkeiten bezüglich der EU-Vorgänge. Das ist gut so.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich bin auch froh, dass wir heute mit dieser Debatte zur Versachlichung des Themas beitragen können. Sachlichkeit ist notwendig; denn die Aufgeregtheit um die Dienstleistungsrichtlinie verhindert einen Blick auf die Fakten. Die Dienstleistungsrichtlinie stellt den letzten Teil der Verwirklichung der vier Grundfreiheiten dar. Nach den entsprechenden Regelungen für Personen, Waren und Kapital sollen nun Erleichterungen bei den Dienstleistungen folgen.
Die Dienstleistungsfreiheit ist auch eingebunden in den Lissabonprozess. Die Lissabonstrategie strebt einen Dreiklang von Beschäftigung, Wirtschaftsreform und sozialem Zusammenhalt - Stichwort: europäisches Sozialmodell - an. Auch hier lautet ein Ziel: Schaffung von Arbeitsplätzen.
Das Potenzial dafür ist da. 70 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts sind mittlerweile Dienstleistungen. Der grenzüberschreitende Teil daran aber ist gering. Beim Güterexport sind wir Weltmeister; auch Fußballweltmeister wollen wir werden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Aber wir wollen und müssen auch beim Export von Dienstleistungen stärker werden.
Leider ist es so, dass zwischen den Mitgliedstaaten viele Hindernisse bestehen. Viele dienen der Abschottung. Die Kommission hat dies aufgrund einer Reihe von Beschwerden festgestellt. Zwei Beispiele dazu: Ein Aachener Gärtnereibetrieb hatte in England einen Auftrag zur Dachbegrünung. Dafür wurde ein zwölfstündiger Baustellenabsicherungskurs verlangt. Ein Elektroinstallationsauftrag bei der niederländischen Armee ist nicht zustande gekommen, da zuvor eine Prüfung gefordert wurde. Das besondere Problem dabei war, dass sie in holländischer Sprache gefordert wurde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Dienstleistungsrichtlinie ist als Rahmenrichtlinie konzipiert, die nach außen einen Orientierungsrahmen setzt und nach innen viele Möglichkeiten zulässt. Sie war letztlich unausweichlich und ist in jedem Fall besser als Dutzende von Sektorenrichtlinien, die sich möglicherweise widersprechen.
Unnötige Hemmnisse gilt es also abzubauen. Eines ist klar: Standards und Vorschriften müssen sein. Eines aber muss nicht sein: Schikanen, die zur Abschreckung von Mitbewerbern oder gar zur Marktabschottung missbraucht werden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ausländische Dienstleister haben es bei uns relativ leicht, in den Markt zu kommen; das muss man feststellen. Wir dagegen haben es im Ausland erheblich schwerer. Daher wäre unser Nutzen von einer Dienstleistungsrichtlinie erheblich größer. Hier liegen die Chancen für unsere Betriebe und deren Mitarbeiter.
Deshalb müssen wir uns in die Gestaltung der Dienstleistungsrichtlinie konstruktiv einbringen. Auf dem ursprünglichen Kommissionstext, dem Bolkestein-Entwurf, herumzureiten, macht dabei eigentlich keinen Sinn mehr.
(Martin Zeil [FDP]: So ist es!)
Die grundsätzlichen Kritikpunkte sind bekannt: der Anwendungsbereich, das Herkunftslandprinzip, der Umfang der bestehenden Beschränkungen und die Kontrollmöglichkeiten vor Ort.
Nun hat der Binnenmarktausschuss des Europaparlaments am 22. November 2005 über 1 000 Änderungsanträge beraten. Mein Kollege Meyer hat eben ausführlich darüber berichtet. Am 14./15. Februar wird das Europaparlament entscheiden. Es wird sicherlich noch Veränderungen geben; das steht fest. Auch die Meinungsbildung im Deutschen Bundestag läuft noch. Anzunehmen ist aber, dass der Vorschlag des Binnenmarktausschusses die künftige Linie des Parlaments und wahrscheinlich auch die der Kommission sein wird.
