Call for Statements
Diskussion

Beitrag zur Schwerpunktdebatte

 

Dies ist ein Beitrag zur aktuellen Diskussion um die Schwerpunkte bei attac 2006 geschrieben mit der Intention, auf dem Ratschlag in Wuppertal keine Entscheidung mit der Brechstange herbeizuführen.

1.Kritik an dem bisherigen Herangehen an die Schwerpunktdebatte bei attac

1.1. Es hat bisher kaum selbstkritischen Reflexionen über die vergangene attac-Arbeit in Bezug auf die einmal beschlossenen Schwerpunkte gegeben. Wollen wir einfach weiterwurschteln.

1.2. Die Wahlen am 18.9. werden vermutlich die politische Landschaft der BRD erheblich verändern. Welchen Sinn macht es, Schwerpunkte zu diskutieren und festzulegen, bevor wir unser neues politisches Umfeld analysiert haben?

1.3. Attac hat den in Erfurt beschlossenen "Außerparlamentarischen Ratschlag", wesentlich mit angetreten. Diese wichtige Debatte, die erfreulicherweise weit in Bewegungen auch außerhalb von attac hineinwirken soll, liegt im November, kann also Ende Oktober auf unserem Ratschlag nicht mitdebattiert werden. Sieht so Bündnisarbeit aus?

2. Ich frage mich also, warum diese Eile und warum so wenig kritische Reflexionen davor ? Ich kann darin nur einen Sinn finden, wenn damit die politische Arbeit von attac umdefiniert werden soll. Ist das wirklich intendiert?

Wir meinen miter politischen Umdefinierung das ,was seit längerem unter dem Begriff "NGOisierung" von attac informell debattiert wird. Gemeint ist damit ein Abgehen von attac als einer breiten Plattform von und für AktivistInnen, die ihren Frust und ihre Wut über das herrschende Elend nicht weiter in Resignation ersticken wollen, sondern etwas dagegen tun wollen. Die Realität des Kapitalismus in seiner globalisierenden Phase bietet dafür leider unendlich viele Anlässe: Arbeitslosigkeit, Hartz IV, Gesundheitsreform, Bildungskatastrophe,Privatisierung der öffentlichen Dienste und Enteignung der öffentlichen Güter weltweit, Ausgrenzung bei gleichzeitiger schamloser Ausnutzung der MigrantInnen, alltäglicher Rassismus, Neofaschismus, die Politik der EU als neoliberale Turbolok im Binnen- wie auf dem Weltmarkt, die WTO weiter in guter Zusammenarbeit mit Weltbank und IFW, Verschuldung, u.a. damit verbunden das wachsende Elend bis zum Hungertod weltweit, das Desaster der Ökologie, Kriege fast auf allen Kontinenten. Diese Aufzählung ließe sich noch um vieles erweitern, sie ist tatsächlich grenzenlos.

Der Alltag bietet täglich Ansatzpunkte für den lautstarken Protest gegen den real existierenden Kapitalismus zum Handeln auf vielfältigsten Ebenen: lokale Demos, Flugblätter, Infoveranstaltungen, Lichterketten, Boykottmaßnahmen, Mitarbeit in Bürgerinitiativen, bundesweite Protestmaßnahmen, wissenschaftliche Analysen neben kulturellen Aktivitäten Teil einer vielfältigen Form von Gegenöffentlichkeit,Mitarbeit in lokalen Foren bis hin zum WSF, und vieles, vieles mehr!

Attac zeichnete sich bisher aus durch Vielfalt :ideologische, inhaltliche, methodische. Damit näherten wir uns der Realität in einer erfrischenden Art und Weise, die einlud zum Mitmachen und sich erfreulich von den üblichen Parteieln, Vereinen und meisten NGOs abhob.

Diese Dynamik hat nach 5 Jahren im Augenblick etwas an Drive verloren, so wie keine Bewegung gradlinig immer aufwärts bis zur Revolution führte.Es gibt auch hier wieder viele verschiedene Faktoren, die dafür eine Rolle spielen. Ein selbstkritisches und dennoch konsensfähiges, kollektives Nachdenken darüber würde jetzt anstehen! Die Zeit dazu müssen wir uns nehmen, wollen wir nicht in die Fallen tappen, die längst um uns herum ausgelegt sind. Wir meinen damit althergebrachte politische Hausmittel wie z.B. das Argument:

- Konzentration auf das Wesentliche: klingt sehr überzeugend und würde auf die oben beschriebene Vielfalt bezogen, doch nur Ausgrenzung all

derjenigen bedeuten, die etwas anderes gerade tun und tun wollen. Wer wäre denn der Schiedsrichter im Wettkampf um Platz eins, wollen wir hier eine Hierarchisierung einführen, die wir als horizontale Bewegung sonst immer ablehnen?

- Professionalisierung: Es leben mal wieder die Profis, der Rest kann nach Hause gehen und Plakate kleben!

- Gezielte Kampagnen statt Verzettelung: Welche der bisherigen Kampagnen - Vodafone/GATS/Argentinien/Genug für alle/ Gesundheit kann als gelungen angesehen werden und warum? Und waren das wirklich unsere Hauptaktivitäten ?

- Bessere finanzielle Ausstattung von Schwerpunkten: seit wann lässt sich politische Bewegung kaufen? Die wirklich großen Ereignisse, bei denen attac (zu Recht oder zu Unrecht) als politischer Akteur in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden,kamen alle von außen, unabhängig. von einem finanziellen Vorschuß: Genua, Irak-Demos, Hartz IV-Aktivitäten. Es waren die richtigen Impulse zum richtigen Zeitpunkt und wir alle freuten uns, dass so viele kamen und keiner konnte genau sagen, warum gerade jetzt und bei einem anderen "objektiv richtigen" Zeitpunkt nicht.

3. Vorläufige Schlussfolgerung als Anregung für einen permanenten, intensiven Diskussionsprozess unter uns

 Vorausgesetzt, wir wollen unsere Vielfalt erhalten, scheint es mir geradezu absurd, Ende Oktober 2005 festlegen zu wollen, was 2006 passieren soll. Das heißt nicht, die Hände in den Schoß legen und Köpfe und Münder abschalten, sondern gerade das Gegenteil. Kollektives Nachdenken,wie wir uns selbst und den vielen anderen wieder mehr Mut machen zum Protestieren und Handeln, das scheint mir das Gebot der Stunde. An unendlich vielen Orten Sand ins Getriebe des globalisierenden Kapitalismus streuen, Gegenöffentlichkeit herstellen,um das derzeitige Monopol neoliberalen Denkens aufzuweichen, Risse reißen, wo immer es geht bis vielleicht an einer Baustelle sich ein explodierender Krater auftut. Dann, wenn wir mal wieder zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Impuls beteiligt waren, würde es sich vielleicht lohnen , das Ganze auch finanziell zusätzlich zu unterstützten. Bis dahin aber sollten wir unser Geld dort verwenden, wo Dinge entstehen, wo sich kleinere und größere Gruppen von AktivistInnen zusammentun, das nicht als Vorschuss sondern als Resultat der Arbeit. In dem Kontext kann dann über bezahlte Stellen gesprochen werden und auch, wie das Frankfurter Büro die Aktivitäten vor Ort unterstützen kann und Kokreis und Rat das zusammentragen , untereinander bekannt machen und damit bestehenden und sich entwickelnden Ansätzen sozialer Bewegung unterstützend unter die Arme greifen können.

Dorothea Härlin und David Hachfeld

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