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FAQ: Häufig gestellte Fragen zum EU-Chile-Abkommen

Warum ist mal die Rede von Rahmen- oder Interimsabkommen, und mal von Modernisierung? Um welche Art Abkommen handelt es sich genau?

Schon 2002 haben die EU und Chile ein Assoziierungsabkommen abgeschlossen, das sich aus einem politischen und einem Handelsteil zusammensetzt. Seit 2017 verhandeln beide Akteure über die Modernisierung dieses bestehenden Abkommens. Der Einfachheit halber wird dieses neue Abkommen auch EU-Chile 2.0 oder bloß EU-Chile-Abkommen genannt.

Die EU und Chile haben sich darauf geeinigt, EU-Chile 2.0 in zwei eigenständige Rechtsakte aufzuteilen („Splitting“) – das Fortgeschrittene Rahmenabkommen (FRA), das alle vereinbarten Bestimmungen enthält, und das Interims-Handelsabkommen (iTA), das nur den Handels- und Investitionsteil (ohne Investitionsschutz) aus dem FRA umfasst.

Die Idee hinter dem Splitting ist, dass der Handelsteil möglichst schnell in Kraft treten und der nationalen Kontrolle entzogen werden kann. Denn für Handelspolitik (und damit das iTA) genügt eine Ratifizierung auf rein europäischer Ebene („EU-only“). Nach erfolgter Ratifizierung durch die EU und Chile kann das iTA in Kraft treten – unabhängig vom FRA.

Das FRA dagegen muss von den jeweiligen nationalen Parlamenten aller 27 EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Das Interims-Handelsabkommen bleibt in Kraft, bis dieser Ratifizierungsprozess abgeschlossen ist. Das heißt auch, dass die Ablehnung des FRA durch ein nationales Parlament am Handelsabkommen nichts ändern würde – dieser Teil ist der parlamentarischen Kontrolle der EU-Mitgliedsstaaten entzogen.

Mit unserer Kampagne konzentrieren wir uns auf das Interims-Handelsabkommen, da dieses die wesentlichen Bestimmungen zum Zugang zu Rohstoffen enthält und zeitlich kritisch ist.

Wie geht’s weiter mit dem Gesetzgebungsprozess?

Chile und die EU haben sich Ende 2022 geeinigt, das Abkommen ist also ausverhandelt. Danach wurde es in zwei separate Abkommen (FRA und iTA, s.o.) gesplittet. Anschließend wurden die Beschlüsse zur Unterzeichnung beider Abkommen vom Rat der Europäischen Union (Minister*innenrat) angenommen; und am 13.12.2023 wurden sie von der EU-Kommission, Vertreter*innen der Mitgliedsstaaten und der chilenischen Regierung unterzeichnet. Doch damit sind sie noch nicht rechtskräftig: Zunächst muss noch das Europäische Parlament (EP) zustimmen.

Die Abgeordneten im Handelsausschuss des EPs haben bereits für das Abkommen gestimmt und dies auch dem gesamten EP empfohlen. Noch im Februar, vermutlich im Zeitraum vom 26.-29.2., soll dann das gesamte EP das Abkommen ratifizieren. Parallel dazu muss auch der chilenische Kongress sein Ratifizierungsverfahren abschließen.

Danach kann das Interims-Handelsabkommen sofort in Kraft treten. Unsere letzte Chance, das zu verhindern, ist also die Aufklärung und Beeinflussung der Abgeordneten im EP – und dieses Möglichkeitsfenster schließt sich schon in wenigen Wochen!

Das Fortgeschrittene Rahmenabkommen muss zusätzlich von den Parlamenten der 27 EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Das kann viele Jahre dauern. So lange ist das Interims-Handelsabkommen in Kraft; es läuft erst mit Ratifizierung des FRA aus. Sollte ein Parlament eines EU-Mitgliedsstaats das FRA ablehnen, bleibt das iTA trotzdem bestehen.

Was regelt das Abkommen in Bezug auf Lithium genau?

Chile gehört schon heute zu einem der größten Lithium-Lieferanten der Welt. Das Abkommen würde die EU jedoch als privilegierte Handelspartnerin behandeln und ihr noch besseren Zugang verschaffen: An kein*en andere*n Abnehmer*in – weder inländisch noch ausländisch – dürfte Lithium günstiger abgegeben werden als an sie. Das Abkommen verbietet außerdem Schutzmaßnahmen gegen den Export von Lithium. Und zusätzlich ist darin kein Vorrecht für chilenische Unternehmen für die Lithium-Verarbeitung verankert, was zu einer immensen Verschiebung zugunsten der EU führen wird.