Die Änderungen bedeuten - ich sage das der Vollständigkeit halber -: Unser Arbeitsrecht, unser Sozialrecht und die Anerkennung unserer Berufsabschlüsse bleiben stehen. Auch die Entsenderichtlinie bleibt unberührt. Die Daseinsvorsorge bleibt in unserer Hoheit. Der gesamte Gesundheitsbereich bleibt ausgeklammert. Steuern und internationales Privatrecht werden ausgenommen. Wir können unsere Standards, was Sicherheit und Umwelt angeht, einfordern. Briefkastenfirmen können die Dienstleistungsrichtlinie nicht als Schlupfloch nutzen. Das heißt, den Sorgen über Sozial- und Lohndumping wurde Rechnung getragen.
Der Handlungsbedarf für eine Verwirklichung des Binnenmarkts für Dienstleistungen ist durch etliche Urteile des EuGH bestätigt. Würde die Kommission die Dienstleistungsrichtlinie ersatzlos zurücknehmen - wie viele das fordern -, bestünde die Gefahr, dass all die bestehenden Probleme über Einzelklagen gegen jedes einzelne Land in jedem einzelnen Fall gerichtlich geklärt werden. Gerichtsverfahren würden in dem Falle zunehmend zum Korrektiv der Politik. Das kann doch tatsächlich keine Lösung sein.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Akzeptanz der Menschen für die europäische Sache würde nochmals abnehmen. Deshalb lassen Sie uns gemeinsam an der Verwirklichung des Dienstleistungsbinnenmarktes arbeiten!
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Kurt Bodewig, SPD-Fraktion.
Kurt Bodewig (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute konnten wir lesen, dass laut Eurobarometer mittlerweile 64 Prozent der Deutschen die europäische Einigung als negative Entwicklung ansehen. Bei Themen wie der Dienstleistungsrichtlinie manifestieren sich entsprechende Ängste. Ich glaube, wir alle sind gut beraten, wenn wir solche Sorgen sehr ernst nehmen.
Ich will die Gelegenheit nutzen, einige Punkte klarzustellen. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Weiterentwicklung der Europäischen Union. Wir halten diese auch im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Bürgerinnen und Bürger für notwendig. Wir sind aber sehr skeptisch, wenn in der Europäischen Union falsche Instrumente entwickelt und zum Handlungsprinzip erhoben werden. Deswegen sage ich: Wir sind für die Öffnung von Dienstleistungsmärkten, aber gegen die Bolkestein-Richtlinie, weil damit der falsche Weg eingeschlagen wird und die Ängste in Deutschland wie in allen anderen Mitgliedstaaten der EU weiter verstärkt werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)
Herr Zeil, ich will kurz auf Sie zurückkommen. Sie kennen wahrscheinlich andere kleine und mittelständische Unternehmen als die, mit denen meine Kollegen in ihren Wahlkreisen zu tun haben. Es mag sein, dass Sie zum Handwerk einen anderen Zugang haben. Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Rechtsanwälte geschützt sind. Aber sie bilden nicht den Mittelstand. Schauen Sie sich also die Situation sehr genau an!
Auch in Ihrem Bereich, Frau Strothmann, die Sie Präsidentin der Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld sind, wird über dieses Thema sehr intensiv diskutiert. Die Unternehmen haben zum Teil sehr begründete Ängste. Es ist daher richtig, dass wir der Entbürokratisierung bei bestimmten Verfahrensweisen zustimmen, aber nicht der Einführung von Prinzipien, die mit der Bolkestein-Richtlinie in ihrer originären Form vorgesehen waren. Denn diese führen dazu, dass Unternehmen, die sich an Regeln und Standards halten, unter Druck geraten. Das ist eine Form von Inländerdiskriminierung und damit eine sehr reale Gefahr.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Zuruf des Abg. Martin Zeil [FDP])
- Ich glaube, dass Sie sich die Berichte des Binnenmarktausschusses und der anderen Ausschüsse des EP sehr genau anschauen sollten, bevor Sie so etwas sagen. Auch wenn man Ausnahmen bildet, hat man nach wie vor ein gültiges Prinzip, mit dem wir uns auseinander setzen müssen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich sage ganz klar: Keine Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten, keine Aushöhlung von Tarifautonomie, keine Verletzung des Tarifvertragsrechts und keine Absenkung von Standards. Ich füge hinzu: Die Proteste der Gewerkschaften gegen die vorliegende Fassung der Kommission und gegen bestimmte Aspekte, die in einzelnen Ausschüssen des Parlaments behandelt wurden, sind berechtigt.
