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           Zur Notwendigkeit, sich aus einer Geschlechterperspektive mit 
            GATS und Privatisierung der öffentlichen Dienste zu beschäftigenvon Christa Wichterich Makro-Ökonomie war lange Zeit ein "hartes" Politikfeld, von 
  dem Frauen mit wenigen Ausnahmen ausgeschlossen waren bzw. mit dem sich nur 
  wenige Wissenschaftlerinnen beschäftigten. Dies hat sich in jüngster 
  Zeit verändert.  Forschung aus feministischer und geschlechterpolitischer Sicht beschäftigte 
  sich zunächst mit den Auswirkungen, die die fortschreitende Handelsliberalisierung, 
  die neue internationale Arbeitsteilung durch Verlagerung von Produktionsschritten 
  in Billiglohnländer und Exportorientierung auf Frauen hatten. In den achtziger 
  Jahren konzentrierten sich die Auseinandersetzungen mit makro-ökonomischen 
  Veränderungen auf Strukturanpassungsprogramme und ihre negativen Auswirkungen 
  auf Frauen sowie auf die Bretton Woods Institutionen. In den vergangenen Jahren 
  verschob sich der Fokus auf die Welthandelsorganisation WTO und ihre Abkommen. 
  Dies mündete in grundsätzlicher Kritik am globalen Freihandelsregime 
  und der Forderung, systematisch eine Gender-Perspektive in makro-ökonomische 
  Politiken und in die internationalen Finanz- und Handelsinstitutionen einzubringen. Mehrere internationale Frauennetzwerke haben sich gebildet - z.B. das International 
  Gender and Trade Network (IGTN) und der Women's International Caucus on Economic 
  Justice (WICEJ), die die Verhandlungen der WTO beobachten und sich mit einer 
  Geschlechterperspektive einmischen. Auch das europäische Netzwerk WIDE 
  (Women in Development Europe) mit Sitz in Brüssel fokussiert zunehmend 
  auf die Frage, wie ökonomische und soziale Rechte von Frauen in makro-ökonomischen 
  Zusammenhängen durchzusetzen sind. Eine Auseinandersetzung aus Frauensicht mit den neuen, in der Uruguay-Runde 
  beschlossenen Schritten zur Handelsliberalisierung - wie dem Agrarabkommen (AoA), 
  dem Patentschutz für geistiges Eigentum (TRIPS) und dem Dienstleistungsabkommen 
  GATS (General Agreement on Trade in Services) - steht jedoch noch am Anfang. Besondere Aufmerksamkeit findet derzeit das GATS, weil es bei der nächsten 
  Ministerkonferenz der WTO im September 2003 in Cancun zentraler Verhandlungsgegenstand 
  sein wird. Ziel dieses Abkommens ist eine Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen 
  von der Wasserversorgung über Museen bis zum Gesundheitswesen. Über 
  160 Branchen schließt GATS bisher ein.  Seit Anfang 2002 laufen sogenannte GATS 2000-Verhandlungen bei der Welthandelsorganisation. 
  Es geht darum, dass und wieweit WTO-Mitglieder bisher öffentliche Dienstleistungsbereiche 
  für ausländische Service-Anbieter zu öffnen bereit sind. Die 
  bislang durch staatliche oder kommunale Einrichtungen geleistete Daseinsvorsorge 
  würde ganz oder teilweise an Privatunternehmen übertragen.  Die Verhandlungsprozesse finden nicht öffentlich statt und werden weitgehend 
  geheimgehalten. Die WTO behauptet, es handele sich um ein demokratisches Verfahren, 
  weil die einzelnen Regierungen entscheiden können, welche Sektoren sie 
  dem freien Markt öffnen. Bis Juni 2002 sollten führende WTO-Mitglieder 
  andere Mitgliedsländer auffordern, bestimmte bisher staatlich reglementierten 
  und geschützten Dienstleistungsbereiche für ausländische Investoren 
  zu öffnen ("request-Phase"). Die EU verschickte einen Katalog 
  mit umfangreichen Liberalisierungsansprüchen an 24 Länder und forderte 
  für europäische Konzerne Zugang zu Finanzdienstleistungen, dem Tourismus, 
  der Telekommunikation, Postdiensten, dem Energie- und Wassersektor. Von besonderem 
  Interesse für die Dienstleistungsunternehmen (Multi-Utility-Corporations) 
  des Nordens sind die Schwellenländer des Südens und Länder mit 
  großen Märkten und Wachstumspotential wie China, Indien, Südafrika 
  und Ägypten. Bis März 2003 soll jedes Land selbst die Dienstleistungssektoren 
  benennen, die es für eine Liberalisierung preisgibt ("offer-Phase"). 