Die ohnehin schon ungleichen Handelsbeziehungen würden damit verstetigt werden: Chile dient der EU verstärkt als Rohstofflieferant. Zudem würde der Lithiumabbau weiter intensiviert – mit negativen Folgen für die dortigen Menschen, Ökonomien, Umwelt und Natur.

Warum sprecht ihr von Lithiumraub? Was macht die Rohstoff-Partnerschaft in euren Augen neo-kolonial?

Für Chile ist die EU schon jetzt drittwichtigste Außenhandelspartnerin – jedoch ist die Handelsbilanz seit Jahren negativ: Denn Chile exportiert überwiegend unverarbeitete Rohstoffe (mit geringer Wertschöpfung) – z.B. Kupfer, Gemüse, Fischereiprodukte, Wein oder Holz. Die EU dagegen exportiert vorwiegend Fertigprodukte (mit hoher Wertschöpfung) nach Chile – z.B. Fahrzeuge, Maschinen und Geräte. Lokale Wertschöpfung in Chile oder eine Diversifizierung der chilenischen Wirtschaft findet also kaum statt bzw. werden sogar abgewürgt. So haben bspw. die Ansätze einer chilenischen Lithiumstrategie kaum eine Chance, da das Abkommen Schutzmaßnahmen gegen den Export von Lithium verbietet. So wird sich die negative Handelsbilanz Chiles mit der EU weiter verschlechtern.

Die Extraktion von Lithium und anderen Rohstoffen führt in Chile außerdem zur Vertreibung der meist indigenen lokalen Bevölkerung und zur Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts.

Wie sieht die Situation in der Atacama-Salzwüste aus?

Das Lithium in Chile liegt in der Atacama-Salzwüste. Es wird dort durch Verdunstung gewonnen. Da dieser Prozess eine große Menge Wasser benötigt, sinkt als Folge der Grundwasserspiegel kontinuierlich. Das wiederum bedroht nicht nur das fragile ökologische Gleichgewicht, sondern vor allem die Lebensbedingungen der indigenen Gemeinschaften. Diese sind aufgrund der extremen Temperaturunterschiede in der Wüstenlandschaft in großer Höhe ohnehin schon sehr hart und dürfen nicht durch Wassermangel und verwehende Chemikalien weiter verschlechtert werden.

Eigentlich haben indigene Gemeinschaften ein Mitbestimmungsrecht bei Maßnahmen, die ihre Lebensweisen, Identität, Sprache und Religion beeinträchtigen können – garantiert in der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Nur hat die chilenische Regierung diese Beteiligung der Indigenen verweigert und damit die ILO-Konvention verletzt. Auch die EU verpflichtet Chile im Fortgeschrittenen Rahmenabkommen nicht zur Einhaltung der ILO 169 und wird somit ihrer Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte nicht gerecht.

 

Warum ist Lithium so wichtig für die EU?

Für ihre Energie- und Mobilitätswende setzt die EU zentral auf Elektrifizierung. Dafür muss Strom gespeichert werden können – was die Nachfrage nach Batterien förmlich explodieren lässt. Aktueller Goldstandard sind Lithium-Ionen-Batterien mit Lithium als zentralem Bestandteil. Sie werden nicht nur in Mobiltelefonen, Notebooks und Akkuschraubern verwendet, sondern auch im Speicher von Photovoltaik-Anlagen oder in Elektro-Autos.

Der Lithiumraub in Chile, Argentinien und Bolivien – wo die weltweit größten Vorkommen lagern – hat allerdings nicht nur Auswirkungen auf die dortigen Menschen und Ökonomien, sondern erschwert auch im Norden die Entwicklung von Alternativen wie Kreislaufwirtschaften für diese Rohstoffe und andere Batterietechnologien zum Beispiel auf Natriumbasis.

Neben Lithium werden auch noch andere Rohstoffe wie Kupfer oder Energieträger wie Grüner Wasserstoff aus den Ländern des Globalen Südens extrahiert und im Norden zur Energiewende verwendet – erneut versuchen die hochentwickelten Länder des Nordens, ihren Standard auf Kosten des Südens zu erhalten und auszubauen.

Was wird über Rohstoffe hinaus in diesem Abkommen geregelt?

Das Abkommen wirkt wie eine Erfüllung der Wunschliste der europäischen Auto-, Chemie- und Agrarlobbys:

  • Rohstoffe und Energieträger wie Lithium, Kupfer, grüner Wasserstoff und E-Fuels werden aus Chile exportiert für eine Mobilitäts- und Energiewende in Europa, die die bestehenden kapitalistischen Strukturen lediglich grün verbrämt.
     
