Call for Statements
Diskussion

Von Brüchen und Übergängen. Eine milieu-, bewegungs- und parteipolitische Spekulation.
Von Thomas Seibert, attac-Rat

Schon vor der Wahl bringt der Parteienforscher Franz Walter deren Ergebnis auf den Punkt: „Die Deutschen werden eine Regierung wählen, von deren Projekt, Rhetorik und auch Leitfiguren sie jetzt bereits die Nase voll haben... Der Neuliberalismus rückt zwar an die Macht – aber im Grunde hat der Kern der Gesellschaft ihn längst hinter sich gelassen.“ Weil es kam, wie es kommen musste, erlaube ich mir einen spekulativen Luftsprung und trage die dabei genossene Aussicht im Telegrammstil vor.

Um mit dem Sichtbaren zu beginnen.
Die partei- und regierungspolitische Konstellation hat sich nachhaltig verändert. Die Abnutzung der Volksparteien beschleunigt sich. Es kommt zu keinem großen Wurf weder in die eine noch in die andere neoliberale Richtung: Es wird durchgewurschtelt. Vielen geht es noch schlechter als vorher. Der Ausschluss von der Erwerbsarbeit als der notgedrungenen Quelle der Reproduktion wird fortgesetzt. Wer seine Arbeitskraft noch verkauft, der oder dem wird sie weiter prekarisiert, flexibilisiert, mobilisiert. Wirbelstürme, Erdbeben, Vogelgrippen erschüttern das Erdvertrauen. Die rassistische Beschwörung des Gespensts der Migration wird fortgesetzt, in Afrika Auffanglager eingerichtet. Die Notwendigkeit imperialer Weltordnungskriege im Globalen Süden wird zumindest beschwafelt, vielleicht praktisch demonstriert. Al Qaida hat seines dazu beizutragen. Unruhige, auch bittere Zeiten, und durch Deutschland geht kein Ruck. Der Ölpreis steigt. Davon profitiert die Rechte. Beginnend mit der FDP. Das „Projekt 18“ wird realpolitische Option und ist endgültig kein Spaß mehr. Von Nazis ganz zu schweigen.

Rot-Rot-Grün sind alle meine Farben?
In den Gewerkschaften werden intern (!) die Messer gewetzt. Weiter wie bisher geht nicht, punktum. Wird es Social-Movement-Unionism für alle geben? Hört, hört das Gras wachsen. Auch in der SPD werden die Messer gewetzt. Bleibt sie, wie sie war, schmiert sie weiter ab. Geht sie auf altsozialdemokratische Positionen zurück, hilft das nicht viel. Bewegt sich wirklich was nach links, zeichnet sich ein Doppelpack SPD/Die Linke.PDS ab, irgendwie alt-neu-sozialdemokratisch-post & antineoliberal. Die Linke.PDS wächst in jedem Fall. Wenn sie nicht versemmelt, was sie schon in der Tasche hat. Die Grünen versuchen, Dritte (neoliberale) Volkspartei zu werden. Oder wendet sich auch da was nach links zurück, sozial-ökologisch, bürgerrechtlich, postkonventionell? Die Möglichkeit seh’ ich wohl, allein das Personal. Das ist die Kardinalfrage. In jeder Hinsicht.

Mit dem weniger Sichtbaren weitermachen
„Hinter“ den Apparaten „stehen“ (?) deren Milieus. Kommen die ins Gespräch. Die sich in Scharen von der SPD abgewendet haben, von den Grünen, auch von der CDU, auch von den Gewerkschaften. Ihre sozialen, kulturellen und politischen Protagonisten. Die älter gewordenen 68er, 70er- und 80er-Jahre-(Ex-, Noch- und Naja-)-Linken, die es in all diesen Milieus gibt. Die jüngeren globalisierungskritischen Generationen. Die ersten Kerne einer neueren radikaleren Linken. Miteinander und mit denen, denen es dreckig geht. Rückt dort ein antineoliberaler Block zusammen, der (nicht unmittelbar sichtbar) nach links zieht. Der durch seinen Zug auf der Apparatebene den Zug eines Rot-Rot-Grünen Projekts auf sein Gleis setzt. Das an das Versprechen eines Rot-Grünen Projekts anknüpft. Ein anti- und post-neoliberales, neolinkssozialdemokratisch-neolinksgrünes Reformprojekt. Das unter veränderten Bedingungen die Fäden wieder verknüpft, die unsichtbar in die Kämpfe der Arbeiterbewegung und der Neuen Sozialen Bewegungen zurückführen. Das globalisierungsbedingt und globalisierungskritischerweise in einen transnationalen politischen Raum vorstößt, in eine andere Welt. Wofür anderswo Bündnispartner sich finden, in der französischen Kampagne für ein Nein von links z.B.

Warum das Ganze. (1)
Im Netzwerk attac sind Protagonisten dieser Milieus und Apparate schon im Austausch. Weswegen attac mehr oder weniger unsichtbar, mehr oder weniger sichtbar Katalysator und Moderator einer solchen Block- und Projektbildung wird. Als Netzwerk sozialer und politischer Bildung in aktivistischer Tendenz, in sich und um sich herum. Das nach jeder Richtung die dort schwächer ausgebildeten Momente stärkt. Im roten Milieu Aufmerksamkeit schafft für neusozialbewegte Differenzen (Feminismus, Ökologie, Menschen- und Bürgerrechtsradikalismus, Autonomie). Im neusozialbewegten Milieu Aufmerksamkeit schafft für die unbedingte Identität der Gleichheitsvorschrift: „Es gibt keinen Tanz vor dem Essen. Erst müssen alle am Tisch sitzen, dann kann der Messias kommen“ (Ernst Bloch). Bei allen erinnert, dass Globalisierung ist, es also nicht um Deutschland, sondern nur um die andere Welt geht, die möglich ist. Alles für Alle!

Warum das Ganze. (2)
Sicher nicht, um sich 2009 unter einer Rot-Rot-Grünen Regierung wohlzufühlen. Sondern um dem Glück und der Leichtigkeit teilhaftig zu werden, endlich gegen so eine statt immer noch gegen neoliberale Regierungen die emanzipatorische Opposition zu erfinden. Hört, hört das Gras wachsen. Kann attac das? Muss attac das nicht können?

Warum das Ganze. (3)
Sonst wird ein Ruck durch Deutschland gehen.

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