Ich will hier deutlich machen: Es geht darum, eine klare Aussage gegen die Aushöhlung der Daseinsvorsorge zu machen. Herr Kollege Meyer, vielleicht noch eine Ergänzung: Das Prinzip der Daseinsvorsorge ist nicht nur von allgemeinem Interesse, sondern aus unserer Sicht natürlich auch von wirtschaftlichem Interesse.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich hätte kein Verständnis dafür, wenn man etwa eine Abwasseranlage installieren will und es dafür noch nicht einmal eine Niederlassung in Deutschland gibt. Ich glaube, in der Diskussion haben sich die Dinge verschoben. Diese Entwicklung ist in Brüssel entstanden.
Die PDS macht es sich wie immer relativ leicht und sagt: Wir sind dagegen. Wenn man in der Rolle der Totalverweigerung dagegen ist, kann man hinterher immer sagen, man habe das moralische Recht. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Sie geraten in ein moralisches Unrecht, wenn das Herkunftslandprinzip durch EuGH-Urteile dauerhaft bestätigt wird.
(Garrelt Duin [SPD]: Genau!)
An der Totalverweigerung, wie sie etwa im EP auf der einen Seite bei den Rechtspopulisten, zum Beispiel bei der Independence Party aus Großbritannien, und auf der anderen Seite bei den Linkspopulisten, also in Teilen Ihrer Fraktion, existiert, kann man sehen, dass das Gegenteil von gut nicht immer schlecht ist. Manches ist gut gemeint und in Ihrem Fall auch taktisch. Ich halte diese Position für höchst gefährlich. Über 30 beim EuGH anhängige Verfahren haben gute, brauchbare Anknüpfungspunkte, das Herkunftslandprinzip durchzusetzen.
Deshalb ganz klar: Wir sollten zwischen dem Zugang zur und der Erbringung und Kontrolle der Leistung unterscheiden. Es kann nicht sein, dass die Erbringung nach Standards anderer Länder erfolgt und Unternehmen, die hier qualifiziert ausbilden und hohe Standards entwickelt haben - dies ist übrigens auch ein Wettbewerbsvorteil für den Standort Deutschland -, unter Druck kommen, weil sie mit unzulässiger Konkurrenz konfrontiert werden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Es gibt im Deutschen Bundestag nach den Beschlüssen vom 9. Juni des letzten Jahres eine klare Position.
(Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Dann stimmen Sie unserem Antrag zu!)
Auch der Bundesrat hat immerhin mit einer 16 : 0-Entscheidung gegen das Herkunftslandprinzip votiert. Ich glaube, das ist eine Verpflichtung. Ich würde mich freuen, wenn wir bei der Abstimmung am 13. bzw. 14. Februar im Europäischen Parlament auch die Kollegen der EVP in Gänze dafür gewinnen könnten, unseren Vorschlägen zu folgen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Frau Gebhardt hat mit der Unterscheidung zwischen dem Zugang unter Anerkennung des Herkunftslandsprinzips und der Erbringung und Kontrolle nach den Standards des Ziellands einen wichtigen Anstoß für den Diskussionsprozess gegeben. Das entspricht der Intention des Koalitionsvertrages, also unserer gemeinsamen Position.
(Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Das glaube ich!)
Insofern bin ich sehr zuversichtlich. Es wird sich eine Menge bewegen.
Gleichzeitig sage ich aber auch: Wir sollten die Ängste der Menschen ernst nehmen. Die Proteste der Gewerkschaften sind begründet. Wir müssen alles Notwendige dafür tun, dass aus Ängsten keine Realitäten werden. Das können wir, wenn wir gemeinsam konsequent handeln. Dies dient dem Standort Deutschland.
Für Europa ist eine europäische Harmonisierung die beste Lösung. Sie führt dazu, dass sich die Menschen nicht hinter Gräben verschanzen, sondern zusammenkommen
(Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])
und sagen: Wir wollen gemeinsame europäische Rechte entwickeln.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD - Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann könnt ihr ja unserem Antrag zustimmen!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/373 und 16/394 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

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