Call for Statements
Diskussion

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Beitrag von Werner Rätz zum "Call for statements"

Im Ergebnis der Bundestagswahl hatte sich noch gezeigt, wie tief die Risse und Brüche im herrschenden Block sind. Jahrelang hatte es geheißen, es gebe keine Alternative zur neoliberalen Agenda. Nun wurde sichtbar, dass alle Rezepte aus dieser Ecke nichts taugen. Keines fand bei den WählerInnen eine Mehrheit. Die Linkspartei ist messbarer und sichtbarer Ausdruck des Wunsches vieler nach Alternativen. Das ist ein wichtiger Schritt, aber nicht gleichbedeutend mit dem Ende der ideologischen Hegemonie des neoliberalen Denkens überhaupt

Die Veränderungen in der Parteienlandschaft gingen schon nicht mit einer Zeit offensiver und starker Mobilisierung sozialer Bewegung einher und mancheR AktivistIn äußerte in den letzten Monaten gar etwas von „Stillstand“ oder „Flaute“. Die neue große Koalition könnte dieses Gefühl verstärken. Der sozialdemokratische Zuckerguss wird über die neoliberalen Abbrucharbeiten gekippt werden und manch einerR wird seinem süßen Duft erliegen. Aus Gewerkschaften z.B tönt es schon, das Schlimmste sei ja verhindert worden: Nachtzuschläge gesichert, Tarifautonomie erhalten, Stabilisierung der Sozialsysteme als gemeinsame Aufgabe. Als hätten wir nicht sieben Jahre Erfahrungen mit der tatsächlichen Bedeutung solchen Geredes!

Weil in den letzten Jahren zunehmend erkannt wurde, wie systematisch die „Reformpolitik“ mit der Zerstörung einer sozialen Gesellschaft und der Umverteilung von unten nach oben verbunden war, entstand ja überhaupt erst die aktuelle Situation. Sie verdankt sich in großem Maße der Wirksamkeit außerparlamentarischer Aktivität. Dabei sehe ich drei wesentliche Ebenen, auf denen die Bewegungen Herausforderungen für das ungebrochene Funktionieren neoliberaler Politik geschaffen haben:

  1. Wir haben die grundsätzliche Auseinandersetzung angenommen. Das „Es gibt keine Alternative“, vor fünf Jahren noch allgegenwärtig, ist zwar nicht verstummt, aber leiser geworden. In Veranstaltungen, auf der Straße beim Infostand, im Zufallsgespräch beim Arzt oder im Bus, immer häufiger kommt Zustimmung, wenn man darauf hinweist, dass Politik auch gestalten könnte. Die Bewegung hat es verstanden die Auseinandersetzung auch in den Kern liberaler Vorstellungen von Ökonomie zu treiben, indem sie deren Diskurs des Mangels in Frage stellt. Es ist offensichtlich „genug für alle da“ und kaum noch jemand glaubt, dass es von alleine unten ankommt, wenn man es oben nur hoch genug anhäuft. Viele halten inzwischen tatsächlich eine andere Welt für möglich.
  2. Wir haben dagegen ganz konkrete Alternativen aufgezeigt. Vorschläge wie Bürgerversicherung oder solidarische Einfachsteuer sind gut durchdacht und auch für pragmatisch orientierte Menschen nachvollziehbar. Manchmal sind sie sogar handwerklich besser durchgearbeitet als die der Gegenseite, wie sich etwa am Beispiel von Herrn Kirchhoffs und des Spiegel Rechnung zeigte. Nun befindet sich mit der Linkspartei eine Kraft im Parlament, die einige dieser konkreten Alternativen ebenfalls vertritt; die Grünen erklären, dass die unsoziale, neoliberale Schlagseite der bisherigen Bundesregierung ein Fehler gewesen sei; die SPD wird in der großen Koalition starken inneren Spannungen ausgesetzt sein, die vor allem für deren linken Flügel schwer aushaltbar werden könnten. Man muss nicht alles glauben, was diese Parteien und PolitikerInnen sagen – ich schlage vor im Gegenteil vor nur sehr wenig davon zu glauben. Aber wir könnten demnächst durchaus StichwortgeberInnen für parlamentarische Initiativen sein.
  3. Wir haben unser Sektierertum weitgehend überwunden. Noch in der Vorbereitung der Demonstration am 1.11.2003 gab es heftige Rangelei und internen Streit. Perspektivenkongress und Sozialforum in Deutschland, aber auch eine Reihe von bewusst gesuchten und lange geführten Gesprächen, Diskussionsrunden, Veranstaltungen haben dazu geführt, dass viele Akteure der sozialen Bewegungen sich inzwischen kennen und zumindest insoweit akzeptieren, dass grundsätzlich die Existenzberechtigung der anderen nicht mehr bestritten wird. Das ist selbstverständlich ein fragiler Zustand. Respektvoller Umgang auch bei deutlichen Differenzen, Zusammenarbeit, Anerkennung der Rolle der anderen müssen immer wieder neu geübt und praktiziert werden.

Attac Deutschland hatte eine wichtige Rolle bei der Erarbeitung aller drei Elemente. Und alle drei müssen wir weiter stark machen. Wir müssen eine Perspektive weit über die Lohnarbeitsgesellschaft hinaus entwickeln – und dabei auch die Frage nach dem Kapitalismus und einer Alternative stellen. Wir müssen mit kurzfristig möglichen Vorschlägen jede Regierung tagespolitisch unter Druck setzen – da wird sich zeigen, wie sehr die Linkspartei sich auf Bewegung einlassen kann und umgekehrt. Und wir müssen unsere Zusammenarbeit verstärken und unsere Unterscheide als Bereicherung annehmen – schließlich sind sie Ausdruck dessen, dass niemand alleine die ganze Wahrheit gepachtet hat. Dabei wäre es die besondere Aufgabe von attac die Verbindung der drei Ebenen – Kooperation über Unterschiede hinweg, Kampf um die Deutungshoheit über die gesellschaftliche Wirklichkeit, Gestaltung der realen Politik – dauernd im Blick zu haben.

 

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