G8 2007 in Heiligendamm

Stell dir vor, es wäre G8 Gipfel, und wir alle fahren hin

- die Aktionsblockade im eigenen Kopf überwinden!

Wenn im Juni die Staats- und RegierungschefInnen der mächtigsten Staaten der Welt in Heiligendamm zusammenkommen, wollen wir sie mit einem breiten, bunten und vielfältigen Protest „begrüßen“. Viele von uns sind bereit, den Protest und den Unmut über die herrschenden Verhältnisse laut und kreativ auf die Straße zu tragen. Jedoch bestehen bei vielen durchaus G8 kritischen Menschen Hemmungen und Ängste, die einer aktiven Teilnahme an den Gipfelprotesten im Wege stehen. Obwohl Ängste immer ihre Berechtigung haben, basieren viele auf Vorurteilen, Mangel an Informationen und an überwindbaren „Aktionsblockaden“ im eigenen Kopf.

Wir gehen davon aus, dass es vor allem Gründe auf psychologisch- emotionaler Ebene, sowie vermeintlich rationale Argumente bezüglich der Sinnhaftigkeit von Gipfelprotesten sind, die G8-KritikerInnen (noch) von der aktiven Teilnahme an Gipfelprotesten abhalten.

Vor allem das medial verzerrte Bild von Gipfelprotesten als ein Treffen randalierender Chaoten hat bei vielen G8 kritischen Menschen dazu beigetragen, dass sie nicht auf den Gipfel fahren wollen. Dies beruht jedoch auf einer partikularen Wahrnehmung und spiegelt in keiner Weise die Breite des Protests der Bewegung in der Vergangenheit wieder: Bunte, kreative Aktionen wie Straßentheater, Kunst, Clownsarmeen, klassische Massendemonstrationen, symbolische Sitzblockaden sowie das entschlossene Blockieren der Zufahrtsstraßen- Gipfelproteste sind so vielfältig, wie die Bewegung selbst.

Im Rahmen von vielfältigen Protesten ist Platz für unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Vorstellungen von politischem Protest. Dabei kann jede Person eine Aktionsform finden, die zu ihr passt. Entscheidend ist es, sich im Vorfeld intensiv mit den Vor- und Nachteilen sowie den Wirkungsmechanismen verschiedener Aktionsformen zu beschäftigen, z.B. im Rahmen eines Aktionstrainings oder dem Workshop der BlockAid-Infotour.

Viele Menschen haben wiederum Angst, aufgrund von mangelnder Information auf dem Gipfel in eine für sie nicht passende Aktionsform zu rutschen. Jedoch zeichnet sich bereits jetzt ab, dass es eine gute Informationsinfrastruktur auf den Protestcamps geben wird, die es allen Menschen ermöglichen wird, in Heiligendamm zu der Aktionsform zu kommen, die ihnen entspricht.

Andere Personen haben wiederum Angst vor juristischer und/oder polizeilicher Repression. Bei vielen von uns wirken die Bilder von Genua noch nach, und wir denken mit Schrecken an Polizeigewalt und juristischen Repressionen gegen Gipfel-TeilnehmerInnen.

Natürlich sind Gipfelproteste kein Kindergeburtstag, und es wäre vermessen zu behaupten, dass es eine völlige Sicherheit gäbe. Jedoch sollte mensch sich auf gar keinen Fall von Extremausnahmen abschrecken lassen. Die Erfahrung zeigt, dass mensch mit der Wahl der Aktionsform sehr gut selbst bestimmen kann, wie hoch der Konfliktgrad mit Polizei und Justiz während bzw. nach einer Aktion ist. Wer auf die Großdemonstration nach Rostock geht, der muss keine Angst vor juristischer oder polizeilicher Repression haben.

Doch auch bei weitergehenden Aktionen ist das Risiko nicht unkalkulierbar und wird oft als zu hoch eingeschätzt. Entscheidend ist, dass mensch sich im Vorfeld der Aktion über die möglichen rechtlichen und polizeilichen Konsequenzen im Rahmen von Aktionstrainings oder Rechtshilfeworkshops gut informiert. Diese werden zum Beispiel von BlockG8 oder vom BlockAid Netzwerk angeboten. Außerdem steht in Heiligendamm eine gut organisierte Infrastruktur von RechtsanwältInnen bereit, um im Fall der Fälle alles zu tun, um juristischer Willkür entgegenzuwirken.