  • Landwirtschaftliche Produkte werden von Agrarkonzernen verstärkt nach Europa exportiert; deren Anbau in Monokulturen mit hohem Wasserverbrauch verdrängt lokale bäuerliche Strukturen. Die EU wiederum sieht in Chile einen weiteren Abnehmer für ihre horrende Überproduktion von Milch und Milchprodukten. Darüber hinaus sieht das Abkommen die Privatisierung des Saatguts vor: Die chilenischen Bauern dürfen nicht mehr ihr eigenes Saatgut verwenden, sondern müssen neues von europäischen Herstellern kaufen.
     
  • Besonders gefährlich für die Bevölkerung Chiles ist jedoch der Export von hochgiftigen Pestiziden, deren Verwendung der EU schon lange verboten ist. Dieses Geschäftsmodell von BASF, Bayer und anderen wird auch durch das neue Abkommen nicht verboten.
     
  • Das Abkommen verschafft den europäischen Konzernen Zugang zum öffentlichen Beschaffungswesen. So nehmen sie gleichberechtigt mit chilenischen Klein- und Mittelbetrieben (KMU) an Ausschreibungen für Waren, Dienstleistungen, Bauarbeiten und Baukonzessionen teil, was Letztere verdrängen wird.
     
  • Mit dem exklusiven Investor-Staat-Schiedsverfahren können Investoren den Staat verklagen, wenn sie der Ansicht sind, dass eine staatliche Maßnahme ihr Gewinnerwartungen beeinträchtigt.

 

Sind auch Sonderklagerechte für Konzerne bzw. Schiedsgerichte vorgesehen?

Ähnlich wie bei CETA und Co. findet sich im EU-Chile-Abkommen ein Kapitel zum Investor-Staat-Schiedsverfahren (genauer: dem FRA). Damit erhalten ausländische Investoren das exklusive Recht, Regierungen der Vertragsparteien vor internationalen Schiedstribunalen zu verklagen, wenn sie sich durch staatliche Maßnahmen in ihren Profiterwartungen geschmälert sehen.

Über diese Paralleljustiz können Unternehmen hohe Entschädigungen einklagen, sodass durch die Kosten für einen verlorenen Streitfall die Handlungsfähigkeit von Staaten eingeschränkt wird. Zwar vermag ein Schiedstribunal nicht, die Rücknahme von Gesetzen zu verfügen. Dennoch kann schon das Androhen einer solchen Konzernklage dazu führen, dass Staaten vor Maßnahmen im Interesse des Gemeinwohls wie Umweltschutzauflagen, Zugangsbeschränkungen zu Rohstoffen oder sozialpolitische Regulierungen zurückschrecken.

Hilft uns Grüner Kapitalismus? Die Mobilitäts- und Energiewende in der EU

Die Mobilitätswende mit ihrem Fokus auf individuelle Elektromobilität ist Teil des European Green Deal, des Energiewendeprogramms der EU. Grundgedanke dieses Programms ist ein „Weiter so“ – wir ersetzen fossile durch „grüne“ Energie, ändern aber ansonsten nichts an den Produktions- und Ausbeutungsverhältnissen. Die Wirtschaft soll ungehindert weiterwachsen, der Kapitalismus ändert nur seine Farbe. 50 Jahre nach der bahnbrechenden Analyse des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums und nach mittlerweile tausenden weiteren wissenschaftlichen Studien ignorieren die Herrschenden in Wirtschaft und Politik weiterhin, dass wir nur eine Erde haben und dass die natürlichen Ressourcen endlich sind.

Eine wirkliche Mobilitätswende setzt nicht auf immer mehr E-Autos mit immer größeren Lithium-Batterien. Stattdessen brauchen wir weniger Autos und echte klimagerechte Alternativen, zum Beispiel durch den Ausbau eines attraktiven öffentlichen Verkehrs, Sharing-Modelle, sichere Fahrradtrassen. Unser Gewinn werden ruhigere Städte, autofreie Gemeinschaftsflächen, bessere Luft und damit viel mehr Lebensqualität sein. 

Wie wird das Abkommen von linken Parteien und NGOs in Chile bewertet? Ist Attac dorthin vernetzt?

Der Widerstand in Chile gegen das Abkommen wird von einer breiten Basis von Organisationen, Parteien und Parlamentarier*innen getragen. Angestoßen von der NGO „Chile Mejor Sin TLC“, die seit Jahren gegen Handelsabkommen kämpft, wurde im Dezember 2022 ein Manifest gegen das EU-Chile-Abkommen veröffentlicht. Es wurde von rund 500 Organisationen, darunter auch Attac Deutschland, unterzeichnet und  hier von uns dokumentiert.