  
 Bei den derzeitigen Verhandlungen werden nationale Regelungen im Dienstleistungssektor 
  überprüft und einem "Notwendigkeitstest" unterzogen. Staatliche 
  Regulierung darf nicht "handelsverzerrend" sein, d.h. sie darf einheimische 
  Unternehmen nicht gegenüber ausländischen bevorteilen und sie darf 
  den freien Wettbewerb nicht durch Umweltschutzbestimmungen, Sozialklauseln und 
  Gleichstellungsverordnungen ausbremsen. Wo im Tourismusbereich aus ökologischen 
  Gründen keine weiteren Konzessionen für Hotels oder z.B. Skilifte 
  vergeben werden sollen, benachteiligt dies ausländische Investoren gegenüber 
  inländischen Betreibern, die bereits Konzessionen haben. Subventioniert 
  ein Staat lokale Privatschulen, so können Privatschulen ausländischer 
  Bildungsunternehmen die gleichen Subventionen verlangen. Das aber würde 
  den öffentlichen Haushalt für staatliche Bildungseinrichtungen stark 
  belasten und die Mittel für öffentliche Schulen weiter verknappen.
 Wo Privatunternehmen öffentliche Einrichtungen übernehmen, sichern 
  nicht mehr das Solidarprinzip und Mechanismen der Quersubventionierung die Daseinsvorsorge, 
  sondern die Grundversorgung würde nach markt- und konkurrenzwirtschaftlichen 
  Prinzipien organisiert. Während beim Solidarprinzip Gleichheit und Gerechtigkeit 
  (zumindest politisch programmatisch) die handlungsleitenden Normen sind, muss 
  für die Privatwirtschaft notwendig die Rentabilität oberstes Ziel 
  sein. Privatunternehmen investieren dort, wo Kaufkraft und schnelle Rendite 
  zu erwarten sind. Dem Staat bleiben die Daseinsversorgung der Armen, die keine 
  kaufkräftige Kundschaft darstellen, oder schwierige, besonders investitionsintensive 
  Bereiche. So zeigt sich bei der Privatisierung der Wasserversorgung, dass die 
  multinationalen Konzerne eher in Schwellenländern als in armen Ländern 
  investieren, eher in wohlhabenden Stadtteilen als in armen Randzonen, eher in 
  Städten als in ländlichen Gebieten und eher in der Wasserversorgung 
  als in die schwierigere Abwässerentsorgung.  Öffentliche Güter wie Wasserversorgung, Gesundheit und Bildung werden 
  auf neuen Märkten in-Wert-gesetzt und kommerzialisiert. Von KritikerInnen 
  der Privatisierung wird deshalb befürchtet, dass Grundrechte auf Daseinsvorsorge 
  zu einer Frage der Kaufkraft und des Wettbewerbs werden, bei dem die Armen - 
  und die absolute Mehrzahl der weltweit Armen sind Frauen - den Kürzeren 
  ziehen oder leer ausgehen. Die Weltbank setzt darauf, dass die Staaten Regulierungsinstanzen 
  und -instrumente aufbauen, um dies zu verhindern und die Qualität der Leistungen 
  der Privatunternehmen zu überprüfen. Es ist jedoch fraglich, ob die 
  Regierungen in der Lage sind, Kontrolle über ökonomisch mächtige 
  Konzerne auszuüben und ob solche Regularien von der WTO nicht als wettbewerbshemmend 
  abgelehnt werden.  Im Zuge von Strukturanpassungsprogrammen führten viele Länder des 
  Südens bereits seit den achtziger Jahren Privatisierung von Staatsbetrieben 
  durch. Weltbank und Internationaler Währungsfonds knüpfen Kreditvergabe 
  bis heute an die Bedingung, dass Regierungen Teile des öffentlichen Sektors 
  privatisieren. In Chile wurde bereits seit 1981 unter dem neoliberalen Militärregime 
  Pinochet das Gesundheitswesen teilprivatisiert. Die Rechtfertigung lautet stets, 
  dass die Investitionen, die zur Sanierung maroder staatlicher Einrichtungen 
  notwendig sind, von der öffentlichen Hand und Entwicklungshilfemitteln 
  nicht aufgebracht werden können. Der Privatsektor garantiere mehr Effizienz 
  und vermittelt über den Wettbewerb ein preisgünstiges Angebot, das 
  in einem Trickle-down-Effekt auch arme Bevölkerungsschichten erreichen 
  könne.  Auch in Industrienationen und deutschen Kommunen ist die Begründung für 
