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Berliner Zeitung:
Grünen-Abgeordnete treffen verletzte Gipfelgegner
Noch 58 deutsche Demonstranten im Gefängnis / Ströbele spricht von Verhältnissen "wie in einer Militärdiktatur"
BERLIN, 25. Juli. Das Auswärtige Amt in Berlin rechnet damit, dass im Laufe des heutigen Donnerstags "etliche" Deutsche, die bei den Krawallen am Rande des G-8-Gipfels in Genua inhaftiert wurden, auf freien Fuß gesetzt werden. Von den in den vergangenen Tagen festgenommenen Deutschen sind nach Angaben eines Außenamtssprechers bereits neun aus dem Gefängnis entlassen worden. Seit Dienstag laufen die Haftprüfungstermine, bei denen ein Richter über die Fortdauer der Haft entscheidet. Zu den Vorwürfen, die gegen die deutschen Globalisierungsgegner erhoben werden, konnte das Auswärtige Amt noch keine Details nennen.
Unter den 58 Inhaftierten sind neun Verletzte, die im Krankenhaus behandelt werden müssen. Ein 21-jähriger Berliner, der schwere Kopfverletzungen erlitten hatte, wurde inzwischen operiert. Konsularbeamte hätten eine Besuchserlaubnis für Angehörige des Verletzten erwirkt. Bei einem Inhaftierten, dem Zähne ausgeschlagen worden waren, habe das Auswärtige Amt auf medizinische Versorgung gedrängt.
Gegenüber den Konsularbeamten beschwerten sich viele Festgenommene über das "sehr brutale" Vorgehen der italienischen Polizei. Journalisten des Unabhängigen Medienzentrums hatten am Dienstag der Polizei vorgeworfen, Festgenommene verprügelt zu haben. Anwälte des Genoa Social Forums, das den Protest der Globalisierungsgegner gegen den G-8-Gipfel organisiert hatte, sprachen von Beweisen dafür, dass inhaftierte Demonstranten in der Polizeikaserne Bolzaneto "systematisch" körperlich und psychisch misshandelt worden seien. Sie wollen Klage wegen schwerer Körperverletzung erheben. "Diese Vorfälle erinnern mich an die Militärdiktatur in Argentinien", sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, der mit seiner Fraktionskollegin Annelie Buntenbach nach Italien reiste, um deutsche Globalisierungsgegner in Gefängnissen und Kliniken zu besuchen. Ströbele forderte, dass eine internationale Kommission den Polizeieinsatz untersuchen solle.
Das Genoa Social Forum erhob ferner den Vorwurf, die Polizei habe als Demonstranten verkleidete Beamte in die Reihen der militanten Gruppen eingeschleust. Ströbele und sein Grünen-Parteikollege Cem Özdemir forderten, der Verdacht einer Zusammenarbeit zwischen Provokateuren und Polizei müsse überprüft werden. Nach Angaben der Zeitung "La Repubblica" hat die Führung der Carabinieri bestätigt, dass sich Polizisten in Zivil unter den Schwarzen Block gemischt hatten. Normalerweise geschieht dies, um Informationen über die Bewegungen militanter Gruppen zu sammeln und sie unter Kontrolle zu halten. In Genua hatten gewalttätige Vermummte nach Angaben zahlreicher Augenzeugen über Stunden unbehelligt von der Polizei ganze Straßenzüge verwüsten können.
Die Mitte-Links-Opposition im italienischen Parlament hatte am Dienstag den Rücktritt von Innenminister Claudio Scajola gefordert und einen Misstrauensantrag angekündigt. Auch müsse eine Untersuchungskommission eingesetzt werden. Scajola verteidigte den Polizeieinsatz dagegen als "professionell" und sprach von einer "präzisen Strategie" militanter Gruppen.
In Genua nahmen am Mittwoch etwa 1 000 Menschen an der Beerdigung des getöteten Demonstranten Carlo Giuliani teil. Der 23-Jährige war am Freitag während der Krawalle von einem 21-jährigen Carabiniere erschossen worden, als er mit einem Feuerlöscher auf einen Polizeijeep zustürmte. Gegen den Carabiniere wird wegen Totschlags ermittelt. Am Dienstag hatten in Rom und anderen italienischen Städten insgesamt 100 000 Menschen gegen das Vorgehen der Sicherheitskräfte protestiert.
