Call for Statements
Diskussion

Beitrag von Gerold Schwarz zum "Call for statements"

1. + 4. Was ist eigentlich die besondere Aufgabe, was die spezifische Rolle von Attac in der gegenwärtigen Situation? Was ist eigentlich unsere spezifische Stärke im Konzert der verschiedenen politischen Akteure, warum soll man gerade auf uns hören?

Für mich ist des ganz besondere Spezifikum von attac der grundsätzlich internationale Blickwinkel auch und auch auf lokal empfundene Probleme. Tatsächlich war ja der Gründungsimpuls von attac, die Forderung nach der Tobinsteuer, eine originär internationale Forderung, und im Zweifelsfall besteht das Bild von attac in den Köpfen der Menschen aus Leuten, die nach Evian, Seattle, Genua oder Göteborg reisen und sich dort den Wasserwerfen aussetzen.

In letzter Zeit konnte ich einen Rückzug auf die lokale oder nationale Ebene beobachten. Ich glaube aber, das entspricht in dieser Form nicht dem Spezifikum von attac, und zwar auch, wenn man bei den lokalen Auseinandersetzung die internationale Dimension immer im Hinterkopf behält. Es besteht dabei die Gefahr, dass der internationale Ansatz zu einer Art Folklore erstarrt, ohne praktische Auswirkung, etwa so, wie die sogenannte „internationale Arbeitersolidarität“, deren Implikation für die Praxis eher gegen null ging.

Die Kämpfe, die wir führen, können meines Erachtens auf lokaler Ebene gar nicht mehr gewonnen werden: wir können den Bürgermeister noch so sehr unter Druck setzen, er wird letzten Endes doch irgendwann etwa die Wasserwerke, Krankenhäuser oder Verkehrsbetriebe privatisieren müssen, und sei es in der kommunalen Zwangsverwaltung. Auch auf nationaler Ebene
sieht es nicht viel besser aus, denn alle progressiven Konzepte hängen vom nationalen Handlungsspielraum ab, der im Fall Deutschlands im wesentlichen von den europäischen Verträgen vorgegeben wird. Ein nationaler Alleingang beispielsweise zur erhöhten Besteuerung von Kapitaleinkünften, zur Finanzierung von Sozial- oder öffentliche Dienstleistungen, würde schon an Art. 56 des EG-Vertrags scheitern, der Kapitalverkehrskontrollen grundsätzlich verbietet, so dass flüchtiges Kapital im Zweifelsfall einfach unbemerkt ins Ausland verdunstet.

Lösungen für diese Probleme müssen daher meines Erachtens oberhalb der nationalen Ebene gesucht werden, und ich glaube, genau dies ist die spezifische Stärke von attac: Wer denn, außer uns, sollte auf die Zusammenhänge zwischen Sozialkürzung und europäischer Regulierung aufmerksam machen? Wer denn, außer uns, sollte die Zusammenhänge zwischen Standortverlagerung und miesen Arbeitsbedingungen einerseits und zügellosem Kapitalexport andererseits skandalisieren? Und die entscheidende Frage: wer denn, außer uns, könnte aufgrund der, nun ja,„Kernkompetenz“ Lösungen aufzeigen, die, wohlgemerkt unter Einhaltung eines ganzheitlichen Ansatzes, angesichts der transnationalen Verflechtungen keine „weltweite Arbeiterrevolution“ oder ähnliches erfordern?

2.+3.b Was sind die Themen, mit denen sich Attac in die aktuellen Debatte einmischen kann, einmischen soll? Wohin entwickelt sich diese Situation und was können wir realistischerweise zu erreichen hoffen?

Nach meinem Verständnis gibt es ein zentrales Thema bei attac, um das herum sich aber bei einem ganzheitlichen Ansatz viele thematische Satelliten anordnen, und das ist die neoliberale Globalisierung, ihre Folgen sowie ihre Bekämpfung. Dies eröffnet (leider?) ein ziemlich großes Themenspektrum.