  die Privatisierung stets die Finanznot der Haushalte. Sie macht aus der bisher 
  schleichenden Privatisierung eine galoppierende.  * * *
 Für Frauen ist der Dienstleistungssektor und seine Entwicklung von herausragender 
  Bedeutung. Mit Ausnahme weniger arabischer Länder ist der Dienstleistungsbereich 
  der größte Beschäftigungssektor von Frauen. Die in den vergangenen 
  Jahrzehnten weltweit zu beobachtende Feminisierung der Beschäftigung steht 
  in einem engen Zusammenhang mit dem Anwachsen von Dienstleistungsbranchen in 
  vielen Gesellschaften. Der öffentliche Sektor ist in vielen Ländern 
  auch infolge einer pro-aktiven Gleichstellungspolitik der Hauptarbeitgeber für 
  Frauen, und die Beschäftigung von Frauen war dort über viele Jahre 
  sicherer als Jobs im privaten oder gar im informellen Sektor.  Insgesamt gelten Frauen als doppelt prädestiniert für Service-Tätigkeiten, 
  zum einen aufgrund ihrer hauswirtschaftlichen, kommunikativen und fürsorglichen 
  Fähigkeiten vor allem für soziale, personenbezogene und haushaltsnahe 
  Dienstleistungen, zum anderen weil ein wachsender Anteil von Service-Leistungen 
  flexibilisiert und informalisiert, geringqualifiziert und niedrigentlohnt sind, 
  d.h. nicht in formalen Beschäftigungsverhältnissen und als tariflich 
  bezahlte Vollzeitarbeit verrichtet werden. Der Markt nutzt den Mythos, dass 
  Frauen lediglich Zusatzverdienerinnen neben dem Mann als vermeintlichem Familienernährer 
  sind, und die Tatsache, dass sie höchst flexibel sind, um sie in ungeschützte 
  und niedrigentlohnte Arbeitsverhältnisse zu integrieren. Im Dienstleistungssektor sind formale, informelle und unbezahlte Arbeit eng 
  verschränkt und klare Grenzziehungen nicht möglich. Die als "Schattenarbeit", 
  informell und in "Grauzonen" z.B. von illegalen MigrantInnen geleistete 
  Arbeit taucht jedoch in volkswirtschaftlichen Statistiken nicht als wertschöpfend 
  auf. Völlig unsichtbar und von der neoklassischen Ökonomie und dem 
  öffentlichen Bewusstsein als nicht produktiv gewertet, bleibt die gesamte 
  unbezahlte Arbeit von Frauen in Haushalt, Familie und im "Küchengarten", 
  wo für den eigenen Kochtopf angebaut wird. Diese nicht monetär entlohnte, 
  "reproduktive" Sorgearbeit und Haushaltsökonomie von Frauen (care 
  economy) stellt das Fundament der gesellschaftlichen Grundversorgung dar. Öffentliche 
  Daseinsvorsorge und private, überwiegend von Frauen geleistete Fürsorge 
  greifen im Wortsinn Hand in Hand. * * * Empirische Studien zu Strukturanpassungsprogrammen haben nachgewiesen, dass 
  die Privatisierung staatlicher Daseinsvorsorge, öffentlicher Güter 
  und Dienstleistungen unterschiedliche Auswirkungen auf Männer und Frauen 
  hat. Lebenschancen und Arbeitsbedingungen sind von Frauen in mehrfacher Weise 
  negativ betroffen. Am Beispiel des Gesundheitssektor lässt sich exemplarisch 
  die Tendenz zeigen, Frauen mehrfach zu belasten und damit die Asymmetrien in 
  den Geschlechterverhältnissen erneut zu verstärken statt sie zu beseitigen. 
  a) Wo der "aufgeblähte", ineffizient arbeitende öffentliche 
  Sektor verschlankt und rationalisiert wird, wo Personalkosten eingespart werden, 
  sind es in der Regel niedrig-qualifizierte Frauen und Frauen in pflegerischen 
  Berufen, die als erste entlassen werden. Im privatisierten Gesundheitswesen 
  gelten Frauenförderauflagen als wettbewerbsverzerrend und werden beseitigt.
 b) Privatisierung führt zu einem Zweiklassensystem mit medizinisch gut 
  ausgestatteten privaten Kliniken und Praxen und einer von der Ausstattung und 
  den Leistungen her miserablen öffentlichen Gesundheitsversorgung, für 
  die häufig Nutzungsgebühren erhoben werden. Für arme Frauen sind 
  bereits diese Nutzungsgebühren eine nicht überwindbare Zugangsbarriere. 