Berliner Zeitung, Donnerstag, 26. Juli 2001
Südeutsche Zeitung, Mittwoch, 25. Juli 2001:
Von der Brutalität überrascht
Die Berliner G8-Gegner zählen die Verletzten und räumen Fehler ein
/Artikel auf Anfrage aus dem Netz genommen/
Süddeutsche Zeitung: 25.7.01
Kritik an Einsatz beim G-8-Gipfel in Genua wächst
Schwere Vorwürfe gegen die italienische Polizei
Grüne fordern internationale Untersuchung / Eltern in
Deutschland beklagen fehlenden Kontakt zu Inhaftierten
München -
Die Zahl der in Italien festgenommenen
Deutschen ist bis Dienstag auf mindestens 68 gestiegen.
Von ihnen liegen 23 verletzt in Krankenhäusern. Angehörige der Protestierer gegen den G-8-Gipfel in
Genua kritisierten, sie hätten bisher keinen direkten
Kontakt mit ihren Verwandten im Gefängnis aufnehmen können. Das Auswärtige Amt in Berlin teilte mit,
es bemühe sich um rechtliche und persönliche
Betreuung der Festgenommenen. Unterdessen forderten die Grünen eine internationale Untersuchungskommission.
Die Vorgänge von Genua seien "keine rein
italienische Angelegenheit" mehr.
Von Stefan Ulrich
Am Montag und Dienstag wurden vor allem bei
Grenzkontrollen weitere Deutsche festgenommen. Bei einigen
wurde Plünderungsgut wie Schecks und Siegel aus einer
verwüsteten Bank gefunden. Eltern aus München
und Berlin wandten sich an die Süddeutsche Zeitung
und beklagten, ihnen sei es trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen, mit ihren Kindern zu
sprechen. Der Republikanische Anwaltsverein berichtet von
etlichen Beschwerden über brutale Festnahmen und
schlechte Haftbedingungen.
Das Generalkonsulat in Mailand hat Beamte nach Genua
geschickt, die sich um die auf mehrere Haftanstalten und
Kliniken verteilten Deutschen kümmern sollen. Sie
überprüfen nach Auskunft des Auswärtigen
Amtes die medizinische Versorgung und Unterbringung und
bieten die Vermittlung von deutschsprachigen Anwälten
in Italien an. Die meisten Familien seien inzwischen
zumindest benachrichtigt worden. Aus dem
Bundesinnenministerium hieß es, bisher sei nicht bekannt, wie viele der Protestierer freigelassen,
ausgewiesen oder weiter inhaftiert werden sollen. Die
Krawalle von Genua müssten auf europäischer
Ebene diskutiert werden, sobald die Italiener ihre Bilanz
vorgelegt hätten. Auch der Vorschlag von
Bundesinnenminister Otto Schily, eine europäische
Gewalttäterdatei einzurichten, müsse dann zur
Sprache kommen. Der bayerische Innenminister Günther
Beckstein sagte: "Angesichts der Horrorszenarien von
Genua dürfen Nationalstaaten nicht länger auf
ihren Erkenntnissen über gewaltbereite
Krawalltouristen sitzen bleiben.
Der innenpolitische Sprecher der deutschen Grünen,
Cem Özdemir, verlangte, den Tod eines Demonstranten,
die Krawalle und den Polizeieinsatz in Genua international
zu untersuchen. "Berichte, wonach Personen aus dem ,
Schwarzen Block' bei der Polizei aus- und eingingen,
begründen den Verdacht einer Zusammenarbeit zwischen
Provokateuren und Polizei und müssen
überprüft werden", sagte er. Das Genua
Sozialforum, das die Massenproteste beim G-8- Gipfel
organisiert hatte, wirft den italienischen
Sicherheitskräften eine falsche Einsatzstrategie vor.
Die friedlichen Aktionen seien nicht vor den
Gewalttätern abgeschirmt worden. Erst dadurch habe es
zu der Eskalation kommen können.
Auch das oppositionelle Mitte-links-Bündnis in
Italien kritisiert den Polizeieinsatz scharf. Es forderte
die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses und den Rücktritt von
Innenminister Claudio Scajola. Dieser verteidigte das
Vorgehen der Polizei. "Die Sicherheitskräfte
verhielten sich mit beispielhafter Würde und
können nicht dem Spott preisgegeben werden",
sagte er vor dem Parlament in Rom. Die Polizei habe
professionell gehandelt. Der getötete Demonstrant sei
von einem Beamten in Notwehr erschossen worden. Die
Krawalle seien Ergebnis einer klaren Strategie subversiver
Gruppen. Bei den Straßenschlachten waren ganze
Häuserzüge beschädigt worden. Der
Gesamtschaden wird auf 100 Millionen Mark geschätzt.