Viele G8-KritikerInnen fühlen sich zusätzlich durch gesellschaftlichen Druck von einer Teilnahme am Gipfel abgehalten. Dabei kann Angst vor Stigmatisierung eine Rolle spielen oder das Gefühl, mit der kritischen Haltung im eigenen Freundes/Familien/KollegInnen- Kreis allein da zu stehen. Doch es sollte nicht vergessen werden, dass gerade durch das gemeinsam erlebte Gefühl eines Gipfelprotestes auch viel Mut und Energie entstehen kann, um sich über solche Ängste hinwegsetzen zu können. Noch immer sind Menschen gestärkt und motiviert von gelungenen Protesten nach Hause gekommen!

Neben diesen eher psychologisch-emotional bedingten Schwellenängsten spielen oft auch vermeintlich rationale Überlegungen einer Rolle bei der Entscheidung, ob mensch den Protest nach Heiligendamm tragen soll. Eines der gängigsten „Hindernisse“ ist die weit verbreitete Annahme, dass Gipfelproteste im besten Fall nichts bringen, und im schlechten Fall sogar durch abschreckende Medienberichterstattung und Bilder von Chaos u.ä. kontraproduktiv seien.

Natürlich ist die Welt durch die G8- Proteste in Genua, Evian und Gleneagles nicht über Nacht gerecht geworden. Doch wäre eine solche Betrachtung erheblich verkürzt. Genauso wie die G8 selbst nicht nur auf das jährliche Staats- und Regierungschef- Treffen beschränkt werden kann, sondern als weiter gefasstes Institutionensystem (WTO, NATO, IWF/Weltbank usw.) gesehen werden muss, so muss auch die Wirkung der G8 Proteste breiter betrachtet werden. Dabei ist festzustellen, dass unter anderem durch die massiven Delegitimierungsproteste in Seattle die WTO zunehmend ins Abseits gedrängt wurde, da viele Länder sich ermutigt fühlten, den Einschüchterungsversuchen der mächtigen Industriestaaten zu trotzen. Auch die kritische Haltung, die mittlerweile gegenüber der Weltbank oder dem IWF sogar in Mainstream- Medien vertreten wird, können nur vor dem Hintergrund der permanenten Proteste gegen die beiden „Bretton-Woods“- Instutitionen verstanden werden.

Auch die kosmetischen Verbesserungen der G8 an ihrer zerstörerischen Politik- allen voran der magere Schuldenerlass in Gleneagles 2005 sowie die bis heute nicht eingehaltenen Verpflichtungen für einen Schnellhilfetopf für AIDS in Afrika- können als Teil einer Selbstlegitimationsstrategie der G8 Staaten und damit als Antwort auf die zunehmende Delegitimation ihrer Macht durch die massiven Proteste interpretiert werden. Jahr für Jahr musste sich der G8 Gipfel weiter von der Bevölkerung entfernen, zuletzt bis in abgelegene Golfparadiese oder in das medial und zivilgesellschaftlich abgeriegelte Sankt Petersburg. Veränderungen haben immer mit der Delegitimierung der Macht und ihrer Politik begonnen!

Dafür ist es eben wichtig, dass wir viele Menschen sind! Wenn aber alle Menschen mit dem Vorurteil zu Hause bleiben, dass die Proteste sowieso nichts bringen, dann wird diese Aussage zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

Neben den Wirkungen auf die Politik selbst sollten aber auch die Wirkungen auf die Bewegung selbst betrachtet werden. So steht der Zuwachs der Menschen, die sich mittlerweile aktiv in die globalisierungskritische Bewegung einbringen, in direktem Zusammenhang mit der Ausstrahlungskraft der bisher größten G8 Proteste in Genua. Dazu zeigt die Erfahrung, dass durch Vernetzungs- und Bündnisarbeit im Vorfeld großer Gipfelveranstaltungen die emanzipatorischen Kräfte in den lokalen Strukturen stärkt und erneuert.

Alles in Allem kann also zusammengefasst werden, dass auch aus einem rationalen Betrachtungspunkt heraus viel dafür spricht, unseren Protest vielfältig und kreativ nach Heiligendamm zu tragen.

Für alle, die nach den hier dargestellten Punkten weiterhin ein ungutes Gefühl haben, wenn sie an Heiligendamm denken, bietet das derzeit bundesweite Projekt BlockAid im Rahmen einer Infotour einen Intensiv- Workshop mit dem Titel „Stell dir vor, es wäre G8 Gipfel, und alle fahren hin...!“ an. In diesem wird genug Zeit und Raum für die tiefere Reflexion der Aktionsblockaden im eigenen Kopf sein. Bei Interesse schaut doch einfach mal auf die Homepage von BlockAid.

  Das BlockAid Infotour- Team







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Seite zuletzt geändert am: 20.04.2007, 18:52 von Kay Schulze - Impressum