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Diskussion

Alternativen und Allianzen

Peter Wahl

Das Ergebnis der Bundestagswahl   - und zwar nicht nur das rechnerische, sondern mehr noch das politische - wird dazu führen, dass es die von vielen erwarteten dramatischen Angriffe auf den Sozialstaat vorerst nicht geben wird. In allen Lagern - außer bei der FDP - ist die Botschaft angekommen, dass man mit einem offenen und knallhart neoliberalen Kurs in diesem Lande gegenwärtig minoritär ist. Die große Koalition wird eher per Salamitaktik eine moderate Fortsetzung des Kurses von Rot-Grün probieren. Bei einem Großteil der Gewerkschaften wird bereits wieder auf die traditionelle Partnerschaft mit der SPD gesetzt. Daher wird sie auch nicht den Anlass liefern, an dem sich große Mobilisierungen entzünden.

Die Rolle sozialer Bewegung wird in den kommenden Jahren darauf hinauslaufen müssen, aus der nur wahlarithmetischen Mehrheit links von der CDU eine reale gesellschaftliche Mehrheit zu machen. Dazu sind zum einen die Entwicklung hegemoniefähiger Alternativen und zum anderen die Schaffung entsprechender gesellschaftlicher Allianzen die unabdingbare Voraussetzungen.

Hegemoniefähige Alternativen

Bei der Bestimmung hegemoniefähiger Themen ist zunächst eine Diskussion über Kriterien sinnvoll, wie man zu solchen Themen gelangt. Sonst endet man schnell in einer platten Konkurrenz   zwischen den Lieblingsthemen einer/s jeden. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit muss ein Thema folgenden Maßstäben genügen:

  1. es muss von großer gesellschaftlicher Bedeutung sein. Wichtige wenn nicht existentielle Interessen größerer Bevölkerungsgruppen müssen betroffen sein;
  2. es muss von längerfristiger und nicht nur tagespolitischer Relevanz sein;
  3. es muss eine emanzipatorische/transformatorische Dimension haben (z. internationalistische Dimension), d.h. durch seine Bearbeitung muss eine Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse und politische Dynamik entstehen;
  4. es muss anschlussfähig sein, d.h. es muss an einem bereits vorhandenen Problembewusstsein und einer stark verankerten oder bereits hegemonialen Wertorientierung, z.B. Gerechtigkeit, anknüpfen können.
  5. eigene Kompetenz oder anderer spezifischer Stärken müssen vorhanden sein.
  6. bei den herrschenden Eliten müssen Schwächen, Widersprüche, Handlungsblockaden etc. vorliegen;
  7. starke Bündnispartner müssen vorhanden sein.

Im Licht dieser - und vielleicht noch zu ergänzender - Kriterien müssen folgende Themenfelder auf ihre Hegemoniefähigkeit hin diskutiert werden:

•  Zukunft der Arbeit, und hier insbesondere die Konzepte einer Grundsicherung und Arbeitszeitverkürzung bzw. deren Kombination

•  Umwelt, insbesondere Energie- und Klimapolitik. Notwendig ist ein tragfähiges Konzept, das Umwelt und Soziales in einer zukunftsfähigen Weise verbindet,

•  Zukunft der Renten- und Gesundheitssysteme, insbesondere deren solidarische Finanzierung,

•  Zukunft der öffentlichen Dienstleistungen/öffentlicher Güter, vom öffentlich rechtlichen Rundfunk über Verkehr bis zu Kultur. Hier geht es um deren Reform im Sinne eines qualitativ hochwertigen öffentlichen Dienstes statt Privatisierungen;

•  Steuergerechtigkeit. Hier geht es sowohl um Verteilungsfragen, die politische Regulierung von Kapitalmacht und privatem Reichtum als auch um Finanzierungsfragen der öffentlichen Güter. Mit der solidarische Einfachsteuer ist hier bereits ein erster Schritt getan worden.

•  Demokratisierung, und zwar vom Betrieb über den Alltag in der Kommune bis hin zu einer demokratischen Regulierung globaler Probleme. Darin enthalten sind die Probleme der Regulierung im internationalen System und den multilateralen Institutionen wie IWF, Weltbank, WTO und G 8.

•  Frieden und Abrüstung, insbesondere im Hinblick innovativer Konzepte der Konfliktvorbeugung und der politischen Konfliktbearbeitung.

Notwendig ist darüber hinaus eine gewisse Zuspitzung auf zwei, drei Themen. Man kann nicht alles gleichzeitig machen. Wobei zu bestimmten Zeiten andere Themen nach vorne rücken können. Auch heißt dies nicht, dass alle andere Themen von unserer Programmatik verschwinden müssten. Ein emanzipatorischer Ansatz im Umgang mit Migration z.B. ist Bestandteil unserer Identität. Andererseits dürfte das Thema in absehbarer Zeit nicht geeignet sein, hegemoniales Potential zu entfalten.

Allianzen

Im außerparlamentarischen Raum müssen wir die Formierung breiter Allianzen erreichen, wobei von vordringlicher Bedeutung   sind: die Gewerkschaften - auch wenn es vorerst mühsam ist -,   die Umweltbewegung, Arbeitslosen- und Sozialhilfeinitiativen, kirchliche Milieus, Migrations- und Nord-Südpolitische Szene. Letztere ist vor allem für den G 8 in Heiligendamm von Bedeutung.

Gegenüber den Parteien kommt es darauf an, auf alle bzw. auf Strömungen aus allen Parteien Einfluss auszuüben, die offen für unsere Positionen sind. Zwar ohne Illusionen über die Dauerhaftigkeit und Verlässlichkeit von deren Politik, aber auch ohne deren vergangene Politik zum Anlass zu nehmen, sie rechts liegen zu lassen.    

 

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