SPIEGEL ONLINE - 23. Juli 2001, 16:50
Gewalt in Genua
Racheakt der Polizei?
Von Dominik Baur und Matthias Gebauer
Ein Toter, 219 Festnahmen und 516 Verletzte auf beiden Seiten - so lautet die offizielle Bilanz der Ausschreitungen in Genua. Auf die Sicherheitskräfte kommen ernste Ermittlungsverfahren zu - nicht nur wegen des toten Demonstranten. Beim Sturm auf ein Zentrum der Organisatoren ging die Polizei äußerst brutal vor.
Berlin/Genua - Auf einer Pressekonferenz zogen die italienischen Ermittlungsbehörden am Montag ihre Bilanz der letzten drei Tage. Demnach war ein Demonstrant getötet worden, 561 Demonstranten wurden verletzt und 219 zeitweise festgenommen. Militante Anarchisten verwüsteten laut den Angaben der Polizei in der norditalienischen Hafenstadt 41 Geschäfte, 83 Autos gingen in Flammen auf. Die Schäden werden auf mindestens 100 Millionen Mark geschätzt.
Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi stellte sich hinter seine Polizisten und gab den Demonstranten und deren Organisatoren die Schuld für die Eskalation der Gewalt. Sie hätten militanten Anarchisten Deckung geboten und diese dadurch letztendlich unterstützt. Der Polizei sei es bei den Unruhen praktisch nicht möglich gewesen, zwischen friedlichen Globalisierungsgegnern und Militanten zu unterscheiden.
Organisatoren wollen gegen Polizei klagen
Dagegen sprachen die Organisatoren von gezielten Übergriffen und Racheakten der italienischen Polizei gegen friedliche Demonstranten. Dazu zählen die Kritiker des Polizeieinsatzes insbesondere den Sturm von Sondereinheiten auf die Zentrale der Gipfel-Kritiker. Wegen dieses brutalen Einsatzes wollen die Veranstalter der Demonstrationen nun Ermittlungen erzwingen. "Auch wir verurteilen die Gewalt der Autonomen, doch das war kein Grund, uns dafür zu betrafen", sagte ein Sprecher am Montag.
Am frühen Sonntagmorgen hatte die Polizei in einer "Blitzaktion" zwei Häuser geräumt, in denen Aktivisten der Gruppe "Attac" und des "Social Forum Genua" untergebracht waren. Bei der Razzia in einem der beiden Gebäude, einer örtlichen Grundschule, am frühen Sonntagmorgen wurden 50 junge Leute verletzt und 93 zeitweise festgenommen, darunter 42 Deutsche. Die Aktion sei nötig gewesen, um weitere Krawalle zu verhindern, sagte ein Polizeisprecher.
Blut an den Wänden und auf dem Boden
Die Gipfel-Gegner sehen das anders. In Dutzenden von E-Mails, die auch bei SPIEGEL ONLINE eingingen, beschreiben Augenzeugen den Einsatz als äußerst brutal. Die Polizisten, so die Darstellung in der unabhängigen Internetnachrichtenagentur Indymedia, hätten die jungen Leute im Schlaf überrascht und sofort ohne Grund losgeprügelt. Die eingesetzten Beamten seien Mitglieder gefürchteter Sondereinheiten gewesen, die vermummt und mit Schlagknüppeln bewaffnet die Schule stürmten. Vorher habe ein gepanzertes Fahrzeug die Tür aufgebrochen, berichten verschiedene Augenzeugen.
Journalisten wurden nicht hineingelassen. Doch die am Ausgang aufgenommenen Fotografien sprechen eine deutliche Sprache: Kaum einer der Abgeführten kam ohne blutende Wunden aus dem Haus, viele mussten auf Tragen hinausgebracht werden. Bilder, die Indymedia aus dem Gebäude selbst publizierte, gehen darüber noch hinaus. Auf den Bildern sind große Blutlachen auf dem Boden und an Heizkörpern zu erkennen. Die Inneneinrichtung ist komplett zerstört. Augenzeugen berichten, Polizisten hätten die jungen Leute mit dem Kopf gegen die Wand gestoßen, bis die Opfer am Boden lagen und sich nicht mehr bewegten.
