Call for Statements
Diskussion
Wohin mit den freiwerdenden Kapazitäten?
1.Neuer Spielraum durch die wiedererstarkte Linkspartei
Durch das Fehlen einer linken parlamentarischen Kraft auf Bundesebene entstanden die letzten drei Jahre erhebliche Lücken, insbesondere bei der Verteidigung sozialer Rechte in Deutschland, die alle Akteure der deutschen Linken, darunter natürlich auch Attac, notdürftig stopfen mussten. Das hieß konkret die Stimme gegen Sozialabbau im eigenen Land erheben, allem voran Hartz IV, Einwände gegen radikale Sparpolitik, die Senkung von Unternehmenssteuern etc. vorzubringen.
Man kann zur Linkspartei und ihrem Personal unterschiedliche Meinungen haben und dementsprechend eine enge Zusammenarbeit befürworten oder auch nicht. Unstrittig ist aber, dass sich die Linkspartei den o.g. Lücken annehmen wird. Die linken Gruppen, die diese Lücke füllen mussten, haben nun wieder mehr Kapazitäten für andere, mitunter ihre Spezialgebiete. Was heißt dies nun für Attac?
2.Für eine sinnvolle Arbeitsteilung
Nach meinem Eindruck liegt das Spezialgebiet von Attac weiterhin in der Globalisierungskritik i.e.S. Dies umfasst nicht nur den Widerstand gegen IWF, WHO, GATS etc., sondern auch Attacs Funktion als Ideenwerkstatt. Sei es die im Namen manifestierte Forderung nach einer Tobin-Tax, Überlegungen zu ökologisch-nachhaltigem Wirtschaften und Leben oder verschiedene Ansätze zum großen Wurf einer neuen Weltwirtschaftsordnung. Die alljährliche Sommerakademie bot für solche Ideen eine gute Plattform.
Wie oben schon angedeutet hat sich Attac über diesen Bereich hinaus in den letzten Jahren verstärkt bei tagespolitischen Themen wie den oben genannten eingebracht.
Ich bin mir bewusst, dass es schwierig ist, beide Bereiche (das große Ganze und die Globalisierung „vor unserer Haustür“) klar voneinander zu trennen. Trotzdem plädiere ich für eine sinnvolle Arbeitsteilung innerhalb der bunten deutschen Linken. Themen wie z.B. die Kürzungen von Sozialleistungen und bei gemeinnützigen Trägern, die Unsinnigkeit von Studiengebühren, oder neuerdings die Lidl-Kampagne sind unheimlich wichtig, aber ich bezweifle, dass sie zu den primären Aufgaben von Attac gehören. Vielmehr sollte man hier die Linkspartei, Gewerkschaften und andere fordern, die sich schon aus ihrem Selbstverständnis v.a. diesen Themen zu widmen haben. Wohin nun mit den freiwerdenden Ressourcen?
3.Wider der ökonomischen Orthodoxie
Eine der wichtigsten Aufgaben der deutschen Linken in den kommenden Jahren muss die Diskussion und die Formulierung von Alternativen zur angebotsorientierten Wirtschaftspolitik der letzten Jahre sein. Diese Diskussion muss über, teilweise durchaus richtige, klassisch keynessche oder marxistische Argumente hinausgehen. Attac kann hierbei mit seinem enormen intellektuellen Potential eine noch größere Rolle spielen.
Konkret plädiere ich für die verstärkte Diskussion von zwei Themenkomplexen:
Reregulierung der internationalen Finanzmärkte, Tobin-Tax
Dass die Liberalisierung der Finanzmärkte weltweit fatale Auswirkungen hat, ist inzwischen nicht nur Attac und anderen linken Gruppierungen bekannt, selbst in bürgerlichen Kreisen beklagt man die krisenprovozierende Instabilität, die von den Finanz- und Spekulationsmärkten ausgeht. Es gibt hier nach meiner Einschätzung eine hohe öffentliche Diskussionsbereitschaft, die darauf wartet, auch von Attac, geweckt zu werden. In diesem Sinne halte ich ein Wiederbeleben der Forderung nach einer Devisentransaktionsteuer für sehr sinnvoll.
Freigeld-Theorie und regionale Komplementärwährungen (Regios)
Die verschiedenen Teile der Freigeld-Bewegung verzeichneten in den letzten Jahren starken Zulauf. Überall in Deutschland sprießen Regio-Initiativen aus dem Boden und auch die führenden theoretischen Köpfe wie Helmut Creutz oder Bernd Senf gewinnen zunehmend an Popularität.
Für viele Attac-Aktivisten ist die Geld- und Zinskritik hingegen ein rotes Tuch. Dies ist häufig nicht mit rationalen Argumenten erklärbar, sondern beruht oft auf falschen Vorurteilen, die sich fleißig reproduzieren. Ich halte eine offene Diskussion der Freigeld-Theorie für unverzichtbar, eben weil sie, bei ähnlicher Analyse, eine ernsthafte Alternative zu Marx und Keynes darstellt. Auch die sehr praxisorientierten Regio-Initiativen bieten eine breite Palette an Anknüpfungspunkten für ureigene Attac-Interessen wie Umwelt schonende regionale Wirtschaftsförderung. Während die Presse schon vom „Geld der Globalisierungskritiker“ spricht, scheint dies ausgerechnet bei Attac nur auf mäßiges Interesse zu stoßen.
Natürlich hängen solche Diskussionen wesentlich an gesprächsfreudigen Freigeld-Anhängern in den einzelnen Regionalgruppen und AGs. Aber die bundesweiten Attac-Gremien können im Rahmen der Planung von Seminaren und anderen inhaltlichen Veranstaltungen verstärkt die Debatte mit Vertretern der Freigeld-Bewegung fördern. Als positives Beispiel sei hier die Sommerakademie 2004 in Dresden genannt, bei der sich Elmar Altvater und Klaus Popp ein sehr fruchtbares Rededuell lieferten.