Call for Statements
Diskussion
Beitrag von Pedram Shahyar zum "Call for statements"
Zum Verhältnis von Parteien und Sozialen Bewegungen
Die aktuelle Diskussion über die Einschätzung der Linkspartei und ihr Verhältnis zu den Sozialen Bewegungen und Attac ist eine gute Debatte! Sie kann nur geführt werden, weil es bei allen massiven Schwierigkeiten gelang, unter der rot-grünen Regierung sowohl eine relevante Bewegung auf die Strasse zu bringen und eine starke parlamentarische Kraft gegen den Neoliberalismus zu entwickeln. Die ideologische Krise (aber noch nicht der Bruch!) des Neoliberalismus, die Bewegung gegen Agenda 2010 und der Wahlerfolg der Linkspartei sind zusammenhängende Elemente einer gesellschaftlichen Welle in der Bundesrepublik (und auch in den meisten anderen europäischen Ländern). Wir spüren einen breiteren gesellschaftlichen Bedarf an linken und emanzipatorischen Antworten gegen den Neoliberalismus.
Die Diskussion um das Verhältnis von progressiven parlamentarischen Parteien und Sozialen Bewegungen, die im Übrigen europaweit geführt wird, ist meiner Ansicht nach eine schwierige Debatte, die aber sehr produktiv sein kann. Sie kann einerseits zu einer Vertiefung des Selbstverständnisses von Attac führen und unsere Substanz stärken. Sie kann andererseits eine strategische Zusammenarbeit mit progressiven Parlamentarier/innen ermöglichen, die unsere Handlungsoptionen massiv ausweitet.
In dieser Debatte sind zwei klassische Fehler möglich, die wir umgehen sollten.
- Partei und Bewegung als Gleiches denken
Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrung mit den Grünen, die ebenfalls aus einer (viel stärkeren) sozialen Bewegung entstanden sind, ist davor zu warnen, die Partei als eine Art Speerspitze zu sehen oder sogar nur als eine Abteilung einer sozialen Bewegung. Die Formulierung der Grünen, als der „parlamentarische Arm“ der Bewegung fungieren zu wollen, hat sich als ein historischer Irrweg gezeigt.
Parteien funktionieren, auch wenn sie die gleichen Inhalte wie eine soziale Bewegung vertreten, nach einer ganz anderen Logik. Also nicht unbedingt die Inhalte, sondern die Form der Politik, die Art und Weise „Wie“ wir politisch arbeiten unterscheidet uns fundamental von den Parteien.
Die Globalisierungskritische Bewegung zeichnet sich gerade dadurch aus, in ihrer alltäglichen Praxis die herrschende Ordnung herauszufordern. Die „andere Welt“ ist nicht auf irgendwann verschoben. In der Art und Weise, wie wir politisch arbeiten, werden die Solidarität und die Muster einer anderen gesellschaftlichen Ordnung sichtbar.
Parteien funktionieren aber wie Apparate und sind in ihrer Funktionsweise Teil der Maschinerie des etablierten politischen Systems. Hierarchie gehört zum Geschäft. Disziplin, Gehorsam, Machtkämpfe und Karrierismus sind kaum zu umgehen.
Nun ist es aber nicht so, dass die Bewegungen von diesen Mechanismen des politischen Systems völlig unberührt bleiben. Aber durch gewisse Autonomie können Bewegungen einen Freiraum bilden, den Parteien nie bilden können, da sie in ihrer alltäglichen Arbeit eingebunden sind mit den Apparaten der Macht. Das parlamentarische System ist eng verflochten mit Apparaten der Verwaltung, Exekutive, Medien und Lobby-Netzwerke. An diese Apparate, die alle im höchsten Maße hierarchisch funktionieren, ist jede Parlamentsfraktion in ihrer tagtäglichen Arbeit gebunden und kann auf Dauer nicht gegen sie Politik machen. Dazu kommt noch, dass progressive Parlamentarier in ständiger Auseinandersetzung mit dem Gegner stehen. Dieser permanente Kampf überträgt sich auf die eigenen Strukturen und führt automatisch zu Zentralismus, Hierarchien und Beschleunigung. Das Eingeflochtenwerden in diese Apparate hat große Teile einer Generation linker Aktivist/innen der 70'er Jahre über lange Zeit geschliffen und zu Vertreter/innen der Mächtigen mutieren lassen.
Attac und die sozialen Bewegungen sind autonom und unabhängig, was uns eine andere Art des Politikmachens ermöglicht. Dieses Element der Parlamentarismuskritik gilt es in der Debatte stark zu machen.
Ein weiterer zentraler Unterschied ist, dass Attac weit aus mehr integrieren will, als die eine Partei oder progressive Parlamentarier es können. Wir wollen von CDU-nahen sozial Engagierten bis Linksradikalen alle zusammen bringen. Diese Integration kann keine Partei machen, sie bleibt im Sinne einer politischen Strömung begrenzter.
- Partei und Bewegung als Widerspruch denken
Gerade vor dem erwähnten Hintergrund der Erfahrung mit den Grünen kann mensch den anderen klassischen Fehler begehen und Partei und Bewegung als Widersprüche sehen. Es wird befürchtet, ein linkes Parteiprojekt nimmt Attac und anderen sozialen Bewegungen den Wind aus den Segeln und zieht Aktivist/innen in eine zähe Parteiarbeit ab. Auch wenn diese Befürchtungen nicht alle von der Hand zu weisen sind, können progressive Parlamentarier eine stützende Rolle für die Bewegungen spielen.
Wir unterscheiden uns wie gesagt durch unsere Autonomie von dem politischen System. Das heißt aber auch, dass wir nicht an den Stellen der politischen Entscheidung sitzen (wollen), sondern in der Einflussnahme auf die öffentliche Debatte unsere Erfolgsoptionen sehen. Aber gerade hierfür, für den öffentlichen Diskurs, ist es nicht egal, was im Parlament sich abspielt. Wenn alle im politischem System das Bestehende für alternativlos erklären, dann setzt sich diese Meinung in der öffentlichen Wahrnehmung eher durch, als wenn es progressive Parlamentarier gibt, die Nein sagen. Da die Bevölkerung bei aller Entfremdung das Parlament immer noch als den Ort ihrer Repräsentation sieht, ist das, was dort geäußert wird, für die öffentliche Meinung nicht zu unterschätzen.
Attac hat sich in einer Zeit herausgebildet, als wir einen neoliberalen Block von vier Parteien im Bundestag gegen uns hatten. Dies ändert sich nachhaltig. Dies betrifft vor allem aber nicht nur die Linkspartei. Es ist gut möglich, dass sich Teile der Grünen oder auch der SPD wieder nach links bewegen wollen.
Wir sollten die neuen Spielräume im Parlament als Chance begreifen, unsere Inhalte noch stärker in die Öffentlichkeit zu bringen. Eine produktive Zusammenarbeit mit progressiven Parlamentariern heißt in diesem Sinne:
a. Die Autonomie der Sozialen Bewegungen muss respektiert werden
b. Gemeinsames Einbringen der Ressourcen für außerparlamentarische Opposition
c. Überlegungen für gemeinsame Gesetzesvorlagen, für die in und außerhalb des Parlaments gerungen wird, um vor allem die Inhalte, jenseits der konkreten Mehrheitsverhältnisse im Bundestag, stärker in die öffentliche Debatte zu bringen.
Pedram Shahyar 20.10.05