Niemand hatte etwas von Gewalt gesehen
Italienische Zeitungen berichten überwiegend kritisch über die Aktion. Von angeblichem "Widerstand gegen die Staatsgewalt" wollen weder die jungen Menschen in der Schule noch Anwohner, die die Szene beobachtet haben, etwas bemerkt haben, schrieb die angesehene "La Repubblica". Auch Journalisten seien bei der Razzia misshandelt worden.
Auch eine deutsche Journalistin geriet dabei in die Fänge der Polizei. Die 33-jährige Kirsten Wagenschein war für die linke Berliner Tageszeitung "Junge Welt" in Genua, um über die Proteste zu berichten. Doch auch eine offizielle Akkreditierung hinderte die Polizei offenbar nicht daran, die Journalistin festzunehmen. Ob sie verletzt wurde, ist nicht bekannt. "Wir wissen bisher gar nichts, doch das ist eine Fortsetzung der Sanktionen gegen linke Medien, die schon vorher stattfand", sagte der stellvertretende Chefredakteur der "Jungen Welt", Rüdiger Göbel, gegenüber SPIEGEL ONLINE. Bereits vorher seien Mitarbeiter seines Blattes unnötig behindert worden.
Gute Basis für Verschwörungstheorien
Der italienische Journalistenverband hat bereits gegen die Polizeiaktion Beschwerde eingelegt. Die Polizei dagegen präsentierte am Sonntagmorgen auf einer Pressekonferenz die Waffen, die in der Schule beschlagnahmt worden sein sollen: Zwei Molotow-Cocktails, zwei Maurerhämmer, 25 Messer (darunter etliche Küchenmesser), ein Stock, Taucherbrillen, Verbandszeug, Latex-Handschuhe, Fotoapparate und Damenbinden. Offenbar sollten diese Gegenstände Bände sprechen und die gewalttätige Aktion der Polizei rechtfertigen. Auf Fragen der Journalisten antworteten die Beamten jedenfalls nicht.
Unter den Globalisierungskritikern ist eine Begründung schnell gefunden. Viel ist im Internet von Rache die Rede, weil man es trotz des massiven Polizeiaufgebots geschafft habe, die Tagung der Staatschefs zu stören. Eine andere Vermutung lautet, die Polizei habe nach Fotos und Filmaufnahmen gesucht, die bei den Demonstrationen gemacht wurden.
Fragen an den Innenminister
Die Bilder sollen angeblich belegen, was immer wieder bei Gewalteskalationen von Demonstranten behauptet wird: Die Polizei habe mit dem so genannten "Schwarzen Block" zusammengearbeitet. Die Sicherheitskräfte, so die Verschwörungstheorie, unterstütze den gewalttätigen Block, um hinterher eine Legitimation für ihr eigenes gewalttätiges Vorgehen zu haben. Für diese Kooperation habe man nun Beweise, kündigen die Protestler im Internet an. Diese seien jedoch an einem sicheren Ort und würden schon bald der Staatsanwaltschaft übergeben.
Bisher ist nicht klar, wo die Festgenommenen aus der Schule jetzt sind. Das Auswärtige Amt in Berlin hat zwar konsularische Hilfe angeboten, doch bisher weiß niemand, ob die im Internet als "Vermisst" geführten Personen verletzt im Krankenhaus liegen oder in einem Polizeigefängnis sitzen. Im Bundesinnenministerium liegt bisher nur eine Liste mit Namen vor, die Vorwürfe sind auch hier nicht bekannt.
Doch das Schweigen der italienischen Polizei wird nicht lange halten. Die Oppositionsparteien Grüne und Rifondazione Comunista haben bereits den Rücktritt von Innenminister Claudio Scajola gefordert. Der muss am Montag dem Parlament wegen der Vorfälle Rede und Antwort stehen. Sein Regierungschef steht zwar hinter ihm, trotzdem wird er sich einiges einfallen lassen müssen, um die Gewalt in der Schule zu rechtfertigen.
SPIEGEL ONLINE - 26. Juli 2001, 11:42
Gewalt in Genua: Italiens Justiz ermittelt gegen Polizei
Von Matthias Gebauer
Nach immer lauter werdenden Protesten gegen das Vorgehen der Polizei beim G-8-Gipfel in Genua will sich nun die italienische Justiz einschalten. Auch das Auswärtige Amt will die Vorgänge prüfen. Unterdessen sind fast alle deutschen Gipfelgegner frei.