  So sank in Simbabwe nach Einführung von Nutzungsgebühren die Zahl 
  der Krankenhausgeburten drastisch und die Mütter- und Kindersterblichkeit 
  stieg dramatisch an. Teure AIDS-Medikamente, die HIV-infizierte Frauen behandeln 
  und verhindern, dass das Virus auf ihre Babys übertragen wird, sind unerschwinglich 
  in Ländern, wo patentierte Medikamente nach dem TRIPS-Abkommen zu Monopolpreisen 
  verkauft werden können.
 c) Wo medizinische Versorgung unerschwinglich oder durch öffentliche Träger 
  nicht mehr gesichert wird, werden gesundheitserhaltende Tätigkeiten, Prävention 
  und Pflege wieder in die privaten Haushalte verlagert und dort von den Frauen 
  übernommen. In staatlichen Krankenhäusern bringen und waschen die 
  Frauen die Bettwäsche ihrer Angehörigen, liefern alle Mahlzeiten, 
  putzen den Boden. Das bedeutet, bezahlte Arbeit wird in die unbezahlte Frauen- 
  und Haushaltsökonomie zurück verschoben. Nahezu die gesamte Pflege 
  AIDS-kranker Personen wird in Afrika in Privathaushalten von Frauen geleistet. 
  Je mehr unbezahlte Sorgearbeit Frauen zu leisten haben, desto weniger Zeit und 
  Energie bleibt ihnen, durch Erwerbsarbeit die Überlebensbedingungen ihrer 
  Familien abzusichern und zu verbessern.
 Auf diesem Hintergrund ist es eine Frage von Demokratie und politischer Transparenz, 
  sowie von sozialer und Geschlechtergerechtigkeit, dass die Öffentlichkeit 
  über die Liberalisierungsabkommen und -strategien der WTO informiert wird 
  und ihre weitreichenden Implikationen erkennt. Aus einer Geschlechterperspektive 
  ist es notwendig, die Folgen von GATS, vor allem aber der Privatisierung öffentlicher 
  Dienstleistungen und Güter für Frauen und Geschlechterverhältnisse 
  zu eruieren und daraus polit-ökonomische Forderungen abzuleiten Weltweit fordern Nicht-Regierungsorganisationen ein Moratorium der Dienstleistungsverhandlungen. 
  Bevor weiterverhandelt wird, soll zunächst geprüft werden, welche 
  Auswirkungen bisherige Privatisierungen auf die Bevölkerung der verschiedenen 
  Länder hatten. Außerdem wird eine "Demokratie-Runde" gefordert, 
  an der zivilgesellschaftliche Kräfte teilnehmen und Einfluss ausüben 
  können. Unbedingt muss offengelegt werden, welche Verpflichtungen einzelne 
  Regierungen bereits eingegangen sind. Es muss möglich sein, bereits erfolgte 
  Privatisierungen wieder rückgängig zu machen. Prinzipiell wird gefordert, die öffentliche Grundversorgung nicht dem 
  GATS-Regime und internationaler Konkurrenz zu unterstellen. Regierungen muss 
  die Souveränität eingeräumt werden, nationale Investitionsregeln 
  zu erlassen und die elementare Daseinsvorsorge vor dem Wettbewerb durch multinationale 
  Konzerne zu schützen. Von internationalen Frauennetzwerken werden zudem 
  besonders das Demokratiedefizit und die Geschlechterblindheit der WTO-Verhandlungen 
  thematisiert. Gleichzeitig haben sich in verschiedenen Ländern inzwischen Protest und 
  Widerstand gegen die Privatisierung der öffentlichen Grundversorgung und 
  Gemeinschaftsgüter formiert und vor allem auf kommunaler Ebene wird nach 
  Alternativen gesucht. |