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Von Conrad Schuhler,

Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung München, 15.03.2010 isw


Mit Schwung in den nächsten Absturz?


Nach der Bankenpleite drohen jetzt Staatsbankrott

und Währungsverfall


Mark Twain stellte einmal richtig, dass die Nachrichten von seinem Ableben doch stark übertrieben gewesen seien. Noch übertriebener waren indes die Nachrichten vom Wiederaufleben der kapitalistischen Wirtschaft. Im zweiten Quartal 2009 hatte sich die deutsche Wirtschaft um 0,4 % gegenüber dem Vorquartal verbessert, im dritten Quartal waren es plus 0,7 %. Zwar lag auch dies noch 4,8 % unter dem Vorjahresquartal, man hätte also allenfalls behaupten können, dass der Abwärtstrend sich stabilisiert, aber man wollte unbedingt die Erfolgsmeldung unters Volk bringen. Nun musste das Statistische Bundesamt feststellen, dass „die Erholung der deutschen Wirtschaft Ende 2009 ins Stocken geraten“ ist. Im letzten Quartal 0,0 % gegenüber dem Vorquartal.


Insgesamt ist die deutsche Wirtschaft 2009 um 5,0 % abgesackt. Und nun wird die Aussicht immer deutlicher, dass sie auch 2010 weiter abschmiert. Möglicherweise erlebt sie einen „Double Dip“, ein zweites, tiefes Eintauchen in Krise, Beschäftigungs- und Einkommensverluste. Alle fundamentalen wirtschaftlichen Faktoren weisen in diese Richtung. Bisher hat eine beispiellose Aktivierung öffentlicher Mittel zu einer Aufrüstung der Nachfrage geführt, die den Zusammenbruch der realen Wirtschaft weitgehend verhindern konnte. Doch kann diese staatlich alimentierte Nachfrage nicht mehr lange weiter geführt werden, da sich die öffentlichen Haushalte in Rekordmaßstäben verschuldet haben und die politisch dominierenden Kräfte umschalten auf „Sparkurse“ und Haushaltsausgleich.


Doch gibt es bisher keine „selbsttragenden“ Aufschwungkräfte, sowohl der private Konsum wie die Investitionen wie auch die Nachfrage aus dem Ausland werden an Kraft im nächsten Jahr noch verlieren. Hinzu kommt eine gewaltige Aufblähung der Geldmenge durch das billige Geld der Notenbanken, das von den Geschäftsbanken genutzt wird zu einer neuen Blasenbildung am Markt der Staatsanleihen, die ihnen bis zu 7 % Zinsen bringen, während sie den Notenbanken nur 1 % für das geliehene Geld zahlen müssen. Gleichzeitig fahren sie die Kredite für die Realwirtschaft weiter herunter, verschärfen also weiter die „Kreditklemme“.

 

Die Staatsverschuldung Deutschlands nähert sich dem absoluten Rekord von fast zwei Billionen Euro. Damit entspricht sie dem EU-Durchschnitt von 72 % des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts. Der Bund muss schon heute für jährliche Zinsen 40,4 Milliarden Euro aufbringen, weit mehr als die Aufwendungen für die Etats Gesundheit, Umwelt, Familie und Bildung und Forschung zusammen. Dies ist das Ergebnis der steuerlichen Schonung der Reichen und der Unternehmen. Würde man die knapp eine Million Millionäre im Lande mit einer Vermögensteuer von 5 % belasten, kämen rund 150 Milliarden Euro in die Staatskasse, 50 Milliarden mehr, als das Bundesdefizit 2010 ausmacht. Da man dies nicht tut, sondern stattdessen Staatsanleihen mit hoher Verzinsung für die Banken und die Reichen ausgibt, hat man sich den hochverschuldeten Staat organisiert. Da die Zinsen der Anleihen angesichts der wachsenden Skepsis gegenüber der Zahlungsfähigkeit des Staates weiter steigen, wird der Staat ständig mehr an Schuldendienst und ständig weniger an Versorgung seiner Bürger aufbringen. Ab 2011 kommt auch die „Schuldenbremse“ zum Einsatz, der Staat ist dann gesetzlich gezwungen, seine Defizite schnell zu reduzieren. Die Unterstützung der allgemeinen Nachfrage durch öffentliche Mittel wird scharf zurück gehen.