Berlin/Genua - Schwerpunkt der Ermittlungen sei der Sturm auf die Schule "Diaz", die den Demonstranten als Unterkunft diente, in der Nacht von Samstag auf Sonntag, sagte der zuständige Richter Giancarlo Pellegrino. Bei der Aktion waren rund 90 Personen festgenommen worden, viele von ihnen wurden schwer verletzt. Viele Demosntranten hatten geschildert, dass die Polizei äußerst brutal auf sie eingeprügelt habe.
Außerdem will die Justiz den Worten des Richters nach die angebliche Kooperation zwischen Polizei und dem Schwarzen Block während der Ausschreitungen rund um die abgesperrte Rote Zone untersuchen. Dazu sollen zuerst alle Aussagen von Augenzeugen, Journalisten und Anwälten gesammelt werden.
Hinzugezogen werden auch die Fernsehaufnahmen, die besonders beim Verdacht der Kooperation eine große Rolle spielen. Der nichtstaatliche Fernsehsender La Sette hatte diese Bilder bereits vor Tagen gezeigt. Auf ihnen ist zu sehen, wie Mitglieder des Schwarzen Blocks sich mit Polizisten verständigen und sich vor den Augen der Sicherheitskräfte bewaffnen. Nach Aussagen der Demonstrationsorganisatoren gibt es von solchen Aufnahmen noch mehr. Ein Teil jedoch sei bei der Razzia im Medienzentrum des "Genua Social Forums" beschlagnahmt worden.
Ströbele will mit dem Polizeichef reden
Ob die tödlichen Schüsse auf den Demonstranten Carlo Guiliani ebenfalls untersucht werden, ließ der Richter offen. Er sagte lediglich, dass er auch mit der Polizei reden müsse. Das gleiche Ziel hat auch der nach Genua gereiste Grünen-Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele. Er will am Donnerstag mit dem Polizeipräsidenten zusammentreffen, um das Vorgehen der Polizei gegen Globalisierungsgegner zu erörtern. "Dem
habe ich dringende Fragen zu stellen", sagte Ströbele.
SPIEGEL ONLINE 2001: AP 26. Juli 2001
Hans-Christian Ströbele will die brutalen Festnahmen untersuchen
Ströbele hatte am Mittwoch mehrere Krankenhäuser besucht, in denen verletzte deutsche Protestler liegen, und die weitere konsularische Betreuung unterstützt. Ströbele und die Grünen-Abgeordnete Annelie Buntenbach wollen am Donnerstag weitere Inhaftierte in Gefängnissen besuchen.
Die meisten Deutschen sind mittlerweile frei
Ströbele kritisierte das Vorgehen der italienischen Polizei gegen die Globalisierungsgegner als "unglaublich". Auch wenn es bei den Demonstrationen auf der Straße Straftaten gegeben habe, sei dies keine Rechtfertigung dafür, dass eine Hundertschaft Polizei in eine Schule eingedrungen sei und friedlich schlafende oder herumsitzende Menschen "geradezu massakriert" habe. Dies müsse politische Folgen haben, forderte
Ströbele. Der Abgeordnete fühlte sich an "Bilder aus Argentinien" erinnert, sagte er am Donnerstag.
Gemeinsam mit der PDS drängt Ströbele nun darauf, dass die Vorfälle in Genua von einer internationalen Kommission untersucht werden. In einem Brief an die italienischen Behörden kritisierte auch die PDS-Abgeordnete Petra Pau die Übergriffe. Auch das Auswärtige Amt in Berlin kündigte an, die Aussage der Verletzten zu prüfen, wollte sich aber nicht näher zu möglichen Folgen äußern.
Unterdessen teilte das Amt am Donnerstag mit, dass mittlerweile der Großteil der in Genua festgehaltenen Deutschen in der Nacht zum Donnerstag freigelassen wurde. Von den am Mittwoch noch 58 Festgenommenen wurden nach einem Haftprüfungstermin fast alle auf freien Fuß gesetzt, da sich der Tatverdacht der Bildung einer terroristischen Vereinigung nicht halten ließ. Demnach befinden sich 15 weiterhin im Gefängnis.