Da sich die ökonomischen Bedingungen weiter verschärfen werden, müssen wir von einer Intensivierung neoliberaler Politikkonzepte ausgehen, ungeachtet aller wahltaktisch motivierten Heuschreckenrhetorik. Da alternative Politikkonzepte noch nicht hegemonial sind, und sich der Widerstand bisher dagegen diffus (hier nationalistisch, dort populistisch, da wieder destruktiv, manchmal radikalisierend usw.), räumlich zersplittert und zeitlich asynchron äußert, wäre es schon ein großer Erfolg, hier einiges zusammenführen zu können. Wenn dies auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene gelänge, hätten wir schon
sehr viel erreicht.

Akut wird sicherlich schon bald wieder das Thema „Sozialabbau“. Ich halte es insbesondere deshalb für einen geeigneten Fokuspunkt, weil er die intensivere Kooperation auf europäischer Ebene nahezu erzwingt, und wir dort erstmals eine Gleichzeitigkeit hätten, die koordiniertes Handeln auf europäischer Ebene überhaupt erst ermöglicht.

3.a + 5. Wer sind dabei unsere wichtigsten Partner, und auf wen beziehen wir uns eigentlich, wen können wir mobilisieren? Welches Verhältnis sollen wir zu welchen Parteien und überhaupt zur Parteipolitik, zu parlamentarischer Politik einnehmen, was kann nur auf außerparlamentarischen Weg befördert werden und wie gewichten wir beides?

Auch hier sehe ich in letzter häufiger den Rückzug weg von der internationalen Ebene. Viele glauben, dass eine engere Kooperation etwa mit den Gewerkschaften schon ein Schlüssel zum Erfolg wäre. Solange dort allerdings noch der nationale Wettbewerbsdiskurs vorherrscht, und die„nationale Gesprächsfähigkeit“ einen höheren Stellenwert einnimmt als z.
B. europaweit koordiniertes Handeln, befürchte ich, dass, zumindest auf der Ebene höherer Gewerkschaftsfunktionäre, das Verhältnis nicht unbedingt partnerschaftlich sein wird. Hier wäre es vermutlich stärker noch erforderlich, in die Gewerkschaft hinein zu wirken im Sinne einer„aktionsorientierten Bildungsbewegung“. Ähnlich verhält es sich z. B. mit der Linkspartei, deren Konzepte meines Erachtens angesichts der oben geschilderten Punkte ebenfalls viel zu national ausgerichtet sind.

Blieben noch die Organisationen der Zivilgesellschaft, etwa Kirchen, Umweltschutzgruppen u. ä. In letzter Zeit scheint dort die Erkenntnis gewachsen zu sein, dass viele ihrer Belange ebenfalls „globalisiert“ und damit ökonomisiert wurden. Dies erhöht die Bereitschaft einer zumindest punktuellen Zusammenarbeit. Andererseits haben sich viele Umweltgruppen im Windschatten der grünen Regierungsbeteiligung gemütlich in ihrem Politbiotop eingerichtet und sind daher möglicherweise eher weniger zur
Kooperation bereit. Dies mag sich allerdings bei den jetzt sicherlich gekürzten Mitteln vielleicht schon bald ändern...

Wichtig scheint mir dabei, dass wir auch bei unseren Partnerschaften nicht auf der nationalen Ebene bleiben. Ich denke, es wird zunehmend wichtiger, mindestens punktuell mit bereits vorhandenen Akteuren auf europäischer Ebene zusammen zu arbeiten. Auch dort gibt es etwa Sozialverbände, deren Rückwirkungsmöglichkeiten auf die jeweils nationale Ebene nicht unterschätzt werden sollte.

6. Was muss sich innerhalb von Attac tun, was auch muss sich innerhalb von Attac verändern?

Wenn man die Einschätzung teilt, dass die Folgen der neoliberalen Globalisierung nur auf supranationaler Ebene reguliert werden können, dann stellt sich sofort die Frage, wie dies zu erreichen ist. Zentrale Arena für diese Auseinandersetzungen hierfür ist meines Erachtens Europa, und zwar aus geografischen, politischen, kulturellen und sprachlichen Gründen. Ich erachte es als elementare Voraussetzung, in dieser Arena eine politische Handlungsfähigkeit zu entwickeln, sonst können wir uns meines Erachtens noch Jahrzehnte lang Blasen an die Füße demonstrieren im Kampf etwa gegen Sozialabbau.

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