Die übrigen Nachfragefaktoren können diesen Ausfall nicht kompensieren. Der Konsum stellt mit rund 60% den größten Posten der Nachfrage. In 2009 verringerte sich die Nettolohnsumme um 1 %, die reale Kaufkraft der Beschäftigten sank um 1,4 %. Für 2010 ist keine Änderung zu erwarten. Die hoch gefeierten „moderaten Lohnabschlüsse“ sind Gift für die Konjunktur. Die reale Kaufkraft wird mit Sicherheit noch heftiger von der Inflation angefressen, da die „Politik des billigen Geldes“ zu einer Aufblähung der Geldmenge führt, während die reale Entsprechung, die Produktion von Gütern und Diensten, stagniert oder zurück fällt. So wie der „öffentliche Konsum“ wegen der „Haushaltsstabilisierung“ reduziert wird, so schwächelt der „private Konsum“ wegen der mageren Bezüge der Beschäftigten.


Von den Investitionen ist keinerlei Impuls zu erwarten. Die Geschäftserwartungen der Unternehmer sind äußerst bescheiden. Nachdem die Propaganda 2009 quasi zu einer Selbsthypnose der Unternehmer geführt hatte – sie erwarteten von Monat zu Monat bessere Geschäftsbedingungen – ist dieser Trend nun umgekippt. Seit Februar 2010 sind auch die Unternehmer skeptisch, was sich auf ihre Investitionsentscheidungen auswirken wird. Doch selbst wachsende Nachfrage wird, wenn überhaupt, nur zu geringen Neuinvestitionen führen. Die Kapazitätsauslastung in Deutschland liegt bei rund 70 %. Die Unternehmen könnten also mit den vorhandenen Anlagen gut 25 % mehr produzieren, ohne dass sie neue Anlagen brauchten.


Bleibt der dritte große Faktor, die Nachfrage des Auslands. 2009 schrumpften die Exporte um 15 %. Der geschwundene Außenbeitrag – Exporte minus Importe – trug mehr als die Hälfte zum 5%-igen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts bei. Dies hatte nicht nur zu tun mit dem Rückgang des Welthandels, der um 2,3 % sank. Sondern vor allem auch mit einer veränderten Struktur in der internationalen Arbeitsteilung. So wird es auch 2010, selbst wenn sich die Weltwirtschaft um die allgemein angenommenen rund 2 % vorwärts entwickeln kann, zu keinem relevanten positiven Außenbeitrag kommen. Die globale Wachstumshoffnung wird in den Schwellenländern mit ihrem Spitzenreiter China gesehen, und diese wollen ihr Wachstum in erster Linie durch die Entwicklung ihrer Binnenwirtschaft erzielen, also gerade durch den Ersatz von Importen – aus deutscher Sicht Exporte - durch einheimische Wertschöpfung.


Sind die kurz- und mittelfristigen Aussichten auf „Erholung“ verhangen, so wird die grundsätzliche Perspektive erst recht finster. Am Beispiel Griechenlands lässt sich verdeutlichen, wie sehr Deutschland eine Ursache der Krise ist und bleibt. Griechenlands wachsende Schuldenprobleme sind u.a. eine Folge der deutschen Niedriglohnpolitik. Während in Griechenland die Lohnstückkosten von 1999 bis 2008 um 26 % gestiegen sind, kümmerten sie in Deutschland auf plus 8 %. Die Folge: Die deutschen Unternehmen konnten in der EU-Zone die Länder mit geringerer Produktivität nach Belieben aufrollen. Nach Belieben deshalb, weil diese Länder sich nicht durch Abwertung der eigenen Währung gegen die ausländischen Anbieter wehren konnten, sondern an den gemeinsamen Euro gebunden waren. Allein gegenüber Griechenland, Spanien und Portugal hat Deutschland seit 2000 einen Exportüberschuss von 220 Milliarden Euro. Griechenland hat sich nicht zuletzt deshalb bis zum Offenbarungseid verschuldet, weil es die Importüberschüsse aus Deutschland bezahlen musste.


Nun wird an Griechenland vorexerziert, was „Deutschland“ und andere Überschuss-Länder von ihren Schuldnern erwarten: Alle Renten werden eingefroren, alle Massensteuern werden erhöht, Urlaubs- und Weihnachtsgeld werden um 30 % gekürzt. Das Volk muss bluten, damit die Schulden an das reiche Ausland – und die eigenen Reichen – bezahlt werden. In Portugal, Spanien und anderen Schuldnerländern wird dies so weitergehen. Griechenland ist ein Probelauf. Auch für das Schuldnerland Deutschland. Wenn Griechenlands Rentner, Beschäftigte, Sozialhilfeempfänger ihr Opfer bringen mussten, wieso dann nicht auch die Deutschen?


München, 15.03.2010