Im Laufe des Tages stehen weitere Haftprüfungstermine an. Unter den in der Nacht freigelassenen Personen befindet sich auch eine Berliner Journalistin der linken Tageszeitung "Junge Welt". Sie will in Berlin am Freitag von ihren Erlebnissen berichten. Für diesen Tag ist in der Hauptstadt auch eine Mahnwache vor der italienischen Botschaft geplant.
stern.de: 26/07/2001 18:39:00
G-8-Demonstranten: Vorwürfe gegen Polizei
Berlin (dpa) - Wenige Tage nach den Krawallen beim G-8- Gipfel in Genua haben deutsche Globalisierungsgegner schwere Vorwürfe gegen die italienische Polizei erhoben. Nach ihrer Entlassung aus italienischer Haft berichteten sie am Donnerstag von Übergriffen und Misshandlungen. Von den 70 festgenommenen Deutschen sind inzwischen 55 freigelassen worden. 15 befanden sich zunächst noch in Haft, teilte das Auswärtige Amt in Berlin mit. Der Vorsitzende der Europäischen Polizeigewerkschaft, Hermann Lutz, sprach sich für eine internationale Untersuchungskommission zu den Vorfällen von Genua aus. Junge Frauen und Männer berichteten nach ihrer Rückkehr aus Italien in München, sie seien in der Nacht zum Sonntag in ihrem Quartier in Genua von Polizeieinheiten «überfallen und niedergeknüppelt» worden. Verletzte hätten keine qualifizierte Hilfe erhalten, sagte eine 31 Jahre alte Frau. Die meisten der Festgenommenen seien zudem während ihrer Haft in einer Kaserne misshandelt worden, berichteten mehrere Betroffene. Marco Linner von der «Roten Hilfe e.V.» forderte die sofortige Freilassung der noch festgehaltenen Demonstranten. Eine internationale Untersuchungskommission müsse die Vorfälle von Genua aufklären. Diese Meinung teilte der Gewerkschafter Lutz. Er hielte es für hilfreich, wenn Italien bereit wäre, andere an der Kommission zu beteiligen - «schon um ungerechtfertigte Vorwürfe in diesem Bereich zu entkräften», sagte Lutz im Hessischen Rundfunk. Die Heimkehrer warfen der Polizei vor, 93 Personen in der Diaz-Schule in Genua wahllos zusammengeschlagen zu haben, obwohl alle ihre Hände hoch gehalten hätten und sich niemand gewehrt habe. «Es war einfach grauenvoll», sagte eine junge Frau, der bei dem Polizeieinsatz angeblich die Hand gebrochen wurde. Ein Mann berichtete, ihm sei in einer Kaserne, in der die Festgenommenen zwei Nächte hätten verbringen müssen, mehrmals eine ätzende Chemikalie in das Gesicht gesprüht worden. Nach einer eiskalten Dusche habe er dann nur mit einer Plastikfolie bekleidet auf dem nackten Steinfußboden einer Zelle sitzen müssen. Einer Demonstrantin, der die Polizei den Oberkiefer gebrochen und mehrere Zähne ausgeschlagen habe, sei tagelang keine medizinische Hilfe gewährt worden. Keiner der Festgenommenen erhielt nach übereinstimmenden Berichten der Betroffenen rechtlichen Beistand. Das Auswärtige Amt teilte mit, es gehe Berichten über Rechtsverstöße nach. Die Mehrzahl der Deutschen war nach der Haftprüfung durch Untersuchungsrichter in der Nacht zum Donnerstag freigelassen worden. Weitere Entlassungen würden erwartet, sagte ein Sprecher des AA. Ströbele und die Grünen-Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach sagten nach Besuchen bei Inhaftierten und Verletzten in Genua, die Berichte der Betroffenen wiesen «auf ein unglaubliches Vorgehen der italienischen Sicherheitskräfte bei den Protesten gegen den G 8- Gipfel in Genua hin». Auch wenn es bei den Demonstrationen zu Straftaten gekommen sei, könne dies «nicht Reaktionen wie den Überfall auf die Diaz-Schule rechtfertigen». Das Vorgehen der deutschen Polizei vor dem G-8-Gipfel hat die Bundestagsfraktion der Grünen auf den Plan gerufen. Die Polizei hatte auf Grund gespeicherter Daten Gipfel-Gegnern die Ausreise nach Italien untersagt. Die Grünen verlangen nun von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) Auskunft über die geplante bundesweite Gewalttäterdatei. «Wir wollen Auskunft darüber, auf welchen Grundlagen die Aufnahme in die Datei erfolgt und wie die Daten verwendet werden sollen», sagte der rechtspolitische Sprecher der Fraktion, Volker Beck, der «Berliner Zeitung» (Freitag). Beck befürchtet, dass Unschuldige in ihren Grundrechten verletzt würden.
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